Das bayerische auf Rückladung abgeänderte Gewehr M.1858 (Podewils-Gewehr): Tipps für Sammler und Schützen
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Viele deutsche Staaten hatten schon vor dem Krieg von 1866 die Notwendigkeit erkannt, irgendwann einmal Hinterlader einführen zu müssen. Man hatte sogar Kommissionen eingesetzt, die tagten und tagten, ohne jedoch zu Entschlüssen zu kommen. Der Krieg von 1866 machte jedem noch so konservativen General auf brutale Weise deutlich, dass die Ära der militärischen Vorderlader zu Ende war, egal, wie weit oder präzise sie auch schossen. Wollte man in einem zukünftigen Krieg nicht schon vor seinem Beginn als Verlierer feststehen, musste man die Armee so schnell wie möglich mit Hinterlader-Gewehren bewaffnen. Vor diesem Problem standen 1866 nicht nur Bayern, sondern alle süddeutschen Staaten.
Während Baden, Hessen und Württemberg letztlich das preußische Zündnadelsystem übernahmen und ihre Gewehre entsprechend änderten, ging Bayern einen anderen Weg. Man übernahm hier nicht das Gewehr der ungeliebten Preußen, sondern entwickelte ein eigenes System zur Änderung seiner Vorderlader in Hinterlader. Das so entstandene Gewehr, heute als Podewils-Gewehr bekannt, ist Thema dieses Buches.
Wolfgang Finze
Jahrgang 1949, Studium der Physik. Aktiver Schütze (auch mit Vorderlader- und Zündnadelgewehren), Verfasser zahlreicher Beiträge in der Zeitschrift VISIER und im VISIER-Special zu Waffentechnik, Waffengeschichte und zur Geschichte des Deutschen Schützenbundes. Vom Verband für Waffentechnik und Geschichte (VdW) bestellter Sachverständiger. Bisher verfasste Bücher zum Themenkomplex Zündnadelgewehre: - Preußische Zündnadelgewehre: Leitfaden für angehende Sammler und Schützen (200 Seiten, ISBN-13: 978-3739201085) - Preußische Zündnadelgewehre in Deutschland 1861 - 1871 und die Aptierung nach Beck: Leitfaden für Sammler (224 Seiten, ISBN-13: 978-3744894135) - Schießen mit preußischen Zündnadelgewehren: Tipps zur Handhabung, Pflege und zur Munition (56 Seiten, ISBN-13: 978-3752812305) - Chassepot-Zündnadelgewehre: Hinweise und Tipps für Sammler und Schützen (124 Seiten, ISBN 978-3752829136) Autor eines Buches und über das bayerische Podewils-Gewehr - Das bayerische auf Rückladung abgeänderte Gewehr M.1858 (Podewils-Gewehr): Tipps für Sammler und Schützen (108 Seiten, ISBN 978-3749478934) Autor dreier Bücher zum Thema Vorderladerschießen - Mit Pulver und Blei - Schießen mit Vorderladergewehren (ISBN-13: 978-3752609615) - Papierpatronen für Musketen und Vorderlader- Dienstgewehre (ISBN-13: 978-3754384428 - Steinschloss - Technik und Handhabung (ISBN-13: 978-3756834945 Herausgeber der Edition historischer Texte zur Schießpraxis in deutschen Schützenvereinen der Zeit vor 1900. In dieser Edition sind bis jetzt erschienen: - Kommentierte Neuauflagen des von Heinrich Kummer verfassten und 1862 erschienenen Buches Der praktische Büchsenschütze (ISBN-13: 978-3848264292) - Neuauflage des von C.C. Beyer verfassten und 1844 erschienenen Buches Meine Erfahrungen bei dem Scheibenschießen: Eine praktische Anleitung für angehende Scheibenschützen. (ISBN-13: 978-3738622577) - Erfahrungen und Betrachtungen - Ausgewählte Artikel zu Waffentechnik, Munition und Schießpraxis aus der Deutschen Schützen- und Wehrzeitung der Jahre 1872 bis 1881 (ISBN-13: 978-3752876710) Gemeinsam mit Joachim Görtz Autor des Buches - Fremde Gewehre in Deutschen Diensten (108 Seien, ISBN-13: 978-3831146093)
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Das bayerische auf Rückladung abgeänderte Gewehr M.1858 (Podewils-Gewehr) - Wolfgang Finze
Meiner Frau gewidmet
Danksagung
Es ist die angenehme Pflicht des Autors, all denen zu danken, die zum Zustandekommen dieses Buches beigetragen haben.
Besonderer Dank gilt dabei den folgenden Personen, die für dieses Buch uneigennützig Informationen und Materialien bereitgestellt haben, ohne die dieses Buch nie hätte entstehen können.
Bayerisches Hauptstaatsarchiv – Kriegsarchiv München
Brigitte Hölscher, München.
Claus Lindner, Maulbronn.
Detlev Köhler, Kritzmow.
Dr. Dieter Storz, Bayerisches Armeemuseum Ingolstadt.
Rupert Frank, München (Bairisches Wörterbuch)
Inhalt
Vorwort
Das Ausgangsmodell - der bayerische Vorderlader Muster 1858
Die Umstellung auf Hinterladung
Der Umfang der Änderung
Geänderte Teile
Schaft
Visier
Ladestock
Schloss
Lauf
Abzug
Hinzugefügte Teile
Verschluss
Piston und Zündkanal
Staubdeckel
Der Umgang mit dem Gewehr
Auseinandernehmen und Zusammensetzen
Laden
Reinigung
Konservieren
Zubehör
Bekannte Probleme
Die Patrone des auf Rückladung geänderten Gewehrs
Die scharfe Patrone
Flugbahn des Geschosses
Die blinde Patrone
Schießausbildung
Schießklassen
Scheiben
Entfernungsschätzen
Zimmergewehre
Stempelung der Waffen
Vorbemerkung
Waffen-Nummer
Abnahmestempel
Truppenstempel
Die Leistung der Waffe
Einsatz im Krieg von 1870/71
Die Bayerische Armee
Wehrdienst
Struktur der bayerischen Armee
Infanterie-Regimenter
Jäger-Bataillone
Landwehr-Infanterie
Podewils-Gewehre heute
Patronen heute herstellen
Münzen, Maße und Gewichte
Literatur
Vorwort
Als der österreichische Leutnant Lorenz das später nach ihm benannte Vorderladergewehr M.1854 entwickelte, setzte er einen Prozess in Gang, der in vielen deutschen Staaten zur Einführung der bis dahin besten militärischen Vorderlader führte. Nachdem Österreich (das im Heer des Deutschen Bundes die Korps 1 bis 3 stellte) mit dem Gewehr M.1854 für die ganze Infanterie einen gezogenen Vorderlader im Kaliber 13,9mm eingeführt hatte, führten auch andere deutsche Staaten nach und nach ähnliche Gewehre ein.
Den Anfang machten Baden, Hessen und Württemberg (deren Armeen das 8. Korps des Heeres des deutschen Bundes bildeten). Sie hatten sich schon im April 1856 auf eine gemeinsame Gewehrkonstruktion geeinigt. Das Königreich Bayern (dessen Armee das 7. Bundeskorps bildete) folgte 1859 und führte ein vom Freiherrn v. Podewils entwickeltes Gewehr im gleichen Kaliber ein. Sachsen (9. Bundeskorps) folgte 1861. Hier verzichtete man aber auf die Entwicklung eines eigenen Gewehrmodells und kaufte in Österreich Lorenz-Gewehre.
Die nicht mit Preußen verbündeten oder befreundeten deutschen Staaten hatten schon vor dem Krieg von 1866 die Notwendigkeit erkannt, irgendwann einmal Hinterlader einführen zu müssen. Man hatte Kommissionen eingesetzt, die zwar tagten, aber nicht zu Entschlüssen kamen. Man war überzeugt davon, dass die gerade erst mit hohem finanziellen Aufwand eingeführten Vorderlader im Kaliber 13,9mm mit ihren hervorragenden Leistungen für die in absehbarer Zeit zu befürchtenden kriegerischen Auseinandersetzungen ausreichend waren. Außerdem verlief die Entwicklung der Militärwaffen gerade in dieser Zeit ausgesprochen schnell, so dass Konstruktionen, die gestern noch an der Spitze der Entwicklung standen, heute schon wieder veraltet waren.
Der Krieg von 1866 machte dann deutlich, dass die Ära der militärischen Vorderlader zu Ende war. Wollte ein Staat in einem zukünftigen Krieg nicht schon vor seinem Beginn als Verlierer feststehen, musste er seine Armee so schnell wie möglich mit Hinterlader-Gewehren bewaffnen. Vor diesem Problem standen alle nicht schon vor 1866 mit Preußen verbündeten Staaten, denn die hatten aus Preußen Zündnadelwaffen für ihre Armeen beschafft.
Für die anderen Staaten gab es ein großes Problem, denn man hatte für sehr viel Geld erst vor wenigen Jahren die Armee mit neuen Vorderladern bewaffnet, die nun veraltet waren. Schon allein aus finanziellen Gründen blieb kaum ein anderer Weg, als diese Vorderlader in Hinterlader umzubauen. Während Baden, Württemberg und Hessen das preußische Zündnadelsystem übernahmen und ihre Vorderlader entsprechend änderten, ging Bayern einen Sonderweg und änderte seine Gewehre Muster 1858 nach einem eigenen System in Hinterlader um. Das so entstandene „auf Rückladung geänderte Infanterie-Gewehr Muster 1858" (das üblicherweise nach seinem Entwickler als Podewils-Gewehr bezeichnet wird) ist Thema dieses Buches.
Rostock, im Juli 2019
Wolfgang Finze
Das Ausgangsmodell - der bayerische
Vorderlader Muster 1858
Freiherr von Podewils, Direktor der bayerischen Gewehrfabrik in Amberg, experimentierte schon vor 1856 mit Vorderlader-Gewehren. Er vermutete, dass die Anordnung und Gestaltung des Zündkanals Einfluss auf die Präzision des Schusses hätte und das der bei seitlicher Zündung entstehende Gasstrom dass (bei einem mit Papierpatronen geladenen Vorderlader zwangsläufig unterkalibrige) Geschoss im Lauf leicht seitlich verschob und so für eine geringere als die eigentlich erwartete Schusspräzision sorgen würde. Außerdem sollten sich bei seitlicher Zündung, so v. Podewils, auch die bei Schwarzpulver unvermeidlichen Ablagerungen bevorzugt an einer Laufinnenseite bilden. Zur Verbesserung der Präzision müsste deshalb der bei der Zündung entstehende Gasstrom das Geschoss genau senkrecht treffen. Also entwickelte er ein Gewehrmodell im Kaliber 13,9mm mit einem nach seinen Vorstellungen gestalteten Zündkanal¹ und ein passendes Geschoss.
Zündkanal (Tafeln zu Sauer, Grundriß der Waffenlehre, 1869)