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Black Bullet – Light Novel, Band 4
Black Bullet – Light Novel, Band 4
Black Bullet – Light Novel, Band 4
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Black Bullet – Light Novel, Band 4

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About this ebook

Die dritte Schlacht um Kanto hat begonnen: Einer der Monolithen ist eingestürzt und Tokyo droht von einer Gastrea-Armee ausgelöscht zu werden! Rentaros Team macht sich bereit für den letzten großen Kampf. Doch da begeht Rentaro einen großen Fehler und wird zu einem tödlichen Himmelfahrtskommando verdonnert ...
LanguageDeutsch
Release dateAug 2, 2019
ISBN9783842056213
Black Bullet – Light Novel, Band 4

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    Book preview

    Black Bullet – Light Novel, Band 4 - Saki Ukai

    Ich weiß nur zwei Dinge über dich: dass du irgendwann geboren wurdest und dass du irgendwann sterben wirst.

    – Hyrum Smith

    1

    »Es hat begonnen, Satomi«, sagte Kisara geistesabwesend durchs Telefon. Rentaro runzelte die Stirn, aber bevor er etwas entgegnen konnte, fuhr sie schon fort: »Schau dir den Monolithen an.«

    Rentaro sah zum Monolithen hinauf.

    Im nächsten Moment fuhr ihm der Schreck bis in die Zehenspitzen.

    Es ging so schnell, dass niemand es noch hätte aufhalten können. Zwar konnte Rentaro nichts hören, aber der tonlose Schrei des Kolosses drang dennoch bis zu ihm vor. Zuerst brach nur eine Ecke ab. Dann breitete sich ein Riss aus. Danach weitere. Augenblicke später war der ausgeblichene Monolith von unzähligen Rissen durchzogen. Er neigte sich langsam zur Seite und fiel in sich zusammen. Rentaro lief es eiskalt den Rücken hinunter.

    Wie in Zeitlupe wirbelten Brocken dieser riesigen Schutzmauer hoch. Ein gewaltiges Krachen ließ den Boden erbeben. Als Nächstes preschte eine unfassbare Druckwelle auf Rentaro zu, der schützend die Arme vors Gesicht hob. Der schwankende Boden wirbelte seine Eingeweide durcheinander, während die Druckwelle auf dem Weg zu ihm Trümmer und Herbstlaub mit sich riss.

    Als er schließlich wieder hochsah, erhob sich eine graue Staubwolke, die den ganzen Himmel auszufüllen drohte.

    »Aber, das ist …« Das durfte einfach nicht wahr sein. Der Monolith sollte doch erst morgen einstürzen! Seitenshis Wissenschaftler hatten es genau durchgerechnet!

    In diesem Moment flatterte Rentaros Schuluniform, und ihm kam ein Geistesblitz. »Der Wind ist schuld …«

    Selbst im Jahre 2031 war es schwierig, das Wetter genau vorherzusagen. Die Meteorologen hatten sich geirrt. Sie hatten nicht gewusst, dass der Wind an diesem Tag stark sein würde. Was für ein unglücklicher Zeitpunkt!

    »Satomi!«, schrie Kisara durch den Hörer.

    »Ich weiß«, sagte Rentaro – und legte auf.

    Er sah noch einmal dorthin, wo der Monolith gestanden hatte. Dann rannte er los in Richtung Schlachtfeld.

    Er durfte Enju nicht vergessen. Rentaro stürzte die Treppe im Polizeigebäude hinunter. Es war Chaos ausgebrochen. Die Polizisten hatten sich an die Fenster gedrängt. Sie zeigten fassungslos auf Monolith Nr. 32 und schrien durcheinander. »Enju!«, rief Rentaro. Und fand sie deprimiert im Wartezimmer sitzend. »Rentaro …«, erwiderte sie geistesabwesend und schaute in seine Richtung. Sie versuchte, einen heiteren Gesichtsausdruck aufzusetzen – für Rentaro sah sie dennoch elendig aus.

    »Wir müssen los, Enju.«

    Enju schien die Lage nicht zu begreifen. »Wohin denn?«

    »Wohin wohl? An die Front! Der Monolith ist zerbrochen«, erklärte Rentaro.

    Enju schaute sich um und schien erst jetzt das Chaos und das Geschrei um sich herum zu bemerken. »Der Monolith ist … zerbrochen?«

    Rentaro antwortete zitternd: »Hast … du etwa nichts mitgekriegt?« Dabei hat es doch so laut geknallt …

    Enju schüttelte heftig den Kopf, um sich wieder in den Griff zu bekommen. »Doch. Aber irgendwie war ich gerade in Gedanken.«

    Rentaro schloss wortlos die Augen. Enju hatte gerade erst an diesem Morgen erfahren, dass ihre Klassenkameraden getötet worden waren. Eigentlich wollte er nicht, dass sie sofort an einer Schlacht teilnehmen musste. Aber die Situation ließ ihm keine andere Wahl.

    »Rentaro, soll ich dich tragen und hinspringen?«, fragte sie.

    »Nein … wir laufen«, erwiderte er.

    »Warum?«

    »Vertrau mir einfach«, sagte er und ergriff ihre Hand. Zusammen stürmten sie durch den Eingang nach draußen.

    Eigentlich hätte er gern ein Taxi genommen, aber ihm war klar, wie sinnlos dieser Gedanke war. Schließlich waren alle Wagen längst entweder mit oder auch ohne Fahrgäste weggefahren. Auf den Straßen waren nur noch Einwohner unterwegs, die schreiend davonliefen.

    Sie bogen auf eine Hauptstraße ab, wo die Situation noch schlimmer war: Sechsspurig standen die Autos Stoßstange an Stoßstange und kamen durch den Stau kaum vorwärts. Während einige Fahrer wie wild auf ihre Hupen einhämmerten, wimmelte es zwischen den Fahrzeugen von Leuten, die ihre Wagen aufgegeben hatten und nun zu Fuß versuchten, möglichst weit von Monolith Nr. 32 wegzukommen.

    Rentaro und Enju wurden unzählige Male angerempelt, während sie gegen den Strom aus panischen Menschen ankämpften. Sie hatten kein Glück, ein Fahrzeug zu finden, und auch der Bahnhof war zu weit entfernt. Sowieso konnte man in dieser Ausnahmesituation wohl davon ausgehen, dass die Züge alles andere als nach Plan fahren würden.

    Bevor sie sich versahen, betraten sie auch schon den angrenzenden 40. Bezirk. Zwischen den unzähligen hervorstechenden Ruinen waren viel weniger Menschen unterwegs. Obwohl Rentaro so schnell lief, wie seine Beine ihn trugen, blieb er gefasst genug, um die Situation genau zu analysieren. Als er sich rechts und links umschaute, stellte er fest, dass sie noch ziemlich weit von der Frontbasis der Wachdienste entfernt waren. Selbst wenn sie den großen Hügel, der vor ihnen lag, überqueren konnten, würde sein Körper bis zum Lager schlappmachen. Es muss doch irgendeinen Weg geben!

    Er sah zwar zahlreiche Motorräder, Mopeds und Autos, aber die Motorräder und Mopeds waren verrostet und fielen fast auseinander. Die Reifen der Autos waren allesamt kaputt und die Kühlerhauben standen offen – da hatte jemand schon nach Herzenslust die Motoren ausgeschlachtet.

    Schließlich fand er aber ein Fahrrad, das zwischen zwei Gebäuden versteckt war. Es hatte zwar schon einige Jahre auf dem Buckel, aber die Reifen waren aufgepumpt und anscheinend war es gut instand gehalten worden. Bestimmt war es von einem Bewohner dieses Außenbezirks repariert worden. Hinten war ein Kindersitz angebracht, was auf das Rad einer Mutter schließen ließ.

    Leider war das Rad mit einem Kettenschloss an einem Pfahl angeschlossen. Rentaro schaute sich um, entschuldigte sich innerlich bei der Besitzerin und nahm sich vor, das Rad später wieder zurückzubringen. Dann zog er seine Pistole, trat drei Schritte zurück und zielte. Vorsichtig betätigte er den Abzug und schoss das Schloss auf.

    Er schwang sich auf den Sattel und setzte Enju hinter sich. Dann trat er mit voller Kraft in die Pedale. Durch die Wucht wurde das Vorderrad fast hochgerissen, bevor er damit auf die Außenbezirksstraße fuhr.

    Plötzlich hörte er ein lautes Sirenengeräusch. Er sah sich lauschend um. Hohe Töne wechselten sich mit tiefen ab, sie kamen aus mehreren Richtungen. Ist das eine Warnung vor biologischer Gefahr?, fragte er sich.

    In den zehn Jahren seit dem Krieg war das Gebiet von Tokyo immer wieder durch Pandemien bedroht gewesen, aber es hatte dennoch nie einen Alarm dieser Art gegeben. Dass die Sirenen jetzt ausgelöst wurden, machte ihm bewusst, wie schlimm die aktuelle Lage wirklich war. Es fiel ihm außerdem noch etwas Seltsames auf: Während das Warnsignal nervenaufreibend weiterdröhnte, kam von Norden her ein schwarzer Wolkenklumpen auf sie zugeflogen. Mit einem Mal war die Straße vor ihnen von seinem Schatten verdunkelt, bevor auch Rentaro und Enju komplett umhüllt wurden, während sie mit dem Fahrrad die Straße entlangrasten. Die ganze Welt um die beiden schien sich auf einen Schlag verdunkelt zu haben. Man konnte fast meinen, es wäre plötzlich Nacht geworden.

    Dann konnte man erkennen, was hinter der vermeintlichen Wolke steckte: Es waren Vögel. Unzählige Vögel jeglicher Art schrien laut am Himmel, während sie vor dem einstürzenden Monolithen flohen. Sie schienen aus dem Gebiet um Tokyo zu fliehen, was ein weiteres Zeichen dafür war, dass diese Stadt ihrem Ende entgegensah …

    Enju hielt Rentaro fest umschlungen, während ihm am ganzen Körper der Schweiß hinunterlief. Er trat noch kräftiger in die Pedale, um zu beschleunigen. Er schaltete einen Gang höher und wäre dabei fast vom schweißnassen Lenker abgerutscht. Er hatte sich nach vorn gebeugt und machte einen Katzenbuckel, um beim Radeln möglichst windschnittig zu sein.

    Er raste an umgeknickten Strommasten und nun nutzlosen Ampeln vorüber. Er wich geschickt mehreren Fahrzeugen aus, die wie Hindernisse vor ihm aufgestellt waren. Natürlich blieb er nicht an Stoppschildern stehen, weil er es sich nicht erlauben konnte, unnötig Zeit zu verschwenden.

    Da der Monolith eingestürzt war, würde sich Aldebaran mit seiner Armee bald in Bewegung setzen. Mit Pech war das Militär gerade in Panik, da es aufgrund des Windes in eine dichte Staubwolke getaucht worden war. Die Frage war nur, ob es sich rechtzeitig wieder zusammenreißen würde, um sich auf die angreifenden Gastrea vorzubereiten.

    Schließlich musste Rentaro stehend in die Pedale treten, um einen mittelgroßen Hügel zu erklimmen. Auf der rechten Seite klaffte ein tiefer Abhang, vor dem eine Leitplanke schützte. Während er gegen die Steigung ankämpfte, blieb ihm langsam die Puste weg und seine Waden brannten vor Schmerzen. Doch endlich erreichte er die Spitze, wo kühle, frische Luft seinen Körper streichelte.

    Aus dem Augenwinkel konnte er neben sich die Schienen der Bahnlinie erkennen, die von Dachziegeln und Gesteinsbrocken verschüttet waren. Anscheinend war es die richtige Entscheidung gewesen, nicht den Schnellzug zu nehmen. In der aktuellen Lage könnten auf diesen Schienen niemals Züge fahren.

    Auf einmal hob fast das Vorderrad ab – Rentaro schrie auf. Er hätte besser aufpassen sollen, denn da wartete eine scharfe Rechtskurve auf ihn und er hatte aufgrund des Tempos die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren.

    »Pass auf, Rentaro! Da vorne!«, schrie Enju.

    Die beiden rasten direkt auf den Abgrund zu. Gerade auf ihrer Seite der Fahrbahn fehlte ein Stück der Leitplanke, um sie notfalls abzufangen. Der Wald, der sich unterhalb des Abhangs erstreckte, wirkte aufgrund der Höhe weit entfernt und klein. Wenn sie hier abstürzten, würden sie es nicht überleben.

    Rentaro riss den Lenker herum und entfesselte die Kraft seines künstlichen Beins. Augenblicklich platzten die künstliche Haut und die Schuluniform von seinem rechten Bein ab und eine leere Patrone flog im hohen Bogen hinaus. Dann schoss aus dem Antrieb im Bein ein gewaltiger Feuerstrahl, der gegen die Trägheitskraft der beiden ankämpfte und sie schließlich stark genug umlenkte, sodass sie ganz knapp am Abgrund vorbei um die Ecke rasten.

    Rentaro erschauderte. Er durfte sich auf keinen Fall verletzen! Ohne langsamer zu werden, trat er weiter in die Pedale, bis endlich der Frontstützpunkt zu sehen war. Schon aus der Ferne konnte er erkennen, wie aufgeregt die Wachleute waren in Vorbereitung auf die kommende Schlacht. Gerade versuchten sie verwirrt, die eben erlernte Formation einzunehmen, aber es war nur zu deutlich, dass das Training noch lange nicht ausgereicht hatte.

    Vor dem eigenen Zelt warf Rentaro schnell das Fahrrad zur Seite und rannte zum Gruppenführerzelt, wo seine Teammitglieder ihre Köpfe zusammensteckten und sich berieten.

    Als sie Rentaro bemerkte, riss Kisara die Augen weit auf und fragte: »Satomi, wie bist du hergekommen? Tina und ich sind auch gerade erst angekommen.«

    Rentaro war am ganzen Körper schweißnass und hatte die Hände auf die Knie gestützt, um wieder etwas zu Atem zu kommen. Schließlich hob er den Kopf und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. »Wir können später reden. Jetzt müssen wir aufbrechen!«

    Die Wachleute brauchten ein wenig, um sich von dem Schock zu erholen, dass der Monolith so plötzlich zusammengebrochen war. Als dieses gigantische Bauwerk von über anderthalb Kilometern Höhe und einem Kilometer Breite eingestürzt war, war eine gewaltige Staubwolke aus Erde und weißen Überresten des Monolithen aufgewirbelt worden. Diese dicke Wolkenschicht verdunkelte nun den Himmel über Tokyo und versteckte selbst die strahlende Sonne. Die Regierung hatte zwar vorher über die zu erwartende Druckwelle, die Staubwolke und die Auswirkungen auf das Wetter gesprochen, aber es am eigenen Leib zu erfahren, war etwas völlig anderes. Rentaro erschienen all diese ungewöhnlichen Vorkommnisse wie Vorzeichen für das Ende der Welt.

    Trotz der widrigen Umstände hatten die Wachdienste es schließlich nach drei Stunden geschafft, ihre Stellungen einzunehmen. Die Verteidigungskräfte hatten natürlich nicht so lange gebraucht. Obwohl die Truppenbasis komplett von der Staubwolke umhüllt gewesen war, hatten sie sich schon von diesem Schock erholt. Man merkte eben, dass sie regelmäßig für den Ernstfall trainiert hatten, um ihren Staat zu verteidigen.

    Kurz nach sieben Uhr abends begann Aldebaran, mit seinen Truppen anzugreifen. Rentaros Position hinter den Verteidigungskräften war zwar zu weit weg, um die feindlichen Einheiten zu erkennen, aber er konnte dennoch die Staubwolke sehen, die die Feinde beim Marschieren aufwirbelten. Vom tiefen Brüllen der Monster bekam Rentaro eine Gänsehaut. Sie hatten den eingestürzten Monolithen umwandert und waren bestimmt schon in das Stadtgebiet vorgedrungen.

    Alles sah nach dem großen Aussterben der Massen aus, das unzählige Male auf vielen Websites angekündigt worden war. Sollten Gastrea die Verteidigungslinie aus Monolithen überwinden, würden mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit alle Menschen im Stadtgebiet getötet werden. Bis jetzt gab es auf der Welt noch keinen Fall, bei dem eine Stadt so einen Angriff überlebt hatte.

    Im nächsten Augenblick wurde die Artillerie abgefeuert. Sofort folgten die Fernkampfwaffen der Verteidigungskräfte: Ferngelenkte Geschütze, Panzer und Maschinenkanonen eröffneten auf einen Schlag das Feuer. Weit über ihren Köpfen flogen die Geschosse über den Himmel und trafen auf die feindlichen Gastrea. Sofort gab es gewaltige Explosionen. Die erste Reihe der Gastrea wurde hoch in die Luft geschleudert, als sie von einem Flammenmeer ergriffen wurde, doch dahinter rückte schon die nächste Reihe der Feinde nach.

    Das scharlachrot brennende Schlachtfeld färbte auch den Himmel rot. Langsam erreichten die Druckwellen auch Rentaro. Der heiße Hauch von Feuer zog über seinen Körper. Er hielt sich die Arme schützend vors Gesicht und kniff die Augen zusammen. Als er in den Feuerhimmel aufsah, fing plötzlich seine rechte Schulter, an der sein künstlicher Arm befestigt war, an zu schmerzen.

    Es ist genau wie damals. Vor zehn Jahren habe ich genau diesen Himmel gesehen, schoss es ihm durch den Kopf.

    Als Kind hatte Rentaro die Hölle vom Ende des Gastrea-Krieges miterlebt. Gastrea waren in sein Wohngebiet eingedrungen. Er war in eine Bahn nach Tokyo gequetscht und nach der Flucht von den Tendos aufgenommen worden. Auf dem Weg nach Tokyo hatte er vom Fenster aus viele Schlachtfelder gesehen: brennende Städte, brennende Bauernhöfe und brennende Menschen …

    Das Schwarz des Himmels und das Rot der Flammen von damals verschmolzen irgendwie mit den Farbtönen von heute, die sich langsam auf Rentaros Netzhaut einbrannten. Wie beim Oshikuramanju* hatten sich damals die Passagiere im Wagen hin und her geschubst und jedes Mal aufgeschrien, wenn der Zug ins Wanken geraten war. Schließlich hatten sie erschöpft nur noch still gebetet. Es war, milde ausgedrückt, ein Wunder gewesen, dass der Zug Tokyo erreicht hatte, ohne von Gastrea umgeworfen zu werden oder zu entgleisen.

    Rentaro griff in seinen Kragen. Der schwere Schweiß von vorhin hing noch an ihm und fühlte sich auf seiner Haut unerträglich an. Mit aller Kraft versuchte er jetzt, seine Erinnerungen zu unterdrücken.

    Die nächsten fünf Stunden brachten keine Änderungen. Es war nun schon nach Mitternacht und das Schlachtfeld komplett von Dunkelheit umschlossen. Vor den Augen der Wachdienste fand ein regelrechter Nachtkampf statt. Der Monolithenstaub verhüllte den Himmel, sodass kein Mond zu sehen war. Da es in dem Außenbezirk auch keine Straßenbeleuchtung gab, war es erschreckend dunkel.

    Stoßweise konnte man immer wieder das Krachen der Kanonen hören, aber auch wenn man es nicht hörte, spürte man, wie die Druckwellen die Luft erschütterten. In regelmäßigen Abständen schossen immer wieder die Flammen der großkalibrigen Maschinenkanonen in den Nachthimmel. Zwischendurch ertönten Stöhnen, wütendes Gebrüll und die Kampfschreie der Gastrea.

    Wie erwartet kam vom Militär keine Bitte an die Wachdienste, sie zu unterstützen. Rentaro verlor langsam die Geduld. Gedanken schossen ihm durch den Kopf: Was denken die sich bloß? Die glauben doch nicht wirklich, dass sie diese Schlacht einfach so gewinnen können? Sind sie so gierig auf Auszeichnungen? Überschätzen sie sich so sehr? Oder ist es einfach nur ihr Stolz? Gerade jetzt sollten wir zusammen gegen die Gastrea vorgehen. Gerade jetzt ist es wichtig, möglichst stark aufzutreten, wenn wir die Schlacht gewinnen wollen.

    Rentaro schaute sich um. Nachdem einige Lagerfeuer entfacht worden waren, waren die Wachleute wieder in Kampfaufstellung gegangen. Sie hielten den Atem an, während sie die Lage weiter nur aus der Ferne beobachteten. Rentaros Gruppe war auf einer Anhöhe aufgestellt, weswegen er die ganze Truppe gut überblicken konnte. Sie waren ungefähr einen Kilometer vom Zeltplatz nach vorn gerückt und hatten sich weit zu den Seiten hin aufgestellt.

    In der Truppe aus über tausend Wachleuten konnte man immer wieder Adjuvanten-Einheiten erkennen. Jeweils zehn Adjuvanten-Teams war ein Gruppenführer zugeteilt worden, um die kleinen Einheiten zu leiten. Die Gruppenführer waren wiederum dem Truppenführer Nagamasa Gado unterstellt. Schräg rechts vor sich konnte Rentaro seinen direkten Vorgesetzten erkennen. Aus irgendwelchen Gründen waren alle Gruppenführer aus Gados Adjuvanten-Einheit ausgewählt worden, und dieser junge Krieger trug ein Exoskelett, das an eine bleigraue japanische Rüstung erinnerte. Er hieß Hidehiko Gado und war Nagamasas Sohn. Er hatte ein blasses Gesicht mit eingesunkenen Wangen, das durch seine Brille sehr lang wirkte. Er wirkte eher wie ein Wissenschaftler oder ein Bibliothekar, der kaum Sonnenlicht abbekommt.

    Neben ihm stand eine Initiatorin namens Kokone. Am vorherigen Tag hatte Rentaro Hidehiko dabei beobachtet, wie er ihr über die Schulter gestrichen und liebevoll zu ihr herabgesehen hatte. Bestimmt war sie für ihn mehr als nur eine Partnerin. Vielleicht war sie für ihn sogar so etwas wie eine Tochter oder gar noch mehr.

    Irgendwie fühlte Rentaro sich nicht wohl, wenn er Hidehiko ansah. Schon beim Training der Wachdienste hatte dieser sich als ziemlich unbeholfen herausgestellt. Er hatte nicht nur zu langsam Befehle weitergegeben, sondern es schien ihm generell an Entscheidungskraft zu mangeln. Und auch in seinen Kommandos steckte nur wenig Überzeugungskraft. Selbst jetzt hielt er die Schulter der Initiatorin fest und schien irgendetwas vor sich hin zu beten. Bestimmt hoffte er, dass die Verteidigungskräfte siegen würden und er somit nicht mitkämpfen müsste.

    Rentaro drehte sich zu seinem Adjuvanten-Team um. Dort stand Kisara Tendo, die Chefin der Tendo Security GmbH, neben ihr ihre Partnerin Tina Sprout, die ein Scharfschützengewehr im Arm hielt, das fast so groß war wie sie selbst. Als Nächstes kam der Chef der Takagiri Security GmbH: Tamaki Katagiri und seine Schwester Yuzuki Katagiri, die auf Rentaros Bitte hergekommen waren. Außerdem gab es da noch Shoma Nakatsuki, ebenfalls ein Schüler der Kampfkunst nach Tendo und so etwas wie ein Bruder für Rentaro. Neben ihm wartete seine Partnerin Midori Fuse. Allesamt waren sie sehr angespannt und hielten ihre Waffen bereit, um jederzeit loslegen zu können.

    Neben ihm stand noch jemand. »Rentaro? Gewinnen die Selbstverteidigungskräfte?«, fragte Enju Aihara.

    Rentaro konnte von der Seite erkennen, wie sie aufgeregt weit in die Ferne schaute. Er kniff die Augen fest zusammen, um sich ein wenig zu sammeln. Jetzt war die aktuelle Lage erst mal wichtiger als Enju.

    Es verging noch etwas Zeit, aber dann verebbten die Kanonenschüsse langsam und auch die Schreie der Gastrea wurden weniger. Schließlich konnte man keine der beiden Seiten mehr hören. Vor den Wachleuten lag nur die weite Ebene, die spät in der Nacht von tiefster Dunkelheit umgeben war.

    Es ging ein Raunen durch die vielen Wachleute.

    »Was ist denn da los?«, fragte einer.

    »Wer hat jetzt gewonnen?«, wollte ein anderer wissen.

    »Jemand sollte mal nachschauen gehen«, schlug ein dritter vor.

    Plötzlich tippte jemand auf Rentaros Schulter. Es war Shoma, der ihn ernst anblickte und fragte: »Kannst du etwas sehen, Satomi?«

    »Nicht wirklich … Aber eigentlich müssten die Verteidigungskräfte gewonnen haben«, erwiderte Rentaro und blickte einen Moment lang in die Dunkelheit. »Da man weder die Gastrea noch Kanonenfeuer hört, wurden sie bestimmt in die Flucht geschlagen und haben deswegen das Feuer eingestellt.« Da auch er selbst gespannt war, wandte er sich an Hidehiko Gado: »He, willst du nicht vielleicht ein Leuchtsignal abschießen, um das Hauptquartier zu informieren?«

    Der Gruppenführer schüttelte nur abweisend seinen schmalen Kopf. »Die anderen Gruppen machen so etwas auch nicht, oder? Wir dürfen nicht einfach eigenmächtig handeln.«

    Gerade weil die anderen Gruppen nichts machen, sollten wir es tun, lagen Rentaro schon Widerworte auf der Zunge, aber dann schüttelte auch er nur den Kopf. Bestimmt machte es bei einem so grundverschiedenen Vorgesetzten wenig Sinn, weiter zu protestieren.

    Unerwartet flüsterte da Tina, die bis jetzt wortlos in die Dunkelheit gestarrt hatte, leise: »Da kommt jemand, Bruderherz.«

    »Siehst du etwas?«, fragte er sie und erinnerte sich, dass in Tinas Körper die DNA einer Eule schlummerte. Ihre Augen konnten selbst bei schlechtem Licht weit entfernte Objekte gut erkennen.

    »Ja«, antwortete sie. »Es kommen Menschen zu Fuß auf uns zu. Und es sind nicht nur ein oder zwei.«

    Kaum hatte Tina dies ausgesprochen, als etwa 100 Meter entfernt im schwachen Licht der Lagerfeuer plötzlich Personen auftauchten, die auf die Gruppe zukamen. Es waren ungefähr 50 Leute, die nebeneinander gingen. Sie trugen die neuesten Universaltarnuniformen aus dem Jahre 2031.

    Die Wachdienste atmeten auf. Einige von ihnen lösten sich gar aus der Aufstellung, um dankbar auf die Militärs zuzulaufen.

    Rentaro fühlte sich nicht wohl bei dem Ganzen. Normalerweise würden sie doch eine Meldung schicken, wenn sie die Gastrea abgewehrt hätten? Aber warum kamen jetzt so viele Kämpfer auf sie zu? Für eine kurze Nachricht hätte ein einfacher Funkspruch gereicht. Und wenn sie schon den weiten Marsch auf sich nahmen, um eine Botschaft zu überbringen, wären doch ein oder höchstens zwei Soldaten mehr als genug. Außerdem hatten sie nicht einmal Motorräder genommen.

    Langsam konnte

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