Innovationsmarketing: Marketing konkret
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Innovationsmarketing - Reinhard Hünerberg
Index
1 Gegenstandsbereich des Innovationsmarketing
Im ersten Kapitel wird die konzeptionelle Basis des Innovationsmarketing erläutert. Dazu sind Inhalt und Umfang der Begriffe Innovation und Marketing und ihre wechselseitige Verbindung festzulegen. Daraus ergibt sich das Verständnis für das Konzept des Innovationsmarketing.
1.1 Innovationsbegriff
Innovation ist von vielen Autoren ausführlich und teilweise in kontroverser Weise definitorisch behandelt worden. Dazu wurden zahlreiche Kriterien herangezogen, die im Zusammenhang mit Innovationen eine Rolle spielen können (vgl. u.a. Hauschildt/ Salomo, 2011, S. 3ff.). Hier wird Innovation ebenfalls nach einer Reihe ausgewählter konstitutiver Begriffsmerkmale beschrieben. Aus ihnen ergeben sich verschiedene Arten der Innovation, die unterschiedliche marketingrelevante Herausforderungen und Aufgaben mit sich bringen. Es wird allerdings von der wissenschaftstheoretischen Auffassung ausgegangen, dass Definitionen kein Wahrheitsgehalt – wie explanatorischen Aussagen – zukommt, sondern lediglich Zweckmäßigkeit, zum Beispiel im Sinne der eindeutigen Begriffsverwendung gemäß dem praktischen oder wissenschaftlichen Sprachgebrauch.
1.1.1 Konstitutive Begriffsmerkmale
Der Terminus Innovation ist unmittelbar abgeleitet aus dem lateinischen innovare, innovatio = erneuern, Erneuerung. Daher kann der Neuheitsgrad von Bezugsobjekten als zentraler konstitutiver Begriffsbestandteil postuliert werden. Allerdings lässt sich ‚neu’ in unterschiedlicher Weise interpretieren, so dass sich daraus ein durchaus weiter Begriffsumfang mit zahlreichen Innovationsarten ableiten lässt, wie in 1.1.2 gezeigt wird.
Weiterhin ergibt sich aus dem lateinischen Ursprung des Wortes, dass Innovation das Ergebnis geplanter Aktivität eines Handelnden/mehrerer Handelnder ist. Als weiteres konstitutives Begriffsmerkmal wird daher die Existenz von Innovatoren und deren geplantem Handeln festgelegt.
Wenn es um eine geplante Handlung von Menschen geht, findet der Vorgang über einen Zeitraum in mehreren Stufen statt, es liegt also ein Prozess vor. Daraus folgt das Verständnis von Innovation als einem Prozessablauf. Schließlich impliziert ‚innovare‘ aber auch die Realisierung von etwas Neuem, der Prozess muss zu einem realen Ergebnis führen. Innovation kann daher zum einen als Prozessablauf, zum anderen als Prozessergebnis verstanden werden. Eine andere Frage ist allerdings, inwieweit sich Letzteres auch als erfolgreich erweist.
1.1.2 Arten der Innovation
Aus dem festgelegten Begriffsinhalt ergeben sich zahlreiche Arten der Innovation. Die meisten der den Innovationsausprägungen zugrunde liegenden Dimensionen sind kontinuierlicher Natur, sind also mehr oder weniger stark vorhanden, wie Abbildung 1 zeigt. Es wird die dort verwendete Profildarstellung vorgeschlagen, da die Dimensionen zur Ableitung der Innovationsarten weitgehend kombinierbar sind und in ihrer Gesamtheit spezifische Innovationstypen abbilden.
Im Folgenden sei zunächst auf wesentliche Dimensionen verwiesen, die explizit oder implizit aus dem Begriffsinhalt folgen und als Grundlage für die Ableitung von Innovationsarten dienen (vgl. hierzu u.a. Trommsdorff/Steinhoff, 2013, S. 24ff.).
Der Neuheitsgrad bzw. die Innovationshöhe (z.B. bahnbrechende bzw. disruptive Neuheit, radikale Neuheit, Verbesserungs-Neuheit u.ä.) ergibt sich aus dem Vergleich mit bestehenden Problemlösungen. Das Ergebnis eines Innovationsprozesses kann grundlegend neuartig sein und beispielsweise einen völlig neuen technischen Ansatz darstellen (z.B. Elektroantrieb anstelle Verbrennungsmotor) oder in Verbesserungen mehr oder minder zahlreicher Objektelemente bestehen (z.B. Weiterentwicklung einer Modellreihe). Der Neuheitsgrad einer Innovation entzieht sich selbst aus Expertensicht einer objektiven quantitativen Beurteilung.
Abbildung 1: Profil von zwei Innovationssituationen auf Basis von sechs Innovationsdimensionen
Der Neuheitsbezugsrahmen determiniert den Geltungsbereich (z.B. für alle Märkte, für spezifische Märkte, für bestimmte – z.B. das eigene – Unternehmen u.ä.). Der Neuheitscharakter hängt wesentlich von der Wahrnehmung durch betroffene Personen ab. Diese beurteilen Neuheit nach ihren Kenntnissen und Erfahrungen. Für die Feststellung des Neuheitsgrades ist daher auf interne Gruppen (Innovatoren, insbesondere Unternehmen) und externe Subjekte (insbesondere Zielgruppen bzw. Märkte) abzustellen. Hieraus resultiert die übliche Unterscheidung in Unternehmens- und Marktneuheit. Es ist jedoch gerade im Falle der Marktneuheit der Markt genauer abzugrenzen. Es kann sich um eine Weltneuheit handeln (globaler Markt), um eine nationale Neuheit (nationaler Markt) oder um Personengruppen in geographischen Märkten wie etwa späte Folger, die Innovationen nicht sofort nach Markteinführung übernehmen. Der Unterschied zu dem vorgenannten Neuheitsgrad ist fließend; denn dieser hängt in den jeweiligen Zielgruppen ebenfalls von deren – subjektiver – Einschätzung ab.
Innovationen können mehr oder minder auf physische Gegebenheiten ausgerichtet sein (Materialitätsgrad der Innovation, z.B. physisches Produkt, Dienstleistung). Sie umfassen das Geschäft mit Konsumgütern (B-to-C) sowie den Austausch von Industriegütern und Transaktionen mit sonstigen gewerblichen Abnehmern (B-to-B); aber neben physischen Gütern sind auch Dienstleistungen im B-to-C und B-to-B Bereich zu nennen. Das Kriterium des physischen Anteils einer Innovation ist ebenfalls abgestuft und insgesamt schwer bestimmbar, weil in der Regel eine enge Verknüpfung zwischen materiellen und immateriellen Angebotsbestandteilen vorliegt. So sind rein physische Leistungen selten, da in der Regel schon durch den Verkaufsprozess Dienstleistungselemente einfließen.
Innovationen sind mehr oder minder direkt mit einem möglichen Marktangebot verknüpft (Marktrelevanz, z.B. direkte Marktrelevanz, indirekte Marktrelevanz u.ä.). Die vorgenannten Produkt- und Dienstleistungsinnovationen müssen Potenzial für eine Vermarktung besitzen. Zudem lassen sich auch (interne) Prozessabläufe verändern, die der internen Leistungserstellung dienen. Diese Prozessinnovationen können dem Marktangebot, zum Beispiel durch besseres Qualitätsniveau, niedrigeren Preis, neue Standorte, zugutekommen.
Zusätzlich kann Kundenausrichtung (z.B. kundenfern, kundennah u.ä.) genannt werden. Innovationen entsprechen mehr oder weniger manifesten oder latenten Bedürfnissen von Kunden. Eine solche Kompatibilität zwischen Angebot und Nachfrage ist häufig Voraussetzung für Marktrelevanz. Sie lässt sich im Vorhinein schwer prognostizieren und ist zudem durch Marketingbemühungen veränderbar. Letztere Möglichkeit wird als Kernaufgabe des Innovationsmarketing im weiteren Verlauf dieses Beitrags thematisiert.
Die Innovation kann mehr oder minder weit von einem praktischen Einsatz entfernt sein (Realisierungsgrad, z.B. manifeste Idee, Pilotprojekt, neu auf einem Markt eingeführtes Angebot). Zwar ist im Zusammenhang mit dem Begriffsinhalt die Realisierung genannt worden, doch kann diese verschieden weit vorangeschritten sein. Eine bloße Idee ist nach dem hier dargelegten Verständnis noch keine Innovation, sondern nur eine Invention. Sobald aber die Idee zu konkreten Realisierungsschritten von Marktforschung, Finanzierung, konkreter Planung über Versuche und Tests bis zur Markteinführung weiterentwickelt wird, lässt sich von Stufen einer Innovationsrealisierung sprechen.
1.2 Marketingbegriff
Der Marketingbegriff gehört zu den am häufigsten diskutierten Managementtermini (vgl. z.B. Homburg, 2015, S. 6ff.). Je nach Begriffsinhalt bauen darauf verschieden weite Konzepte auf, die dann auch für den Innovationskontext von Bedeutung sind.
1.2.1 Inhalt
Die Vielzahl der Marketingauffassungen lässt sich grob drei Kategorien zuordnen. Ursprünglich bezog sich Marketing auf die letzte Stufe der Wertschöpfungskette, den Absatz bzw. Verkauf/Vertrieb. In Deutschland wurde bis in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts von Absatzwirtschaft gesprochen, ehe sich die anglo-amerikanische Bezeichnung Marketing durchsetzte. Dieses funktionale Verständnis von Marketing ist auch heute durchaus noch verbreitet.
Eine andere, eher technische Abgrenzung bezieht sich auf alle unternehmerischen Maßnahmen, die zur Beeinflussung von Märkten herangezogen werden, insbesondere solche kommunikativer Natur.
Zudem entwickelte sich das Konzept der marktorientierten Unternehmensführung, das für jegliches unternehmerische Handeln Marktüberlegungen postuliert, sobald der Markt – wie in den meisten Fällen – als Engpass anzusehen ist. Diese unternehmensphilosophische Sicht ging mit einer gewissen Dominanz des Marketing einher, die zahlreiche Unternehmensaufgaben zu Marketingproblemen machte. Beispiele sind