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Heiligkeit: Theologisch-praktische Quartalschrift 4/2019
Heiligkeit: Theologisch-praktische Quartalschrift 4/2019
Heiligkeit: Theologisch-praktische Quartalschrift 4/2019
Ebook244 pages2 hours

Heiligkeit: Theologisch-praktische Quartalschrift 4/2019

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About this ebook

Wir kennen die großen und bekannten Heiligen, aber auch die "Heiligen von nebenan", wie Papst Franziskus es ausdrückt, zudem heilige Feste und heilige Räume. Heft 4/2019 "Heiligkeit" begibt sich in gewohnt interdisziplinärer Weise auf die Suche nach tradierten, existierenden, wünschenswerten oder zu überwindenden Heiligkeitsvorstellungen in Kirche, Theologie und Gesellschaft.
LanguageDeutsch
Release dateOct 15, 2019
ISBN9783791761572
Heiligkeit: Theologisch-praktische Quartalschrift 4/2019

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    Book preview

    Heiligkeit - Verlag Friedrich Pustet

    Inhaltsverzeichnis

    ThPQ 167 (2019), Heft 4

    Schwerpunktthema:

    Heiligkeit

    Ines Weber

    Liebe Leserin, lieber Leser!

    Johann Figl

    Heiliges zwischen Exklusion und Inklusion aus religionswissenschaftlicher Perspektive

    1 Vorbemerkung

    2 Grundlegende exklusive und potenziell inklusive Aspekte des Begriffs ‚heilig‘

    3 ‚Heiligkeit‘ als grundlegendes Kennzeichen der Religionen in der Religionswissenschaft

    4 Das Heilige im interreligiösen Dialog – im Horizont des Numinosen

    5 Neuere Entwicklungen im religionswissenschaftlichen Verständnis des Heiligen – auch im ‚profanen‘ Kontext

    Thomas Hieke

    „Ihr sollt heilig sein" (Lev 19,2). Konzepte von Heiligkeit im Alten Testament

    1 Einstieg

    2 Bekannte Stellen – eine Stoffsammlung

    3 Versuch einer Umschreibung

    4 Träger der Heiligkeit

    5 Konzepte der Heiligkeit

    6 Heiligkeit und Ethik: Lev 19,2

    7 Schlussbemerkung

    Hanna Stettler

    Heiligkeit in den neutestamentlichen Schriften. Wie wird man nach dem Neuen Testament ein Heiliger oder eine Heilige?

    1 Einleitung

    2 Das AT als religionsgeschicht­licher Hintergrund des NT

    3 Heiligkeit in der Jesustradition

    4 Heiligkeit bei Paulus

    5 Die besonderen „Heiligen und die „Heiligen von nebenan

    Severin J. Lederhilger

    Heiligkeit – Ein alltäglicher Lebensstil jenseits der Komfortzone. Das Apostolische Schreiben Gaudete et exsultate

    1 Die Heiligkeit der Menschen von nebenan

    2 Jeglicher Übereifer verfehlt das Ziel

    3 Die Barmherzigkeit der Bergpredigt als Anfrage an die eigene Lebenspraxis

    4 Wider ein Heiligkeitsideal der geschlossenen Augen

    5 Den Ernst des Lebens zur Sprache bringen

    Volker Leppin

    Franz von Assisi – Heiligkeit zwischen Christusrepräsentation und Martyriumssehnsucht

    Andreas Schmoller

    Zwischen Alexandrien und St. Radegund. Historische und politische Kontexte von Heiligenverehrung und Heiligsprechungen

    1 Heilige und Märtyrer: Die Besonderheiten der koptischen Tradition

    2 Heiligsprechungen und die neuen Märtyrer in der katholischen Kirche

    3 Synthese

    Benedikt Kranemann

    Allerheiligen – Entstehung und Bedeutungswandel eines Hochfestes

    1 Auf dem Weg zu einem Hochfest aller Heiligen

    2 Das Hochfest aller Heiligen und das Totengedenken zu Allerseelen

    3 Ermutigung und Provokation: Allerheiligen heute

    Stephanie Höllinger

    „Heiligkeit des Lebens". Untersuchung einer bioethischen Argumentationsfigur

    1 Ursprung der „Heiligkeit des Lebens"

    2 Rezeption durch das Lehramt

    3 Rezeption bei Hans Joas

    4 Zusammenschau

    Andreas Telser

    (Von) Heiligkeit – Abstand halten. Aspekte aus systematisch-theologischer Perspektive

    1 Heiligkeit im Kontext kulturtheoretischer Überlegungen

    2 Heiligkeit außerhalb der Religion: Das Heilige als Grenze

    3 Heiligkeit im Kontext von Judentum und Christentum: zwei mögliche Lesarten

    4 Abstand halten – heilig sein!

    Abhandlungen

    Michael Fischer

    Ehrenamtliche in der Krankenhausseelsorge. Erfahrungen und Perspektiven

    1 Ausgangslage

    2 Was denken die Ehrenamtlichen?

    3 Wie sehen es die Hauptamtlichen?

    4 Was ist zu tun?

    Literatur

    Andreas Schmoller

    Filmbesprechung

    Walter Raberger

    Das aktuelle theologische Buch

    Besprechungen

    Eingesandte Schriften

    Katholische Privat-Universität Linz

    Register (Printausgabe)

    Aus dem Inhalt des nächsten Heftes

    Redaktion

    Kontakt

    Anschriften der Mitarbeiter

    Impressum

    Liebe Leserin, lieber Leser!

    An wen oder an was denken Sie, wenn Sie das Wort Heiligkeit lesen? An große Heilige wie Franz von Assisi, Elisabeth von Thüringen, den heiligen Florian, Severin oder an andere von der römisch-katholischen Kirche heiliggesprochene Personen? Fällt Ihnen gar Ihr eigener Namenspatron bzw. Ihre Namenspatronin ein? Denken Sie an konkrete heilige Orte wie Kirchen, Kapellen, Wallfahrtsorte sowie heilige Zeiten wie Weihnachten und Ostern? Oder kommt Ihnen die abstrakte Größe der Heiligkeit der Kirche in den Sinn? Möglicherweise aber denken Sie auch an die Gemeinschaft der Heiligen, die wir als gläubige Christinnen und Christen in jedem Gottesdienst im apostolischen Glaubensbekenntnis bejahen. Jedoch – würden wir uns selbst auch als heilig bezeichnen? Oder herrscht in unseren Köpfen jenes Verständnis von Heiligkeit vor, das sich zum einen exklusiv auf bestimmte Personen mit herausragender christlicher Lebensweise bis hin zu deren Lebenshingabe für Christus, und zum anderen auf bestimmte Orte, Zeiten, Dinge, die wegen der Präsenz Gottes unberührbar sind, bezieht?

    Heiligkeit, das zeigt schon diese kursorische Sammlung, ist ein vielschichtiger Begriff. In seiner Zustandsbeschreibung kann er durchaus umstritten sein, zum Teil ist er sogar in Verruf geraten. Was aber bedeutet Heiligkeit? Wer oder was ist heilig und von woher wird Heiligkeit bezogen? Schließt Heiligkeit bestimmte Gruppen und Personen aus und versperrt sie als Idee in Zeiten von Pluralität und religiöser Vielfalt mehr Wege als sie diese ebnet? Diesen Fragen geht das aktuelle Themenheft in gewohnt interdisziplinärer Weise nach.

    Den Auftakt macht Johann Figl (Wien), der aus religionswissenschaftlicher Perspektive die Vielfältigkeit von Heiligkeit beleuchtet, indem er nach Herkunft und inhaltlicher Füllung fragt, sowie Referenzpunkte und eine Kriteriologie entwickelt, wie Heiligkeit gerade als Deutung einer Lebensform den religionsübergreifenden Dialog fördern kann. Der Mainzer Exeget Thomas Hieke tut selbiges für das Alte Testament. Er beleuchtet die verschiedenen kultischen und ethischen Heiligkeitsvorstellungen und betont, wie sehr das Volk Gottes zu einer ethischen Lebensweise verpflichtet ist. Die Neutestamentlerin Hanna Stettler knüpft direkt an und stellt neben den Kontinuitäten vor allem die Wandlungen und Zuspitzungen heraus, welche die Idee von Heiligkeit im Neuen Testament erfährt. In den Mittelpunkt rückt der durch Gott geheiligte Mensch, der sich aufgrund des Praktizierens des Gebots der Gottes- und Nächstenliebe aktiv seine Heiligkeit erhält. Wie Papst Franziskus dieses Verständnis von Heiligkeit in seinem wenig beachteten apostolischen Schreiben Gaudete et exsultate in die heutige Zeit übersetzt, welche Werte und welche Chancen er damit verbunden sieht, aber auch welche Mühen ein so verstandenes Leben mit sich bringt, streicht der Kirchenrechtler und Generalvikar der Diözese Linz Severin Lederhilger durch die Textanalyse heraus. Er führt vor Augen, wie gewinnbringend das Dokument für die eigene persönliche Auseinandersetzung, aber auch für den Einsatz in allen Bereichen der Pastoral sein kann. Mit den Beiträgen des Tübinger evangelischen Kirchenhistorikers Volker Leppin sowie des Leiters des Franz und Franziska Jägerstätter Instituts der KU Linz Andreas Schmoller schwenkt der Blick von den Menschen allgemein zu ausgewählten heilig- bzw. seliggesprochenen Personen und ihrer spannenden Rezeptionsgeschichte. Leppin deckt mittels genauen und sensiblen Lesens (Textkritik) der Schriften des Franz von Assisi sowie der zeitgenössischen Texte über ihn eine bisher unbekannte Dimension seiner Heiligkeit auf. Selbiges tut Schmoller, indem er ausgewählte Märtyrer des Nationalsozialismus vor dem Hintergrund der Tradition des koptischen Christentums liest und damit die Verehrung der Person mit der politischen Situation der Verehrer in Beziehung setzt. Mit dem Beitrag des Erfurter Liturgiewissenschaftlers Benedikt Kranemann wendet sich unser Themenheft heiligen Zeiten zu. Anhand der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Festes Allerheiligen verdeutlicht der Autor, wie positiv Heiligkeit im Allgemeinen und die Heiligkeit der Person im Besonderen besetzt sind. Die Heiligkeit der Person nimmt die Mainzer Moraltheologin Stephanie Höllinger zum Ausgangspunkt ihrer bioethischen Überlegungen zum Schutz des menschlichen Lebens. Sie analysiert die Stellungnahmen des kirchlichen Lehramtes und kommt vor diesem Hintergrund zu einer vermittelnden Position angesichts eines verantwortlichen Umgangs mit dem menschlichen Leben. Der Beitrag des Linzer Dogmatikers Andreas Telser schließt den Kreis, indem er sich den trennenden und den vermittelnden Gesichtspunkten von Heiligkeit als Lebensform auch jenseits der Religionen in der säkularen Gesellschaft zuwendet.

    Ein freier Beitrag und eine Filmbesprechung runden unser Heft ab: Michael Fischer, Leiter der St. Franziskus-Stiftung Münster, beleuchtet das örtliche Projekt zur Aus- und Weiterbildung von Ehrenamtlichen in der Krankenhausseelsorge. Andreas Schmoller bespricht den neuen Film „A Hidden life" von Terrence Malick über Franz und Franziska Jägerstätter, der bereits in Cannes präsentiert wurde und im Herbst in die Kinos kommen wird.

    Geschätzte Leserinnen und Leser!

    Im Jahr 1811 wird in einem Artikel der Linzer Monathschrift, der Vorgängerzeitschrift unserer heutigen Theologisch-praktischen Quartalsschrift, eindringlich daran erinnert, dass alle Menschen Heilige sind und diese Heiligkeit, von Gott verliehen, beständig als innere Haltung und sichtbare äußere Handlung zu leben ist. Als menschliche Qualität und als Lebensform geht Heiligkeit alle an und kann nicht exklusiv für einzelne Personen, die heiliggesprochen sind, reklamiert werden. Diese Dimensionen gelte es, so der Autor damals wie auch unsere Autorinnen und Autoren heute, wiederzubeleben oder neu ins Bewusstsein zu heben. Gerade in Zeiten, in denen Religion immer mehr zur Privatsache wird, die Gesamtgesellschaft aber zugleich an Humanitätsverlust leidet, eröffnet das christliche Verständnis von Heiligkeit, wie es im Heft präsentiert wird, ein großes Potenzial für ein menschliches und friedvolles Miteinander. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine bereichernde Lektüre!

    Ihre

    Ines Weber

    (Chefredakteurin)

    Johann Figl

    Heiliges zwischen Exklusion und Inklusion aus religionswissenschaftlicher Perspektive

    ♦ Der renommierte Religionswissenschaftler führt – im Ausgang von den Sprachwurzeln von heilig – kenntnisreich vor Augen, wie sich Begriff und Verwendung im Laufe der Geschichte (der Religionswissenschaft) verändert haben. Ursprünglich in Deckung gebracht mit dem, was Religionen ausmacht, konnte das Heilige in Abgrenzung zum Profanen als eine die Partikularität jeder Religion überschreitende Qualität ausgemacht werden. Aufgrund von Säkularisierung sowie des cultural turn der Religionswissenschaften ist die Erfahrung des Heiligen nun auch in einem „nicht- und außerreligiösen Raum" verortbar geworden. (Redaktion)

    1 Vorbemerkung

    Bei der Themenstellung des vorliegenden Beitrags wird eine zentrale religionswissenschaftliche Frage mit Begriffen zu klären versucht, die ursprünglich und auch heute noch primär in einem soziologischen bzw. pädagogischen Kontext verwendet wurden und werden. Der Begriff der ‚Inklusion‘ (als Gegenteil zu ‚Exklusion‘) in diesem spezifischen Sinn und die damit verbundenen – weithin auch gesetzlichen – Maßnahmen wurden erst seit den 1970er- und 1980er-Jahren zu einem zentralen wissenschaftlichen Ansatz und führten zu einem bedeutenden Mentalitätswandel.¹ Es ist allerdings festzustellen, dass dieses grundlegende Begriffspaar in maßgebenden religionswissenschaftlichen und theologischen Nachschlagewerken, die in den 1990er-Jahren erschienen sind, wie in der 3. Auflage des LThK und 4. Auflage des RGG, als eigener Eintrag noch fehlt, und selbst im Gesamtregister nicht angeführt wird; es ist in beiden Lexika nur der verwandte Begriff „Inklusivismus aufgenommen, der von dem Indologen Paul Hacker als „typisch ind[ische] Methode bezeichnet wird.² Ebensowenig findet sich der Eintrag „Inklusion" im Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe (HrwG)

    Wenn man nun versucht, in Orientierung an diesem in der Gegenwart so bedeutenden begrifflichen Gegensatzpaar das ‚Heilige‘ aus religionswissenschaftlicher Sicht zu verstehen, so erweist sich die Differenzierung von ‚Exklusion‘ und ‚Inklusion‘ als wertvolles heuristisches Modell, um elementare Kennzeichnungen von ‚Heiligkeit‘ und dessen Veränderungen zu interpretieren. Im vorliegenden Beitrag soll aufgezeigt werden, wie aus religionswissenschaftlicher Sicht das Heilige definiert und infolge davon dessen exklusiver bzw. inklusiver Charakter verstanden wird. Nach einleitenden Hinweisen auf Aspekte des Begriffs des ‚Heiligen‘ (2.) wird dessen Ausweitung auf alle Religionen in der Religionswissenschaft (3.) sowie daran anschließend im interreligiösen Dialog (4.) aufgezeigt werden, um abschließend (5.) der Frage nach dem ‚Heiligen‘ in einer säkularen Kultur und sogar im atheistischem Denken nachzugehen. In diesen Schritten soll die immer größere Expansion des Begriffs der Heiligkeit im religionswissenschaftlichen Kontext veranschaulicht werden, der von einem ursprünglich überwiegend exklusiven Verständnis schließlich zu einem weithin inklusiven Begriff führt, in dem die anfänglichen Entgegensetzungen von „heilig und „profan schließlich relativiert bzw. zum Teil sogar aufgelöst werden.

    2 Grundlegende exklusive und potenziell inklusive Aspekte des Begriffs ‚heilig‘

    Das Phänomen der Heiligkeit wird in verschiedenen Sprachen nicht allein mit unterschiedlicher Sach-Bedeutung zum Ausdruck gebracht, sondern implizit auch dadurch, dass verschiedene Aussageintentionen der Wort-Bedeutung im Vordergrund stehen. Für die christliche Religions- und Kulturtradition kommen hier grundlegend vor allem die Sprachen der Heiligen Schrift (Hebräisch, Griechisch, Lateinisch) in Betracht⁴ sowie die Sprachen, in welche deren Text übersetzt wurde, wobei hier insbesondere die deutsche ‚Sonderentwicklung‘ des Wortes ‚heilig‘ berücksichtigt werden soll.

    2.1 ‚Heilig‘ in den Sprachen der Heiligen Schrift und ihrer primären Übersetzungen

    Das hebräische Adjektiv qadōš (שׁוֹדק) wird heute normalerweise mit ‚heilig‘ übersetzt. Während in dem von Herbert Haag herausgegebenen ‚Bibel-Lexikon‘ noch gesagt wird, dass das Wort wahrscheinlich nicht von ḥadaš (‚neu, rein sein‘) abzuleiten sei, „sondern von kadad (abschneiden, im kultischen Sinn getrennt, abgesondert werden vom Unreinen […], Profanen)",⁵ wird in der neueren Bibeltheologie darauf hingewiesen, dass auch die Herleitung von der gemeinsemitischen Wurzel qdš (‚aussondern‘, ‚scheiden‘) als Postulat für die Grundbedeutung des Wortes „heute aufgegeben [ist]", und die Bedeutung des Wortes qadōš „vielmehr dem literarischen Zusammenhang zu entnehmen" sei.⁶ Auf der Basis dieser Kontexte ist jedoch aufzuweisen, dass die Kategorien von rein/unrein und heilig/profan – besonders bezüglich des priesterlichen Systems – weithin im Alten Testament grundlegend sind, die sich auf die heilige Zeit, den heiligen Raum, heilige Personen und Dinge erstrecken.⁷ Durch diese duale Entgegenstellung wird ein besonderer Bereich des Heiligen von jenem, der nicht diese Qualität hat, abgegrenzt, seien es Räume, Zeiten, Personen oder Handlungen und Dinge.

    Relativ eindeutig ist die Etymologie des im Neuen Testament hauptsächlich verwendeten griechischen Adjektivs für ‚heilig‘ (hágios), das vom Verbum házomai abgeleitet ist, und „scheue Ehrfurcht haben" bedeutet.

    Am deutlichsten kommt die ‚exklusive‘ Dimension des Heiligen im lateinischen Wort für ‚heilig‘, nämlich ‚sacer‘ (von dem u. a. das deutsche Wort ‚sakral‘ oder Sakrament abgeleitet ist) und generell den zu sancire (wörtlich ‚weihen‘, ‚heiligen‘) gehörigen Formen (wie insbes. sanctus), zum Ausdruck, da es einen „kontradiktor[ischen] Gegensatz" zu profanus (wörtlich: pro-fanum, d. h. ‚vor dem Heiligtum‘) bezeichnet:⁹ von diesem profanen, also weltlichen Bereich, ist der des Heiligen deutlich abgetrennt und abgesondert, wie ein älterer Ausdruck lautet.

    Diese drei genannten Wörter (des Hebräischen, Griechischen und Lateinischen) für ‚heilig‘ entsprechen einander, obwohl sie in ihrem jeweiligen Sprachkontext unterschiedliche Aspekte und Akzente dessen, was als ‚heilig‘ erfahren wird, zum Ausdruck bringen. Gemeinsam aber dürfte ihnen sein, dass jedes Mal eine Differenzierung zum bzw. Ausschließung des ‚Nicht-Heiligen‘ angezielt ist, und somit die exklusive Bedeutungsintention gegenüber der inklusiven überwiegt.

    2.2 ‚Heilig‘ in der deutschen Sprachtradition

    Im Verhältnis zu den Sprachen der Bibel und ihrer primären Übersetzungen sowie auch zu weiteren europäischen Sprachen zeigt schon allein die Etymologie des deutschen Wortes ‚heilig‘ eine wichtige Differenz auf, worauf hier eigens hinzuweisen ist. Denn es geht auf ein (erschlossenes) gemeingermanisches Adjektiv, nämlich *haila zurück, das die Wurzel nicht nur für ‚heilig‘, sondern zugleich auch für ‚heil‘ (im Sinne von ‚ganz‘, näherhin ‚gesund‘) ist. Dadurch ist mit dem religiös verstandenen Wort ‚heilig‘ eine weitere Dimension verbunden, die auch außerhalb des Religiösen relevant ist. Im Althochdeutschen bedeutet *haila: ‚günstiges Vorzeichen‘, ‚Zauber‘, ‚Glück‘, und dessen Grundbedeutung ist: ‚eigen‘, d. h. der Gottheit zu ‚eigen‘ gegeben, ihr geweiht (vergleiche z. B. den weiblichen Vornamen Helga).¹⁰ Andererseits ist, wie erwähnt, dieses Adjektiv zugleich die Wurzel für ‚ganz‘. Im Deutschen ist dadurch eine Doppelheit von der Wortentwicklung her gegeben, nämlich die Zuordnung zu einem Göttlichen, also die in einem engeren Sinn religiöse Dimension, andererseits die Dimension des Heilen, Gesunden, des Ganzheitlichen, die auch auf nicht-religiöse¹¹ Bereiche zutrifft. Da in anderen europäischen Sprachen die beiden Bedeutungen für ‚heilig‘ bzw. ‚heil‘ vielfach mit heterogenen Wörtern ausgedrückt werden, wird von einem „Sonderfall" des Deutschen gesprochen.¹²

    Ebenso zeigt ein weiterer, jüngerer Sachverhalt, dass in der deutschen Sprachgeschichte das ‚Heilige‘ in einer spezifischen Weise verstanden wurde, nämlich zur Zeit der Empfindsamkeit im 18. und dann auch im 19. Jahrhundert. Das Wort ‚heilig‘ wurde in diesem Zeitraum „gern auch für das Ernste oder Erhabene oder Feierliche oder Berechtigte oder Erschütternde gebraucht"¹³.

    In beiden genannten Sachverhalten der deutschen Sprachgeschichte sind Implikationen gegeben, die über den im engeren Sinn religiösen Kontext hinausweisen, und gewissermaßen das Wort ‚heilig‘ auf Phänomene beziehen, die allgemein anthropologischer Art sind (wie Heilung, Gesundheit, und dergleichen) bzw. eine kulturgeschichtliche Verwendung haben, um herausragende gefühlsmäßige Zustände zum Ausdruck zu bringen (wie Feierlichkeit, Erschütterung). Dadurch wird die exklusiv auf den christlich-religiösen Kontext bezogene Bedeutung des Wortes ‚heilig‘ überschritten, und es werden anthropologische Zustände mit diesem Wort bezeichnet, d. h. in den Bereich des ‚Heiligen‘ einbezogen, was einer Inklusion in sprachlicher Hinsicht entspricht.

    Eine analoge terminologische Ausweitung des Begriffs ‚heilig‘ war auch für die Entwicklung der Religionswissenschaft seit ihren Anfängen bedeutsam, und eine weltanschauliche Extension dieses Begriffs konnte sogar zu einer dezidiert a-religiösen Rede vom ‚Heiligen‘ führen. Beide Entwicklungen sind im Folgenden darzustellen.

    3 ‚Heiligkeit‘ als grundlegendes Kennzeichen der Religionen in der Religionswissenschaft

    3.1 Der „geheiligte Boden" des menschlichen Herzens – Ursprung aller

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