Wo ist Papi?: Mami Classic 15 – Familienroman
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»Die Brille ist doof.« Die Kundin erstarrte und drehte sich nach der Stimme um, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Auch jetzt sah sie niemanden. Sie blickte unsicher herum, als plötzlich ein kleiner Junge hinter dem Verkaufstresen hervorgekrochen kam und sie mit entwaffendem Grinsen ansah. Seine Zahnlücke wies ihn als knapp Sechsjährigen aus. »Die andere war viel schöner. Die Rote da!« Seine Finger waren nicht besonders sauber, aber unbekümmert griff er zu dem Gestell und reichte es ihr. »Meinst du wirklich? Ist sie nicht zu auffällig?« Die Kundin hatte plötzlich Spaß daran, mit dem Steppke, dessen Strubbelhaare in sämtliche Richtungen standen, über die Brillenauswahl zu diskutieren. Kinder waren so ehrlich. Das hatte sie schon fast vergessen. Ihre eigenen waren alle erwachsen und interessierten sich nicht die Bohne dafür, welche Brille sie kaufte oder ob sie überhaupt eine brauchte. »Nee, die sieht lustig aus.« Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie »lustig« aussehen wollte. Aber dem kleinen Jungen schien sie wirklich zu gefallen. »Moritz, du sollst doch nicht immer dreinreden, wenn ich Kunden berate. Geh bitte hinauf und beschäftige dich oben, bis ich komme.«
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Wo ist Papi? - Annette Mansdorf
Leseprobe:
Der zweite Ring
LeseprobeLars stürzte zur Fahrertür seines Wagens und riss sie auf. Bevor er sich ins Auto werfen konnte, hielt Arne ihn zurück.
»Ich fahre«, sagte der junge Bergquist so bestimmt, dass Lars gar nicht erst auf die Idee kam, ihm zu widersprechen. Außerdem wusste er selbst, dass er in seiner momentanen Gefühlslage alles andere als ein guter und vor allem sicherer Fahrer war. Wie sollte er auch? Seine Wenke war verschwunden! Entführt! Karl Aresson hatte sie ihm entrissen! Dieser verschrobene Einsiedler, bei dem Wenke nach ihrem Schiffbruch gestrandet war und vier endlos lange Tage aushalten musste. Er hatte sie wieder in seine Gewalt gebracht! Und irgendwo da draußen fuhr er jetzt mit ihr, auf der Flucht vor seinen Verfolgern…
»Du kennst den Weg zu dieser Landzunge?«, fragte Erik Hellström. Er wollte es sich nicht nehmen lassen, bei der Suche nach seiner Schwester mitzumachen, und hatte auf der Rückbank Platz genommen.
Lars nickte. »Ja, wir brauchen nur Richtung Norden zu fahren, immer der Küstenlinie entlang. In spätestens zwei Stunden müssten wir sie erreicht haben.«
Und dort, da war sich Lars ganz sicher, würde er Wenke aus Karls Händen befreien. Wie hatten sie sich nur so in ihm täuschen können? Obwohl – Lars hatte dieses ungute Gefühl, das bei dem Gedanken an Karl in ihm aufkam, nie verlassen. Deshalb hatte er sogar seinen Freund Magnus Freiberg gebeten, sich diesen Kauz noch einmal näher anzusehen. Doch Magnus hatte schnell Entwarnung gegeben. Als einen harmlosen Spinner hatte er Karl beschrieben, der zwar total vernarrt in Wenke sei, von dem aber keine Gefahr ausginge.
Lars schnaubte auf und schlug mit der Faust frustriert gegen die Beifahrertür. Die beunruhigten Blicke seiner Mitstreiter interessierten ihn nicht.
»Ich hätte besser auf sie aufpassen müssen«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich hätte sie nicht eine Sekunde aus den Augen lassen dürfen! Das ist alles meine Schuld!«
»Hör auf damit!«, blaffte ihn Erik an. »Du weißt, dass das Unsinn ist! Niemand konnte ahnen, dass das passieren würde. Sei lieber froh, dass Tante Greta das Nummernschild am Wagen ausmachen konnte und wir dadurch erfahren haben, dass es Karl war. Ansonsten wären wir und die Polizei noch völlig ahnungslos.«
Mami Classic
– 15 –
Wo ist Papi?
Annette Mansdorf
»Die Brille ist doof.«
Die Kundin erstarrte und drehte sich nach der Stimme um, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Auch jetzt sah sie niemanden. Sie blickte unsicher herum, als plötzlich ein kleiner Junge hinter dem Verkaufstresen hervorgekrochen kam und sie mit entwaffendem Grinsen ansah. Seine Zahnlücke wies ihn als knapp Sechsjährigen aus.
»Die andere war viel schöner. Die Rote da!«
Seine Finger waren nicht besonders sauber, aber unbekümmert griff er zu dem Gestell und reichte es ihr.
»Meinst du wirklich? Ist sie nicht zu auffällig?«
Die Kundin hatte plötzlich Spaß daran, mit dem Steppke, dessen Strubbelhaare in sämtliche Richtungen standen, über die Brillenauswahl zu diskutieren. Kinder waren so ehrlich. Das hatte sie schon fast vergessen. Ihre eigenen waren alle erwachsen und interessierten sich nicht die Bohne dafür, welche Brille sie kaufte oder ob sie überhaupt eine brauchte.
»Nee, die sieht lustig aus.«
Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie »lustig« aussehen wollte. Aber dem kleinen Jungen schien sie wirklich zu gefallen.
»Moritz, du sollst doch nicht immer dreinreden, wenn ich Kunden berate. Geh bitte hinauf und beschäftige dich oben, bis ich komme.«
Alexandra Drechsler hatte ein Telefongespräch entgegennehmen müssen und war jetzt wieder in den Verkaufsraum zurückgekommen. Moritz, ihr fünfeinhalbjähriger Sohn, machte jedoch keine Anstalten, ihrem »Wunsch« zu folgen.
»Mama, die ist doch toll!«
Er zeigte auf die Dame mit der roten Brille und war sichtlich stolz auf seine Wahl.
»Ja, sie sieht wirklich sehr hübsch aus. Gefällt sie Ihnen auch?«
»Ich mag sie schon. Aber ich habe Angst, daß ich damit zu jugendlich wirke…«
»Ich bitte Sie! Das ist doch heute kein Thema mehr. Sie können Farben hervorragend tragen, und sie paßt genau zum Lippenstift. Die Form ist auch perfekt. Mein Sohn soll sich zwar nicht einmischen, aber er hat einen ziemlich treffsicheren Geschmack.«
Moritz grinste stolz.
»Na gut, dann nehme ich sie. Mir gefällt sie auch am besten, wenn ich ehrlich bin. Obwohl Sie eine ungeheure Auswahl haben.«
Alexandra blinzelte Moritz zu und schob ihn dann energisch durch den Vorhang nach hinten. Vor dort führte eine Treppe nach oben in die Privaträume. Er setzte sich zögernd in Bewegung.
»Sie haben einen reizenden Sohn«, lobte die Kundin, während Alexandra die Daten für die Brillengläser in eine Karte eintrug.
»Na ja, manchmal kann er auch eine Plage sein. Nicht jeder Kunde hat so viel Verständnis wie Sie, wenn er hier auftaucht. Ich bin froh, daß er im Sommer zur Schule kommt.«
»Ich verstehe. Ich habe drei Söhne, aber noch keine Enkel.«
»Dann genießen Sie die Ruhe! Ich habe auch drei Kinder, du meine Güte, hätte ich gewußt, was da auf mich alles zukommt!«
Alexandra Drechsler lachte bei ihren Worten. Man hörte deutlich heraus, daß sie auf keines der Kinder verzichten würde.
»Sind die anderen noch jünger? Wie schaffen Sie das alles?«
»Nein, Moritz ist der Jüngste. Wie ich es schaffe? Nun, irgendwie geht es immer, nicht wahr?«
Die Kundin hörte aus der Stimme der Optikerin heraus, daß es ihr vielleicht nicht immer so leichtfiel, wie sie jetzt tat. Aber das ging sie nichts an, sie wollte nicht neugierig erscheinen.
»Sie können die Brille Anfang nächster Woche abholen, Frau Reiber. Früher geht es leider nicht, weil es Spezialgläser sind.«
»Das reicht. Ich habe ja noch meine alte Brille. Vielen Dank, Frau Drechsler.«
Alexandra begleitete die Dame zur Tür und schloß hinter ihr ab. Mittagspause. Das hieß allerdings nicht, daß sie ausruhen konnte. Jetzt mußte sie schnell das Essen vorbereiten, da Marie und Manou sicher gleich aus der Schule kommen würden. Wenn sie nicht nachsitzen mußten, sich vertrödelten oder andere aufregende Dinge passiert waren.
Moritz war nicht in der Wohnung. Alexandra regte das nicht weiter auf, denn sie ahnte, wo er steckte. Vermutlich war er zu Bibi hinübergegangen, die das Nachbarhaus bewohnte. Bibi war inzwischen eine gute Freundin geworden und beschäftigte sich oft mit Moritz und den Mädchen, wenn sie nicht gerade probte oder im Orchester war. Moritz liebte es, auf den Flöten herumzuspielen, die sie ihm bereitwillig überließ. Nur die Instrumente, die sie beruflich brauchte, durfte er nicht anfassen.
Sie öffnete das Küchenfenster, das nach hinten zum Garten hinausging und lauschte. Tatsächlich, es waren ziemlich schräge Töne von nebenan zu hören. Das konnte nur Moritz sein!
Lächelnd begann sie mit den Vorbereitungen zum Essen. Ihr Jüngster machte ihr die wenigsten Sorgen. Bei Manou, die gerade zwölf Jahre alt geworden war, sah es damit schon anders aus. Sie befand sich mitten in der Pubertät. Jeden Morgen untersuchte sie mit tödlichem Ernst ihr Gesicht. Ein neuer Pickel kam einem Weltuntergang gleich.
Er wurde ausgeleuchtet und betupft, gequetscht und, wenn möglich, mit Make-up verdeckt, aber die Stimmung war dann jedesmal im Keller. Dabei hatte ihre Älteste noch großes Glück, denn die wenigen Pickel, die