Johanna, der Sündenbock: Sophienlust 292 – Familienroman
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Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Johanna Willing öffnete nun schon zum fünften Mal das Säckchen, das man ihr in dem Handarbeitsgeschäft ausgehändigt hatte, betrachtete den groben Stramin und die dicke bunte Wolle und seufzte bedauernd. Sie brannte vor Ungeduld. Die fertig geknüpfte Kissenhülle stand bereits vor ihrem inneren Auge, aber sie wusste, dass sie sich zunächst würde damit begnügen müssen, das Muster vorzuzeichnen. Eine große Sonnenblume wollte sie knüpfen, innen braun, die Blütenblätter aus zweierlei Schattierungen von leuchtendem Gelb, der Hintergrund ein dunkles Grün. Ihre Kissenhülle würde mindestens ebenso schön werden wie die, die Karin geknüpft hatte, obwohl Karin in Handarbeiten zurzeit Klassenbeste war. Einige Mitschülerinnen munkelten, dass die eigentliche Urheberin der Prachtstücke, die Karin in der Handarbeitsstunde ablieferte, deren Mutter war, aber Johanna hielt diese Behauptungen für böswillige Verleumdungen. Die Kissenhülle hatte Karin jedenfalls selbst geknüpft. Johanna hatte ihr dabei zugesehen und sich die Technik erklären lassen. Es war mehr ein Sticken als ein Knüpfen, denn Karin verwendete eine große Sticknadel und einen langen Wollfaden. Bevor sie die Knoten schlang, legte sie den Faden über ein flaches Holzstäbchen, damit die Schlingen, die sie später aufschnitt, gleich groß wurden. Und nun hatte Johanna kein derartiges Holzstäbchen bekommen. In dem Handarbeitsgeschäft hatte man nur den Kopf geschüttelt, als sie diesen Wunsch geäußert hatte. Sie musste Karin also fragen, wo man solche Stäbchen bekam. Aber das konnte sie erst am nächsten Tag in der Schule tun, und sie hätte so gern sofort mit der Handarbeit begonnen. Sie war extra mit dem Bus von Bachenau in die Kreisstadt Maibach gefahren, um das Material zu besorgen, und jetzt musste sie mit der Arbeit bis morgen warten. Johanna sah aus dem Busfenster, ohne die Landschaft draußen wahrzunehmen. Ihre Gedanken waren bei dem fehlenden Hölzchen. Sie runzelte die Stirn. Im letzten Winter, als ihr diese lästige Halsentzündung zu schaffen gemacht hatte, war sie beim Arzt gewesen. Als er ihr in den Hals geschaut hatte, hatte er mit einem dieser Hölzchen ihre Zunge niedergehalten und das Hölzchen danach in den Abfalleimer geworfen.
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Johanna, der Sündenbock - Elisabeth Swoboda
Leseprobe:
Die andere Frau
LeseprobeAls die Sonne sich im Osten über die karstige Spitze des Bacher schob, lag das schmale Seitental noch im dichten Nebel. Leise und weit entfernt drang das kratzige Lied eines Rotschwanzes durch den Dunst wie eine verlorene, vergessene Melodie. So erschien es Alexander von Jost jedenfalls in seiner weltabgeschiedenen Einsamkeit. Der ehemalige Diplomat seufzte. Wie war es nur dazu gekommen, wie hatte er sich in eine solch verflixte Lage bringen können? Noch immer erschien ihm seine Situation wie ein schlechter Traum. Er öffnete den Reißverschluss seiner Wetterjacke, denn mit der steigenden Sonne wurde es allmählich wärmer. Er hatte eine empfindlich kalte Oktobernacht hinter sich und fühlte sich völlig steifgefroren. Doch es empfahl sich nicht unbedingt, dies mittels einiger Freiübungen zu ändern. Sein verstauchter Fuß war nicht zu gebrauchen, stark angeschwollen und schmerzte bei der kleinsten Bewegung höllisch. Der schlanke, große Mann mit den klaren, rehbraunen Augen blickte sich aufmerksam um. Der Nebel löste sich allmählich auf, Konturen wurden sichtbar, das Vogelkonzert intensivierte sich. Die Lärchen am gegenüberliegenden Berghang leuchteten in tiefem Gold, dazwischen das intensive Grün der Bergkiefern. Graues Geröll, das sich im Bachbett am Fuß des Hanges fortsetzte, bildete dazu einen aparten Kontrast. Die Natur in den schmalen und oft abgelegenen Tälern rund um den Wörthersee hatte auch im Herbst ihren besonderen Reiz. Aus diesem Grund war er am Vortag zu einer längeren Wanderung gestartet, einem gut beschilderten Steig gefolgt und allmählich wieder mit sich selbst und der Welt in Einklang gekommen. Doch er hatte sich verschätzt, was die Entfernungen anging. Und er hatte nicht berücksichtigt, wie früh die Sonne im Oktober sank und die Dämmerung kam. An einer unübersichtlichen Stelle war er im abendlichen Zwielicht gestolpert und einen Hang hinabgestürzt. Nachdem Alexander den ersten Schrecken überwunden hatte, war ihm bewusst geworden, dass er seinen rechten Fuß nicht benutzen konnte.
Sophienlust
– 292 –
Johanna, der Sündenbock
Sie war der Freundin ihres Vaters im Weg …
Elisabeth Swoboda
Johanna Willing öffnete nun schon zum fünften Mal das Säckchen, das man ihr in dem Handarbeitsgeschäft ausgehändigt hatte, betrachtete den groben Stramin und die dicke bunte Wolle und seufzte bedauernd. Sie brannte vor Ungeduld. Die fertig geknüpfte Kissenhülle stand bereits vor ihrem inneren Auge, aber sie wusste, dass sie sich zunächst würde damit begnügen müssen, das Muster vorzuzeichnen.
Eine große Sonnenblume wollte sie knüpfen, innen braun, die Blütenblätter aus zweierlei Schattierungen von leuchtendem Gelb, der Hintergrund ein dunkles Grün. Ihre Kissenhülle würde mindestens ebenso schön werden wie die, die Karin geknüpft hatte, obwohl Karin in Handarbeiten zurzeit Klassenbeste war. Einige Mitschülerinnen munkelten, dass die eigentliche Urheberin der Prachtstücke, die Karin in der Handarbeitsstunde ablieferte, deren Mutter war, aber Johanna hielt diese Behauptungen für böswillige Verleumdungen. Die Kissenhülle hatte Karin jedenfalls selbst geknüpft. Johanna hatte ihr dabei zugesehen und sich die Technik erklären lassen. Es war mehr ein Sticken als ein Knüpfen, denn Karin verwendete eine große Sticknadel und einen langen Wollfaden. Bevor sie die Knoten schlang, legte sie den Faden über ein flaches Holzstäbchen, damit die Schlingen, die sie später aufschnitt, gleich groß wurden.
Und nun hatte Johanna kein derartiges Holzstäbchen bekommen. In dem Handarbeitsgeschäft hatte man nur den Kopf geschüttelt, als sie diesen Wunsch geäußert hatte. Sie musste Karin also fragen, wo man solche Stäbchen bekam. Aber das konnte sie erst am nächsten Tag in der Schule tun, und sie hätte so gern sofort mit der Handarbeit begonnen. Sie war extra mit dem Bus von Bachenau in die Kreisstadt Maibach gefahren, um das Material zu besorgen, und jetzt musste sie mit der Arbeit bis morgen warten.
Johanna sah aus dem Busfenster, ohne die Landschaft draußen wahrzunehmen. Ihre Gedanken waren bei dem fehlenden Hölzchen. Sie runzelte die Stirn. Im letzten Winter, als ihr diese lästige Halsentzündung zu schaffen gemacht hatte, war sie beim Arzt gewesen. Als er ihr in den Hals geschaut hatte, hatte er mit einem dieser Hölzchen ihre Zunge niedergehalten und das Hölzchen danach in den Abfalleimer geworfen. Auf seinem Tisch hatte ein Glasbehälter mit einer Menge dieser Hölzchen gestanden.
Der Bus hielt, Johanna stieg aus. Eigentlich hätte sie noch zwei Stationen weiter fahren müssen, aber sie hatte den plötzlichen Entschluss gefasst, den Arzt aufzusuchen. Doch als sie vor seinem Haus stand, zeigte sich, dass sie einen ausgesprochenen Pechtag hatte. An der Gartentür hing eine handgeschriebene Tafel, auf der stand, dass der Arzt im Urlaub war. Er verwies seine Patienten auf seinen Kollegen Dr. Stefan Frey in Wildmoos.
Wildmoos war der Nachbarort. Zu Fuß hatte man ein gutes Stück zu gehen, bis man hinkam. Johanna überlegte. Morgen würde sie in Geografie drankommen, und die Mathematikhausaufgabe hatte sie auch noch nicht gemacht. Wenn sie sich jetzt auf einen Fußmarsch nach Wildmoos einließ, blieb ihr sowieso keine Zeit mehr, mit der Kissenhülle zu beginnen. Außer sie entschuldigte sich in Geografie mit einer Ausrede, oder sie schrieb die Mathematikaufgabe morgen in der ersten Pause schnell von ihrer Nachbarin ab. Pünktchen war hilfsbereit. Sie würde ihr Heft ohne Weiteres zur Verfügung stellen.
Johanna schwankte, doch dann widerstand sie der Versuchung und lenkte ihre Schritte nicht nach Wildmoos, sondern in die entgegengesetzte Richtung, zur Villa ihres Vaters. Sie war ungefähr hundert Meter weit gegangen, als ihre Blicke wie magnetisch vom Schild eines Tierarztes angezogen wurden. Sicher war es auch bei Hunden und Katzen manchmal notwendig, dass man ihnen in den Hals schaute. Folglich würde auch ein Tierarzt das besitzen, was Johanna so dringend benötigte.
Ohne lange zu zögern betrat Johanna die Praxis von Dr. Hans-Joachim von Lehn. Im Wartezimmer befand sich nur eine ältere Dame, die ein Körbchen auf dem Schoß hielt, aus dem von Zeit zu Zeit ein klägliches Miauen ertönte. Johanna, die Fremden gegenüber weder schüchtern noch gehemmt war, begann sofort ein Gespräch, indem sie sich nach dem Leiden der Katze erkundigte. Doch bevor die Dame dazu kam, ihr zu antworten, wurde sie in den Behandlungsraum gebeten.
Johanna blieb allein zurück. Sie brauchte jedoch nicht lange zu warten. Offenbar fehlte dem Kätzchen nichts Ernstliches, denn seine Besitzerin kam schon bald mit dem Körbchen und einer merklich heitereren Miene als zuvor zurück. Sie nickte Johanna kurz zu und ging. Johanna sah ihr, beziehungsweise dem Körbchen sehnsüchtig nach.
»Haben Sie den Patienten nicht mitgebracht?«, erklang hinter Johanna eine freundliche männliche Stimme.
Das junge Mädchen fuhr herum und stotterte: »Ich – nein. Was für einen Patienten?«
»Das kranke Tier«, erwiderte Hans-Joachim geduldig. Von hinten hatte er das Mädchen für eine Erwachsene gehalten, jetzt sah er, dass es nicht älter als etwa dreizehn Jahre sein konnte. Graublaue Augen blickten ihn bittend an, auf einer leicht gebogenen Stupsnase tanzten lustige Sommersprossen, ein Grübchen am Kinn gab dem noch kindlich-rundlichen Gesicht einen fröhlichen Anstrich.
»Ich habe kein krankes Tier. Auch kein gesundes. Obwohl ich natürlich wahnsinnig gern eines hätte. Aber Vati ist leider dagegen. Er sagt, dass wir Frau Körner die Mehrarbeit nicht zumuten können. Frau Körner ist nämlich unsere Aufräumefrau. Sie kommt jeden Vormittag außer Sonntag und macht die Hausarbeit.«
»Aha«, sagte Hans-Joachim und fragte sich verwundert, was für ein Anliegen seine jugendliche Besucherin wohl vorbringen würde.
»Haben Sie vielleicht so Hölzer, mit denen man in den Hals hineinschaut?«, fragte da Johanna auch schon.
»Hölzer, mit denen man in den Hals hineinschaut?«, wiederholte der Tierarzt leicht verwirrt.
»Ich habe im Handarbeitsgeschäft danach gefragt, aber dort hatte man so etwas nicht«, erläuterte Johanna.
Hans-Joachim hob die Brauen. »Ich bin im Allgemeinen nicht schwer von Begriff, aber ich habe keine Ahnung, worauf du hinauswillst«, erklärte er.
»Ich möchte eine Kissenhülle knüpfen. Dazu brauche ich so ein Holz. Damit die Schlingen gleich groß werden. Man legt den Faden um das Holz, bevor man mit der Nadel in den Stramin sticht. Aber vielleicht haben Sie solche Hölzer doch nicht. Ich habe nur gedacht …, weil doch Tiere genauso einen Hals haben wie Menschen.«
»Oh – du meinst Holzspachtel!«, rief Hans-Joachim, dem indessen die Erleuchtung gekommen war. »Wie viele brauchst du?«
»Eines«, erwiderte Johanna bescheiden.
Hans-Joachim verschwand im Behandlungsraum und kehrte gleich darauf mit drei Holzspachteln zurück. »Hier – nimm drei, damit du etwas in Reserve hast. Falls alle drei zerbrechen, kannst du dir jederzeit Nachschub holen.«
Johannas Dankesbezeigungen wurden durch den Eintritt zweier junger Frauen unterbrochen. Eine von ihnen hielt eine große schwarze Katze im Arm, die andere rief: »Hans-Joachim, wir bekommen Zuwachs für unser Tierheim! Du kennst doch Frau Hofmeister und ihren Kater Kilian, nicht wahr?«
»O ja«, bestätigte der Tierarzt. Er hatte den Kater erst vor Kurzem von einem widerspenstigen Dorn befreit, der tief in die linke Vorderpfote eingedrungen war. Die schmerzhafte Prozedur hatte Kilians Frauchen mehr aufgeregt als das Tier selbst. Hans-Joachim hatte daraus geschlossen, dass Frau Hofmeister sehr an dem Tier hing. Deshalb erkundigte er sich verwundert: »Sie wollen Kilian weggeben, Frau Hofmeister?«
»Nur für vierzehn Tage«, entgegnete die junge Frau. »Von Ihrer Frau habe ich erfahren, dass Sie hin und wieder Schützlinge auf Zeit in Ihrem Tierheim aufnehmen.« Sie wandte sich dabei mit einem hilfesuchenden Blick an Andrea.
»Sehr richtig«, sprang Andrea von Lehn sofort ein. »Du musst einsehen, Hans-Joachim, dass Frau Hofmeister vor einem wirklichen Dilemma steht. Ihre Mutter hat ihren Besuch angesagt, aber die