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Ahnungslos unter Erleuchteten
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Ahnungslos unter Erleuchteten

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About this ebook

Willi fühlt sich wohl in der kleinen Stadt im nördlichen Ruhrgebiet, wo er als
Redakteur bei einer Tageszeitung arbeitet. Er hat einen großen Freundeskreis,
kennt Hinz und Kunz und genießt die Kneipenabende mit Dortmunder Bier
und skurrilen Erlebnissen. Doch nachdem er beim Geburtstag des Stadtdirektors
in Jeans und Turnschuhen erschienen ist, will man ihn loswerden. Er
schreibt Unmengen von Bewerbungen, bis er schließlich bei einer esoterischen
Zeitschrift in Freiburg unterkommt.
Ihm ist nicht einmal klar, was Esoterik überhaupt ist, aber er weiß, dass ein
guter Journalist über alles schreiben kann: Bauausschuss, Fußball und Brieftaubenverein.
Oder Selbsterkenntnis, Spiritualität, Sinn des Lebens und
Überwindung des Egos. Also liest er sich ein, lernt Meditationstechniken und
besucht einen Kurs nach dem anderen.
Fast 20 Jahre später weiß er immer noch nicht, was das vielzitierte "Selbst" ist
- ganz zu schweigen vom "Höheren Selbst". Dennoch hält er durch, bis das Verleger-
Ehepaar das "Höhere Selbst" in Gestalt eines zahlungskräftigen Investors
erkennt. Nach dessen Willen soll aus der Zeitschrift ein Wellness-Magazin
werden. Es wird investiert wie nie zuvor, doch immer mehr langjährige Abonnenten
bestellen die Zeitschrift ab, weil sie ihnen zu oberflächlich geworden ist.
Letzten Endes ist die Insolvenz nicht zu vermeiden und 60 Mitarbeiter stehen
auf der Straße.
LanguageDeutsch
Release dateOct 30, 2019
ISBN9783750453715
Ahnungslos unter Erleuchteten
Author

Willi Dommer

Willi Dommer wurde 1952 im westfälischen Münster geboren und studierte dort Soziologie, Germanistik und Pädagogik. Nach der Promotion in 1981 absolvierte er ein zweijähriges Volontariat bei einer Tageszeitung im nördlichen Ruhrgebiet. Von 1985 bis 2002 war er als Redakteur bei der Zeitschrift 'esotera' in Freiburg beschäftigt. 1990 erschien im Freiburger Verlag Hermann Bauer sein erstes Buch 'Wo die alten Götter weiterleben' über die Relikte steinzeitlicher und keltischer Spiritualität in Europa. Nach der Auflösung des Verlags arbeitete er als Paketbote und bis zur Rente als schreibender und malender Taxifahrer in Emmendingen. Seit 2015 Rentner und Buchautor in Simonswald.

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    Book preview

    Ahnungslos unter Erleuchteten - Willi Dommer

    Zu behaupten, die Handlung dieses Buches sei frei erfunden,

    wäre glatt gelogen. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen

    Personen sind natürlich durchaus beabsichtigt.

    Wenn Sie sich in einer der Figuren, die auf den folgenden Seiten

    vorgestellt werden, zu erkennen glauben, aber vollkommen falsch

    dargestellt fühlen, denken Sie mal über diesen Satz von Oscar Wilde

    nach: »Nur die Oberflächlichen erkennen sich selbst.«

    Und für mich, den Autor gilt die Unschuldsvermutung und dass

    man die Welt immer nur mit den eigenen Augen sehen kann.

    »Wer kein festes Ziel hat, kann sich nicht verlaufen.«

    Botschaft der Tarotkarte »Der Narr«

    Inhalt

    Vorwort: Das kalifornische Narrenschiff

    Ich danke

    Jeans und Turnschuhe

    Du bist doch Soziologe

    Alternative Lieder zur Klampfe

    Scheißegal, ob du Huhn bist

    Kabbala-Kosmetik und yogisches Fliegen

    Das neue Zeitalter

    Alles Leser unserer Zeitung

    Die Beamten im Rathaus – ratlos

    Rein rituell – versteht sich

    Träumen mit ätherischen Ölen

    Bussi hier – Bussi da

    Esoterisches Birchermüsli

    Zu viel Peperoni, zu viel Bier

    Der Sinn des Lebens

    Kopflastig ohne Ende

    Schön, dass du kommst

    Hasse mal ’ne CD?

    So viel zum Thema Achtsamkeit

    Der Ententanz der Großen Mutter

    Feuerkugeln aus dem Nichts

    Szenen einer Ehe

    Ein einziges Chaos

    And then came the evil

    Kanal-Arbeiter und Sternenkinder

    Außerdem ist gleich Feierabend

    Guten Tag, hier spricht Gott

    Ein hoffnungsloser Fall

    Der Extremdruide

    Keine Mucken!

    So ein Sauladen – das geht nicht

    Zeitgemäß und unumgänglich

    Epilog

    Vorwort: Das kalifornische Narrenschiff

    Von Wolf-Dieter Storl

    Was Willi Dommer über seine Zeit in der Redaktion eines ehemals führenden deutschsprachigen Esoterikverlags erzählt, hat mich immer wieder zum Lachen gebracht. Der Text ist flüssig und bildhaft – Willi ist schließlich auch begabter Musiker und Maler; das färbt auf seine Schreibweise ab.

    Willi ist Zeuge jener Zeit – den 80er und 90er Jahren –, als das kalifornische Narrenschiff am geistigen Gestade Europas vor Anker ging. Auf einmal wimmelte es vor lauter Erleuchteten, spirituellen Meistern, Weisen Frauen, verkörperten Engelwesen, Indigo-Kindern, Außerirdischen, Aura-Lesern, Schamanen, Avataren, liebevollen Tarot-Hexen und Walk-In-Seelen, den körperlichen Fahrzeugen höherdimensionaler Wesen.

    Mir war diese New-Age-Spiritualität nichts Neues. Ich wuchs nämlich im amerikanischen Mittelwesten auf. Nicht nur für hinterwäldlerische Farmer, die dort zuhause waren, sondern ganz allgemein galt Kalifornien als weird, als sonderbarer, schräg und verquer. Unkonventionelle Persönlichkeiten, die sich in den anderen Staaten nicht an ein konventionelles Leben anpassen konnten, zogen in den Erdbebenstaat am Rande des Pazifiks. Die Einwanderer aus der Alten Welt, die Amerika besiedelten, mussten ihre kulturellen Wurzeln weitgehend kappen. Diejenigen jedoch, die es schließlich nach Kalifornien verschlug, waren doppelt entwurzelt. Keine Traditionen, Konventionen oder herkömmliche Religionen hielten sie zurück. Sie konnten jedem Wahnsinn, jeder Illusion nachgehen. Nichts war da, was sie bremste.

    Kalifornien entwickelte sich sozusagen zum brodelnde Kessel Kalis, der Göttin des Wahns und der Zerstörung. Wie frische Lava quellen aus dem Kessel ununterbrochen Verrücktheiten aller Art, Blendwerk, Verzauberungen und Gaukelbilder hervor und nehmen Besitz von den wurzellosen Menschenseelen. Es fing ja schon mit dem Goldrausch 1848 an, als Hunderttausende nach Kalifornien zogen; vor allem Katzengold, Narrengold (fool’s gold) fanden sie, aber nur wenig echtes Gold. Und dann später kam die Illusionsmaschine Hollywood in Gang. Donald Duck, Mickey Maus, Hells Angels, Fast Food (McDonalds, Burger King, Taco Bell), John Wayne, Barbie Dolls, Haight-Ashbury, Hippies und Flower-Power, Drive-In Restaurants, Beach Boys und Surfer Girls, Charlie Mansons, die Kirche Satans, Cyber-Reality, Silicon Valley, Cruise-Missile-Technology, Ufo-Wahn und vieles mehr nahmen in Kalifornien Gestalt an… und dann schwebte auf rosa Wolken die New Age- und Esoterikwelle herein, die Wassermann-Zeitalter-Besessenheit, kosmische Spiritualität, Neo-Schamanismus. Wie ein spiritueller Tsunami überflutete, in den 60er Jahren, der schillernde Wahn den Mittelwesten, dagegen half auch die Bibel nicht mehr. Und schließlich erreichte der Wahnsinn Europa. Volle Pulle. Der esoterische Verlag, den Willi beschreibt, war eine der Pforten, durch die das kalifornische New Age hineinwaberte und unsere Kultur für immer veränderte.

    Ich kannte Willi von damals; er lektorierte meine, oft in hanebüchenem Deutsch geschriebenen Beiträge für die Zeitschrift. Auch viele der schillernden Charaktere, die in diesem Buch erscheinen, sind mir damals begegnet. Willi übertreibt nicht. Er schreibt wie es war.

    Ich danke

    Juliane Molitor für ihre Anregungen und Korrekturen;

    Gert Geisler, der mich letztendlich doch nicht rausgeworfen hat;

    Marianne Heithausen, meiner Freundin in bewegten, bierseligen Waltroper Zeiten;

    Cordula Nowak, meiner Therapeutin, die mir geholfen hat, die »Szenen einer Ehe« weitgehend unbeschadet zu überstehen;

    Wolf-Dieter Storl, der mir gezeigt hat, dass man auch in vergeistigten Kreisen die Bodenhaftung nicht verlieren muss;

    Jan-Erik Sigdell für seine unermüdlichen Versuche, mir Einblick in »hypothetische frühere Leben« zu gewähren, und

    Christamaria Hehmann, die mir rasante Steilvorlagen für meine Schilderung des geistigen Niedergangs einer Zeitschrift geliefert hat.

    Sie alle sind nicht für eventuelle Fehler im Buch verantwortlich, für die ich als Autor die gesamte Verantwortung zähneknirschend selber tragen muss.

    Jeans und Turnschuhe

    Du meine Scheiße! Ein Brief von Adelheid, der Verlegerin. Zugeklebt und persönlich adressiert. Das verheißt nichts Gutes. Hochgradig alarmiert reiße ich den Umschlag auf und kann mir ein gewisses Fingerzittern nicht verkneifen.

    Sehr geehrter Herr Dr. Dommer!

    Wie ich von einem sehr prominenten Waltroper erfahre, sind Sie zum Geburtstag des Stadtdirektors in Jeans und Turnschuhen erschienen.

    Einem Akademiker dürfte ich eigentlich nicht sagen müssen, was jeder junge Volontär weiß: Bei offiziellen Anlässen und Feierlichkeiten, wozu u.a. Schützenfeste gehören, sind ein dunkler Anzug, zumindest aber Krawatte und Jackett zu tragen, was auch Ihrem Alter angemessen wäre.

    Der seriöse Bürger fragt sich bei Ihrem Anblick, ob Sie unterbezahlt sind, nicht wissen, was sich gehört, oder für eine Alternativgruppe demonstrieren wollen. Das dient weder dem Ansehen der Zeitung noch der Knüpfung persönlicher Kontakte, die für einen Redakteur unerlässlich sind.

    Da Jeans nicht billiger sind als eine normale Garderobe, sollten Sie sich sehr bald nach einer anderen Aufmachung umsehen. Schließlich werden Sie in wenigen Wochen Redakteur.

    Mit freundlichen Grüßen

    Zeitungshaus Becker

    Adelheid Becker

    Mich trifft der Schlag. Und gleich darauf noch einer. Der erste geboren aus akuter Existenzangst, der zweite in Form eines Lachanfalls. »Ihrem Alter angemessen?« Was soll denn das heißen? Anfang 30 ist doch kein Alter. Nun gut – da ist der Bierbauch … aber mit dem wurde ich ja schon geboren. Falten sind bei mir so gut wie gar nicht zu sehen. Was Brille und Bart nicht verdecken, glätten die Pausbacken.

    Ich trinke mein Bier auf, stelle die leere Flasche zu den anderen ins Schreibtischfach hinter das Odol-Fläschchen, stecke den Brief von Adelheid in die abgewetzte Jeansjacke, schließe die Redaktion ab und mache mich auf den Weg zu Stromberg, meiner Stammkneipe – im rückwärtigen Bereich eine Art Feinschmeckerlokal mit separatem Eingang, vorne eine urige Dorfkneipe mit anheimelnder Holztheke, sechs Barhockern mit schmiedeeisernen Füßen, Spielautomaten, Stammtisch und Tante Else am Zapfhahn. Die hagere alte Dame, Mutter des Wirts, hat ein feines Gespür für das Wohl ihrer Gäste entwickelt. Taxiert sie einen Gast als Bauarbeiter, beschert sie ihm einen wesentlich üppiger bestückten Teller als beispielsweise einem offensichtlichen Büromenschen. Und ihre überaus variable Mischung aus westfälischem Platt und Kohlenpott-Quasi-Hochdeutsch richtet sie jeweils danach aus, ob der Gast »von hier« oder Auswärtiger ist.

    »Nahmd, Tante Else.«

    »Nahmd Dokter. Wie isset?«

    »Och, wie sollet sein.«

    »Pilsken wie immer?«

    »Jau, Tante Else.«

    Ich bekleide in den Reihen der Auswärtigen eine Sonderstellung: zwar zugereist, aber immerhin aus einer Stadt, die noch als entfernte Nachbarschaft akzeptiert wird. Außerdem bin ich »Reporter« bei der Heimatzeitung, der »Waltroper«, und demzufolge hin und wieder ganz brauchbar – sei es, man möchte ein Gerücht verbreiten, sei es, um eventuelle Neuigkeiten schon einen Tag früher zu erfahren.

    Aus dem Bedürfnis heraus, die Ungeheuerlichkeit von Adelheids Brief inklusive der ihm innewohnenden Komik mit anderen zu teilen – vielleicht sogar Verbündete zu rekrutieren –, hocke ich mich auf den Hocker neben Horst Woytyla, seines Zeichens Leiter des Bauamts. Der hört sich alles an, krault seinen Vollbart, wiegt den roten Kopf bedächtig hin und her und sagt überaus bedeutungsvoll, was er immer sagt: »Ja-ja, das ist alles ungeheuer vielschichtig und verzahnt.«

    Jenseits von ihm genießt einer der beiden örtlichen Staranwälte seine vorabendliche Tulpe, eine spezielle Art des Dortmunder Biers in bauchigem Glas. Ich rezitiere die Highlights aus dem Brief der Verlegerin, erziele auch diverse Lacherfolge.

    »Schützenfeste, offizielle Anlässe, dass ich nicht lache«, meint der Jurist glucksend. »Da würde ich weißgott keinen Anzug anziehen, wenn neben mir ein Schützenbruder sich die grüne Uniform mit sämtlichen Orden vollreihert … ha-ha …«

    »Und ausgerechnet der Stadtdirektor«, ruft der Klempnermeister Stromberg aus der zweiten Reihe. »Weiß’e noch beim Schützenfest vor zwei Jahren? Wie der Theo nachts mit offenem Hosenstall und heraushängendem Hemdzipfel die Tanzkapelle dirigiert hat?«

    »Das mit der Demonstration für eine Alternativgruppe ist ja vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen«, wirft Horst Woytyla ein, immerhin ein strammer Sozialdemokrat.

    Und Tante Else, die eben mal wieder mit halbem Ohr zugehört hat, bestätigt: »Jau, de Dokter is’n Grüner. Dat hebb wi lang wisst. Macht ja nix.«

    »Der doch nicht«, protestiert Erich Täger. Der grüne Ratsherr hat mittlerweile auch sein erstes Feierabendbier beordert. »Der Willi hat doch Schiss vor seiner Chefin. Der dreht doch sein Fähnlein nach dem Wind. Liberal. Kein Rückgrat.«

    »Jetz mach aber mal halblang, Erich«, fällt ihm der Klempnermeister ins Wort. »Der Willi schleppt doch tagtäglich eure angeblichen Umweltskandale in der Redaktion an und setzt sich damit andauernd in die Nesseln.«

    Der dicke Paul Schäfer, mein Kollege, beugt sich zu seinem mehr oder weniger Untergebenen hinab und raunt ihm ins Ohr: »Übrigens Doktor, ist ja ganz lustig, der Brief. Aber ich würd’ das hier nicht unbedingt an die große Glocke hängen. Der sehr prominente Waltroper hat seine Ohren überall. Du würd’s dich wundern. Mach nich alles noch schlimmer.«

    Wahrscheinlich hat er ja recht, denke ich. Bei soviel Prominenz am Tresen. Wär’ schon seltsam, wenn da nichts durchsickert.

    Du bist doch Soziologe

    Meine allumfassende Vertrauensseligkeit wird mir noch das Genick brechen«, denke ich am folgenden Morgen. Um das Schlimmste abzuwenden, wanke ich ebenso angeschlagen wie brav zum örtlichen Herrenausstatter und lasse mir ein dunkles Jackett samt Hemd, Schlips und farblich unauffälliger Hose mit Bügelfalten verpassen. Für Schützenfeste viel zu schade.

    »Na Doktor?« fragt der dicke Schäfer geradezu genüsslich, als er gegen halb elf in die Redaktion poltert. »Ha’m wa wenigstens heute mal ’ne Idee für’n Artikel?«

    Scheiße. Is nich. Vielleicht sind gestern Abend bei Stromberg irgendwelche Neuigkeiten zur Sprache gekommen, dürften aber aufgrund meines desolaten Zustands gnadenlos an mir abgeglitten sein. Wenn einer sich was notiert hat, dann Schäfer.

    »Na ja, keine Panik«, beruhigt der mich. »Ich hab den Wahnsinnshammer für dich.« Heute Abend gehe in der Stadthalle der traditionelle Königsball der Schützen über die Bühne. Und da sei schon im Vorfeld durchgesickert, dass es in der Halle rieche wie auf dem Bahnhofspissoir. »Die Schützen sind schon unheimlich sauer. Recherchier das mal, Doc.«

    Kann nicht schlecht sein, denke ich, sich bei den Grünröcken einen Stein im Brett zu sichern. Immerhin größtenteils Geschäftsleute und Honoratioren.

    Stinksauer sind die Schützen – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, schreibe ich am nächsten Morgen. Schließlich trägt es nicht gerade zur feierlichen Stimmung eines Königsballs bei, wenn unangenehme Gerüche aus dem WC im Keller bis ins Foyer der Stadthalle hinaufdringen

    Bloß nicht wieder in die Nesseln setzen, sage ich mir und füge vorsorglich hinzu: Freilich sind die Schützen keine Kinder von Traurigkeit, und die flotten Rhythmen der Kapelle trugen ebenfalls zum Gelingen des Abends bei.

    Ein versöhnlicher Schlenker, aber die übelriechende Katze war nun mal aus dem Sack.

    Was Kollege Schäfer mir natürlich nicht erzählt hatte: Der Stadthallenwirt, der sich ziemlich angepinkelt gefühlt haben musste, ist eine der einflussreichsten Gestalten im örtlichen SPD-Vorstand. Hat Schäfer mich gezielt ins offene Messer rennen lassen?

    »Jetzt werd’ mal nicht gleich zum Paranoiker«, wehrt der Dicke ab. »Aber was ganz anderes: Du bist doch Soziologe.« Ich erinnere mich dunkel.

    »Da hätt’ ich was für dich. Echter Sozialfall. Da gibt’s ’ne Frau mit sechs Kindern, die aus ihrer Wohnung musste. Die steht jetzt sozusagen mit Möbeln und Anhang auf der Straße. Schreib dir mal die Adresse auf: Susi Reiter …«

    Ich habe sowieso kein anderes Thema auf Lager, raffe mein soziales Gewissen, Kamera und Blitz zusammen, gebe mein journalistisches Berufsethos hinzu und mache mich auf den Weg zu der Frau, die mir bereitwillig ihre herzzerreißende

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