Der Festungskurier
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Der Band 19 ist der Industriegeschichte Mecklenburgs gewidmet, insbesondere der Bedeutung des Militärs für die Entwicklung der Wirtschaft. Den Auftakt bildete das Stehende Heer im 18. Jahrhundert mit seinem Bedarf an einheitlichen Uniformen und standardisierter Ausrüstung. Eine neue Dimension brachte die Eisenbahn durch schnellen und erleichterten Verkehr. Selbst die Hohen Herrschaften der Fürsten bedienten sich ihrer gern - wie selbstverständlich immer in militärischer Uniform. Die Dynamitfabrik Alfred Nobels im Mecklenburg benachbarten Krümmel bei Geesthacht und die Sprengstoffwerke in Dömitz zeigen den Weg von ursprünglich ziviler zu ausschließlich militärischer Produktion mit negativen Folgen bis heute. Ein bedeutender Betrieb des Schiffbaus mit teilweiser Rüstungsproduktion bestand in Boizenburg bis 1997. Von großer Bedeutung für die entstehende Luftwaffe war die 1917 gegründete Flugerprobungsstelle Rechlin, die auch noch nach 1945 militärischen Zwecken diente und erst 1990 ausschließlich ziviler Nutzung zugeführt wurde. Die Verbindung von Militär und Industrie verlangt verantwortungsvollen Umgang.
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Book preview
Der Festungskurier - Books on Demand
Inhalt
Kersten Krüger
Vorwort
Klaus-Ulrich Keubke
Das Mecklenburg-Schweriner Militär vor dem Ersten Weltkrieg als Wirtschaftsfaktor des Landes
Peter Falow
Reisen der Großherzoglichen Familie mit der Eisenbahn
Helmut Knust
Die Dynamitfabrik Krümmel bei Geesthacht
Jürgen Scharnweber
Die Sprengstoffwerke in Dömitz
Uwe Wieben
Die Elbewerft in der Stadt Boizenburg von 1793 bis 1945
Karl Reinsch
Das Luftfahrttechnische Museum Rechlin und seine Berührungspunkte zur militärischen Luftfahrtgeschichte 1917–1945 und zum DDR-Schiffbau 1948–1990
Vorwort
Der 19. Dömitzer Tag der Landesgeschichte war der Industriegeschichte Mecklenburg-Vorpommerns gewidmet, genauer dem Zusammenhang zwischen Militär und Industrie seit dem 18. Jahrhundert. Die Bedeutung des Militärs für die Wirtschaft war und ist durchaus widersprüchlich. Einerseits belebt das Militär die Wirtschaft durch Aufträge für Rüstungsgüter und Bauten sowie durch Konsum der Militärpersonen, andererseits bindet das Militär Ressourcen, die für zivile Zwecke nicht mehr zur Verfügung stehen, und es kann darüber hinaus als „militärisch-industrieller Komplex" (Eisenhower 1961) ungemessenen Einfluss auf die Politik nehmen.
Umrisshaft lassen sich diese Tendenzen auch in der mecklenburgischen Landesgeschichte aufsuchen. In seinem einleitenden Beitrag des vorliegenden Festungskuriers zeigt Klaus-Ulrich Keubke die Bedeutung des Militärs als Wirtschaftsfaktor im 18. und 19. Jahrhundert auf, als Handwerker sich intensiv mit Erfolg um staatliche Aufträge für die Herstellung von Waffen sowie Uniformen bemühten und die Erstellung weitläufiger Kasernenanlagen die Bauhandwerke beflügelte. Wirtschaftswachstum ist ohne erleichterten und schnellen Verkehr schwer möglich. Hier spielten im 19. Jahrhundert die Eisenbahnen eine entscheidende Rolle. Diese sind das Arbeitsgebiet von Peter Falow, der in seinem Beitrag den Schwerpunkt auf die Fürstenzimmer in mecklenburgischen Bahnhöfen legt. Indirekt wird an ihrer hohen Zahl die Bedeutung des Eisenbahnnetzes auch für hohe Herrschaften erkennbar – und wenn Fürsten so gut wie immer in militärischer Uniform auftraten und mit militärischen Ehren begrüßt wurden, zeigt das die gewachsene Wertschätzung des Militärs im 19. und frühen 20. Jahrhundert an.
Sehr handfest und weniger operettenhaft ging es in der Rüstungsindustrie zu. Als ein wesentlicher Teil wird hier die Sprengstoffherstellung thematisiert. Revolutionär innovativ war das von Alfred Nobel erfundene Dynamit. Das geschah 1866 in Krümmel bei Geesthacht an der Elbe auf hamburgischem Staatsgebiet, also in der Nachbarschaft Mecklenburgs. In seinem Aufsatz dokumentiert Helmut Knust nicht nur die aufregende Geschichte der Erfindung, sondern auch die zunehmend, schließlich die allein militärische Verwendung der in Krümmel produzierten neuen Sprengstoffe. Alfred Nobel wurde unendlich reich, und es mag wie der Versuch einer Wiedergutmachung für die vielleicht unbeabsichtigte militärische Wirkung seiner Erfindung gelten, dass er die Nobelpreise stiftete, zu denen auch der Friedensnobelpreis gehört.
Fast wie eine Parallele zu Krümmel liest sich die ausführlich dokumentierte Geschichte der Sprengstoffwerke in Dömitz, die Jürgen Scharnweber beisteuert. Im Jahr 1892 für zivil verwendbare Sprengmittel gegründet, gerieten auch sie im Ersten Weltkrieg und später unter der NS-Diktatur vollständig in den Sog militärischer Ausrichtung der Produktion – im Zweiten Weltkrieg unter Heranziehung zahlreicher Zwangsarbeiter, wie in Krümmel. Das Ende des Krieges brachte die völlige Stilllegung, und erst nach 1990 konnte die zivile Nutzung des Geländes als Gewerbegebiet in Gang kommen.
Den nicht an den Landweg gebundenen Verkehrsmitteln widmen sich die beiden abschließenden Beiträge zur Elbewerft in Boizenburg und der Luftfahrttechnik in Rechlin. Uwe Wieben gibt einen Abriss der Entwicklung der Elbewerft von 1793 bis 1945. Im Jahr 1832 als Familienbetrieb gegründet, produzierte die Werft Schiffe kleiner und mittlerer Größe, 1840 ihren ersten Raddampfer. Militärisch einsetzbare Wasserfahrzeuge – etwa Pionierboote für die Sowjetunion 1932 – gehörten ebenfalls zur Produktpalette. Nach 1945 erlebte die Werft einen steilen Aufstieg, wurde jedoch 1997 als unrentabel stillegelegt. In gewissem Sinne vergleichbar – von militärischer zu ziviler Nutzung – verlief die Geschichte der Flugerprobungsstelle Rechlin, die Karl Reinsch darlegt. Am Ende des Ersten Weltkriegs 1917 gegründet, diente sie allein den Zwecken der Luftwaffe. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auf dem Werksgelände eine Werft errichtet, die bis 1993 Bestand hatte. Danach entwickelte sich der Tourismus in der attraktiven Lage Rechlins an Müritz und Müritz-Nationalpark. Damit ist der Weg in die zivile Dienstleistungsgesellschaft beschritten.
Der 19. Tag der Landesgeschichte brachte neue Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Militär und Wirtschaft. Das mag als Anstoß dienen, dass wir alle verantwortungsbewusst mit militärisch induzierten Wirtschaftsaktivitäten umgehen.
Kersten Krüger
9. September 2019
Das Mecklenburg-Schweriner Militär vor dem Ersten
Weltkrieg als Wirtschaftsfaktor des Landes
VON KLAUS-ULRICH KEUBKE
Im Landeshauptarchiv Schwerin, auf dessen Bestand dieser Beitrag basiert, befindet sich im Bestand Militärwesen ein unscheinbares, aber doch erstaunliches Schriftstück. Am 19. Januar 1788 hatten nämlich Nicolaus Gottfried und Hinrich Nicolaus Schmidt aus Rostock an ihren Herzog Friedrich Franz I. folgendes geschrieben:
Es läuft ein Gerücht, daß eine Trouppen-Vermehrung im Lande vorgenommen werden soll. Da nun zu diesem Zweck verschiedene Mondirungs-Stücke erforderlich sind, so bitten wir gehorsamst: Ew. Hochwohlgeb. geruhen die Vorkehr zu treffen, daß auch uns die Fertigung eines Theils von den Tornistern, Patronen-Taschen, Riemen und Degenkoppeln übertragen werde. Wir versichern uns hierin um so mehr gewisser Erhörung, als wir nicht nur tüchtige Arbeit zu liefern versprechen, sondern auch solche bei dem von Gluerschen Regiment bereits bethätigt haben.¹
Die Gerüchteküche brodelte also schon vor mehr als zweihundert Jahren sehr frühzeitig. Beide Handwerker waren erfolgreich und erhielten den Auftrag, Säbelkoppel und Tornister zu liefern. Für die Tornister bekamen sie im Juli einen Vorschuss von 150 Reichstaler ausgezahlt. Dann folgten nochmals 282 Reichstaler. Es war also ein recht lohnender Auftrag. Noch mehr als 20 weitere Handwerker wurden ähnlich bedacht.²
Jedoch konnte der größte Rüstungsauftrag in Mecklenburg-Schwerin nicht erfüllt werden. Da die Schusswaffen der für das Subsidienkorps bestimmten Truppen veraltet und auch noch unterschiedliche Kaliber aufwiesen, genehmigte Herzog Friedrich Franz I., nachdem sich das Korps schon knapp zwei Jahre im niederländischen Herzogenbusch befand, seinem Oberst Bernhard von Pressentin am 6. April 1790 den Kauf von 1500 Gewehren bei dem Gewehr=Fabrikanten Jean Corbusier et fils zu Lüttich.³
Bevor mit weiteren Beispielen die Rolle des Mecklenburg-Schweriner Militärs im Wirtschaftsleben des Landes beleuchtet werden soll, ist eine grundsätzliche Bemerkung voranzustellen: Natürlich ist das Militär eines jeden Landes ein unproduktiver Teil, dessen Erhalt von den Menschen zu erwirtschaften ist. Trotzdem wird der Verzicht auf ein leistungsfähiges Militär das jeweilige Land in dem Fall,