Zeug: Kurzgeschichten und Lichtbildervorträge
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Tibor Rácskai
Tibor Rácskai, geb. 1968, Autor, Zeichner und Lehrer in München. Veröffentlichungen u.a. in TITANIC
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Book preview
Zeug - Tibor Rácskai
Die Lichtbildervorträge wurden in den vergangenen Jahren
auf Lesungen präsentiert; wie man das von Diaschauen kennt
(jeder von Ihnen hat so einen Onkel) meist am Schluss, damit
die Leute einen Grund haben, nach Hause zu gehen.
Die in diesen Band aufgenommenen Erzählungen sind
zum Teil schon andernorts erschienen. Wann und wo
kann dem Anhang entnommen werden.
Inhalt
Zeug
Alles auf Anfang!
Was machst du?
Wie Odysseus den Mond zerbrach und die Milchstraße ausgoss – 1. Teil
Ein Idealist
„Die Neuordnung Europas 1815 erfolgte aufgrund einer Kontinentalplattenverschiebung"
Wie Odysseus den Mond zerbrach und die Milchstraße ausgoss – 2. Teil
Der Kasten
Die Queen und ihre Jungen
Fairplay
Schwammerl
Venedig
Wahnsinn
Das Jüngste Gericht – Hauptverhandlung
D’azzurro vivo
Zeug
Ein Paar Halbschuhe Größe 42 schwarz, ein Paar Jeanshosen Größe 34, zwei Paar Strümpfe Größe 39-42 schwarz, zweimal Leibwäsche weiß Größe 5, zwei Hemden Langärmel Größe M weiß, ein Pullover Baumwolle Größe M Marineblau, eine Windjacke Synthetik Größe M Marineblau, zwei Handtücher weiß groß, zwei Handtücher weiß klein, ein Waschlappen weiß, ein Paar Hausschuhe Größe 44, eine Reisetasche, ein Spannbettuch weiß, einmal Bettwäsche weiß, eine Unterschrift hier, hier und hier.
Ein Kulturbeutel gelb, eine Zahnbürste, einmal Zahncreme, ein Zahnputzbecher, einmal Duschseife, einmal Shampoo, einmal Handseife, einmal Körperlotion, einmal Rasiercreme, einmal Rasierwasser, eine Packung Einwegrasierer, eine Nagelschere, ein Kamm, ein Taschenspiegel, eine Unterschrift hier, hier und hier.
Eine Rolle Klopapier, zwei Packungen Papiertaschentücher, eine Packung Teeaufgussbeutel, eine Tafel Schokolade, fünf Wertmarken Frühstück, fünf Wertmarken Mittagessen, fünf Wertmarken Abendbrot, fünf Duschmarken, eine Brieftasche Kunstleder, eine Telefonkarte zu 5 €, ein Spiralblock, ein Kugelschreiber, ein Taschenkalender, 100 € in bar, ein Zimmerschlüssel, ein Spindschlüssel, eine Unterschrift hier, hier und hier.
Ein Gang, drei Stufen, ein Aufzug, ein Gang.
Ein Aufenthaltsraum, zwei Fenster, ein Himmel, ein rotbelaubter Baum, sechs Stühle, drei Gesichter, zwei Blicke, eine Bank, ein Fernseher, zwei Tische, ein Mülleimer, ein Aschenbecher, ein Geruch.
Eine Teeküche, ein Elektroherd, zwei Kochplatten, ein Wasserkessel, ein Geschirrschrank, ein Kühlschrank, eine Spüle, ein Schwamm, eine gespülte Tasse, ein Mülleimer.
Ein Bad, vier Brauseköpfe, vier Waschbecken, vier Urinale, zwei Kabinen.
Acht geschlossene Türen, acht Türgriffe, acht Nummern.
Ein Lichtschalter, eine Deckenleuchte, ein Fenster, ein Himmel, ein Haus, zwei Stockbetten, vier Spinde, zwei Stühle, ein Tisch, ein Kopfkissen, eine grobe Wolldecke, eine Matratze, ein Mülleimer. Ich.
Mein Gott! – Um Himmelswillen! – Ogottogott! – So eine Scheiße! – So ein Unglück. – So ein Mist! – Sie Ärmster. – Du Armer. – Mein herzliches Mitgefühl. – Äh. – Oje, tut mir leid. – Also, ich würde das nicht verkraften. – Dass Du das verkraftest hast. – Wie verkraften Sie das nur? – Das wäre uns auch fast mal passiert. – Meiner Tante ist das auch mal passiert. – Wie ist das denn passiert? – Wie kann denn so was passieren? – Das kann doch nicht wahr sein! – Ich werd verrückt! – Du scherzt? – Soll das ein Witz sein? – Na, zum Glück hast Du Deine Frau. – Ach? – Naja, sie hat es bestimmt auch nicht einfach jetzt. – Na, wenigstens sind Sie gesund. – Hauptsache gesund. – Aber sonst geht’s Dir gut? – Aber Sie hören sich dennoch sehr gefasst an. – Ich meine, hast Du Dich verletzt? – Du wirst ihn natürlich verklagen. – Und die Versicherung? – Achje, und jetzt der Ämtermarathon! – Wenn irgendetwas sein sollte, rufen Sie mich an. – Du kannst jederzeit anrufen. – Brauchst Du was? – Also, wenn ich Ihnen mit was aushelfen kann? – Und wo wohnst Du jetzt? – Du kannst natürlich zu uns kommen. – Also, in zwei Wochen kommt Martins Mutter zu Besuch, aber bis dahin. – Ich werd mich mal umsehen. – Also, wenn ich was erfahre, melde ich mich sofort. – Ich hab da einen Tipp für Sie. – Alles weg? – Echt alles? – Ja wie, alles? – Ich hab’s in der Zeitung gelesen. Schreckliche Vorstellung. – Nein, ich wusste es nicht. – Pauline hat es mir erzählt. – Herr Schneider hat es gestern nebenbei erwähnt. – Ruhen Sie sich erst mal aus. – Komm erst mal an. – Sie brauchen jetzt erst mal Ruhe. – Also bis in vier Wochen. – Puh, das wird schwer. – Ausgerechnet jetzt, so ein Pech. – Wir finden schon eine Vertretung, machen Sie sich darüber keine Sorgen. – Du hast jetzt bestimmt andere Sorgen. – Als hättest Du noch nicht genug Sorgen, was?
Am Anfang war (...), ich weiß es nicht mehr. Eine Schaukel. Ja, eine Schaukel an vier Seilen im Flur unserer Wohnung. Auf Knoten in den Seilen liegen Stangen, auf jeder Seite zwei, die mich vor dem Herausfallen bewahren. Gab es davon ein Foto? Vielleicht. Bestimmt gab es eines. Dann ein Ball. Ein Gummiball, so groß wie ich selbst, aus vielen bunten Schnitzen zusammengesetzt. Eine Tonne, in der einmal Waschmittel war und die nun mein Spielzeug enthielt. Was für Spielzeug? Im Hintergrund ein Radio. Ich liege auf einer schwarz-weiß karierten Wolldecke. Auf dem Bett meiner Eltern ein Laken, dünne dunkelblaue Linien auf rotem Stoff. Später wurden Vorhänge daraus gemacht. Auf meinem Kopf eine irgendwie schottisch gemusterte Mütze mit Vordach. Eine gestrickte Jacke, weiße und hellblaue Querstreifen, mit Perlen als Knöpfen. Rote Herzen aus Leder auf den Knien. Nein, das war viel später.
Um eine Hose kaufen zu können, braucht man Geld. Geld bekommt man für geleistete Arbeit. Das Geld wird auf ein Konto eingezahlt. Man braucht eine Karte, um Geld abheben zu können. Die Karte bekommt man am Schalter gegen Vorlage eines Ausweises. Wer keinen Ausweis hat, bekommt kein Konto, bekommt keine Karte, bekommt keine Arbeit, bekommt kein Geld, kann keine Hose kaufen, friert.
Um eine Wohnung mieten zu können, braucht man Geld. Geld bekommt man für geleistete Arbeit. Das Geld wird auf ein Konto eingezahlt. Man braucht eine Karte, um Geld abheben zu können. Die Karte bekommt man am Schalter gegen Vorlage eines Ausweises. Wer keinen Ausweis hat, bekommt kein Konto, bekommt keine Karte, bekommt keine Arbeit, bekommt kein Geld, kann keine Wohnung mieten, muss ohne Hosen unter der Brücke schlafen.
Um einen Ausweis zu bekommen, braucht man Geld. Geld bekommt man für geleistete Arbeit. Das Geld wird auf ein Konto eingezahlt. Man braucht eine Karte, um Geld abheben zu können. Die Karte bekommt man am Schalter gegen Vorlage eines Ausweises. Wer keinen Ausweis hat, bekommt kein Konto, bekommt keine Karte, bekommt keine Arbeit, bekommt kein Geld, bekommt keinen Ausweis, existiert nicht.
Wer nicht existiert, bekommt keinen Ausweis. Ohne Hosen wird