Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Doch! Erziehen kann leicht sein: Hilfreiche Geschichten und Tipps aus der Familie einer Elterntrainerin
Doch! Erziehen kann leicht sein: Hilfreiche Geschichten und Tipps aus der Familie einer Elterntrainerin
Doch! Erziehen kann leicht sein: Hilfreiche Geschichten und Tipps aus der Familie einer Elterntrainerin
Ebook336 pages2 hours

Doch! Erziehen kann leicht sein: Hilfreiche Geschichten und Tipps aus der Familie einer Elterntrainerin

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Erziehen darf und kann leicht sein. Nichts genießen wir so sehr wie die Zeit mit unseren Kindern. Wir das ist die Familie der Journalistin und Eltern trainerin Uta Allgaier: Mann, Sohn, Tochter und zwei Katzen. Seit der Geburt des ersten Kindes hat die Autorin die relevanten Werke der Erziehungsliteratur ausgewertet. Sie hat ausprobiert, welche Tipps bei ihr zu Hause und in den Familien, die sie berät, wirklich funktionieren. So quittierten sie und ihr Mann den Dienst bei der Hausaufgaben-Polizei, mischten sich nicht mehr ein, wenn die Kinder sich stritten, waren absichtlich ungerecht, aber auch sehr kuschelig. Nach und nach entwickelte sich ihr Konzept für mehr Gelassenheit. Davon zeugen die 60 persönlichen Geschichten über Eltern und Kinder in diesem Buch. Meistens kann man über sie schmunzeln, häufig wird man davon entspannter und immer nimmt man etwas Hilfreiches für das eigene Familienleben mit
LanguageDeutsch
Release dateNov 4, 2019
ISBN9783831910298
Doch! Erziehen kann leicht sein: Hilfreiche Geschichten und Tipps aus der Familie einer Elterntrainerin

Related to Doch! Erziehen kann leicht sein

Related ebooks

Relationships For You

View More

Related articles

Reviews for Doch! Erziehen kann leicht sein

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Doch! Erziehen kann leicht sein - Uta Allgaier

    Allgaier

    Fundament für das Glück: Bindung

    Die kleine Meckerziege

    In der Kinderkleider-Abteilung eines Kaufhauses stand ich in der Schlange an der Kasse. Vor mir eine Mutter mit einem Mädchen, das vielleicht knapp ein Jahr alt war. Es konnte gerade laufen, wankte von dem Bein der Mutter einen halben Meter zum Buggy und wieder zurück. Vier- oder fünfmal. Dann wurde die Kleine müde und fing an zu weinen. „Du alte Meckerziege, sagte die Mutter und nahm sie unsanft an die Hand. „Du alte Meckerziege? Hatte ich richtig gehört? Meinte sie diesen kleinen Menschen mit den wasserblauen Augen und dem Nacken voller Locken? Alte Meckerziege?

    Okay, mein Mann nennt unseren Sohn auch gern „Spacken". Aber der kann seit mindestens acht Jahren Ironie verstehen.

    Aber dieses kleine Mädchen? Es konnte nur Tage her sein, dass es das erste Mal ganz allein auf seinen eigenen wackeligen Beinen stand. In dem Alter ist das die Kategorie „Mondlandung". Man richtet sich auf, sackt wieder zusammen, rappelt sich auf, hat diesen völlig neuen Ausblick. Und dann plumpst sie wieder weg, die neue Welt. Alles beginnt von vorn. Das ist aufregend und anstrengend. Da wird man doch mal müde sein dürfen!

    Das Mädchen hörte nicht auf, vor sich hin zu meckern. Es war kein Schreien, kein Weinen. Eher so ein beleidigtes Blubbern wie von unserem Wasserkocher. Die Mutter schob den Buggy mit einem Stapel Kleider ein paar Zentimeter weiter. Die Kleine verlor das Gleichgewicht, der Körper umkreiselte Mutters Bein und landete auf dem Po. Mutter zog sie am Ärmchen wieder hoch. „Du alte Meckerziege!"

    Ich wollte schon anbieten, dass ich mal an dem anderen Ärmchen zerren könnte. Nur so zum Ausgleich.

    Da nahm Mutter die Kleider vom Buggy und stopfte das Kind unter den Bügel in den Sitz. Jetzt weinte es richtig. Die Kassenschlange kam auch nicht richtig voran. Also Schnuller in den Mund gestopft. Die Kleine spuckte ihn wieder aus, drückte sich mit durchgebogenem Rücken aus dem Sitz. „Setzt du dich wohl hin, du alte Meckerziege." Mutter stopfte sie zurück, stopfte den Schnuller wieder rein, hielt diesmal die Hand davor, damit er nicht gleich wieder rausflog.

    Es wurde gestopft, gedrückt, geschoben, gar nicht richtig hingeguckt, die Kleider auf den Arm genommen statt das Kind. Was fehlte, war ein Gefühl für das Mädchen, das eine Dosis Nähe brauchte nach all den Aufregungen in dieser glitzernden Kaufhauswelt, nach all dem Ausbalancieren auf den krummen Beinen.

    Der Pädagoge Wolfgang Bergmann beschreibt in seinem Vortrag „Wie Kinder Gefühle lernen"¹ eine ähnliche Situation und formuliert, wie ein noch sehr auf Mutter oder Vater bezogenes Kleinkind sich fühlt in so einer Kaufhaussituation: „Ich bin ganz allein, Mama schaut mich nicht an, ich weiß nicht mehr, wer ich bin, ich erfasse die Welt nicht mehr."

    Die Frau in der Schlange hätte ich am liebsten zur Rede gestellt. Ich weiß, das ist unfair. Ich habe Kinder, die so groß sind, dass ich sie allein zu Hause lassen kann. Ich kann in Ruhe bummeln gehen, die Szenerie beobachten und mich über eine Frau erheben, die vielleicht seit Tagen kaum geschlafen hat, weil die Kleine zahnt, Durchfall hat, Papa nicht hört, wenn sie nachts weint, Schwiegermutter findet, dass sie sowieso alles falsch macht … Vielleicht regt es mich auch auf, weil ich oft ähnlich reagiert habe, als die Kinder klein waren, weil ich überfordert war und auch nicht wusste, was in solch einer Situation hilft. Dabei wird es wirklich leichter, wenn man ein paar Dinge beachtet.

    Tipps

    Wenn der Zwerg das Sagen hat

    Mir war von Anfang an wichtig, Kinder nicht zu behandeln, als wären sie unfertige Halbmenschen, die es zu disziplinieren und zu formen gilt. Jahre später habe ich erkannt: Diese Überzeugung darf nicht dazu führen, dass man vor lauter Ehrfurcht vor diesem neuen Menschen in eine Verantwortungsstarre fällt und der Zwerg das Sagen hat, kaum dass er die ersten Worte sprechen kann.

    Wenn man Eltern wird, muss man bereit sein zu führen.

    Ich war das anfangs nicht.

    Ich war so begeistert von dieser Schöpfung mit den Speckbeinchen und den braunen Smarties-Augen, dass ich meinen ganzen Tag nach dem kleinen Kronprinzen ausrichtete, meine eigenen Bedürfnisse total zurückstellte und sofort am Bettchen stand, wenn er auch nur einen Muckser von sich gab.

    Im Alter von etwa einem dreiviertel Jahr liebte es seine Durchlaucht, Treppen hoch zu krabbeln. So konnte man uns beide in dem Haus, in dem wir damals unsere erste Wohnung hatten, im Flur antreffen, beide auf allen Vieren auf der Treppe.

    „Das ist gut für die motorische Entwicklung", erklärte ich der Mülltüte, mit der ich plötzlich auf Augenhöhe war. Unser Nachbar von oben hielt sie in der Hand und betrachtete nachdenklich Mutter und Sohn, die nebeneinander auf allen Vieren die Treppe bezwangen. Der ältere Herr schien nur noch zu überlegen, ob er mich in der Psychiatrie oder lieber in der Hundeschule anmelden sollte.

    Das Treppenkrabbeln bereue ich nicht. Das hat Spaß gemacht. Aber es gab Phasen, in denen wir gar nicht aus dem Haus kamen, weil ich nicht wagte einzuschreiten, wenn mein Sohn unbedingt alle seine 23 Autos in die Taschen vom Schneeanzug stopfen wollte.

    Das führt zu Baby-Burn-out. Nicht beim Baby, sondern bei seiner Mutter. Meinen früheren Job als ZeitschriftenRedakteurin fand ich vergleichsweise erholsam. Dabei hätte ich es mit ein paar Kenntnissen über diese Kindheitsphase leichter haben können.

    Tipps

    Vom Thron gestoßen

    Als Kronprinz vier Jahre alt war und seine Schwester gerade laufen konnte, gingen wir in einem Park spazieren. Prinzessin hockte etwa 50 Meter hinter uns im Laub, weil sie Steine aufheben musste. Da ergriff der Vierjährige energisch meine Hand und sagte: „Komm, Mama, wir rennen weg."

    Ohne mit der Wimper zu zucken hätte er seine Schwester im Park zurückgelassen. Ein Wolfskind wäre sie geworden, irgendwann aufgegriffen vom Wildhüter mit verfilzten Locken und einer Sprache aus Grunzlauten.

    Diese kleine Geschichte fiel mir ein, als ich hörte, welche Probleme eine Bekannte mit ihrem Sohn hat, seitdem der kleine Bruder geboren ist. Die Frau wunderte sich über die Wut und Aggression des Jungen und erzählte, ihr Mann und sie hätten es doch so geschickt aufgeteilt: Sie kümmere sich hauptsächlich um das Baby und er abends um den älteren Jungen.

    Liebe im Schichtwechsel? Da würde ich mich auch schreiend auf den Boden werfen. „Entthronung ist für ein Kind besser zu verkraften, wenn man die Akzente leicht verschiebt. Man drücke gelegentlich den Säugling seinem Vater, der Oma oder einer liebevollen Nachbarin in den Arm und lasse sich mit dem Erstgeborenen auf das Sofa fallen. Man sage so Dinge wie: „Wir beide haben ganz schön viel Arbeit mit dem Wurm. Geht dir das Geschrei auch auf die Nerven? Es folgt ein ausgelassenes Durchkitzeln, eine Kissenschlacht und eine Vorleserunde mit dem großen Kind auf dem Schoß. Danach schläft die Mutter eine halbe Stunde komatös (das hat nichts mit der Eifersucht von Kronprinzen zu tun, sondern mit dem nackten Überleben von Eltern).

    Wenn irgendwann später die Kinder hoffentlich schlafen und die Wohnung so schlimm aussieht, dass es auch schon egal ist, sucht man in dem Chaos den Partner und die Erotik. Wenn man nichts findet, zusammen auf dem Sofa kuscheln und eine DVD über die Erotik anderer Menschen gucken.

    Bin ich jetzt vom Thema abgewichen? Das tut mir leid, aber ich wurde einfach überflutet von der Erinnerung an diese Zeit, Erinnerung an die Anstrengung, an die perforierten Nächte, an die Frisur mit dem Abdruck vom Stillkissen, an den Brei, der nicht gegessen wird …

    Die Zeit mit kleinen Kindern ist die „Rushhour" des Lebens: die Umstellung auf Familie schaffen, den Anschluss im Job nicht verpassen, die Kita-Entscheidung fällen, die Partnerschaft und die Getreidemühle pflegen … Wie soll es da gelingen, die Bedürfnisse jedes Kindes zu sehen und allem gerecht zu werden?

    Immer wieder trifft man auf das Zitat von dem „ganzen Dorf", das es braucht, um ein Kind großzuziehen. Die amerikanische Frauenärztin Christiane Northrup schreibt: „Ich erinnere mich gut an die schönste Zeit, die ich mit meinen Kindern verbrachte, als sie klein waren (drei Monate und zwei Jahre). Ich besuchte damals meine Mutter, und meine Schwester und ihre Kinder waren gleichzeitig dort zu Besuch. Meine Schwester stillte auch gerade; wenn ich also eine Weile fortgehen wollte, stillte sie einfach Kate für mich, so wie Frauen es seit Jahrhunderten getan haben. … Unsere Kinder spielten vergnügt zusammen, und ich konnte die Gesellschaft Erwachsener genießen und mich gleichzeitig an meinen Kindern freuen."²

    Solche Bedingungen sind sicher die Ausnahme. Aber es gibt ein paar Verhaltensmuster, die einen entlasten können.

    Tipps

    Das Pokerface-Baby

    Einst schrieb ich für eine Schweizer Zeitung über ein kleines Mädchen, das im Trennungskrieg der Eltern von seinem Vater entführt worden war. Über viele Monate war Monique in den USA verschollen. Ein halbes Jahr später wurde das Mädchen entdeckt und der Vater verhaftet. Die Mutter, eine gebürtige Schweizerin, kehrte mit dem Kind nach Zürich zurück. Ein Schweizer Gericht aber entschied, sie müsse ihre Tochter in die USA zurückbringen. Aus Angst, ihr würde es erneut genommen, tauchte die Mutter unter und floh mit dem Mädchen quer durch Europa. Eine traurige Geschichte. Und ich hatte den Auftrag, sie zu erzählen.

    Während der Recherchen war die kleine Monique stundenweise in meiner Obhut, weil ihre Mutter Anwaltstermine hatte oder zu einer Behörde musste. Mein Mann und ich glaubten, das traumatisierte Kind würde bei uns weinen oder randalieren, weil wir ihm völlig fremd waren. Aber nichts dergleichen. Monique, damals drei Jahre alt, verhielt sich, als hätte sie schon immer bei uns gelebt. Sie spielte friedlich, kuschelte sich an uns, behandelte meine Schwiegereltern, die zu Besuch kamen, wie Oma und Opa, schmuste sogar mit ihnen.

    Es war gespenstisch. Wir hatten plötzlich eine kleine Shirley Temple auf dem Schoß. Lockig, zuckersüß und ohne irgendeine Distanz zu Fremden.

    Dieses Erlebnis fiel mir wieder ein, als ich Folgendes über die drei unterschiedlichen Bindungstypen las:

    Typ 1, die sichere Bindung:

    Das Kind weint bei einer Trennung von der

    Bezugsperson, lässt sich aber bei deren Rückkehr schnell

    wieder beruhigen.

    Typ 2, die unsicher-vermeidende Bindung:

    Das Kind zeigt kaum Regung sowohl

    bei der Trennung als auch bei der Wiederkehr

    der Bezugsperson.

    Typ 3, die unsicher-zwiespältig-ängstliche Bindung:

    Das Kind weint bei einer Trennung und lässt

    sich bei Rückkehr der Bezugsperson kaum beruhigen.

    Es will Trost und tritt gleichzeitig um sich.³

    Monique zeigte ganz klar das Typ-2-Verhalten. Ein kleines Mädchen, das seine wahren Gefühle hinter einer einstudierten Fröhlichkeit verbarg. Der Bindungsforscher Karl Heinz Brisch schreibt über diesen Typ: „In den Augen der Bindungspersonen selbst sind diese Kinder nach außen autonom, zufrieden und können mit Trennungen hervorragend umgehen … Aufgrund der Forschung wissen wir aber, dass diese Kinder … solche Trennungssituationen durchaus nicht stressfrei erleben. Genau das Gegenteil ist der Fall. … Der Puls schlägt schneller und sie schütten deutlich Stresshormone aus. Im Unterschied zu sicher gebundenen Kindern haben bindungsvermeidende Kinder bis zum Ende des ersten Lebensjahres aber bereits gelernt, solche … Bindungssignale nicht nach außen zu zeigen."

    Noch kein Jahr alt und schon ein Pokerface.

    Auch Monique hatte schnell gelernt, sich an die Welt

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1