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MUTIG: Das Enthüllungsbuch der Metoo-Begründerin
MUTIG: Das Enthüllungsbuch der Metoo-Begründerin
MUTIG: Das Enthüllungsbuch der Metoo-Begründerin
Ebook285 pages4 hours

MUTIG: Das Enthüllungsbuch der Metoo-Begründerin

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About this ebook

MUTIG sein heißt, ein Leben ohne Skript zu führen: angstfrei, siegesgewiss, wütend, smart, scharfsinnig, hemmungslos, kontrovers und real as f*ck.

MUTIG ist das unverstellte, ehrliche und schlagfertige Enthüllungsbuch einer Ikone der Millennium-Generation, einer angstfreien Aktivistin, die für den gesellschaftlichen Wandel einsteht und kein Blatt vor den Mund nimmt, um die Missstände der Unterhaltungsindustrie aufzudecken und gängige Klischees von Ruhm und Erfolg bloßzustellen. Rose McGowan bringt Licht in die dunkelsten Ecken der Traumfabrik Hollywood, die systematisch auf Sexismus aufgebaut wurde. Jetzt will sie Menschen auf der ganzen Welt dazu ermutigen, endlich aufzuwachen und MUTIG zu sein.

»Hallo, ihr Mitmenschen, wie schön, dass wir uns treffen. Mein Name ist Rose McGowan, und ich bin MUTIG. Und ihr sollt es auch sein.«
Rose McGowan

»Ihr werdet lesen, wie mein Leben mich von einer Sekte in die nächste, in die größte Sekte von allen getrieben hat: Hollywood. In MUTIG erzähle ich, wie ich mich aus diesen Sekten befreien und mein Leben zurückerobern konnte. Und ihr könnt das auch.«
Rose McGowan

»Näher als in diesem Buch wird man dem heißen Kern von #MeToo kaum kommen. Allein das macht es schon zu einem historischen Dokument der unmittelbaren Gegenwart.«
Vogue

» Der Tonfall von MUTIG (…) ist konfrontativ und unversöhnlich. Man fühlt sich drangsaliert und gleichzeitig beschämt …]. Mit anderen Worten: Dieses Buch war lange überfällig. (…) Es ist gut, dass kein Lektor und keine Lektorin, kein Verleger und keine Verlegerin versucht haben, die rohe Sprache McGowans zu bändigen. Sie gefälliger zu machen oder im Tonfall differenzierter. Die Wut zu kanalisieren oder McGowan in manchen Passagen, in denen das Pathos überhandnimmt (…) zu bremsen. MUTIG will keine schöne Literatur sein (…).«
Der Tagesspiegel

"Ihre Autobiografie heißt, wie sie ist: Mutig!" EMMA

LanguageDeutsch
PublisherHarperCollins
Release dateMar 15, 2018
ISBN9783959678117
MUTIG: Das Enthüllungsbuch der Metoo-Begründerin
Author

Rose McGowan

Rose McGowan ist eine Vordenkerin und Agentin für den gesellschaftlichen Wandel. Als Schriftstellerin, Regisseurin, Musikerin, Ikone und Unternehmerin enthüllt sie die Ungerechtigkeiten in der Unterhaltungsindustrie. Die Aktivistin startete eine Bewegung gegen das Schweigen und wurde so zur zentralen Fürsprecherin des Wandels. Mit der Plattform #ROSEARMY setzte sie ein Zeichen für ein Umdenken. Als Schauspielerin hat sie vor allem durch ihre Hauptrolle in der Erfolgsserie Charmed Berühmtheit erlangt, eine der am längsten laufenden Serien mit weiblichen Hauptrollen in der TV-Geschichte. Schließ dich der Bewegung an unter: ROSEARMY.COM

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    Book preview

    MUTIG - Rose McGowan

    HarperCollins®

    Copyright © 2018 für die deutsche Ausgabe by HarperCollins

    in der HarperCollins Germany GmbH

    Copyright © 2018 by Rose McGowan

    Originaltitel: »Brave«

    erschienen bei: HQ, an imprint of HarperCollins Publishers Ltd.

    Einige Namen wurden in diesem Buch geändert,

    um die Privatsphäre der Beteiligten zu schützen.

    Covergestaltung: HarperCollins Germany/Birgit Tonn

    Coverabbildung: Photos by Josef Jasso

    Redaktion: Anna Hoffmann

    ISBN E-Book 9783959678117

    www.harpercollins.de

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    WIDMUNG

    All den Überlebenden gewidmet.

    VORWORT

    »Hast du dich getrennt?«

    Die Frage machte mich zuerst wütend. Ich fand sie sexistisch, klischeehaft, lähmend. Es gab kein Beziehungsaus, das mich zu einem so gewaltigen Freiheitsdrang und einer so rigorosen Veränderung getrieben hätte. Doch je öfter ich die Frage zu hören bekam, desto mehr dachte ich über meine Motive nach. Ja, doch, ich hatte mich getrennt. Von allen und jedem. Vom kollektiven Ganzen, vom gesellschaftlichen Wir. Vom Hollywood-Ideal, bei dem ich selbst mitgespielt hatte. Vom Idealbild der »Frau«, welches uns durch jede Schauspielerin in jedem Werbeclip für glänzende Haare laut schreiend verkauft wird – »Schaut her, hierin liegt das Geheimnis der Verführung, das Geheimnis, die Männer zu betören, damit sie uns begehren.« Lange, Kardashian-gleiche Haare, die da rufen »Fick mich, Big Boy«. Als wäre das alles, was wir Frauen sind, alles, was wir je sein können. Haare. Ja, davon hatte ich mich getrennt, von meinen Haaren. Es war ein jahrelanger Prozess, und es brauchte einiges, um mich nach dieser Gehirnwäsche aus meinem Dämmerzustand zu holen. Dabei hatte ich mich mit meinen langen Haaren nie wohlgefühlt. Sie lenkten die Blicke der Männer auf mich, während mein wirkliches Ich dahinter verschwand. Ich nutzte meine Haare, um mein Gesicht zu verdecken, mich auszuklinken, zu schlafen. Und ja, geschlafen, das habe ich in der Tat. Die wahre Rose schlief, während die falsche Rose ein zweites skurriles Leben führte, in eine andere Haut schlüpfte und Rollen spielte.

    Die meiste Zeit meines Lebens trug ich kurzes Haar. Ich mochte es lieber so. Die klassischen Filmstars und Punkmusikerinnen, die ich am meisten verehrte, hatten alle kurze Haare. Es gefiel mir ausgesprochen gut, mich abzuheben, individuell zu sein. Ich mochte es, weder weiblich noch männlich auszusehen, sondern mich irgendwo dazwischen zu bewegen. Die zwei Phasen in meinem Leben, in denen ich lange Haare trug, waren die schlimmsten. Es waren die Zeiten, in denen ich mich selbst ziemlich verloren hatte – einmal im Teenageralter, als ich an einer furchtbaren Essstörung litt, und später noch einmal, als mir eine psychische Erkrankung namens Hollywood schwer zusetzte. Die Hollywood-Erkrankung hielt deutlich länger an. Beide Male aber hatten damit zu tun, dass ich mein eigenes Selbst verloren hatte. Und beide Male waren angeschoben von der gesellschaftlichen Propaganda-Maschine Nummer eins – von Hollywood. Ich müsse lange Haare haben, hieß es, andernfalls würden die Männer, die in Hollywood Filmrollen vergeben, nicht mit mir schlafen wollen, und wenn sie nicht mit mir schlafen wollen, würden sie mir auch keine Rollen geben. Dass ich dies ausgerechnet von einer Frau zu hören bekam, von meiner Agentin, ist in doppelter Hinsicht tragisch. So bösartig und traurig zugleich. Bösartig, weil sie als ältere Frau als Sprachrohr fungierte für das, was in Hollywood gewollt ist. Und traurig, weil sie so sehr recht damit hatte. Die Botschaft kommt bei allen Frauen und Mädchen an: Du musst lange Haare haben, damit auch du sexy sein kannst. Ich hatte die Botschaft verstanden, wie von einer Hotline aus dem Call-Center »Was Männer wollen«.

    Fuck Hollywood. Fuck Botschaft. Fuck Propaganda. Fuck Klischees.

    Frauen vom Typ America’s Sweetheart wie Jennifer Lawrence haben weich fallende blonde Haare zu haben. Frauen vom Typ sexy Vamp hingegen lange, dunkle Mähnen. So sind die Regeln, und damit basta. Meine langen Haare waren wunderschön, so wie bei Schönheitsköniginnen. Meine Friseure waren schwule Männer, und ich war ihre lebendig gewordene Barbie – erzählten sie mir zumindest. Ich selbst fand gar nicht, dass ich aussah wie eine Barbie. Eher wie eine aufblasbare Sexpuppe, so eine mit einem Loch als Mund. Die Hollywood-Maschinerie hatte mich in ein perfektes Spielzeug feuchter Männerfantasien verwandelt. All die Männer und Frauen, die beordert waren, mich optisch dahingehend zu verwandeln, erledigten einen guten Job, gar keine Frage. Innerlich aber starb ich, und nach außen hin war mir mein Aussehen nur peinlich. Aber ich wusste nicht, wie ich das, was hier falsch lief, ändern könnte, wo doch so vieles in meinem Leben falsch lief.

    Ich begegne zahlreichen Frauen und Mädchen, die mir erzählen, dass ihre Haare für sie ein Sicherheitsvorhang sind und was sie dahinter verbergen. Ich finde das nicht nur vielsagend, es zerreißt mir auch das Herz. Natürlich darfst du lange Haare haben, wenn es dir so gefällt, aber hinterfrage bitte auch deine Motive. Inwiefern gibt die Gesellschaft vor, wie eine Frau auszusehen hat? Inwiefern diktieren die Medien, was eine Frau verkörpern soll? Warum versteckst du dich hinter deinen Haaren? Warum willst du ein Leben hinter einem Vorhang führen? Und wovor versteckst du dich überhaupt?

    Als ich mir den Kopf kahl rasieren ließ, war dies ein Kampfschrei. Aber mehr als das gab mir dieser Schritt eine Antwort auf die Frage, die ich so sehr hasste:

    Habe ich mich getrennt?

    Ja, das habe ich. Von der Welt des schönen Scheins.

    Und du kannst das auch.

    Mein Name ist Rose McGowan, und ich bin MUTIG.

    EINFÜHRUNG

    Es war einmal eine berühmte Schauspielerin namens Frances Farmer. Ihr künstliches Leben war ihr verhasst. Frances wollte frei sein. Sie versuchte, dem Ruhm und dem Gift der männerdominierten Welt von Hollywood zu entfliehen, doch die Filmstudios hielten sie gefangen. Ließen sie in die Psychiatrie einweisen. Sperrten sie ein. Sie war nicht irre, sie wollte nur einfach nicht berühmt sein. Sie schrie, bettelte um ihr Leben. Doch sie nahmen es ihr. Sie fixierten sie am Bett und verpassten ihrem Gehirn eine Reihe von Elektroschocks. Schock. Schock. Schock. Immer wieder. Die männlichen Kräfte, die da in Hollywood walteten, wollten, dass Frances das fügsame, brave, kleine Mädchen ist und tunlichst auch bleibt. Was sie von ihr übrig ließen, war eine leere Hülle, die bloße Schale einer Frau. Frances war danach nie wieder sie selbst. Und alles nur, weil sie nicht als Unterhaltungsnummer verkauft werden wollte.

    Sehr wenige Sexsymbole entkommen Hollywood mit unversehrtem Verstand, wenn sie es überhaupt schaffen, am Leben zu bleiben. Unter dem Pflaster Hollywoods liegen viele gebrochene Seelen – verwundbare, durchgefickte, belogene, verletzte. Ich muss es wissen, denn fast wäre ich eine von ihnen geworden. Nun werdet ihr vielleicht denken, dass das, was in Hollywood passiert, euch persönlich gar nicht betrifft. Falsch gedacht. Meine Lieben, wer glaubt ihr denn beherrscht eure Realität? Wer führt euch denn vor, wer und was ihr sein wollt?

    Ich will offen sprechen über eine innere Krankheit, die, wenn überhaupt, nur wenige thematisieren: Wie und warum kreiert Hollywood einen so miesen Zerrspiegel der Realität, in den wir alle bereitwillig hineinblicken – mit den eigenen Augen zwar, aber wohl kaum mit dem eigenen Verstand. Hollywood beeinflusst unser Leben auf Arten und Weisen, die uns vielleicht gar nicht mal bewusst sind.

    Als ich mich in meiner Vergangenheit als Produkt vermarkten ließ, habe auch ich bei dieser kranken Hirnmassage mitgemacht. Geschickt schlängelte ich mich in eure Köpfe hinein. Ich war die Zigarette auf Werbeplakaten, die euch zuruft, dass ihr genau die jetzt braucht. Ich stand aber auch auf der anderen Seite des Spiegels. Beobachtete euch. Studierte euch. Gab mich als eine von euch aus. So läuft das bei uns in Hollywood, in der Medienwelt und Werbebranche. Und wisst ihr was? Wir sind wirklich gut darin. Wir sind darauf gedrillt, uns bestmöglich an euch zu vermarkten, bestmöglich an euch zu verkaufen, und in eure Köpfe, eure Gedanken und euren Geldbeutel das einzupflanzen, was »wir« wollen. Und es funktioniert. Ihr bekommt eine falsche Wirklichkeit verkauft, das ganze Paket zum absoluten Tiefstpreis – mit 14 Dollar pro Kinokarte seid ihr dabei.

    Die Männer, die glaubten, mich zu besitzen, glauben auch, euch zu besitzen. Sie sind die letzten in einer langen Reihe von Märchenverkäufern, vom Bibelerzähler anno dazumal bis zum Urheber heute. Es sind zumeist selbstherrliche Egomanen, die ihre Machtpositionen missbrauchen und heute gefährlicher sind denn je. Kaum jemand in Hollywood, auch keine Schauspielerin, von der ich wüsste, hat dagegen rebelliert. Hollywood operiert wie die Mafia, wenn es um den Schutz seiner Selbst geht. Insbesondere, wenn dieses »Selbst« ein reicher, weißer Mann ist. Ja, jetzt ist es raus. Aber es ist die Wahrheit. Das ist nicht meine Schuld. Es ist einfach eine Tatsache, genauso wie der Himmel nun mal blau ist.

    Mit meiner Geschichte will ich Licht ins Dunkel bringen. Und all jenen, die glauben, Hollywood sei eine harmlose Traumfabrik, sage ich … nein, ist es nicht. Es ist ein todernstes Geschäft, eines, das skrupellos in die eigenen Taschen wirtschaftet. Na ja, mögt ihr meinen, wir blättern unser sauer verdientes Geld doch gerne für einen Kinoabend hin oder zahlen unseren Kabelnetzbetreiber, um uns unterhalten zu lassen. Aber so einfach ist das Ganze nicht.

    Ich bin hier, um euch zu sagen, dass der Preis, den ihr bezahlt, weit höher ist, als euch bewusst ist. Ihr bezahlt mit eurem Verstand, euren Verhaltensweisen und – mustern. Mit Dingen, für die es gar kein Preisschild geben dürfte. In unserer fernsehdominierten Gesellschaft ist es eine schlichte Tatsache, dass alle Bilder, die wir von klein auf konsumieren, uns geprägt haben und weiterhin prägen. Selbst wer dieser Welt des schönen Scheins bewusst entsagt, muss wachsam sein, um gegen all die schädlichen Lügen und Märchen gefeit zu bleiben. Denn sie entfalten ihre Wirkung schleichend, und sie sind überall.

    Mein Leben hat mich, wie ihr gleich erfahren werdet, von einer gefährlichen Sekte zur nächsten geführt, zu einer der größten aller Sekten: nach Hollywood. Und »größte« sage ich nicht von ungefähr, denn Hollywood hat eine gigantische Reichweite. MUTIG erzählt, wie ich mich aus den Fängen dieser Sekte befreien und mein Leben zurückgewinnen konnte.

    Und ihr könnt das auch. Ich helfe euch dabei.

    Ihr könnt sagen: »Es reicht!«

    Ihr könnt »Ja« sagen zu einem freieren Selbst.

    Ihr könnt euch frei machen von den Fallen, die da überall auf euch lauern. Und glaubt mir, diese Fallen sind gelegt.

    Ich schreibe dieses Buch, weil ich einen echten Dialog mit der Öffentlichkeit und insbesondere mit euch will. Ich fühle mich geehrt, dass meine Worte Eingang in euer Bewusstsein und Gewissen finden, dass meine Gedanken für immer in euren Herzen bleiben. Ich nehme diese Verantwortung sehr ernst.

    Nennt, was ich tue, Dienst an der Öffentlichkeit. Völlig korrekt, genau das ist es.

    Hollywood ist eine schmutzige Stadt und zu allerlei schmutzigen Tricks bereit.

    Dies ist kein Enthüllungsbuch.

    Dies ist Hollywood-im-Klartext.

    TEIL EINS

    KIND GOTTES

    Die Sache bei Sekten ist die: Ich sehe sie überall.

    Wenn du gierig alles über die Kardashians aufsaugst, bist du Mitglied einer Sekte. Wenn du im Fernsehen deine Lieblingsserie schaust, dich danach in Internet-Chatrooms mit anderen Serienjunkies triffst, um dich Folge für Folge mit ihnen darüber auszutauschen, bist du Mitglied einer Sekte. Wenn du dich exzessiv und einseitig aus nur einer Quelle informierst, statt auch andere Quellen zu nutzen, insbesondere wenn diese ein faires und ausgewogenes Informationsangebot bieten, bist du Mitglied einer Sekte. Du lebst dein Leben durch andere Menschen. Wenn du blind irgendwem hinterherläufst, bist du Mitglied einer Sekte. Wenn du der Propagandamaschine der Mainstream-Medien Beifall trommelst, bist du Mitglied einer Sekte. Schau dich nur mal um, Sekten finden sich überall. Überall gibt es Gruppendenken und Gruppenmentalität: Du bist Mitglied einer Sekte, du bist Mitglied einer Sekte, du bist Mitglied einer Sekte.

    Um sich zu entprogrammieren, sprich, die mentalen Programmierungen durch die Sekte zu löschen, muss man zunächst realisieren, dass man in einer Sekte ist – das ist der erste Schritt. Und ich weiß, wovon ich rede, denn ich bin zwei der einflussreichsten Sekten aller Zeiten entkommen.

    Wer mich als Schauspielerin kennt, muss wissen, dass ich nie die Person war, die ich gerade verkörperte. Ich spielte Rollen von Personen, die ihrerseits Rollen spielten. Ich war gefangen in gesellschaftlichen Idealen und geschlechterspezifischen Rollenerwartungen, in die ich hineingedrängt wurde von Leuten, die niemals in meiner Nähe hätten sein dürfen (und auch nicht in deiner), die mein Gehirn durch den Fleischwolf drehten. Gehirnwäsche total. In jungen Jahren konnte ich sie abschütteln, doch nun, Jahre später, hatte mich die »Kultdoktrin« Hollywoods in ihren Fängen.

    Mein Leben änderte sich endgültig an jenem Tag, an dem ich mich in ein Pixel verwandelte, das man auf einen erdumkreisenden Satelliten hinauf und wieder hinunter beamte, das durch Wohnzimmer, Schlafzimmer und anderer Leute Leben flimmerte. Mein Job war es, dich für eine Weile aus deinem anstrengenden Alltag zu entführen, dich Gefühle erleben zu lassen, dich überhaupt fühlen zu lassen. Ich nahm meinen Job sehr ernst. Doch wie in den meisten Sekten wurde ich, weil ich eine Frau war, zum Objekt degradiert. Ich wurde zum Vergnügen des Publikums verkauft. Profitgeile Männer (und auch Frauen) machten Geld, indem sie meine Brüste, meine Haare, meine Gefühle, meine Gesundheit, mein Leben verkauften. Ich wurde weder ernst genommen noch respektiert. Nicht von der Mehrheit der Gesellschaft und schon gar nicht von der Hollywood-Sekte mit ihrem massiv industrialisierten Madonna-Huren-Komplex (der den inneren Konflikt vieler Männer beschreibt, die gerne eine »Hure« im Bett, aber eine Madonna bzw. eine »Heilige« im richtigen Leben hätten).

    Stell dir einmal vor, die Firma, für die du arbeitest, bemisst deinen Wert danach, wie viel Samen du aus einer anonymen Masse von Männern herausbekommen kannst. Und wenn du es schaffst, dass fremde Männer zu deinen Filmen onanieren, dann muss dein Wert entsprechend hoch sein. Klingt nach einer Sexarbeiterin? Ja, da liegst du gar nicht mal so verkehrt.

    Stell dir vor, jedes Wort, das seit fast siebzehn Jahren aus deinem Mund kommt, Tag für Tag, Monat für Monat, Einstellung für Einstellung, Aufnahme für Aufnahme, hätte dir irgend so ein beschränkter Kleingeist vorgetextet. Das ist krass und extrem abartig.

    Ich habe lange gebraucht, bis mir klar wurde, dass ich in einer weiteren Sekte gelandet war, denn ich war viel zu beschäftigt damit, immer eine andere Person zu sein, nie ich selbst. Indem ich meine Lebensgeschichte erzähle, lasse ich sie noch einmal Revue passieren.

    Aber der Reihe nach.

    In der winzigen Ortschaft Certaldo in Italien, in einem einfachen Schuppen aus Stein, erblickte ich mit Hilfe einer blinden Hebamme das Licht der Welt. So beginnt meine Geschichte. Es gibt diese Redensart: »Habt ihr denn zu Hause Säcke vor den Türen?!« Ja, das habe ich wohl, und daher muss ich keine Tür hinter mir schließen, wenn ich das nicht will. Ich habe dieses Privileg. Ich schätze, manche Menschen zeichnen sich von Geburt an durch Andersartigkeit aus, und so ist es auch bei mir.

    Eigentümer des Schuppens war der Herzog von Zoagli, bekannt als Herzog Emanuele, der mit seinem Beitritt in die Sekte der »Kinder Gottes« (Children of God) sein gesamtes Vermögen und Land der Sekte vermacht hatte. Seine Schwester Rosa Arianna lebte mit auf diesem Land, konnte uns Sektenmitglieder dort aber von Anfang an nicht ausstehen. Meine Eltern haben mich nach ihr benannt, Rosa Marianna – ich denke mal, um sich bei ihr einzuschmeicheln. Hat nicht geklappt.

    Dort, vor den Toren von Florenz, inmitten der sanften Hügel, der dunkelgrünen Zypressen und silbergrünen Olivenbäume, der Weinberge und Obstgärten, der uralten, mit roten Geranien bepflanzten Terracotta-Kübel, war es wunderschön. Ein wirklich hübscher Ort, wie ich finde, aber in Anbetracht der Tatsache, dass man sich in einer Sekte befand, lebte es sich dort wie an jedem anderen Ort auch.

    Nein, was sage ich, der Ort war mehr als hübsch. Bereits in jungen Jahren erkannte ich seine außerordentliche Schönheit. Ich verband mich mit seiner Natur als Flucht vor der Realität, in die ich hineingeboren war. Dadurch wurde mir meine Liebe zu Formen, Farben und Lichtmustern geschenkt. Die ländliche Idylle Italiens hat mich in einer sehr positiven Weise mein Leben lang nie losgelassen.

    Aus meiner frühesten Kindheit erinnere ich mich an viele Geschichten über einen furchterregenden alten Mann namens »Moses« David Berg, den autoritären Sektenführer der Kinder Gottes. Seine direkten Weisungen verbreitete er durch die sogenannten »Mo Letters«, die Mo-Briefe, Broschüren im Comic-Stil. Was immer Moses David schrieb, es wurde befolgt. Jedes Mal, wenn ein neuer »Mo-Brief« kam, war es, als hätte der Herrscher des Universums gesprochen (in etwa so wie später die Studioleiter in Hollywood). Als selbst ernannter Prophet, der er war, entpuppte sich Moses David als der König aller Widerlinge. Doch das war den anderen damals offenbar nicht klar. Manch einem ist es das bis heute nicht.

    Zu meinen Kindheitserinnerungen gehören jede Menge haarige Beine, von Männern ebenso wie von Frauen, so wie in den Comicstrips, in denen oft nur die Beine der Erwachsenen abgebildet sind, da sie aus der Kinderperspektive gezeichnet werden. Ich erinnere mich an viel Gesang, Gebet, Geklatsche und Geschnipse. Jawohl, Geschnipse. Man sagte mir, ich müsse mich auf den Hosenboden setzen und lernen, wie man mit den Fingern schnipst, andernfalls würde mir Gott nicht das Autofahren beibringen, wenn ich sechzehn werde. Ich wusste zwar überhaupt nicht, was das heißen soll, »sechzehn« und »Autofahren«, dass es aber völlig absurd ist, zu glauben, mit Fingerschnipsen irgendetwas bewirken zu können, war mir schon damals klar.

    Eines Abends kam eine Frau in weißer Robe in das Zimmer, in dem ich mich gerade befand – wie ein Gespenst sah sie aus, wie ein geisterhafter Schatten, in der Hand eine brennende Kerze. Strom gab es keinen. Draußen stürmte es, und ich erinnere mich, wie die Holzklappläden gegen die alten Glasfenster schlugen. Ich hatte Angst, dass sie bersten würden, doch ich war abgelenkt von dieser Frau in Weiß, die sich zu meinen Füßen setzte. Der Wind pfiff durch die Mauerritzen, und ich konnte kaum verstehen, was sie sagte.

    Der Wind legte sich, sie schaute mir tief in die Augen und fragte: »Hast du Gott in dein Herz gelassen?«

    Ich straffte die Schultern, sah sie an, überlegte sorgfältig und schüttelte dann den Kopf.

    Die Frau kneift mir in den Fuß, zieht an der Haut und dreht sie, bis sie brennt. Nein, bloß nicht schreien, denn ich weiß, dass sie nur darauf wartet. Auf diesen Ungehorsam folgt Strafe, körperliche Strafe, Ohrfeigen und Prügel, getreu dem Motto »Wer mit der Rute spart, verzieht sein Kind«. Sie dreht fester. Ich beiße mir auf die Lippen, um ja nicht zu schreien vor Schmerz. Ich halte ihrem Blick stand, stumm, trotzig.

    Die Frau wiederholt ihre Frage, diesmal auf Deutsch: »Hast du Gott in dein Herz gelassen?«

    Ich überlege noch einmal. »Nein. Heute nicht. Morgen vielleicht.«

    Sie schlägt mir ins Gesicht. Hart.

    Schon damals sagte mir mein kindliches Gemüt, dass, wenn ich ihn in mein Herz lassen würde, es allein deren Gott wäre, dem ich Zugang gewährte. Es wäre nicht mehr meiner, den ich so sehr hütete. Deren Gott war grausam. Was sie predigten, ergab für mich keinerlei Sinn, und ihre Taten stimmten nicht überein mit ihren Worten. Nein, in dieser Realität wollte ich nicht leben.

    Später drängte mich meine jüngere Schwester Daisy, doch einfach klein beizugeben, um mir das Leben leichter zu machen, doch ich nahm die züchtigenden Strafen weiterhin in Kauf. Wie mein Name Rose es schon sagt, war ich sehr dornig, während meine Schwester ein kleiner goldblonder Engel war. Ich starrte sie an, fragte mich, wie sie so werden konnte und überhaupt nicht sah, was vor sich ging. Es war ein merkwürdiges Gefühl, hinter diesen Mauern groß zu werden, eingebläut zu bekommen, dass man nicht zur Welt dort draußen gehörte, doch gleichzeitig auch zu wissen, dass ich auch zu der Welt hier drinnen nicht gehörte.

    Als diese Frau – oder eine andere Person, es waren allesamt Fremde – am folgenden Abend und auch am Abend danach wiederkam, gab ich immer die gleiche Antwort auf ihre immer gleiche Frage: »Nein. Nein, ich habe Gott nicht in mein Herz gelassen.«

    Klatsch. Ein Schlag ins Gesicht.

    Eines Abends konnte ich hören, wie die Frau auf Deutsch vor sich hin raunte und leise stampfend mit den Füßen scharrte. Ich wusste, das bedeutete, sie würde mir wieder wehtun.

    »Nein.«

    Klatsch.

    Als sie gegangen war, sah ich, dass sie ihre Bibel auf meiner Schlafmatte hatte liegen lassen – alle Kinder schliefen auf dünnen orangenen oder blauen Plastikmatten. Ich versteckte die Bibel hinter einem Schrank. Jeden Tag riss ich eine neue Seite heraus, zupfte ein kleines Eckchen ab, steckte es mir in den Mund, kaute darauf herum, schob einen weiteren Schnipsel hinterher, spuckte die matschige Pampe aus und drehte kleine Kügelchen daraus. Aus den »Bibel-Kügelchen« bastelte ich mir kleine Tierchen, die ich ebenfalls hinter dem Schrank versteckte und in unbemerkten Minuten heimlich besuchte. Sie waren meine Spielzeuge, ein Teil Spucke, ein Teil Jesus.

    Nun, da ich mir ihren Gott buchstäblich einverleibt hatte, so stellte ich mir vor, könnte ich vielleicht doch irgendwann mit »Ja, ich habe ihn hereingelassen« antworten. Und vielleicht würden sie dann aufhören, mich zu bestrafen.

    Unvollkommen und fehlerhaft zu sein, war nicht erlaubt, und die Schläge verliehen dieser Botschaft Nachdruck. Als ich etwa vier Jahre alt war, hatte ich am Daumen eine Warze. Ich tapste den langen Korridor hinunter, als plötzlich eine Tür aufging. Ich erinnere mich noch an den Lichtstrahl und die Staubkörnchen, die darin tanzten. Ein Mann mit zotteligem blondem Schopf hob mich hoch, setzte mich auf seinen Schoß, inspizierte meine Hand und sagte: »Perfektion in allen Dingen.« Er nahm ein Rasiermesser, zog es in einem Ratsch über meine Hand und blinzelte mir verschwörerisch zu, während er mich wieder von seinem Schoß hinunter auf die Beine stellte.

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