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Lady Gwendolen - der Liebe auf der Spur?
Lady Gwendolen - der Liebe auf der Spur?
Lady Gwendolen - der Liebe auf der Spur?
Ebook279 pages3 hours

Lady Gwendolen - der Liebe auf der Spur?

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About this ebook

Von wegen Gentleman! denkt Lady Gwendolen, als der hoch gewachsene Gutsbesitzer Joss Northbridge ihr schockierend unverblümt über das tragische Ende ihrer Freundin Jane berichtet. Doch kaum hat sie ihn besser kennengelernt, beschleicht sie ein Verdacht: Verbirgt Joss nur ein empfindsames Herz hinter seiner Raubeinigkeit? Warum unterstützt er sie fortan aufmerksam bei ihren detektivischen Bemühungen, denjenigen zu entlarven, der Jane auf dem Gewissen hat? Oder hegt Joss gar romantische Hoffnungen? Denn überraschend macht er ihr einen Heiratantrag …

LanguageDeutsch
PublisherCORA Verlag
Release dateApr 1, 2015
ISBN9783733764784
Author

Anne Ashley

Die Engländerin schreibt historical romances und entspannt sich gerne in ihrem Garten. Diesen hat sie bereits öfter zugunsten des Fondes der Kirche in ihrem Dorf der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

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    Book preview

    Lady Gwendolen - der Liebe auf der Spur? - Anne Ashley

    IMPRESSUM

    Lady Gwendolen – der Liebe auf der Spur? erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

    © 2008 by Anne Ashley

    Originaltitel: „Lady Gwendolen Investigates"

    erschienen bei: Mills & Boon Ltd. London

    Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

    © Deutsche Erstausgabe in der Reihe MYLADY ROYAL

    Band 46 - 2009 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg

    Übersetzung: Dr. Hannelore Wiertz-Louven

    Abbildungen: Harlequin Books S.A.

    Veröffentlicht im ePub Format in 04/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    ISBN 9780263201895

    Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

    BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

    Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

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    1. KAPITEL

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    Herrscht mittlerweile in allen englischen Poststationen so viel Betrieb? fragte sich Gwendolen verwundert, während sie leichtfüßig einem abgehetzt wirkenden Stallburschen auswich, der zwei schweißnasse Pferde über den geschäftigen Vorplatz führte.

    Sie hatte fünf Jahre im Ausland gelebt. Also ist es vermutlich normal, dass ich mit bestimmten Lebensgewohnheiten in meinem Geburtsland nicht mehr vertraut bin, beschied sie im Stillen. Nicht, dass sie in der Zeit vor ihrer Heirat viel gereist war. Aber bis zu ihrer Eheschließung mit Percival Warrender hatte es ihr ohnehin in so gut wie jeder Hinsicht an Lebenserfahrung gemangelt.

    Sie trat einen Schritt zur Seite, um die Passagiere vorbeizulassen, die aus dem Gasthaus kamen und zurück zu ihren Kutschen wollten. Die bitterkalten Windböen, die über den Hof fegten, schienen niemand zu stören. Gwen hatte jedoch schon beim Aussteigen aus ihrer Mietchaise gefroren und ihren pelzgefütterten Umhang fester um sich geschlungen. Nach dem langen Aufenthalt in Ländern mit viel wärmerem Klima war es ihr gänzlich entfallen, wie kalt es in England selbst im März, wenn die Reisesaison wieder begann, noch sein konnte.

    An das raue Wetter muss ich mich erst wieder gewöhnen, überlegte sie fröstelnd und zog sich, um den kalten Wind abzuhalten, vorsichtshalber ihre Kapuze über den Kopf. Dass ihr Blickfeld dadurch erheblich eingeschränkt war, störte sie nicht weiter, als sie kurz darauf zielstrebig zum Eingang des Gasthofs eilte.

    Sie trat durch die Tür und bemerkte noch eben flüchtig die wohlige Wärme, die ihr entgegenschlug, dann prallte sie unsanft mit etwas zusammen, das sich wie eine hohe Steinmauer anfühlte. Sie geriet ins Straucheln, doch im nächsten Moment schlossen sich starke Finger um ihren linken Ellenbogen und hielten sie fest. Ein unterdrückter, gleichwohl vernehmlicher Fluch erklang, und schließlich erkundigte sich eine tiefe, volltönende Stimme nach ihrem Befinden. Daher war sie, als sie den Kopf hob, auch nicht sonderlich erstaunt, in dem auf eine raue Art attraktiven Männergesicht, das auf sie herabblickte, mehr Ungeduld als Mitgefühl zu erkennen.

    Sie trat einen Schritt zurück, um dem Gentleman besser in die Augen sehen zu können. „Verzeihen Sie, Sir! Dieser Zusammenstoß war ganz und gar mein Fehler", nahm sie großzügig die Schuld auf sich.

    Mit einer raschen, beiläufigen Handbewegung zog sie die Kapuze vom Kopf und bemerkte, wie ihr Gegenüber die Lippen zu einem kaum wahrnehmbaren Lächeln verzog, als sein Blick auf ihre rötlich schimmernden kastanienbraunen Locken fiel und einen Moment lang dort haften blieb.

    „Ganz recht, Madam, erwiderte er schroff. Der freundliche Gesichtsausdruck war so plötzlich wieder verschwunden, dass Gwen schon glaubte, ihn sich ein gebildet zu haben. „Ich würde Ihnen raten, in Zukunft etwas besser achtzugeben. Auch um diese Jahreszeit kann sich das Reisen als ein riskantes Unternehmen herausstellen, wenn man nicht stets mit der Dummheit seiner Mitmenschen rechnet.

    „Wie wahr!", murmelte Gwen, nachdem er seinen Hut – in einer, wie sie fand, höchst herablassenden Art – gezogen hatte und in Richtung Schankraum davonschritt.

    An den Umgang mit ungehobelten Menschen wie ihm werde ich mich wohl ebenfalls gewöhnen müssen, überlegte sie, während sie dem Mann hinterhersah, bis er ihren Blicken entschwand.

    Bislang waren ihr Erfahrungen mit solch unangenehmen Zeitgenossen erspart geblieben. Kindheit und Jugend hatte sie in einer beschaulichen Landpfarrei verbracht, und in ihrer Ehe hatte sich der rücksichtsvolle und fürsorgliche Gatte stets als ein Schild gegen alle unangenehmen Seiten des Lebens erwiesen. Gleichwohl betrachtete Gwen sich weder als weltfremd noch als wirklichkeitsfern, und sie war alles andere als eine empfindliche Pflanze, die beim ersten Windstoß umknickte. Es bedurfte mehr als der Unfreundlichkeit eines Fremden, um sie einzuschüchtern.

    Abgesehen davon bin ich keineswegs völlig allein und schutzlos, fiel ihr ein, während sie langsam weiterging. Ihre engsten Angehörigen lebten zwar nicht mehr, und zudem war sie seit einigen Monaten verwitwet, aber auf die zuneigungsvolle und unerschütterliche Unterstützung ihrer geliebten Gillie konnte sie sich jederzeit verlassen.

    Als sie den Schankraum betrat, sah Gwen sich suchend um und hatte die füllige Gestalt ihrer langjährigen Zofe und Gesellschafterin rasch entdeckt. Der missmutig dreinschauende Mann, mit dem Gillie sprach, musste wohl der Wirt sein, und wenn sie die enttäuschte Miene ihrer Zofe richtig deutete, hatte Gillie gerade erfahren, dass im Augenblick kein Privatsalon mehr frei war. Gemessen an der Anzahl der Gäste, die in der Poststation ein und aus gingen, fand Gwen das nicht verwunderlich. Sie machte Gillie ein Zeichen und strebte auf eine Reihe Sitzgelegenheiten in der Nähe der riesigen Feuerstelle zu.

    Der Sessel, der dem Kaminfeuer am nächsten stand, war von einem modisch gekleideten Herrn besetzt, und so nahm Gwen notgedrungen mit einem Platz in einiger Entfernung von der Wärmequelle vorlieb. Da die Sessel Rücken an Rücken standen, konnte sie hören, wie der Gentleman leise mit einer der Hauskatzen sprach, die sich – typisch Katze – so nah wie möglich am Feuer zusammengerollt hatte.

    „In fünf Minuten kommt mein Kutscher mit dem Landauer vorgefahren!" Gwen zuckte zusammen. Sie wusste augenblicklich, woher sie die wohlklingende Männerstimme kannte.

    „Wirklich nett von dir, Pont, dass du mich mitnimmst, hörte sie den gut gekleideten Gentleman antworten und rutschte ein wenig tiefer in ihren Sessel, um sich so unsichtbar wie möglich zu machen. „Das Reisen in einer privaten Chaise ist einfach wesentlich komfortabler als mit der Postkutsche.

    „Ach, Merry, nun hör schon auf! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass es mir keine Umstände macht", erwiderte der andere. Aha, dachte Gwen. Er scheint also nicht immer so rüde zu sein. Wenn er will, kann er anscheinend auch große Zuvorkommenheit an den Tag legen.

    „Wie du weißt, habe ich meine Geschäfte in Bristol sehr schnell erledigen können, fuhr der Gentleman, mit dem sie zusammengestoßen war, unterdessen fort. „In den nächsten zwei Wochen muss ich zwar noch einmal für ein paar Tage nach London. Es ist aber egal, ob ich sofort oder später reise. Hauptsache, du hast nichts dagegen, wenn ich einen kurzen Abstecher nach Bath mache.

    „Ach, ganz und gar nicht, mein Lieber, erwiderte sein Freund. „Kannst du es dir vorstellen – seit dem Tod von Großtante Beatrice habe ich keinen Fuß mehr in diese Stadt gesetzt. Meine Güte, wie lange ist das nun her … zehn Jahre … oder schon elf …? Es folgte eine bedeutungsvolle Pause. „Wie geht es den Mädchen im Internat?", erkundigte er sich dann.

    „Lange sind sie ja noch nicht dort, antwortete sein Gesprächspartner. „Dennoch, nach dem Brief der Schulleiterin zu urteilen, wohl recht gut, wenn man bedenkt …

    Gwen vernahm einen langen, tiefen Seufzer. „Wie auch immer, hörte sie den schroffen Fremden dann fortfahren, „ich habe keine Ruhe, bis ich meine Mündel gesehen und mit ihnen gesprochen habe.

    „Schrecklich, … wirklich schrecklich, Pont. Der gut gekleidete Gentleman schnalzte bedauernd mit der Zunge. „Die beiden Mädchen haben so sehr an dieser armen Gouvernante gehangen. Und sie hatte wirklich niemanden? Keine Verwandten, sagst du?

    „Nein, soweit ich weiß, nicht, erwiderte der schroffe Fremde. „Irgendwann erwähnte sie einmal, dass ihre Eltern gestorben seien, als sie noch sehr jung war. Allerdings bin ich ganz sicher, dass sie mit jemandem in London korrespondiert hat – vermutlich mit einer Freundin. Selbstverständlich hätte ich diese Person von dem, was geschehen ist, gerne in Kenntnis gesetzt. Aber unter den persönlichen Unterlagen befanden sich keine Briefe oder Hinweise, die einen Rückschluss auf die Identität jener Bekannten zuließen. Eigentlich sehr seltsam. Ich weiß nämlich genau, dass die junge Frau während der Monate, die sie bei mir angestellt war, eine große Anzahl Briefe sowohl geschrieben als auch erhalten hat.

    In seiner Stimme war deutlich Anteilnahme zu hören. Ganz ohne Mitgefühl kann er also nicht sein, dachte Gwen. Doch im nächsten Augenblick, als er weitersprach, schwand dieser Eindruck wieder. „Seltsamerweise hatte ich gerade begonnen, sie als eines jener eher seltenen Exemplare des weiblichen Geschlechts wahrzunehmen – als eine erfrischend kluge junge Frau. Und plötzlich tut sie etwas so völlig Idiotisches. Unternimmt einen Spaziergang im Marsden Wood – ohne Begleitung! Dabei war ihr bekannt, was sich dort zugetragen hatte. Und dann geht sie auch noch im Januar dorthin! Merry, ich frage dich, was um Himmels willen sucht ein einigermaßen gescheites menschliches Wesen an einem trostlosen, feuchten Winternachmittag im Wald? Und dazu noch mutterseelenallein?"

    Während Gwen auf ihre Zofe wartete, verfolgte sie das Gespräch, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Ganz klar war ihr nicht, worum es eigentlich ging, aber offensichtlich war der Frau in jenem Wald ein Unglück geschehen. Offensichtlich war auch, dass der Gentleman namens Merry das Verhalten der unglücklichen Frau genauso wenig nachvollziehen konnte wie sein ruppiger Freund.

    „Es braucht wohl etwas mehr Verstand, als ich besitze, um zu begreifen, was manche weiblichen Geschöpfe zu ihrem Handeln treibt. Ich kann nur sagen, diese Frau hat sich absolut töricht verhalten, insbesondere da du sie gewarnt hattest, dass es nicht ratsam ist, sich auch nur in der Nähe dieses Waldes aufzuhalten. Das unangemessene und unerwartet laute, fröhliche Gelächter, das dieser Erklärung folgte, deutete darauf hin, dass Merry seinen Spitznamen durchaus zu Recht besaß. „Und ein hartgesottener Frauenfeind wie du, Pont, wird die Rätsel eines weiblichen Hirns schon gar nicht lösen.

    Einen Moment herrschte Schweigen, dann erwiderte der schroffe Fremde: „Mein lieber Freund, wieso ausgerechnet du darauf kommst, dass ich Frauen im Allgemeinen verabscheue, kann ich mir wirklich nicht erklären. Im Gegenteil, im Laufe der Zeit fand die eine oder andere durchaus meine Wertschätzung. Aber genau wie du hatte ich nie den Wunsch zu heiraten. Unter den Frauen, die ich bislang kennengelernt habe, gibt es keine, an deren Seite ich ein Leben lang glücklich sein könnte."

    „Das wirst du auch nicht, wenn du weiter so pedantisch nach dem kleinsten Fehler in Aussehen oder Charakter einer Frau suchst", gab sein Freund zurück.

    „Ach, mein lieber Merry, du täuschst dich, kam umgehend die Antwort. „Ich bin nicht gewillt, Kraft oder Zeit darauf zu vergeuden, nach der perfekten Frau Ausschau zu halten. Ein solches Geschöpf existiert ohnehin nicht. Auch suche ich wahrhaftig nicht nach Fehlern beim anderen Geschlecht. Das ist gar nicht nötig. Bei einer Frau treten die Mängel sowieso innerhalb von Minuten nach dem ersten Kennenlernen zutage. Der schroffe Fremde stieß ein spöttisches Lachen aus. „Nehmen wir nur das törichte Geschöpf, mit dem ich vorhin zusammengestoßen bin. Er lachte wieder. Offenkundig schien ihm das Thema Spaß zu machen. „Mit diesem Spatzenhirn musste ich nicht erst ein Gespräch anfangen, um zu wissen, wen ich vor mir habe. Läuft mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze in diesem Gedränge herum! Rennt mich über den Haufen und tut dann überheblich! Ja, was soll man denn dazu noch sagen?

    „War sie wenigstens hübsch?, fragte der fröhliche Merry lachend. „Ach, Pont, ich wette, du hast es nicht einmal gemerkt.

    „Richtig!, gab sein Freund zu. „Nur das Haar ist mir aufgefallen. Verdammt schöne Farbe! Üppige braune Locken mit kupfernen Reflexen! So etwas habe ich ehrlich gesagt noch nie gesehen. Aber ob der Rotton wirklich ein Geschenk der Natur ist, wage ich zu bezweifeln. Man weiß ja – viele Frauen helfen künstlich nach, nur um aufzufallen.

    „Das ist eine Frechheit!", rief Gwen unbedacht. Zum Glück schien sie aber keiner der beiden Männer gehört zu haben, denn derjenige, der sich so abfällig geäußert hatte, erklärte im gleichen Augenblick, dass er seine Pferde nicht länger im kalten Wind stehen lassen wolle.

    Gwen wartete noch einen Moment, dann erst spähte sie vorsichtig über den Rand der Sessellehne und erhaschte einen kurzen Blick auf die beiden unverschämten Gentlemen, die Seite an Seite den Schankraum durchquerten. Sie war zu aufgebracht und folglich viel zu voreingenommen gegen den größeren, mit dem Namen Pont angeredeten, um seinem geschmeidigen, kraftvoll elegant wirkenden Gang Beachtung zu schenken. Stattdessen schickte sie ihm einen wütenden Blick hinterher und murmelte grimmig: „Widerlicher Flegel!"

    Es war nicht die schlechte Meinung, die er vom anderen Geschlecht hatte, die sie ärgerte. Wenn sie wie stets ganz ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie in dem Vierteljahrhundert, das sie inzwischen auf Gottes schöner Erde lebte, selbst schon vielen hirnlosen Frauenzimmern begegnet war. Auch dass er ihr den Zusammenstoß zum Vorwurf machte, wurmte sie nicht sonderlich. Schließlich war es wirklich keine kluge Idee gewesen, den vollen Gasthof mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze zu betreten. Nein, was sie so aufbrachte, war die Unterstellung, dass ihr Haar gefärbt sein müsse. Offensichtlich kannte er nur weibliche Wesen, die sich solch billiger Mittel bedienten, um ihre Ziele zu erreichen, und natürlich gab es diese Sorte Frauen in England wie überall auf der Welt. Aber zumindest – an diesem Punkt ihrer Überlegungen trat ein aufrührerisches Funkeln in Gwens Augen – war bislang keine ihrer Geschlechtsgenossinnen, ob berechnend oder nicht, so dumm gewesen, sich an diesen starrköpfigen Langweiler zu binden!

    „Na, Miss Gwennie! Gillie konnte es nicht lassen, Gwen so anzureden, wie sie es bereits als ihr Kindermädchen getan hatte. „Einen solch kämpferischen Blick habe ich bei Ihnen ja lange nicht mehr gesehen. So haben Sie immer dreingeschaut, wenn Ihre geliebte Mama – Gott hab sie selig – Ihnen nicht erlaubte, vor dem Ende der Schulstunde mit Miss Jane im Garten zu spielen.

    Bei der Erinnerung an die Mutter, die trotz ihres langen Siechtums stets versucht hatte, ihrem einzigen Kind eine gute Erziehung angedeihen zu lassen, verflüchtigte sich Gwens Unmut. „Nun, Jane war eben viel gescheiter als ich. Deshalb ist aus mir wohl auch keine Gouvernante geworden, die selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen kann."

    „Sie wollten sich nur nicht anstrengen – das hat zumindest Ihre Mama immer gesagt. Wenn etwas Sie interessierte, waren Sie stets die Bessere."

    Mit einer Entschuldigung für ihr langes Ausbleiben setzte sich die Zofe. „Sie sollten wirklich nicht allein ein Gasthaus betreten, schalt sie in einem Ton, den Gwen schon seit ihrer Kindheit kannte. „Sie hätten in der Kutsche sitzen bleiben sollen. Man weiß nie, was für schreckliche Leute sich an einem Ort wie diesem herumtreiben.

    „Wie wahr! Wie wahr!, witzelte Gwen und beschloss zugleich, die unglückliche Begegnung mit dem unfreundlichen Gentleman aus ihrem Gedächtnis zu streichen. „Ich nehme an, du hattest keinen Erfolg, einen Privatsalon zu bekommen, oder?

    „Nein, Miss Gwen. Es gibt nur zwei, und die sind beide vermietet. Als Ersatz hat der Wirt angeboten, uns den Lunch in einem der unbenutzten Gästezimmer zu servieren, wenn wir bereit wären, entsprechend dafür zu zahlen."

    „Und das hast du selbstverständlich abgelehnt." Gwen musste schmunzeln. Auf ihre liebe alte Martha Gillingham war immer Verlass. Sie verstand es, mit derartig dreisten Kerlen umzugehen. Sie stand fast ein Leben lang in anderer Leute Diensten und hatte nicht viel Bildung genossen, doch sie besaß eine bemerkenswerte Menschenkenntnis und konnte auf den ersten Blick beurteilen, ob jemand versuchte, sie übers Ohr zu hauen.

    „Ich habe ihm gesagt, dass meine Herrin ihre Reise nicht allzu lange unterbrechen will und dass es uns genügt, unsere Suppe im Schankraum zu essen."

    „Völlig richtig. Nach Auskunft der Postjungen sollten wir, wenn nichts dazwischenkommt, unser Ziel vor dem Abend erreichen."

    „Und falls die Haushälterin des verstorbenen Herrn Ihren Brief rechtzeitig erhalten hat, sollte auch alles für Ihre Ankunft hergerichtet sein. Die Zofe strahlte, ihre drallen Wangen glühten vor Aufregung. „Sie freuen sich doch auf Ihr neues Heim, Miss Gwennie?

    „Noch mehr freue ich mich darauf, Jane endlich wiederzusehen. Gwen seufzte tief. „Sicherlich hat sie sich in all den Jahren, in denen wir getrennt waren, sehr verändert … Genau wie ich.

    Marthas Strahlen verschwand. Für einen kurzen Moment verrieten ihre rundlichen Gesichtszüge Besorgnis, dann wandelte sich der Ausdruck in liebevolle Zuneigung. „So sehr nicht, Miss, erwiderte sie schließlich. „Wie schon als Kind haben Sie immer noch dieses durchtriebene Glitzern in den Augen, wenn Sie sich über irgendetwas amüsieren oder ärgern. Und nach wie vor fürchten Sie sich auch nicht, bei jeder Gelegenheit offen und ehrlich Ihre Meinung zu äußern. Zum Glück sind Sie nicht mehr ganz so starrköpfig wie einst.

    Gwen schwieg. Zum einen war es nutzlos, mit der treuen Zofe zu streiten, und zum anderen hatte Martha durchaus recht. „Dann lass uns hoffen, dass Jane sich nicht ihr eigensinniges Streben nach Unabhängigkeit bewahrt hat. Die Möglichkeit, zurück in den Westen Englands zu ziehen, muss sie als ein Geschenk des Himmels betrachtet haben. Und obendrein ganz in die Nähe von Percivals Anwesen! Das bedeutet allerdings noch lange nicht, dass sie jetzt, da ich meinen ständigen Wohnsitz dort nehme, auch willens ist, bei mir zu wohnen. Eine Spur Missmut lag einen Moment lang in Gwens Miene. „Ich habe nicht vergessen, dass sie sich vor sechs Jahren weigerte, mir den Gefallen zu tun.

    Das letzte Stück ihrer langen Reise verlief ohne Zwischenfälle, und so erreichten die beiden Frauen ihr Ziel am späten Nachmittag. Gwen erblickte ihr neues Domizil als Erste.

    In den Scheiben der hohen Sprossenfenster spiegelte sich das Licht der fahlgoldenen Wintersonne wie ein freundlicher Willkommensgruß. Nur der verwilderte Garten und die mit Efeu überwucherte Vorderfront des Gebäudes, das in der Mitte des vorvergangenen Jahrhunderts erbaut worden war, beeinträchtigten den ansonsten so anheimelnden Eindruck ein wenig.

    Doch das Äußere des Hauses, in dem sie in Zukunft leben würde, war für Gwen im Augenblick nicht von Belang. Sie war viel mehr auf die Atmosphäre gespannt, die im Innern herrschte. Und die würde, so vermutete sie, von der Wirtschafterin abhängen, die ihr verstorbener Ehemann vor fast zwanzig Jahren eingestellt hatte und die seitdem für den reibungslosen Ablauf des Haushalts sorgte.

    Viel wusste Gwen freilich nicht über diese Mrs. Travis – außer dass sie eine Frau mittleren Alters war, dass Sir Percival sie für eine ausgezeichnete Köchin gehalten hatte und dass sie absolut vertrauenswürdig und gewissenhaft sein sollte. Deshalb hatte Gwen auch nicht vor – außer es stellte sich das Gegenteil heraus –, etwas an den gegebenen Zuständen zu ändern. Wichtig war vor allem, dass Gillie versprochen hatte, sich nicht in den Aufgabenbereich der Wirtschafterin einzumischen und sich nur auf ihre Pflichten als Gesellschafterin und Zofe zu beschränken. So hoffte Gwen, dass die Übernahme des Hauses glatt vonstatten gehen würde. Freilich war sie realistisch genug, um zu wissen, dass sich die Dinge oftmals nicht ganz wunschgemäß entwickelten. Zumal sie die Eigenarten ihrer geliebten Gillie nur allzu gut kannte.

    Martha Gillingham hatte geholfen, Gwen auf die Welt zu bringen. Sie war nie wie eine Dienstbotin, sondern stets als Mitglied der Familie behandelt worden und folglich auch nicht an allzu viele Einschränkungen gewöhnt. Sie hatte sich nie gefürchtet – ob gefragt oder nicht –, stets zu allem offen ihre Meinung zu äußern. Falls sie also entdecken sollte, dass die Haushaltsführung den hohen Ansprüchen, denen sie selbst als Köchin und Wirtschafterin im Hause des verstorbenen Reverend Playfair und seiner Frau nachgekommen war, nicht entsprach, so würde sie bestimmt keinen Moment zögern, Mrs. Travis davon Mitteilung zu machen.

    Zu ihrer Erleichterung stellte Gwen jedoch fest, dass es vorerst zu keiner Konfrontation zwischen den beiden Frauen kommen würde.

    „Der armen Mrs. Travis geht’s gar nicht gut", teilte das Hausmädchen ihnen mit, als es sie einließ. „Schon seit ein paar Tagen fühlt sie sich schlecht. Hat sich nicht geschont, weil sie doch wusste, dass Madam diese Woche kommen.

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