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Liebeslauf
Liebeslauf
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Ebook182 pages

Liebeslauf

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Eine Frau, die plötzlich verschwindet. Eine Frau, die an einer namenlosen Krankheit leidet. Eine Frau, die sich in sich selbst verirrt hat: In 'Liebeslauf', dem neuen Roman von Andreas Dalberg, führen die Begegnungen mit der Liebe den Protagonisten auf verschlungene, nicht-kartographierte Lebenswege. Erzählt wird eine außergewöhnliche Liebesbiographie, auf ebenso außergewöhnliche Weise. Denn Andreas Dalberg mischt in seinem Roman, in romantischer Tradition, die Gattungen und verwebt Prosa und Poesie zu einem vielschichtigen Textganzen, um die Verwicklungen, Sackgassen und Fluchtwege des Liebeslaufs zu verdeutlichen. Ein unkonventioneller und fesselnder Roman, bisweilen rätselhaft, wie die Liebe selbst.
LanguageDeutsch
Release dateJan 1, 2013
ISBN9783944283036
Liebeslauf

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    Book preview

    Liebeslauf - Andreas Dalberg

    Inhaltsverzeichnis

    Start

    pro(mono)log

    taubenschlag

    luftsprung

    flamingo

    liebesläufe

    sommertag

    silvester

    muckefuck

    asphalt

    gärtnerhilfskraft

    epi(dia)log

    Impressum

    Andreas Dalberg

    L I E B E S L A U F

    Roman

    discothekenlärm im hades ge

    lächter auf dem styx komm jetzt

    pro(mono)log

    Du schließt die Augen – und siehst.

    Menschen, unfassbar.

    Wie Schnee lösen sie sich auf, wenn du die Hände ausstreckst und nach ihnen greifst.

    Nichts bleibt.

    Nur das Bild, das du dir von ihnen machst.

    Nichts bleibt.

    Außer das, was du siehst, in ihnen. Schemen,

    die dich umgeben, die du wahrzunehmen suchst.

    Musst dulden, dass sie undeutlich bleiben, musst

    ihre Kälte ertragen, und sie deine.

    Berühren kannst du nicht, geschweige denn festhalten.

    Begegnungen verflüchtigen sich, bevor sie Beziehung werden,

    Gestalt erhalten. Du

    denkst an Schneeflocken auf der Hand.

    Vielleicht liegt es ja an dir, dass nichts bleibt?

    Vielleicht fehlt dir die passende Temperatur?

    Indes, all deine Versuche,

    dich neu zu temperieren −

    vergeblich.

    Diesen einen Körper berühren.

    Lässt die Ahnung eigener Existenz Gewissheit werden.

    Lässt den andern gewiss werden: ein Mensch. Ein

    Atmen, Fühlen, Sprechen. Gewiss,

    erst Berührung lässt aus Wahrnehmung Empfindung werden, Erlebnis, vielleicht sogar Erfahrung, Sicherheit: Du. Bist nicht allein.

    Genau das vergisst du immer wieder. Nach jeder Zweisamkeit ist es, als hätte es sie nie gegeben. Und alles in dir

    verlangt wieder danach, Substanz zu spüren,

    das Feste im Weichen, das Weiche im Festen.

    Ein Körper, eine Seele.

    So selten.

    Ein Sehnen, ein Suchen. So

    lebendig, wer zulässt. So nichtend, wer verneint.

    Wähnst dich zwischendrin.

    Willst ins Offene, nicht mehr wegwärts. Ins Wagnis:

    Berührt werden, verletzt werden. Du

    erinnerst dich. Ziehst es vor, zu beobachten. Siehst an, was ist.

    Manchmal, es geschieht von selbst, wandelt sich dein Schauen: Unbekanntes taucht auf, Hintergründiges drängt heran, womöglich, weil du loslässt, was nicht zeitgleich ist, so dass sich neue Gedanken konturieren, Sinne wandeln und nichts anderes mehr ist, in dir, als der Wunsch zu betrachten −

    ein jeder Mensch wie geträumt.

    Du schließt die Augen − und siehst.

    Sie.

    Betrachtest sie, achtest sie. Und selbst

    in unverfänglichen Momenten wahrst du Distanz.

    Daher weißt du nicht, wie lebendig ihre Haut sich anfühlt.

    Weißt nicht, wie weich ihre Ohrläppchen sind.

    Wie aufgeregt ihr Puls spränge, berührtest du sie am Hals,

    an jener Stelle, an der es pocht.

    All dies

    weißt du nicht. Kannst es dir nur vorstellen. Weil

    du es nicht riskierst, sie zu berühren, sie endlich zu berühren.

    Aus Furcht, sie könnte sich auflösen.

    Woher auch

    solltest du wissen, ob ihr die gleiche Temperatur habt?

    Betrachtest sie, achtest sie.

    Indes,

    wer sich nicht berührt, weiß nichts von der Seele des anderen.

    Betrachtest sie, achtest sie.

    Wer sich nicht berührt, existiert nicht einmal füreinander.

    Und du,

    du würdest ihr nur allzu gern klar machen, dass es dich gibt.

    Wie es dich gibt.

    Schon eine leichte Berührung, eine kurze, reichte aus.

    Die Gefahr, danach füreinander unmöglich zu sein, müsstest du hinnehmen. Denn

    auch wenn der Nebel um dich herum viel zu selten einen Menschen entbirgt, so gibt es doch etwas, das Glück, Schicksal oder Zufall heißt, also Gnade,

    aus der heraus ein Freund erwachsen kann,

    ein Vertrauter, Größeres vielleicht.

    Sie vielleicht.

    Hättest du überhaupt die Kraft, das zu ertragen?

    Die Zeit, das zu erleben?

    Zeit, erinnere dich, dass es sie gibt: Zeit,

    in der du für niemanden existierst.

    In der nichts wächst. Auch nicht

    jene Gemeinsamkeit, in der man einander erst belebt, um dann unvermittelt fortzufallen, zeitflüchtig, raumbrüchig −

    ein erneutes Schemenwerden, eine Nebelverlorenheit,

    wie vertraut. Wie unerträglich

    ist jene Zeit, bis ein Mensch endgültig ins eigene Leben

    getreten ist, darin einen Platz gefunden hat, an dem er

    bleiben mag,

    bleiben darf,

    bleiben kann.

    Jeder Schritt: eine Erschütterung. Eine Liebquälerei,

    sich nahezukommen. Vielleicht

    ist genau dies der Grund, aus dem Menschen Angst haben

    voreinander,

    weshalb sie zurückstoßen, sich verstecken. Um

    zu vermeiden, was jederzeit vernichten kann. Was aber auch,

    allein und ausschließlich,

    erhofftes Leben ist.

    Begegnung. Nähe. Berührung.

    Du schließt die Augen und siehst – Schneeflocken

    auf der Hand.

    Sollst du es tatsächlich wagen,

    sie zu berühren?

    augenpaare nachtumflort erblicken sich im

    prisma unzählig gebroch ener gedanken irisieren

    im wunsch ge genwärtig zu sein indem sie den

    netzhauttäto wierungen folgend sich fremdkörpern

    entlichten pupil lentief in den liebeslauf gleiten

    sich lidsch nell davontragen lassen

    taubenschlag

    Der Zug rollte noch in den Bahnhof ein, da drückte ich schon den Türgriff und sprang auf den Bahnsteig. Ich rutschte auf dem Rollsplitt aus, wäre fast gestürzt, und lief los. Durch die kleine Bahnhofshalle, an einem Herrn mit zwei Koffern vorbei, auf den Vorplatz, zu einem Taxi, dem einzigen, das wartete.

    »Ich brauche einen Bergführer«, sagte ich.

    Der Fahrer faltete seine Tageszeitung, verstaute sie in aller Ruhe auf dem Armaturenbrett und sah mich fragend an.

    »Spielt keine Rolle, zu wem Sie mich bringen, er muss nur erfahren sein. Und flink.«

    »Also, zum Kanzler«, sagte der Fahrer, startete den Motor und fuhr los.

    Eine Zeitungsseite flatterte im Wind des Heizungsgebläses. Draußen beugte der Wind die Baumspitzen. Fensterläden, in die herzförmige Gucklöcher geschnitten waren, klopften gegen die Mauern der Fachwerkhäuser. Windrädchen kreisten auf Dächern; einige zeigten einen Bergsteiger mit Rucksack und Gamshut, der in den Himmel blickte. Um den größten Berg dieser Gegend, den Meiler, waren dunkle Wolken.

    »Kanzler wird Sie nicht führen, sicher nicht. Mehr als eine Seilbahnfahrt zur Station ist bei diesem Wetter nicht drin«, sagte der Taxifahrer und deutete auf den Berg. Am Ende der Seilbahn, nahe der Wolkendecke, war ein Miniaturhaus zu sehen. Ich hoffte, Nafia saß darin, trank Tee und machte keine Dummheit. Sie hatte schon immer mit der Idee gespielt, den Meiler zu besteigen – allein.

    *

    Kanzler hatte Wanst, Dreitagebart, einen gelangweilten Blick. Im ersten Moment dachte ich daran, wieder ins Taxi zu steigen und mich zu einem Bergführer bringen zu lassen, der durchtrainiert war und ein schroffes Gesicht hatte, zu einem Helden, wie ich sie aus alten Bergfilmen kannte. Kanzler hatte Doppelkinn.

    »Schau in den Himmel«, brummelte Kanzler. »Niemand, der einen Funken Verstand hat, geht heute in den Berg.«

    »Nafia schon.«

    »Die sitzt sicherlich im Gasthaus der Bergstation und stiert aus dem Fenster, wie die anderen Touristen auch.«

    »Und, wenn sie doch …?!«

    Kanzler machte eine abweisende Handbewegung und wollte die Haustür schließen, doch ich tat einen Schritt nach vorn. Kanzler taxierte mich. Schließlich sagte er: »Sie könnte tatsächlich ...?«

    »Wenn jemand könnte, dann sie.«

    »Ist diese Frau lebensmüde?«

    Ich schüttelte den Kopf. »Eigensinnig. Furchtbar eigensinnig.«

    *

    Kanzler telefonierte, unterbrach das Gespräch, wandte sich mir zu. »Dem Wirt ist vor Stunden eine junge Frau in Ausrüstung aufgefallen, mit roter Jacke, sie war allein.«

    Ich nickte.

    »Das ist sie«, sagte Kanzler in das Telefon und bat den Wirt, nach Nafia zu sehen.

    Während Kanzler wartete, musterte er mich wieder.

    »Nicht mehr da?«, fragte er schließlich in den Telefonhörer. »Mit der Gondel ins Tal? Ja, vielleicht …«

    Kanzler telefonierte abermals.

    »Heute kein Heli. Dachte ich mir schon. Paul und Micha sollen sich trotzdem bereithalten.«

    Er legte auf.

    »Sie will auf den Gipfel? Wirklich?«

    Ich nickte.

    »Ist sie wenigstens erfahren?«

    Ich erklärte, dass Nafia so manche Bergwanderung unternommen und auch einige Klettertouren gemacht hatte, im Großen und Ganzen jedoch nur fortgeschrittene Anfängerin und obendrein aus der Übung war – fünf Jahre war sie nicht mehr im Berg gewesen.

    »Wieder so eine Wahnsinnige«, sagte Kanzler und zog sich einen Pullover über. »Nimmt sie die Westroute, haben wir sie schnell.«

    »Was heißt das?«

    »Den Westfels kommt sie nicht allein hoch. Entweder bleibt sie stecken, oder sie stürzt ab.« Kanzler strich sich über die Pausbacken. »Nimmt sie die Ostroute, könnte sie es bis zum Gletscher schaffen.«

    »Und dann?«

    »Ich muss sie einholen.«

    »Ich komme mit.«

    Er sah mich skeptisch an − bis ich gestand, dass ich mein größtes Klettererlebnis als Kind auf einem Müllberg gehabt hatte.

    Kanzler schüttelte den Kopf.

    »Sie brauchen mich«, sagte ich.

    »Soll ich dich auf dem Buckel tragen? Es reicht, wenn ich mich um eine Person kümmern muss«, meinte Kanzler, drehte sich um und murmelte etwas von idiotischen Großstädtern.

    »Ohne mich–«

    »Du würdest mich nur aufhalten«, sagte Kanzler. »Je schneller ich im Fels bin, desto größer die Chance, dass sie mich hört. Ist sie erst mal auf dem Gletscher, frisst der Wind jedes Geräusch.«

    »Nafia wird Sie nicht hören.«

    »Auf mich haben schon ganz andere gehört«, sagte er.

    »Nafia ist taub.«

    Kanzler stutzte.

    »Ich kann ihre Gebärden übersetzen«, sagte ich.

    »Ich will im Berg kein Kaffekränzchen veranstalten. Ich will dieses Fräulein nur heil herunterbringen.«

    »Und wenn sie verletzt ist?«

    Er schnaufte laut aus, packte mich am Arm und führte mich hinab in den Keller, in dem sich Ausrüstung stapelte. Innerhalb von Minuten kleidete er mich neu ein: Wollsocken, lange Unterhose, Berghose, darüber eine federleichte, regendichte Überhose, mit Reißverschlüssen an den Hosenbeinen. Er gab mir außerdem einen Fleecepullover, eine Daunenjacke und Bergschuhe. »Wird fersengroße Blasen geben«, sagte er und steckte mir Pflaster zu.

    Während ich mich anzog – die Kleidung roch nach fremder Haut, altem Schweiß –, packte Kanzler einen Rucksack für mich: mit wetterfestem Anorak, Mütze und Fäustlingen, einem weiteren Paar Schuhe, Schlafsack, Biwaksack, Reservehemd, Stirnlampe, Erste-Hilfe-Set, Geländekarte. Als er auch noch ein Seil anklemmte, glaubte ich, die Last nicht einmal bis zur Bahn tragen zu können.

    »Keine Sorge«, sagte Kanzler, »wir überwintern nicht im Berg, aber wer weiß, was wir brauchen werden.«

    Kurz darauf, nachdem er Höhenmesser und Kompass in der Brusttasche seiner Jacke verstaut hatte, waren wir startklar.

    Wir gingen durch die fast menschenleeren Straßen des Orts. Kanzler trug seinen Rucksack mühelos, ich schnaufte schon nach wenigen Metern.

    Immer wieder sah ich hoch zum Berg. Je näher er kam, desto gewaltiger erschien er mir. In meiner Vorstellung sah ich ihn aufstampfen wie einen Sumoringer.

    Ich spürte ein Zittern, tief in meinem Inneren, und wünschte, die Herbstsonne durchbräche endlich die Wolkendecke, die auf den Alpen lag.

    *

    Ich war siebzehn, da stand sie mit zwei Koffern in unserer Wohnung. Ihre Augen sahen traurig aus, und zugleich lag in ihrem Blick eine Aggressivität, die mich irritierte. Ich musste an eine streunende Katze denken.

    Meine Mutter gab sich nachsichtig, ignorierte den Gestank nach Zigarettenrauch, der von Nafias Kleidung ausging, und zeigte ihr mit puddingwarmer Stimme ihr Zimmer. In diesem Zimmer hatte bis zu diesem Tag ein anderer gewohnt. Ich.

    Das arme Kind brauche einen hellen Raum, das verstünde ich doch, hatte mein Vater gesagt. Das Gästezimmer sei viel zu düster für so eine strapazierte Seele. Das Kind – damit meinte er Nafia

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