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In den Klauen des Adlers
In den Klauen des Adlers
In den Klauen des Adlers
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In den Klauen des Adlers

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About this ebook

Die Leipziger Polizisten Hannah Dammüller und Jan Krüger machen Urlaub in New York, als mitten in der Nacht das FBI in ihr Hotelzimmer stürmt. Jan wird verhaftet und nach Rikers Island gebracht.
Währenddessen schmiedet CIA-Direktor Broderick ein Komplott. Mit Hilfe des Al Kaida-Führers Jashari plant er einen vermeintlichen Anschlag auf die New Yorker Subway.
Dafür verspricht er Jashari, Jan Krüger, der seit Jahren von der Al Kaida gejagt wird, töten zu lassen.
Der Plan sieht vor, dass der Republikaner Broderick den Anschlag in letzter Sekunde verhindert, um danach den Demokraten kurz vor den bevorstehenden US-Wahlen völliges Versagen bei der Terrorbekämpfung vorzuwerfen.
Doch weder Broderick noch Jashari halten sich an ihre Vereinbarung. Die unsägliche Verbindung der ungleichen Männer droht aus dem Ruder zu laufen.
Jan, der aus dem Gefängnis fliehen kann, versucht mit Hilfe des CIA Agenten Tom Bauer, die Verschwörung aufzudecken. Sie heften sich an die Fersen der Terroristen, die kurz davor sind, den ultimativen Terroranschlag auszuführen.
Doch als die beiden erfahren, was Jashari plant, ist es bereits zu spät.
Oder gibt es vielleicht doch noch eine letzte Chance, die Apokalypse zu verhindern?
LanguageDeutsch
PublisherTWENTYSIX
Release dateDec 11, 2019
ISBN9783740703035
In den Klauen des Adlers
Author

Joachim Krug

Joachim Krug wurde 1955 in Gifhorn geboren, machte Abitur in Wolfsburg und studierte in Köln und Bochum Sport und Latein. Der Diplomsportlehrer, Studienrat und Fußball-Lehrer mit UEFA-Pro-Lizenz war als Spieler, Trainer und Manager viele Jahre im Profifussball tätig, bevor er 2016 mit "Schwarzer Drache" seinen ersten Thriller veröffentlichte. Joachim Krug arbeitet als Sportvorstand bei Rot Weiss Ahlen und lebt mit seiner Familie in der Nähe von Dortmund.

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    Book preview

    In den Klauen des Adlers - Joachim Krug

    Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.

    Der blaue Himmel über New York färbte die Brühe des Hudson Rivers in eine grünblau schimmernde Wasserfläche. Gleichförmige Wellen klatschten im Takt eines Uhrwerks an die Betonmauern unterhalb der Promenade der Bitter Park City Esplanade. Der angenehm warme Westwind wehte bereits einen Hauch von Sommer von Jersey City herüber nach Manhattan. Die gewaltigen Bürotürme an der West Street spuckten zur Mittagszeit ein Heer von Menschen aus, das sich wie eine Karawane von Ameisen die Liberty Street entlang Richtung Pumphouse Park bewegte um dort die Mittagspause zu verbringen. Eine Armee von Joggern, Walkern und Skatern bevölkerten die Uferpromenade.

    «Glaubst du, Grigori hat tatsächlich nichts von den Machenschaften seiner Leute gewusst? Oder hat er das alles nur geduldet, um seine Geschäfte nicht zu gefährden?»

    Jan zuckte mit den Schultern. «Keine Ahnung. Mag sein, dass er den Gedanken an gewisse Unregelmäßigkeiten bewusst verdrängt hat. Er wollte von den lukrativen Nebeneinnahmen seiner Leute nichts wissen. Er ahnte wahrscheinlich, dass seine Geschäfte am Ende gewesen wären, wenn er Skutin und Rasienkov in ihren Aktivitäten ausgebremst hätte.»

    «Hat der Typ tatsächlich geglaubt, dass er mit diesen widerlichen Fischeiern Millionen verdient? Die braucht doch kein Mensch, diese klebrige schwarze Pampe.» Hannah schüttelte sich vor Ekel.

    «Wenn man bedenkt, dass ein Großteil dieses edlen Beluga– Kaviars regelmäßig im Abfall gelandet ist, nur um das Heroin nach Deutschland zu schmuggeln. Welch eine brutale Verschwendung. Aber er hat ja trotzdem jede einzelne Dose gut bezahlt bekommen. Dafür haben diese beiden Gauner schon gesorgt. Ein bisschen Drogengeld abgezweigt und die Bücher frisiert und schon stimmten die Zahlen auf Grigoris Konten. Für Skutin und Rasienkov waren das allenfalls Beträge aus der Portokasse.»

    «Bin mal gespannt, wie lange es dauern wird, bis die Russen sich neu formiert haben. Meinetwegen soll die der Teufel holen. Leipzig ohne die Russenmafia – was für ein einladender Gedanke. Ist richtig ruhig zurzeit. Waffel und Rico wissen gar nicht, was sie den ganzen Tag auf dem Revier machen sollen. Beine hoch und Sudoku spielen ist auf Dauer auch langweilig, oder?»

    «Die Nachfolger von Oberst Gorlukov stehen bereits Gewehr bei Fuß. Du denkst doch nicht wirklich, dass die das lukrative Geschäft mit den Taliban so einfach sausen lassen. Die Drogenlager in Moskau und Warschau sind mit Sicherheit prall gefüllt. Die suchen jetzt fieberhaft nach neuen Mitteln und Wegen, das Zeug nach Berlin, Dresden und Leipzig zu schaffen. Alles nur eine Frage der Zeit, bis sich die Strukturen wieder aufgebaut haben. Gegen diese kriminelle Energie ist kein Kraut gewachsen. Da wird auch Grigori machtlos sein. Entweder er spielt mit oder er wird gnadenlos vom Spielfeld gefegt.»

    Hannah und Jan lehnten entspannt an der Brüstung der Promenade und genossen mit geschlossenen Augen die angenehme Wärme der Sonnenstrahlen, die durch den lauen Seewind wohltuend dosiert wurde.

    Eine kleine blonde, nicht mehr ganz jugendliche Joggerin absolvierte direkt neben Jan Ihre Dehnübungen. Ihr rechtes Bein hatte sie auf die Brüstung geschwungen und brachte doch tatsächlich beide Hände an die ausgestreckte Fußspitze. Verdammt beweglich, die Kleine, dachte Jan. Für einen Moment stellte er sich vor, wie sie diese Fähigkeit auch in anderen Lebenslagen zu ihrem Vorteil nutzte. Schnell verwarf er diese unangebrachten Gedanken. Stimmte anscheinend doch, dass Männer mehr als hundert Mal am Tag an Sex denken. Hielt er trotzdem für stark übertrieben. Ein kurzer schuldbewusster Blick herüber zu seiner Freundin ließ ihn feststellen, dass sie seine Gedanken gottlob nicht gelesen hatte.

    «Nicht übel, die Kleine. Geschmeidig wie 'ne Katze. Gefällt dir, oder?»

    Jan grinste. Man sollte die Frauen eben niemals unterschätzen.

    «Ja, hat tolle Musik auf ihrem IPod.»

    Aus den überdimensionalen Kopfhörern der Blondine war ein Song zu hören, der Jan umgehend ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Er konnte gar nicht anders als spontan mitzusingen.

    The ocean is a desert with it's life underground/ And a perfect disguise above/ Under the cities lies a heart made of ground/ But the humans will give no love/ You see I've been through the desert on a horse with no name/ It felt good to be out of the rain/ Cause in the desert you can't remember your name/ Cause there ain't no one for to give you no pain.

    «Ich liebe diesen Song. Ist der absolute Wahnsinn. Altert einfach nicht.»

    An Hannahs fragendem Blick glaubte er zu erkennen, dass sie den Titel noch nie gehört hatte. Wie auch? In der DDR gab es mangels Alternativen eben nur City, Karat und die Puhdys.

    Hannah lächelte: «A Horse With No Name. Gefällt mir, aber mein Lieblingssong von America ist immer noch Ventura Highway

    Wieder mal hatte ihn seine Freundin in Erstaunen versetzt. Er grinste und schüttelte ungläubig den Kopf. «Respekt, Madame. Hätte ich jetzt echt nicht gedacht.»

    «Bist eben immer noch ‘n arroganter Besserwessi. Der Osten war ja ohnehin für euch nur das Tal der Ahnungslosen. Dafür hatten wir den besseren Sex. Häufiger, intensiver und einfallsreicher als der Klassenfeind. Ist übrigens wissenschaftlich belegt.»

    «Na super, dann hätt ich heute Nacht gern 'n paar Nachhilfestunden.»

    Die beiden lachten und küssten sich. Sie waren glücklich. Endlich konnten sie ihre gemeinsame Zeit genießen, ohne befürchten zu müssen, dass die Häscher der Al Kaida ihnen nach dem Leben trachteten.

    Mr. und Mrs. Delaney aus Spring Hill, einem kleinen Ort in der Nähe von Des Moines/Iowa, genossen ihren wohlverdienten Urlaub. Sie waren beide zum ersten Mal in New York. John arbeitete als Berufschullehrer in Pleasant Hill, einem Stadtbezirk von Des Moines und Martha, seine schwedische Ehefrau, leitete neben ihrer Hausfrauentätigkeit eine kleine Bücherei in ihrem Heimatort. Solange ihre beiden Kinder in der Ausbildung befanden, konnten sie sich keine großen Urlaubsreisen leisten. Nachdem Ted sein Jurastudium beendet hatte und Sarah ihre Ausbildung zur Erzieherin abgeschlossen hatte, stand nun endlich die lang ersehnte Reise nach New York an.

    Mehr mussten sich Jan und Hannah nicht merken. Tom Bauer hatte ihnen die beiden US-Pässe ausgestellt und dazu eine kurze, glaubhafte Legende gestrickt. Die beiden hatten es sich verdient, endlich mal vier Wochen auszuspannen, ohne dass sie ihre Verfolger im Nacken hätten. Niemand zweifelte auch nur eine Sekunde daran, dass die Al Kaida weiterhin nach Jan suchte, um den Black Dragon endgültig zur Strecke zu bringen.

    Das Täuschungsmanöver um Jans inszenierten Tod im Jahr zuvor war komplett danebengegangen. Die Terroristen hatten schnell herausgefunden, dass die Beisetzung von Polizeioberkommissar Jan Krüger auf dem Ohlsdorfer Parkfriedhof nichts als ein Schauspiel war. Obwohl die CIA und der BND darauf bestanden hatten, nicht mal die engsten Verwandten einzuweihen, ging der Plan, Jan mit einer neuen Identität zu versehen und auf unbestimmte Zeit in den USA untertauchen zu lassen, auf äußerst brutale Weise schief.

    Die Terroristen hatten Jans Eltern gefoltert und getötet und seine Schwester Sylvia entführt. Jan war am Boden zerstört. Sein Freund Tom Bauer, Special Agent bei der CIA, war entsetzt über diesen fatalen Fehlschlag. Seine Kollegin und Freundin Hannah brauchte lange, um sich von diesem Schock zu erholen. Schließlich war auch sie in dem Glauben gelassen worden, ihre große Liebe für immer verloren zu haben.

    Zwar war es Jan und Tom in enger Zusammenarbeit mit den westlichen Geheimdiensten im letzten Jahr gelungen, den Taliban und der Al Kaida einen schweren Schlag zu versetzen, in dem sie ihr scheinbar uneinnehmbares Hauptquartier in den Höhen des Hindukusch zerstört und den vermeintlichen Anführer der Terroristen getötet hatten, doch eine solch riesige und weltweit vernetzte Organisation ließ sich eben nicht vollständig ausschalten.

    «Ich hol uns mal 'n Eis», schlug Jan vor, der an der Ecke Pumphouse Park/ North Cove Yacht Harbor auf dem Weg von der Liberty Street zum Hudsonufer einen italienischen Eiswagen entdeckt hatte. Hannah nickte grinsend. Sie liebte Vanilleeis mit Schokoladensauce und Jan wusste das. Er selbst machte sich wenig aus Süßspeisen, trank lieber bei jeder sich bietenden Gelegenheit Kaffee. Vielleicht vermochte der gute Mann im Eiswagen ja einen richtig großen, original italienischen Cappuccino zu zaubern?

    Als er sich mit vollen Händen auf dem Rückweg befand, sah er schon von weitem, dass Hannah im Gespräch mit einem Mann war. Ein kleiner, offenbar älterer Herr im leichten, beigefarbenden Trenchcoat und einem überdimensionalen, gleichfarbigen Hut, hatte sich vor Hannah aufgebaut und unterstrich seine Ausführungen mit großen theatralischen Gesten.

    «Na dann, einen schönen Tag wünsche ich Ihnen noch an diesem wunderbaren Flecken Erde. Bin jeden Mittag hier. Ich liebe diesen Ort.» Der Mann nickte freundlich, drehte sich um und bewegte sich in Richtung Liberty Street. «Ach und ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn sie mal in meinem Geschäft vorbeischauen würden. Für meine deutschen Freunde mache ich natürlich gern einen Sonderpreis.»

    Jan starrte dem Mann regungslos hinterher. Er schien fassungslos, verwirrt, als hätte er gerade einen Geist gesehen.

    «Nun gib schon her, das Eis läuft ja schon an der Waffel runter», holte ihn Hannah in die Realität zurück.

    «Was wollte der Typ von dir?», fragte er aufgewühlt.

    «Nichts, was ist los? Haben nur 'n bisschen Smalltalk gehalten. Warum bist du so hektisch?»

    «Weil ich diesen Mann kenne.»

    «Blödsinn, das war nur irgendein netter, alter Herr, der freundlich sein wollte», wiegelte Hannah ab.

    «Nein, dieser Mann war Mohamed Jashari, Taliban-Führer und designiertes Oberhaupt der Al Kaida.»

    Hannah ließ vor Schreck fasst ihr Eis fallen. «Sag mal Freund, muss ich mir jetzt ernsthaft Sorgen um deinen Geisteszustand machen? Du behauptest gerade, dass der Al Kaida-Chef persönlich am helllichten Tage einfach so durch New York City flaniert. Geht's noch, Herr Krüger? Brauchen wir jetzt einen Psychiater?»

    «Verdammt Hannah, ich bin dem Mann schon mehrfach begegnet. Allein schon an seiner markanten Stimme würde ich den Kerl unter Tausenden heraushören. Und so absurd, wie du denkst, ist das gar nicht. Ich habe Jashari schon mal vor zwei Jahren drüben im Pumphouse Park getroffen, da wurde er von zwei Halbstarken belästigt. Hab ihm die Typen vom Hals geschafft. Kannst dir sicher vorstellen, was ich für Augen gemacht habe, als ich ihn letztes Jahr in seinem Haus in Kabul wiedergetroffen habe. Kein Zweifel: Dieser Mann ist der Edelsteinhändler und Taliban-Führer Mohamed Jashari aus Kabul.»

    Hannah schüttelte verständnislos den Kopf. Sie griff mit ihrer freien linken Hand umständlich in die rechte Gesäßtasche ihrer Jeans.

    «Bitte lies», reichte sie ihm eine Visitenkarte. «Der freundliche alte Herr heißt Charles Raymond Alavi und betreibt an der Ecke 5th Avenue/56th Street ein Juweliergeschäft mit dem Namen Alavi's Jewellery Shop. Noch irgendwelche Fragen, mein Lieber?»

    «Na also. Hab dir doch gesagt, dass er Edelsteinhändler ist. Der hat sich wie auch immer eine zweite Identität verschafft und lebt hier vollkommen unbehelligt unter falschem Namen. Kaum zu fassen. Wenn der bereits vor 2001 in New York war, ahne ich Böses.»

    Hannah schüttelte den Kopf.

    «Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass der Anführer der Taliban als Geschäftsmann getarnt in New York lebt? Das würde ja selbst die freiwillige Feuerwehr von Plagwitz bemerken. Dann wären CIA und NSA ja die größten Volltrottel im Universum. Merkst du eigentlich gar nicht, was für einen Unsinn du dir gerade zusammenreimst? Absurd, total absurd, Jan», wurde Hannah langsam sauer.

    «So, absurd findest du das? Maynard Deville ist mit gefälschtem Pass und aufgeklebten Fingerkuppenprothesen in die USA eingereist. Du erinnerst dich? Und ein weiteres klitzekleines Detail scheint dir ebenfalls nicht aufgefallen zu sein: Der Typ nannte uns seine deutschen Freunde. Hältst du das auch für einen Zufall?»

    «Ach was, vielleicht hat der Mann unseren deutschen Akzent bemerkt. Und womöglich sehen die uns an der Nasenspitze an, dass wir Krauts sind. Oder er hat einfach geraten?»

    «Nein, Hannah, dieser Mann war Mohamed Jashari. Es sei denn, er hat einen Zwillingsbruder oder einen Doppelgänger. Aber gut, wir werden uns seinen Laden mal unauffällig aus der Nähe ansehen. Jetzt hab ich erst mal ‘nen Bärenhunger. Lass uns zurück ins Plaza fahren und irgendwo in der Nähe des Parks einen freundlichen Italiener suchen.»

    «Oh oh», seufzte Hannah. «Und ich dachte, wir könnten hier endlich mal 'n paar Tage in Ruhe ausspannen. Ich hoffe inständig, dass du dich geirrt hast. »

    Jan zuckte mit den Achseln: «Wäre mir lieber. Aber ich bin sicher, dass hier irgendwas nicht stimmt. Die Begegnung mit diesem Kerl wird kein Zufall gewesen sein.»

    «Danke für Ihren Besuch. Wenn Sie eine Entscheidung getroffen haben, melden Sie sich einfach. Wir werden Ihnen dann so schnell wie möglich die Ringe in den entsprechenden Größen anfertigen.» Um kurz vor neunzehn verließ der letzte Kunde Alavi's Jewellery Shop. Gerade als Janet Salinger die Tür verriegeln und die Rollgitter herunterfahren wollte, stürzte plötzlich ein mit einer Pumpgun bewaffneter, vermummter Mann auf sie zu und rammte sie mit voller Wucht zurück in den Laden. Janet verlor das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Der harte Aufschlag auf den Hinterkopf ließ sie augenblicklich das Bewusstsein verlieren.

    Der Eindringling verriegelte die Eingangstür und bewegte sich zielstrebig um einen der Verkaufstresen herum in Richtung Büroräume. Der Goldschmied James Reginald Alavi und sein Sohn Justin, Auszubildener im zweiten Lehrjahr, waren gerade dabei, ihr Werkzeug einzuräumen und ihren Arbeitsplatz zu säubern, als der Maskierte mit vorgehaltener Waffe in die Werkstatt stürmte. Ohne ein Wort eröffnete er das Feuer. Die erste Salve traf James in die Brust und schleuderte ihn samt Stuhl gegen die Rückwand des Raumes. Justin starrte entsetzt zuerst auf die Leiche seines Vaters, dann wanderte sein Blick herüber zum Täter. Der Junge wollte fliehen, so schnell es ging aus der Werkstatt flüchten, aber seine Beine waren wie gelähmt. Er kam einfach nicht vom Fleck. Zu seiner Überraschung zielte der Mann zwar auf ihn, drückte aber nicht ab. Wahrscheinlich wollte er jetzt von ihm die Kombination für den Safe wissen. Justin hatte panische Angst. Erst langsam registrierte er, was hier vor sich ging. Wenn er diesem Kerl jetzt die Zahlenkombination verriete, würde der ihn wahrscheinlich trotzdem erschießen. Er riss sich zusammen. Mutig sprach er den Mann an. «Ich kenne den Code, werde aber einen Dreck tun und ihn dir verraten, du Arschloch.»

    Der Mann lachte höhnisch auf, lud seine Waffe durch und schoss Justin aus kurzer Entfernung eine Ladung Schrot ins rechte Knie. Die ungeheure Wucht des Geschosses riss den Jungen von den Beinen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht lag Justin zusammengekauert auf den Terrakotta Fliesen der Werkstatt und wartete auf den finalen Einschlag. Doch auch diesmal zögerte der vermummte Einbrecher. Justin hob vorsichtig den Kopf.

    «Wo ist Mohamed Jashari?», fragte der Kerl.

    «Was, wer?», stammelte der Junge.

    Verärgert schüttelte der Mann den Kopf, lud sein Gewehr durch und schoss in die holzgetäfelte Zimmerdecke. Ein Gemisch aus Schrot, Glas und Holzsplittern verteilte sich im ganzen Raum. Justin zuckte verängstigt zusammen.

    «Falsche Antwort, Junge. Wo finde ich Mohamed Jashari?»

    Um seinen Wusch nach umgehender Antwort Nachdruck zu verleihen, lud er seine Waffe erneut durch. Das bedrohliche Geräusch des Ladevorgangs ließ Justin den Atem stocken.

    «Sie können mich jetzt auf der Stelle erschießen, aber ich kenne den Mann nicht. Diesen Namen habe ich noch nie gehört.»

    Der Eindringling atmete genervt durch. Schließlich nahm er die Waffe herunter und ging vor dem Jungen in die Knie, um ihm direkt in die Augen zu sehen.

    «Also gut. Ich sehe schon. Die haben dir auch diesen Scheiß erzählt, dass alle Märtyrer ins Paradies kommen. Bist also auch schon einer von diesem widerlichen Terroristenpack. Aber ich habe eine gute Nachricht für dich. Ist dein Glückstag heute. Ich werde dich nicht erschießen, damit du diesem Mistkerl eine Nachricht von mir überbringen kannst. Sag ihm, der Black Dragon ist gekommen, um ihn zu töten. Ich werde ihn finden. Er wird mir nicht entkommen.»

    Justin verstand nicht, was der Kerl von ihm wollte, hatte aber keine Kraft mehr zu antworten. Er nahm gerade noch wahr, wie der Mann die Werkstatttür hinter sich zuschlug und verschwand. Dann sackte er benommen in sich zusammen.

    Hannah und Jan hatten Glück. Gerade als sie Trattoria Da Angelo in der 5th Avenue gegenüber dem Central Park und nur einen Steinwurf vom Park Plaza entfernt, betraten, wurde ein Tisch direkt am Fenster zur Straße mit wunderschönem Blick auf den Park frei.

    «Guten Abend. Haben die Herrschaften reserviert?», fragte ein vornehm im schwarzen Anzug und weißem Hemd gekleideter Empfangschef die Neuankömmlinge.

    Jan verdrehte die Augen, zog den Mann ein Stück zur Seite und flüsterte ihm konspirativ ein paar Worte ins Ohr.

    «Oh, Senora, entschuldigen Sie. Natürlich haben wir für Sie einen Tisch frei. Bitte, wenn Sie so freundlich wären und hier direkt am Fenster Platz nehmen würden. Äh, ich möchte nicht aufdringlich sein, aber wir würden uns sehr freuen, wenn Sie sich nach dem Essen noch in unser Gästebuch eintragen würden», schleimte der leicht errötete Italiener. Offensichtlich war es ihm peinlich, eine solch prominente Persönlichkeit nicht auf Anhieb erkannt zu haben.

    Hannah verstand nur Bahnhof, nickte dem Mann aber freundlich zu.

    «Was war denn das für 'ne Nummer?», fragte sie Jan im Flüsterton.

    Jan zuckte mit den Achseln. «Hab ihm erzählt, du wärst Scarlett Johansson und wir kämen gerade vom Dreh. Im Park Plaza gäbe es leider keine italienische Küche. Ich habe ihn gebeten, uns unauffällig an einen Tisch am Fenster zu platzieren. Nachdem Essen würdest du selbstverständlich gern Autogramme für die Belegschaft geben.»

    «Bist du jetzt komplett übergeschnappt? Der braucht doch die Frau nur kurz googeln. Das war‘s dann für uns.»

    «Wenn ich dich so ansehe, hast du tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit der Dame. Auf den Fotos sind diese Stars doch immer geschminkt bis zum Abwinken. Bei diesem Schummerlicht wird der Typ das nicht bemerken. Üb schon mal die Unterschrift», schob ihr Jan eine weiße Serviette und einen Kugelschreiber herüber.

    «Du hast ja 'n Knall. Lass uns hier abhauen. Auf so 'nen Mist hab ich echt keinen Bock.»

    «Nun mach dich mal locker, Scarlett. Vielleicht spendiert der uns sogar das Essen. Wenn ich die Speisekarte so ansehe, glaub ich, hier kocht Paul Bocuse persönlich.»

    Hannah schüttelte den Kopf, musste dann aber auch lachen. «Du weißt aber, dass mein Englisch nicht gerade besonders gut ist, oder?»

    «Na und, die Johansson ist doch Schwedin wie Martha Delaney. Spricht eben nur leidlich Englisch. Ein Star bist du erst mit einem deutlich erkennbaren Akzent. Das macht einen doch erst so richtig interessant.»

    Mit glänzenden Augen reichte der Ober die Speisekarten. «Ich empfehle ihnen heute die Spezialität des Hauses, gekochten Hummer ala Bolognese im Topf, davor ein Carppaccio vom Rinderfilet, dazu eine schöne Flasche Sassicaia Bolgheri Rosso. Ich schwöre, das ist der beste Rotwein, den sie jemals getrunken haben. Und als Desert…»

    «Schon gut, mein Bester. Wir hätten gern beide eine Portion Spaghetti Bolognese, eine Flasche Chianti und zwei Wasser.»

    Als Jan sah, dass dem Ober gerade die Gesichtszüge entglitten, beugte er sich wieder vertraut zu ihm herüber. «Sie wissen doch, Hummer, Langusten und diesen ganzen Kram bekommt Frau Johansson doch tagtäglich. Sie möchte heute mal so richtig einfache italienische Kost genießen. Also, mein Freund, machen Sie was draus.»

    «Ja ja, natürlich, selbstverständlich, mein Herr. Ich verstehe, natürlich, Sie haben vollkommen Recht. Mein Fehler. Dürfen wir sie heute Abend einladen? Angelo und ich würden uns sehr freuen.»

    «Na ja, Sie wissen ja, wie das so ist. Wenn das rauskommt, stürzt sich sofort die Presse drauf. Aber wenn Sie mir absolute Diskretion versprechen, wollen wir nicht unhöflich erscheinen und nehmen ihre Einladung selbstverständlich an.»

    «Verstehe, Sie können sich voll und ganz auf uns verlassen, mein Herr. Es ist uns eine Ehre, sie zu Gast zu haben.»

    Hannah wäre fast vor Scham im Boden versunken. «Wenn der Schwindel auffliegt, verbringen wir die Nacht in 'ner Zelle, das ist dir ja wohl klar, oder?»

    Jan grinste. «Werf mal 'nen dezenten Blick in die Karte. Wenn wir den Scheiß bestellt hätten, den der Pinguin uns gerade aufschwatzen wollte, hätten wir locker tausend Dollar gelöhnt. Eine Einladung ist in diesem speziellen Fall deutlich günstiger. Mach nachher bloß keinen Fehler beim Autogramme schreiben.»

    Um kurz vor zwei Uhr morgens schlichen Hannah und Jan leicht taumelnd den Flur im achten Stock des Plaza Hotels entlang. Angelo und sein stockschwuler Freund Vittorio waren dermaßen begeistert von Scarlett Johansson und ihrem netten Manager, dass sie eine dreihundert Dollar Flasche edelsten Rotwein nach der anderen köpften. Hätten die beiden jedes Mal ihr volles Glas ausgetrunken und nicht insgeheim damit die riesige Yucca-Palme neben ihrem Tisch getränkt, hätten sie die Trattoria nicht mehr im aufrechten Gang verlassen können.

    Nachdem Hannah, alias Scarlett, das Gästebuch mit Widmung und Unterschrift versehen hatte, machten sich die beiden auf den Weg ins Plaza Hotel. Die fünfhundert Meter Fußweg entlang des Central Parks taten ihnen gut. Die frische Morgenluft sorgte umgehend wieder für einen halbwegs klaren Kopf.

    Hannah und Jan fielen todmüde ins Bett. Zu mehr waren sie nicht in der Lage.

    «Bist du immer noch davon überzeugt, dass du diesen Mann kanntest? Vielleicht sollten wir morgen tatsächlich mal bei diesem Juwelier vorbeischauen?» Hannah gähnte und drehte sich auf die Seite.

    «Glaub mir Hannah, dieser Mann heute war Mohamed Jashari. Er lebt hier unter falschem Namen. Wahrscheinlich besitzt er einen Pass als U.S. – Bürger. Das würde erklären, dass er problemlos jederzeit ein – und ausreisen darf. Ich bin ihm hier ja nicht zum ersten Mal begegnet. Als wir uns in Kabul in seinem Haus trafen, hat er mich direkt auf unsere erste Begegnung im Pumphouse Park vor etwa zwei Jahren angesprochen. Jashari ist ein schwerreicher Edelsteinhändler. Ihm gehören riesige Lapislazuli – Minen im Hindukusch. Er verfügt über Geschäftsverbindungen auf der ganzen Welt. Und mit so viel Kohle im Rücken, war es sicher nicht ganz so schwierig, sich in den USA eine neue Identität zu verschaffen. Mich wundert eben nur, dass die CIA davon offenbar keine Ahnung hat. Der Taliban-Führer und designierte Al Kaida–Chef führt ein Juweliergeschäft mitten im Herzen von Manhattan - ich kann's nicht fassen!»

    «Und du bist sicher, dass er dich heute erkannt hat?», murmelte Hannah schlaftrunken.

    «Hat er. Ich glaube nicht an Zufälle. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn wir gleich morgen früh hier verschwinden.»

    «Und vor allem so schnell wie möglich mit Tom sprechen, wenn du mal endlich deinen Akku wieder auflädst», gähnte Hannah, um unmittelbar danach einzunicken.

    Jan konnte nicht einschlafen. Er war wie aufgedreht. Ihm schossen die wildesten Szenarien durch den Kopf. War ihm die Al Kaida etwa schon wieder auf den Fersen? Hatten sie womöglich bereits einen Plan, wann und wo sie ihn ausschalten wollten? Nein, das Zusammentreffen mit Mohamed Jashari heute Mittag auf der Battery Park City Esplanade war kein Zufall. Er wollte sicher sein, dass der Mann, den sie entdeckt und enttarnt hatten, tatsächlich der Black Dragon war. Diese Gewissheit hat er sich verschafft. Aus nächster Nähe, um vollkommen sicher zu sein. Jetzt konnte die Jagd auf ihn beginnen. Hannah und er befanden sich in höchster Gefahr. Er musste etwas unternehmen und zwar sofort.

    Um halb drei Uhr morgens stand er auf, fingerte im Dunkeln sein wieder aufgeladenes CIA–Handy vom Nachttisch und aktivierte mit einem Tastendruck Tom Bauers Nummer. Er sollte dieses Gerät nur im absoluten Notfall benutzen. Und der war jetzt eingetroffen. Zu seiner Verwunderung vernahm er nur einen kurzen, stakkatoartigen Pfeifton. Der Ruf ging nicht raus. Was war los? Das rote Blinklicht, das den Anrufer warnte, wenn jemand versuchte, das Gerät anzupeilen oder abzuhören, reagierte nicht. Er drückte den Anruf weg und tippte diesmal Toms Nummer auf dem Display ein. Das Ergebnis war dasselbe. Kein Rufton, keine Ansage, keine Reaktion. Das Handy war tot.

    Jan versuchte mit seinem privaten Apparat seinen Freund Steven Goldblum anzurufen. Steven arbeitete als Spezialist für Abhörtechnik bei der CIA und war, so sein Wissensstand, momentan zu Hause in Washington. Steven war gewöhnlich rund um die Uhr auf Empfang. Das gehörte zu seinem Job. Jan zuckte zusammen. Wieder nur dieser nervige Pfeifton. Auch sein privates Handy war lahmgelegt.

    Was war da los, verdammt noch mal? Irgendwas braute sich zusammen. Er setzte sich aufs Bett und grübelte darüber nach, was jetzt wohl am besten zu tun war, als plötzlich jemand ohrenbetäubend laut an die Zimmertür hämmerte.

    Jan erschrak. Wie versteinert blieb er auf der Bettkante sitzen. Wer immer da draußen auch stand – etwas Gutes hatte der sicher nicht im Sinn. Oder war das nur ein angetrunkener Gastes? Wenn nicht, hatte Jan jetzt offensichtlich schlechte Karten. Er war unbewaffnet und an Flucht war nicht zu denken. Aus dem achten Stock aus dem Fenster zu springen, stellte jetzt sicher keine Option dar.

    Für einen Moment hoffte Jan, dass sich der Störenfried, wer immer das auch gewesen war, wieder verkrümelt hatte, als das Inferno losbrach. Mit der Urgewalt einer Dampframme wurde das Türblatt aus seiner Verankerung gerissen und krachte in den Raum. Wie eine Herde wild gewordener Büffel stürmte eine schwer bewaffnete Spezialeinheit ins Zimmer. Jan riss instinktiv die Arme hoch, um anzuzeigen, dass er unbewaffnet war. Er wusste ganz genau, dass jetzt auch nur eine unbedachte Bewegung seinen Tod bedeuten konnte.

    Zwei der Männer zerrten die schlaftrunkende Hannah aus dem Bett, warfen sie zu Boden und fesselten ihr die Hände auf den Rücken. Jan blieb zunächst mit erhobenen Händen regungslos auf der Bettkante sitzen. Ganz vorsichtig, als näherten sie sich einem wilden Tier, traten zwei vermummte, mit Schnellfeuergewehren bewaffnete Männer, an ihn heran, zogen ihn hoch, legten ihm Handschellen an und stießen ihn dann ebenfalls zu Boden.

    Mit dem Gesicht auf dem Teppich liegend hörte Jan eine laute, markante Stimme. «FBI, sie sind beide verhaftet. Sie haben das Recht zu schweigen. Alles, was sie jetzt sagen, kann später gegen sie verwendet werden. Und so weiter, und so weiter. Sie kennen diesen ganzen Scheiß ja, Krüger. Also hoch mit Ihnen. Ziehen sie sich was an und dann ab durch die Mitte.»

    Hannah wollte protestieren, als ihr der Polizist ins Wort fiel: «Halt einfach dein Maul, du Miststück. Schafft mir diese widerlichen Typen aus den Augen», wies er seine Männer an.

    Jan konnte sich im Moment überhaupt keinen Reim darauf machen, was diese Aktion zu bedeuten hatte. Hannah und er wurden einfach mitten in der Nacht verhaftet und aus dem Park Plaza geschleift? Was in aller Welt wurde ihnen zur Last gelegt? Möglicherweise hatte das FBI Hinweise auf ihre gefälschten Papiere gefunden. Tom Bauer hatte ihn im Vorfeld darüber aufgeklärt, dass die CIA zwar die volle Verantwortung für die Passfälschungen übernimmt, aber keine andere Behörde über diesen Vorgang informieren wird. Ganz nach dem Motto: Nur keine schlafenden Hunde wecken. Sollte es wider Erwarten Probleme geben, sollte Jan eben sein CIA–Handy benutzen. Die Angelegenheit würde dann auf dem kleinen Dienstweg geregelt werden. Und genau das würde er tun, sobald sie auf dem Revier wären.

    Jan saß auf der Rückbank eines schwarzen Ford Crown Victoria, das übliche Modell der FBI– Agenten. Hannah befand sich in dem Fahrzeug hinter ihnen.

    «Wo bringen sie uns hin?», fragte Jan, der bisher geschwiegen hatte. Die beiden Beamten richteten ihre Blicke stur nach vorn und antworteten nicht.

    Dann eben nicht, dachte Jan. Er beschloss, nun auch zu schweigen, bis man ihm die Gelegenheit geben würde, mit Tom Bauer zu telefonieren, um dieses offensichtliche Missverständnis aufzuklären.

    «Sagen Sie mal, Bauer, sind Sie eigentlich total meschugge? Wissen Sie überhaupt, was Sie mit dieser beschissenen Aktion angerichtet haben? Sie und ihr dämlicher Kumpel Goldblum glauben wohl, dass sie hier schon das ganz große Rad drehen können, was?»

    Der stark übergewichtige CIA-Direktor Chief Broderick hatte sich bereits am frühen Morgen in Rage geredet. Tom Bauer wunderte sich zwar darüber, warum er bereits um sieben Uhr morgens ins Büro seines Chefs zitiert worden war, verschwendete aber keinen Gedanken daran, was den Chief wohl jetzt schon wieder geritten hatte. Er nahm sich morgens des Öfteren mal einen seiner Agenten zur Brust, nur um richtig in Stimmung zu kommen. Das war nichts Neues. Außerdem meinte Tom den Grund für die Aufregung zu kennen: Wahrscheinlich hatten ihm seine Kettenhunde Rothman und Brown von der Aktion mit des Pässen für Hannah und Jan erzählt. Allerdings war es nicht ungewöhnlich, dass die CIA schutzbedürftige Personen, an deren Wohlbefinden Langley ein gesteigertes Interesse zeigte, mit neuen Identitäten versah. Also Augen zu und durch, dachte Tom.

    «Hab gerade 'nen Anruf vom FBI erhalten. Dieser verschissene Kraut hat in New York 'nen Juwelier überfallen, den Inhaber mit 'ner Pumpgun weggefegt, dessen Sohn zum Krüppel geschossen und 'ne junge Frau verletzt. Bei den Opfern soll es sich um Syrer handeln. War wohl wieder auf Terroristenjagd, der Black Dragon, wie? Langsam hab ich die Schnauze voll von diesem Kerl. Den ziehen wir jetzt aus dem Verkehr. Ein für allemal, dass wir uns richtig verstehen, Bauer. Ich untersage Ihnen hiermit ausdrücklich, in dieser Angelegenheit irgendwas zu unternehmen. Und damit ich ganz sicher bin, dass Sie mit diesem Irren nicht in Kontakt treten, haben Sie jetzt erst mal 'ne Woche Urlaub. Ausweis, Waffe, Handys und sämtliche Schlüssel sind in meinem Büro abzugeben. Und das das klar ist, Bauer, Sie fahren nach Hause und halten die Füße still. Sollte ich erfahren, dass Sie ohne meine ausdrückliche Genehmigung auch nur einen kalten Furz gelassen haben, reiße ich Ihnen ihre runzlige Rübe vom Hals. Sie sind solange von diesem Erdball verschwunden, bis ich Ihnen erlaube, wieder aufzutauchen, klar. Und jetzt verschwinden Sie aus meinen Augen.»

    Tom Bauer fühlte sich, als ob ihn gerade ein Keulenschlag getroffen hatte. Jan soll in New York einen Juwelier überfallen und getötet haben? Das war der größte Unfug, den er je im Leben gehört hatte. Vollkommen ausgeschlossen. Aber aus Erfahrung wusste er, dass es im Augenblick wenig Sinn machte, sich mit seinem aufgebrachten Chef anzulegen. Trotzdem konnte er die Aussagen des Chiefs so nicht stehen lassen.

    «Mit Verlaub, Chief, das ist der größte Bullshit, den ich jemals gehört habe. Da muss eine Verwechslung vorliegen, Sie glauben doch nicht…», weiter kam Tom nicht.

    «Hören Sie, Bauer. Sie sind gut beraten, ihren verkümmerten Schwanz einzuziehen und sich zu verpissen. Das FBI hat von unwiderlegbaren Beweisen gesprochen. Überwachungskameras haben den ganzen Scheiß aufgenommen. Ihr werter Herr Krüger spielt die Hauptrolle in diesem Drama. Ihre Versuche, dem Kerl zu helfen, laufen ins Leere. Also lassen Sie diesen Mist und tun, was ich Ihnen befohlen habe.»

    Als Tom das Büro des Direktors verließ, hatte man ihm alles abgenommen. Ausweise, Codekarten, Autoschlüssel, Waffe, Handy – alles weg. Wenn er jetzt das Dienstgebäude der CIA in Langley verließ, war eine Rückkehr nicht mehr möglich. Er musste jetzt schnellstens einen Weg finden, mit Jan Kontakt aufzunehmen. Das Problem war, dass die Nummer von Jans CIA-Handy in seinem Diensthandy gespeichert war und er ihn gewöhnlich per Kurzwahl anrief. Er wusste nur noch, dass Jans Nummer seiner ähnelte, konnte sich aber beim besten Willen nicht mehr daran erinnern und hatte sie auch nirgendwo notiert. Er beschloss mit dem Taxi nach Washington zu fahren. Mit etwas Glück würde er Steven in seinem Appartement erreichen.

    Auf dem Weg zu Steven grübelte Tom auf dem Rücksitz des Taxis darüber nach, was passiert sein könnte. Nein, es war vollkommen unmöglich, dass Jan so aus dem Ruder gelaufen war und komplett die Nerven verloren hatte. Aus welchem Grund sollte er in New York einen syrischen Geschäftsmann erschießen? Das ganze musste ein Irrtum sein. Vielleicht konnte ja Steven etwas Licht ins Dunkel bringen. Aber dazu musste er ihn erst mal finden. Das Einzige, was Tom wusste, war, dass Steven momentan in den Staaten war. Was aber noch lange nicht hieß, dass er ihn auch zu Hause antreffen würde. Steven Goldblum übernachtete nur wenige Tage im Monat in seinem Appartement in Washington. Er wurde als Computerspezialist für gezielte Überwachungsmaßnahmen eingesetzt. Dies geschah meist mittels eines millionenteuren Spezialfahrzeugs, das vollgepfropft mit hypermoderner Elektronik war. Eines dieser technischen Wunderwerke stand bei der Royal Air Force auf dem Flughafen in Frankfurt am Main für den Europaeinsatz bereit, das andere befand sich in Washington. Tom hatte nicht den Hauch einer Ahnung, woran Steven momentan arbeitete. Er hoffte inständig, dass er Glück hätte und sein Freund heute nach Hause kommen würde. Auch Stevens Handynummer hatte er nicht im Kopf. Die Speicherkapazität seines Gehirns hatte seit der Erfindung von Laptop und Handy kontinuierlich abgenommen. Früher konnte er sich Zahlen immer gut merken. Selbst die Telefonnummer seiner ersten Freundin wusste er noch. Aber heute erinnerte er sich selbst nicht mehr an seine eigene Handynummer. Traurig aber wahr.

    Um kurz vor zehn betrat er das Café Lincoln schräg gegenüber von Stevens Appartement. Er suchte sich einen Fensterplatz, von wo aus er gute Sicht auf den gesamten Block gegenüber hatte. Würde Steven nach Hause kommen, konnte ihm das nicht entgehen. Er bestellte Kaffee, zwei Donuts und griff sich die Washington Post vom Tresen. Im Moment konnte er nichts tun als zu warten. Er war zur Untätigkeit verdammt, eine Situation, die für ihn vollkommen neu war.

    Die beiden Männer stiegen aus ihren Fahrzeugen, die sich im respektvollen Abstand auf dem Parkplatz des East Potomac Golf Course mit hell erleuchteten Scheinwerfern gegenüber standen, als wollten sie zum Duell antreten. Der Golfplatz lag idyllisch eingebettet in den East Potomac Park, an dessen Südspitze der Georgetown Chanel den Potomac und Anacostia River vereinigte. Um kurz nach zehn Uhr abends ruhte längst der Spielbetrieb auf diesem abgelegenen Areal. Außer den zwei Männern gab es hier nur noch die beiden Fahrer, die aber nicht ausstiegen. Die beiden älteren Herren gingen aufeinander zu, verharrten dann aber und hielten vorsichtshalber ein paar Meter Abstand. Sie begrüßten sich nicht und gaben sich auch nicht die Hand.

    «Verdammt geschickt eingefädelt, mein Lieber. Würden Sie nicht auf der falschen Seite stehen, würde ich Ihnen glatt einen Job in der Firma anbieten.»

    «Nein danke, ich denke, ich habe mein Auskommen und für mein Alter habe ich ausreichend vorgesorgt.

    «Hätte nicht gedacht, dass wir uns einmal persönlich begegnen, ohne dass ich Ihnen das Hirn wegblase. Aber gewisse Umstände erfordern nun mal ungewöhnliche Maßnahmen. Wir haben unseren Part erfüllt und Ihnen den Mann auf dem Silbertablett serviert. War übrigens ein cleverer Schachzug, das Ding mit der Visitenkarte. Respekt, die Idee hätte auch von mir sein können.»

    «Noch ist unser Feind nicht geschlagen. Sie wissen, was Sie zu tun haben. Erst wenn dieser Mann vernichtet ist, werden wir unseren Teil der Abmachung erfüllen.»

    «So, Forderungen stellen Sie also auch noch. Ich denke, wir sind bereits mächtig in Vorleistung gegangen. Von Ihrer Seite ist bisher noch gar nichts passiert. Aber gut, auch diesen letzten Teil unserer Abmachung werden wir erledigen. Ich denke, spätestens in zwei Tagen ist dieser Kerl Geschichte.»

    «Wir haben bereits alles organisiert. Meine Männer warten ungeduldig auf ihren großen Tag, an dem sie den Ungläubigen endlich eine weitere tiefe Wunde zufügen werden. Wir werden Sie nicht enttäuschen.»

    «Wenn diese Sache erledigt ist, suchen sie sich gefälligst eine andere Spielwiese. Wenn wir beide unsere Ziele erreicht haben, ist Schluss mit Lustig. Dann will ich Sie und ihre Leute hier nie wieder sehen. Toben sie sich in London, Paris oder Berlin aus. Meinetwegen auch in Moskau, hätte ich wenigstens was zu lachen. Aber damit das klar ist: Nach dieser Nummer sorgen Sie persönlich dafür, dass ihre Leute diesen Kontinent nicht mehr betreten. Sonst drehe ich Ihnen persönlich den Hals um. Schließlich weiß ich, wo ich Sie finden kann.»

    «Meine Männer vertrauen mir. Sie werden mir folgen, so wie sie es schon viele Jahre tun. Aber ich bin ein alter Mann. Auch meine Zeit wird enden. Bis dahin aber gilt mein Wort: Haltet ihr euer Versprechen, werden wir auch das unsrige beherzigen.»

    «Na dann ist ja wohl alles geklärt. Ich hoffe, ihre Leute versagen nicht, wie zuletzt in Berlin. Ich habe viel zu verlieren. Sie aber auch. Denken Sie immer daran.»

    Die beiden Männer nickten sich kurz zu, drehten sich um und bewegten sich zu ihren Fahrzeugen zurück. Kurz darauf kehrte wieder Ruhe auf dem Parkplatz des Golfklubs ein.

    «Was denn? Wer? Was will der denn von mir?» Horst Wawrzyniak war genervt. Sein Stellvertreter Rico Steding war krank, seine Mitarbeiter Hannah Dammüller und Jan Krüger hatten Urlaub und zu allem Überfluss saß auch noch eine Praktikantin in der Rezeption. Die ganze Arbeit der Mordkommission landete heute auf seinem Schreibtisch und das Telefon stand überhaupt nicht mehr still. «Junge Frau, bitte richten Sie Ihrer Vorgesetzten aus, dass eingehende Gespräche ab sofort an die Herren Jungmann und Krause von der Sitte weitergeleitet werden. Die wollten doch schon immer das Dezernat wechseln. Jetzt haben sie Gelegenheit, zu zeigen, ob sie das Zeug dazu haben. So und jetzt schicken Sie den Mann zu mir hoch.»

    «Kommen Sie rein, Herr Tireshnikov. Was verschafft mir denn die Ehre Ihres Besuches?»

    «Nennen Sie mich Grigiori, Herr Polizeioberrat.»

    Die beiden schüttelten sich die Hand. Der Inhaber der Interfood GmbH, die russische Spezialitäten importiert und auf dem gesamten westeuropäischen Markt verkauft, war im letzten Jahr ins Visier der deutschen Behörden geraten, weil große Mengen Heroin im doppelten Boden von Kaviardosen nach Deutschland geschmuggelt worden waren. Allerdings, wie sich später herausgestellt hatte, ohne das Wissen von Grigori Tireshnikov. Seine leitenden Angestellten Pjotr Skutin und Viktor Rasienkov hatten ihren Chef nach allen Regeln der Kunst belogen und betrogen. Die beiden saßen mittlerweile in Haft.

    «Haben Sie den Verlust Ihrer beiden Strategen verkraftet?», erkundigte sich Waffel, wie ihn seine Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand nannten.

    «Glauben Sie mir, so dumm werde ich mich sicher nie wieder anstellen. In Zukunft werde ich bei der Auswahl meiner Mitarbeiter sehr genau hinschauen. Was die beiden getan haben, war übel. Ich bin froh, dass ich zur Aufklärung dieser Verbrechen beitragen konnte. Sowas wird bei der Interfood nie wieder vorkommen, Herr Polizeioberrat, das verspreche ich Ihnen.»

    Waffel zuckte mit den Schultern. «Man steckt nicht drin, Grigori. In einem Unternehmen ihrer Größe muss man sich auf seine Mitarbeiter verlassen können. Sie können die Leute ja nicht ständig kontrollieren.»

    Grigori nickte. «Aber deswegen bin ich nicht gekommen. Ich habe die letzten Tage mehrfach versucht Hannah und Jan anzurufen, konnte sie aber nicht erreichen. Ich hoffe doch, dass es keine schlechten Nachrichten gibt.»

    «Nein, nein, Sie können beruhigt sein. Die beiden haben Urlaub und haben sich für ein paar Tage mit unbekanntem Ziel verabschiedet. Ihre Handys sind ausgeschaltet. Diese Auszeit haben sie dringend gebraucht. Da jetzt zu allem Überfluss auch noch mein Dezernatsleiter erkrankt ist, ist die Mordkommission im Augenblick verwaist. Der ganze Kram landet auf meinem Tisch. Keine Ahnung, wie ich das allein schaffen soll.»

    «Ich hatte den beiden versprochen, mich in Moskau umzuhören, ob es neue Entwicklungen in Sachen Russenmafia gibt. Hab da ja über ehemalige Mitarbeiter von Oberst Gorlukov noch ganz gute Verbindungen.»

    «Und, konnten Sie was in Erfahrung bringen?»

    Grigori nickte. «Ja. Allerdings weniger, was die personellen Neubesetzungen in Deutschland anbelangen. Da bekämpfen sich momentan zwei Gruppen bis aufs Messer. Beide wollen die lukrativen Geschäfte in Berlin, Dresden und Leipzig übernehmen. Gab schon mehrere Tote. Der Anführer einer dieser Banden ist der Tschetschene Aslan Umarov. Ein knallharter Bursche, dem es gelungen ist, das Geschäft Waffen gegen Drogen mit den Taliban wieder aufleben zu lassen. Er hat über einen Mittelsmann bei mir anfragen lassen, ob ich wieder den Transport nach Deutschland übernehmen würde. Ich habe ihn in dem Glauben gelassen, dass ich und nicht Skutin und Rasienkov der Drahtzieher der Drogendeals gewesen wäre. Das hat mir zumindest ihre ungeteilte Aufmerksamkeit eingebracht. Schließlich kam es zu einem Treffen mit Umarov. Der hat mir erzählt, dass die Taliban Unmengen von Waffen und Sprengstoff bei ihm angefordert hätten.»

    «Schön und gut, Grigori, aber das ist ja nichts Neues. Drogen gegen Waffen – so lautet das Geschäft doch schon seit Jahren», wandte Waffel ein.

    «Stimmt. Doch was die Terroristen diesmal fordern, stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten.»

    «Nun machen Sie's nicht so spannend, Grigori.»

    Grigori atmete einmal tief durch, bevor er mit der Sprache heraus kam. «Umarov soll denen einen nuklearen Sprengkopf beschaffen.»

    «Waaas!?», Waffel schnellte aus seinem Sessel hoch. «Wenn das stimmt, haben wir wohl ein Problem, das in diesem Ausmaß bisher unvorstellbar schien. Ist denn dieser Umarov überhaupt in der Lage, das Anliegen dieser Wahnsinnigen zu erfüllen?´´

    «Aslan Umarov war General im Tschetschenienkrieg. Selbst Putin hatte einen riesigen Respekt vor diesem Mann. Der hat Verbindungen in allerhöchste militärische Kreise. Natürlich wird es auch für ihn nicht einfach sein, an nukleare Waffen heranzukommen. Aber Sie müssen wissen, Herr Polizeioberrat, in den ehemaligen Sowjetrepubliken lagert noch ein riesiges Arsenal von Atomsprengköpfen. Auch wenn das Zeug größtenteils veraltet und unbrauchbar ist, irgendwo wird Umarov wahrscheinlich fündig werden. Er wird eben 'ne Menge harter Dollars auf den Tisch legen müssen. Aber daran wird es sicher nicht scheitern. Der Mann ist mittlerweile steinreich.»

    «Diese Informationen zeichnen ein bisher kaum für möglich gehaltenes Horrorszenario. Das ist Zündstoff pur. Wir sollten damit sofort zum BND gehen», schlug Waffel vor.

    «Machen Sie damit, was Sie wollen, aber lassen Sie meinen Namen da raus, sonst bin ich ein toter Mann, Herr Polizeioberrat.»

    «Verstehe, Grigori, verstehe», wiederholte sich Waffel.

    «Aber da ist noch was: Ich hab gehört, dass der designierte neue Al Kaida-Führer angeblich schon seit vielen Jahren unter falschem Namen in Amerika lebt. Genauer gesagt in New York. Er stammt ursprünglich aus Syrien und soll in Kabul ein florierendes Geschäft mit Edelsteinen betreiben.»

    «Wie bitte? Jetzt tischen Sie mir hier aber Märchen aus Tausendundeinernacht auf, Grigori. Das ist doch völliger Humbug», schüttelte Waffel den Kopf.

    «Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Umarov prahlte damit, dass die Al Kaida den Atomsprengkopf in der New Yorker U- Bahn zünden will. Die Vorbereitungen dazu würden schon laufen. Der besagte amerikanische Geschäftsmann besitzt einen zwölf Millionen teuren, hochmodernen Learjet. Damit soll der Atomsprengkopf von Amsterdam aus nach New York gebracht werden.»

    Waffel konnte nur schwer glauben, was Grigori ihm da gerade alles erzählte. Aber wie fahrlässig wäre es, diese Geschichte ins Reich der Fabel zu verweisen, wenn am Ende doch auch nur ein Fünkchen Wahrheit dran wäre?

    «Also gut, Grigori, ich werde sehen, was ich tun kann. Behalten Sie diesen ganzen Kram bitte für sich. Kann natürlich sein, dass dieser Umarov sich auch nur wichtigmachen will. Es war auf jeden Fall richtig, dass Sie hergekommen sind. Bitte halten Sie mich auf dem Laufenden, wenn Sie was Neues erfahren. »

    «Gut, Herr Polizeioberrat, ich lasse Ihnen meine Karte hier. Rufen Sie mich an, wenn Sie mit Ihren Leuten gesprochen haben. Ich hab übrigens nicht den Eindruck, dass Umarov ein Wichtigtuer ist. Ich halte seine Geschichte für wahr. Leider.»

    Grigori erhob sich und reichte Waffel die Hand.

    «Auf Wiedersehen, Herr Polizeioberrat.»

    «Danke, Grigori. Wollen wir hoffen, dass an der ganzen Geschichte nichts dran ist.»

    Jan saß jetzt schon eine gefühlte Ewigkeit in diesem engen, fensterlosen Raum. Er kannte diese Art von Verhörzimmern. Hinter der Spiegelwand wurde gerade beobachtet, wie der Verdächtige sich verhält. Seine Körpersprache, seine Mimik und seine Gestik sollten dem Polizeipsychologen wertvolle Aufschlüsse über den Charakter des Festgenommenen liefern. Womöglich zeigte er Symptome eines potentiellen Täters. Das grelle Neonlicht sollte ihn mürbe machen. Die trockene, abgestandene Luft und die Hitze, die die überdimensionalen Neonlichter ausstrahlten, sollten das Bedürfnis wecken, diesen Raum so schnell wie möglich zu verlassen. Und wie käme man schneller hier heraus, als ein lückenloses Geständnis abzuliefern? Diese Art der psychologischen Kriegsführung war ihm durchaus vertraut.

    Disziplin war Jans große Stärke. Wenn er sich vorgenommen hatte, eine Sache bis zum Ende durchzuziehen, dann tat er das auch. Ohne jegliches wenn und aber. Diese Idioten vom FBI würden sich die Zähne an ihm ausbeißen. Major Jan Krüger, Erkennungsnummer 200862K331522 – er selbst hatte seinen Leuten immer wieder eingebläut, in Gefangenschaft nur diesen einen kurzen Satz zu sagen.

    Nach gut zwei Stunden betraten schließlich zwei Männer den winzigen, sauerstoffarmen Raum. Für einen kurzen Moment strömte durch die geöffnete Tür eine angenehm kühle Brise in das Verhörzimmer. Einer der beiden war der Kerl, der bei seiner Verhaftung dabei gewesen war und ihn auf seine Rechte hingewiesen hatte. Sie setzten sich nebeneinander ihm gegenüber an den Tisch.

    Der andere, ihm bisher unbekannte Mann, stützte seine Ellenbogen auf den Tisch, faltete seine Hände und sah ihn an.

    «Im Grunde ist jede Unterhaltung mit Ihnen überflüssig, mein Lieber. Der Fall ist glasklar. Die Überwachungskameras und die Tatzeugen liefern ein mehr als eindeutiges Bild. Sie sind heute um kurz vor neunzehn Uhr mit einer Pumpgun bewaffnet in das Juweliergeschäft Alavi in der 5th Avenue eingedrungen, haben ein Frau niedergeschlagen, auf den Inhaber geschossen und seinen Sohn verletzt. Das sind die Fakten. Was wir gern von Ihnen wissen würden, ist der Grund für diese Tat eines Wahnsinnigen?»

    Jan hielt ohne zu antworten dem Blick des Detectives regungslos stand.

    Stille kehrte ein. Beide Seiten schwiegen. Keiner wollte der Erste sein, der dieses Schweigen brach. Schließlich war es der Polizist, der die Grabesstille beendete.

    «Na, da haben wir es wohl mit einem von der ganz harten Sorte zu tun. Ich verspreche Ihnen, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis Sie von Ihrem hohen Ross runterkommen.»

    «Ich habe das Recht auf einen Anwalt und mir steht ein Anruf zu.»

    Der Mann, der sich bisher noch nicht vorgestellt hatte, nickte. «Selbstverständlich, aber alles zu seiner Zeit. Sie können telefonieren, wenn wir es Ihnen erlauben, klar? Also, was ist? Reden Sie jetzt mit uns, oder müssen wir ihr Schweigen als Geständnis deuten?»

    «Tun Sie, was Sie wollen. Bevor ich nicht telefonieren darf, kommt mir kein Wort über die Lippen.»

    Die beiden Polizisten sahen sich kurz an. Dann nickten sie unisono. «Also gut. Sie sollen Ihren scheiß Anruf haben. War 'n langer Tag heute, morgen früh sehen wir weiter.»

    Die beiden Männer standen auf und verließen den Raum.

    Jan überlegte fieberhaft, wen er anrufen sollte, wenn sie ihm endlich die Gelegenheit dazu gaben. Gestern Nacht konnte er weder Tom Bauer noch Steven Goldblum erreichen. Ihre Handys schienen tot zu sein. Irgendwas stimmte da nicht. Es machte fast den Eindruck, als wären die beiden genau wie er, aus dem Verkehr gezogen worden. Vielleicht sollte er direkt beim CIA -Direktor Chief Broderick anrufen. Allerdings war sich Jan nicht sicher, ob der überhaupt was von ihren gefälschten Pässen und ihrem Aufenthalt in New York wusste. So, wie er die Lage einschätzte, hatte Tom das im Alleingang durchgezogen. Aus diesem Grund hatte er ihm auch gesagt, dass er im Falle der Enttarnung keinerlei Rückendeckung geben könnte. Was war hier eigentlich los, verflucht nochmal? Aber nach Lage der Dinge hatte er die ganze Nacht Zeit, darüber nachzudenken, an wen er sich wenden sollte. Warum in Gottes Namen kamen die nur auf die Idee, dass er Alavis Geschäft überfallen hätte und wie ein Wahnsinner um sich geschossen haben soll? Das machte doch alles überhaupt keinen Sinn, oder doch?

    Hannah hatte keine Ahnung, wo das FBI Jan hingebracht hatte. So sehr sie ihr Hirn auch zermarterte, sie konnte sich das alles nicht erklären. Seit die beiden in New York eingetroffen waren, hatten sie jede Minute miteinander verbracht. Zur angeblichen Tatzeit gegen neunzehn Uhr befanden sie sich auf ihrem Zimmer im Plaza Hotel. Danach sind sie in die Trattoria Da Angelo zum Essen gegangen und erst gegen zwei Uhr morgens zurückgekehrt. Nachdem sie eine gute Stunde im Büro eines Detectives unter der Aufsicht einer Beamtin gewartet hatte, bat man sie höflich, aber bestimmt in einen kleinen Besprechungsraum. Sie wusste, dass das FBI selten zimperlich mit Beschuldigten umging, doch in ihrem Fall behandelten die Beamten sie ausgesprochen höflich.

    «Möchten Sie einen Kaffee, Frau Dammüller, oder soll ich Sie lieber mit Mrs. Delaney ansprechen?», erkundigte sich der Detective.

    «Mein Name ist Hannah Dammüller, ich bin Polizeihauptkommissarin aus Leipzig. Aber das wissen Sie ja bereits. Einen Kaffee könnte ich jetzt gut brauchen.»

    Der Detective nickte der Beamtin, die an der Tür stand, kurz zu, worauf sie verschwand um, so nahm Hannah an, Kaffee zu holen.

    «Mein Name ist Detective Zipowics. Ihnen wird vorgeworfen, sich mittels gefälschter Ausweise illegal in den Vereinigten Staaten aufzuhalten. Ich hätte gern von Ihnen gewusst, woher Sie diese falschen Papiere haben und aus welchem Grund Sie sich in New York aufhalten?»

    Hannah versuchte erst gar nicht, irgendeine Legende zu stricken, sondern musste sich einfach darauf verlassen, dass Tom Bauer die Angelegenheit in ihrem Sinne aufklären wird.

    «Jan Krüger und ich machen hier Urlaub. Die falschen Pässe haben wir erhalten, nachdem wir mit einer Maschine der U.S.- Air Force von der Air Base der Royal Air Force in Frankfurt am Main kommend, in Washington gelandet sind. Die CIA hat sie uns ausgestellt, um unter dem Namen Delaney in New York Urlaub machen zu können, ohne von den Häschern der Al Kaida aufgespürt zu werden.»

    Ihr Gegenüber zog die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf.

    «Bei allem Respekt, meine Liebe, mir wäre es lieber, Sie würden jetzt sofort mit der Wahrheit rausrücken. Das erspart uns Zeit und Nerven. Ist es nicht eher so, dass sie sich die falschen Pässe besorgt haben, um diesen syrischen Juwelier zu erschießen? Überwachungskameras lügen nicht. Außerdem hat der von ihm angeschossene Junge ihn anhand der Aufnahmen wiedererkannt. Bleibt nur noch die Frage nach den Beweggründen. Vielleicht können Sie mir ja in diesem Punkt weiterhelfen?»

    Hannah atmete tief durch und korrigierte ihre Sitzposition, in dem sie sich auf ihrem Stuhl kerzengerade aufrichtete. «Jan kann diesen Mann unmöglich erschossen haben, weil wir seit unserer Ankunft in New York jede Minute zusammen waren. Das kann ich beeiden. Außerdem habe ich noch nie etwas von einem Mann namens Alavi gehört. Warum sollte Jan ihn erschossen haben? Das macht überhaupt keinen Sinn. Er war Elitesoldat und hat in Afghanistan unter dem Kommando der CIA gegen die Taliban gekämpft. Und nehmen wir nur mal an, er hätte diesen Juwelier tatsächlich getötet, dann würde das FBI garantiert nicht einen einzigen Beweis dafür finden.»

    «Dann schauen Sie sich doch das hier bitte mal an.» Detective Zipowicz, dem die polnischen Vorfahren ins Gesicht geschrieben waren, drehte seinen Laptop um und schob ihn über den Tisch zu Hannah herüber. «Bitte kurz auf Start drücken.»

    «Und Sie glauben, dieser Mann wäre Jan Krüger?», fragte Hannah. «Hören Sie, Größe, Figur und Kleidung stimmen mit der Person überein, die gegen 18:30 Uhr das Park Plaza verlassen hat. Auf den Überwachungskameras des Hotels ist außerdem zu erkennen, dass der Mann eine Tasche dabei hatte, in der vermutlich die Waffe, seine Mütze und die Handschuhe lagen, die er bei der Tat getragen hat. Das Hotelpersonal hat ihn sofort erkannt. Eine weitere Aufnahme zeigt, dass er etwa gegen zwanzig Uhr zurückgekehrt ist. Sind Sie immer noch sicher, dass Sie pausenlos mit ihm zusammen waren?»

    «Der Mann auf diesem Video ist nicht Jan Krüger.»

    «So, woran erkennen Sie das denn? Zugegeben, sein Gesicht ist nicht zu sehen, aber alles andere passt haargenau zur Person. Was Sie noch nicht wissen, ist, dass wir bei der Durchsuchung ihres Hotelzimmers sowohl den olivfarbenen Overall als auch die Tatwaffe gefunden haben.»

    Zufrieden mit sich lehnte sich Zipowics zurück und verschränkte die kurzen dicken Arme vor seiner Brust, wobei die Ellenbogen seelenruhig auf seinem Bierbauch Platz fanden.

    «Haben Sie als erfahrener Vermittler schon mal einen solch dämlichen Mörder gesehen? Lässt sich während der Tat von einer Überwachungskamera filmen und nimmt anschließend seine Waffe mit auf sein Hotelzimmer. Wenn er es tatsächlich war, stecken Sie ihn bitte gleich in die Klapse und nicht ins Gefängnis. Glauben Sie mir, Detective, bei allem Respekt, diese ganze Nummer ist von hinten bis vorne eine einzige miese Inszenierung.»

    «Ich würde Ihnen ja gern glauben, wenn Sie mir von Anfang an die Wahrheit gesagt hätten. Sie haben vorhin behauptet, dass Sie den Namen Alavi noch nie zuvor gehört haben?»

    Hannah nickte.

    «Tja und wieso haben wir dann seine Visitenkarte in ihrer Hosentasche gefunden?»

    Augenblicklich fuhr Hannah der Schrecken in die Glieder. Verdammt nochmal, daran hatte Sie überhaupt nicht mehr gedacht. Also hatte dieser kleine, dicke Mann sie nach allen Regeln der Kunst reingelegt. Wahrscheinlich hatte Jan Recht: Dieser Typ war womöglich tatsächlich Mohamed Jashari. Jetzt war guter Rat teuer. Sie musste ihre Strategie ändern und zwar sofort. Mit der Wahrheit käme sie jetzt nicht mehr weiter. Sie riss sich zusammen.

    «Ach herrjeh, jetzt kommen Sie mir doch nicht mit dieser Nummer. Ich habe diese Visitenkarte nicht in meine Hosentasche gesteckt. Keine Ahnung, wie die dahin gelangt ist. Sowas nennt man Unterschieben von Beweisen. Ebenso, wie jemand die Klamotten und die Waffe in unserem Hotelzimmer versteckt hat. Sie befinden sich komplett auf dem Holzweg, Mister.»

    «Na gut, ich sehe, Sie wollen nicht zur Aufklärung der Tat beitragen, Schade. Der junge Mann, der von Ihrem Freund zum Krüppel geschossen wurde, gab an, der Kerl hätte ihm aufgetragen, dass er einem gewissen Mohamed – der Nachname fiel ihm leider nicht mehr ein – ausrichten sollte, dass der Black Dragon gekommen sei, um ihn zu töten. Fällt Ihnen dazu vielleicht irgendwas ein?»

    «Ja natürlich. Das ist der größte Schwachsinn, den ich je gehört habe. Langsam wird 's lächerlich, meinen Sie nicht auch, Detective? Da hat wohl jemand eine blühende Fantasie oder in seiner Kindheit zu viele Märchen gehört. Also, ich sage es Ihnen jetzt nochmal: Jan Krüger und ich waren zur besagten Zeit zusammen im Hotelzimmer im Park Plaza. Herr Krüger hat dieses Zimmer nicht ohne mich verlassen. Er kann deshalb nicht ihr Mann sein. Unmöglich. Vielleicht sollten Sie mal langsam zum Hörer greifen und Special Agent Thomas Bauer von der CIA anrufen, ich denke, dann wird sich einiges von selbst klären.»

    «Da muss ich Sie leider enttäuschen, Frau Dammüller, ein Thomas Bauer ist in Langley nicht zu sprechen und der Name Jan Krüger ist dort nicht bekannt. Weder offiziell noch inoffiziell. Das Büro vom Direktor hat uns mitgeteilt, dass dort niemand ihre Angaben bestätigen kann. Kurz gesagt, meine Liebe, Sie haben gelogen!»

    Ein schriller, kräftiger Pfeifton riss Jan abrupt aus dem Halbschlaf. Die harte Pritsche im Kellergeschoss des FBI-Gebäudes an der Federal Plaza war viel zu kurz für den 1.95 Meter-Hünen und gerade mal so breit, dass er nur auf der Seite liegend schlafen konnte. Nach stundenlangem Grübeln war er dann doch noch für kurze Zeit eingenickt. Das Neonlicht an der Zellendecke flackerte im unregelmäßigen Rhythmus und brannte sich in seine verschlafenen Augen. Langsam hievte er sich in die Senkrechte. Er verspürte stechende Kopfschmerzen und sein Rücken fühlte sich an, als ob er auf einem Nagelbrett übernachtet hätte. In was für einen verfluchten Scheiß bin ich da nur rein geraten, raufte er sich die Haare. Und warum sind weder Tom noch Steven erreichbar? Was und vor allem wer steckte da nur dahinter? Fragen über Fragen, auf die er im Moment keine Antworten hatte. Noch lange wach liegend hatte er sich am Abend zuvor überlegt, in Leipzig bei Rico Steding anzurufen. Der sollte dann versuchen, Tom Bauer oder Steven Goldblum zu erreichen und wenn das nicht möglich wäre, sich an den Bundesnachrichtendienst zu wenden. Der BND stand schließlich noch immer in seiner Schuld, als er vor zwei Jahren in Berlin die Unfähigkeit ihres leitenden Mitarbeiters Dr. Braun in letzter Sekunde ausbügeln konnte und so das Attentat auf das Berliner Olympiastadion verhindert hatte. Hoffentlich gab es da ein paar Leute, die sich noch daran erinnerten und ihm jetzt auf Geheimdienstebene Schützenhilfe leisten würden. Fest stand jedenfalls, dass ein erneuter Anruf bei Tom Bauer möglicherweise wieder ins Leere laufen würde und er damit sein Recht auf einen weiteren Telefonanruf verwirkt hatte. Er hatte diesen einen Schuss und der musste sitzen. Wer wusste das besser, als ein erfahrener Scharfschütze?

    Zwei Stunden später saß er wieder in demselben stickigen, düsteren Verhörraum, in dem er gestern schon stundenlang warten musste. Dann öffnete sich die Tür und das Oberlicht sprang an. Einer der beiden Detectives, die ihn gestern verhört hatten, betrat mit zwei Kaffeebechern in der Hand den Raum.

    «Guten Morgen, Herr Krüger, ich hoffe Sie haben trotzallem gut geschlafen. Dann können wir jetzt wohl endlich vernünftig miteinander reden.»

    «Einen Scheiß habe ich und ihre falsche Freundlichkeit können Sie sich wer weiß wo hinschieben. Sorgen Sie lieber dafür, dass ich telefonieren kann, damit wir diese Farce endlich beenden können.»

    Der Mann stellte die Kaffeebecher auf den Tisch und schob einen zu Jan herüber. «Wir wollen doch nichts überstürzen. Ich habe gestern lange mit Ihrer Freundin, Frau Dammüller, gesprochen. Sie war wesentlich auskunftsbereiter als Sie. Ich denke, sie ist da ein Stück weit vernünftiger. Ich habe sie mit den Fakten konfrontiert. Und die ergeben nun mal eindeutig, dass nur Sie als Täter in Frage kommen. Alles spricht gegen Sie, Mann. Andersrum gesagt, es gibt nicht einen einzigen Hinweis für Ihre Unschuld. Machen Sie reinen Tisch und erzählen Sie mir, warum Sie den Mann erschossen haben. Glauben Sie mir, ich bin auch nicht gerade ein Freund von diesen Typen. Die geben sich hier als harmlose Geschäftsleute aus und in Wirklichkeit unterstützen sie die Terroristen. Gegen diese Typen haben Sie doch in Afghanistan gekämpft, oder? Sie müssen dieses Pack doch hassen wie die Pest. Ich kann 's verstehen, ehrlich.»

    «Netter Versuch, Detective Zipowics, wenn das ihr Name ist», sagte Jan mit einem Blick auf das Namensschild oberhalb der Brusttasche des Mannes. «Ich hab mit dieser Sache nichts zu tun. Geben Sie sich keine Mühe. Sie haben den Falschen verhaftet. Und jetzt lassen Sie mich endlich telefonieren, Sie haben mich schon viel zu lange warten lassen. Ich hänge Ihnen 'ne Dienstaufsichtsbeschwerde an den Hals, die sich gewaschen hat, wenn die Sache hier ausgestanden ist, darauf können Sie sich verlassen.»

    «Habe gehört, die Taliban haben Sie den Black Dragon genannt. Die hatten offensichtlich einen höllischen Respekt vor Ihnen. Der Junge, dem Sie 'ne Ladung Schrot ins Knie gejagt haben, hat uns erzählt, dass er einem gewissen Mohammed ausrichten soll, dass der Black Dragon ihn töten würde. Könnte es womöglich sein, dass Sie den Falschen umgelegt haben? So, wie sich die Sache darstellt, hat der Typ Sie mächtig geleimt. Er hat sein Ziel erreicht. Sie werden als Mörder zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt und er ist aus dem Schneider.»

    «Hören Sie auf zu fantasieren, Zipowics. Ich mache Ihnen einen Vorschlag, wie wir hier schnell zum Ende kommen können: Sie lassen mich jetzt endlich meinen Anruf machen und Sie versuchen mit Special Agent Thomas Bauer zu sprechen. Es ist allerdings möglich, dass der Mann momentan nicht im Dienst ist. Aber es sollte ja kein Hexenwerk für das FBI darstellen, den Mann ausfindig zu machen. Er wird bestätigen, dass Frau Dammüller und ich in der Tat lediglich unseren Urlaub in New York verbringen wollten. Die falsche Identität, die uns die CIA ausgestellt hat, diente lediglich zu unserem Schutz vor den Jägern der Al Kaida, die schon seit langem versuchen, sich an mir zu rächen. Meine Eltern haben sie bereits umgebracht. Und die werden nicht eher Ruhe geben, bis sie mich auch erwischt haben. Deswegen und ausschließlich deswegen sind wir hier als Mr. und Mrs. Delaney aus Des Moines/ Iowa unterwegs. Kriegen Sie das in Ihren verbohrten Dickschädel rein, Zipowics?»

    Der kleine, rundliche Detective sah ihn abschätzend an. Jan schien die Gedankengänge des Cops zu erahnen. War das echt oder doch nur gespielt, schien er zu überlegen. Aber er war schon viel zu lange dabei, um auf derart profane Tricks hereinzufallen. Irgendwas ließen sich diese Kriminellen doch immer einfallen, um möglichst ungeschoren davonzukommen. Das konnten die Typen mit einem Anfänger machen, aber nicht mit ihm, der bereits seit über zwanzig Jahren beim FBI erfolgreich seinen Dienst tat. Nein, da musste sich dieses selbstgefällige deutsche Arschloch schon einen anderen Dummen suchen. Er war schließlich kein beschissenes Greenhorn mehr.

    «Also gut, Krüger, Sie kriegen Ihren Anruf. Danach sehen wir weiter. Trinken Sie Ihren Kaffee, bevor er kalt wird. Könnte vorerst Ihr letzter sein. Auf Rikers Island gibt's nur diesen ungenießbaren Pulverkaffee. Schmeckt echt scheiße, das Zeug.»

    Das Unvorstellbare war eingetroffen. Ohne dass er einem Staatsanwalt geschweige denn einem Richter vorgeführt worden war, überstellte ihn das FBI in Untersuchungshaft. Und U-Haft in New York bedeutete gewöhnlich Rikers Island. Jan hatte schon viel über diese berüchtigte Gefängnisinsel im East River gehört. Und das war nichts Gutes. Hierhin wurden gewöhnlich diejenigen verfrachtet, die eines Verbrechens verdächtigt wurden und auf ihren Prozess warteten. Dabei handelte es sich vorwiegend um Schwarze und Latinos aus den sozialen Brennpunkten, die nicht in der Lage waren, ein paar hundert Dollar Kaution aufzubringen und deshalb auf Rikers Island landeten. Der aus zehn Gefängnissen bestehende Komplex konnte bis zu 17.000 Häftlinge aufnehmen, die von über 8.000 Angestellten und Wärtern bewacht wurden. Die meisten dieser Insassen waren Drogenabhängige, Prostituierte und kleine Gauner, die mindestens sechs Monate auf ihren Prozess warten mussten, weil die New Yorker Gerichte es einfach nicht schafften, die Vielzahl der Delikte zeitnah zu verhandeln.

    Jan schwante Böses. Man hatte ihn isoliert und aufs Abstellgleis geschoben. Detective Zipowics hatte ihm noch heute Morgen erlaubt zu telefonieren. Trotz aller Zweifel, die ihm während der vergangenen Nacht gekommen waren, hatte Jan versucht, in Langley anzurufen und mit Tom Bauer zu sprechen. Doch der Ruf ging gar nicht erst raus. Die Leitung war tot. Schließlich musste er nach mehreren Versuchen aufgeben. Da er vermutete, dass auch Steven Goldblum nicht

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