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Nimmerland
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Ebook210 pages2 hours

Nimmerland

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About this ebook

2303.
Hundertfünfzig Jahre nach der Apokalypse. Für die Nachfahren der wenigen Überlebenden ist die Welt von harten Kontrasten geprägt. Reste alter Hochtechnologie treffen auf primitive Verhältnisse, Hunger ringt mit Machtgier, verruchte Städte werfen ihre Schatten über verlassene Ruinen, Nomaden streifen durch offene Ebenen, andere Gemeinschaften isolieren sich in verborgenen Siedlungen.
So wie die der neunzehnjährigen Wendy.
Sei niemals von oben sichtbar – so lautet das Gebot der Schluchtsiedlung. Wendy hält sich nicht daran. Ein fataler Fehler: Ihr kleiner Bruder und dessen Freund werden von Fremden in einem Zeppelin entführt. In der verzweifelten Hoffnung, sie wiederzufinden, verlässt sie die Fels-Enklave und wagt sich in die große Einöde. Schon bald erkennt sie, dass die Welt "da draußen" noch gefährlicher ist, als die Siedlungsältesten immer behauptet haben. Und dass sie für die Rettung der verlorenen Kinder über ihre Grenzen gehen muss …

"Nimmerland" ist der fulminante Auftakt der Reihe "Die Erben Abaddons", in der sich Postapokalypse, Science-Fiction und Adventure zu einer neuen, faszinierenden Wirklichkeit vereinen.
LanguageDeutsch
Release dateDec 14, 2019
ISBN9783966293006
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    Book preview

    Nimmerland - Thomas Lohwasser

    will?«

    1

    Geh nach Nimmerland

    Große Einöde, heute, im Jahre 2303

    Der Koloss rannte auf sie zu, wollte sie zermalmen. Sie spürte sein schnelles Stampfen bis hinauf in die Brust. Er war jetzt nahe genug, dass sie weit oben sein Gesicht erkennen konnte. Sein Gesicht unter den wehenden, goldblonden Haaren. Es war Yori.

    Sie riss die Augen auf. Tageslicht flutete in ihren Schädel. Das Stampfen in der Brust war noch da – ihr hämmerndes Herz. Es pumpte die Angst in eisigen Wellen durch ihre Adern.

    Nur ein Albtraum, dachte sie. Doch sie wusste, dass das nicht stimmte. Die Wahrheit war, dass sie aus einem furchtbaren Albtraum in etwas noch viel Schlimmeres geflohen war, etwas, aus dem es kein Entrinnen gab: die Wirklichkeit.

    Ihre Muskeln waren steif vor Angst. Sie konnte sich nicht bewegen, wollte sich nicht bewegen, denn das hätte bedeutet, sich dem Schrecken zu stellen, in den sie durch ihr Aufwachen zurückgekehrt war.

    Der Blick, mit dem ihr kleiner Bruder Yori sie in dem Traum angesehen hatte, in dem er sie hatte zertreten wollen wie ein wertloses Insekt, war so eindeutig gewesen. Hatte sich wie ein glühendes Messer in ihr Herz gebohrt.

    »Du hast mich verraten«, sagte dieser Blick. »Du hast mich im Stich gelassen, hast zugelassen, dass sie mich mitnehmen. Jetzt fürchte ich mich zu Tode, Wendy, und du bist schuld!«

    Mit einem Ruck setzte sie sich auf, presste die Hände auf die Ohren. Sie wollte das nicht hören!

    Ich wünschte, du hättest mich zertreten, Yori. Ich wäre nie wieder aufgewacht. Nichts anderes verdiene ich.

    Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in das grelle Morgenlicht der Einöde. Etwas bewegte sich in ihrem Augenwinkel. Ohne den Kopf zu drehen, sah sie hin. Es war eine Eidechse, grün schillernd, handspannenlang. Ein fetter Brocken.

    Wie auf Kommando knurrte ihr Magen. Sie lauschte darauf. Ihr war übel vor Hunger. Ein harmloses, ein normales Gefühl. Begierig griff sie nach diesem Gefühl, es drängte die Schrecken in den Hintergrund.

    Behutsam nahm sie die Hand vom rechten Ohr, löste ihre Luftdruckpistole vom Gürtel und legte sie auf den Oberschenkel. Dann tastete sie nach ihrem Hüftbeutel und fingerte einen Stein heraus. Sie brauchte nicht hinzusehen, um ihn in der Abschusskammer zu platzieren. Den Kolben zog sie mit den Fingerspitzen Stück für Stück heraus, während sie die Waffe mit der Handfläche auf ihren Oberschenkel drückte.

    Die Eidechse saß reglos da, schien Wendys andere Hand zu beobachten, die noch immer auf das linke Ohr gepresst war. Als wollte sie sagen: »Was machst du da? Tut dir was weh?«

    Ja, mir tut etwas weh. Mein Herz tut mir weh. Es fühlt sich an wie ein blutiger Klumpen.

    Wendy biss sich auf die Lippe, um sich durch den körperlichen Schmerz vom seelischen abzulenken.

    Konzentrier dich!

    Sie hob die Waffe. Kurz zuckte die Zungenspitze des Tieres hervor, der Kopf ruckte eine Winzigkeit herum. Wendy stoppte in der Bewegung. Langsam. Ganz langsam weiter. Bis vor die Augen. Sie kniff eines zu, mit dem anderen starrte sie durch die Zielvorrichtung. Die Eidechse schillerte im Sonnenlicht.

    Kimme.

    Korn.

    Wendy atmete aus. Ihre Hand war jetzt vollkommen ruhig.

    Schuss.

    Swiffff! Der Luftdruckkolben zischte, als der Stein abgeschossen wurde. Der Kopf der Eidechse prallte zurück, das Tier brach zusammen.

    »Guten Morgen, Wendy, Frühstück!«, hörte sie die warme Stimme ihrer Mutter in Gedanken sagen. Dann brach sie in Tränen aus.

    Hitze flirrte über dem hartgebackenen Sand der Einöde, nur hier und da krallten sich trockene Büsche in die Risse im Boden, gaben dem Auge Halt und vermittelten die Illusion von Lebendigkeit. Genau genommen gab es zwischen den Büschen Leben, aber es war spärlich und rau wie die Landschaft. Hier draußen war es anders als zu Hause in der Schluchtsiedlung. Zwar wurde diese ebenfalls von Schmirgelsand beherrscht, der sich unter die Kleidung schummelte und in jede Ritze der Behausungen zwängte, doch gab es dort auch Schatten und Wasser und Grünpflanzen. Das Wasser zog Vögel und Molche an, sogar Fische verirrten sich des Öfteren aus den verborgenen Zuflüssen zu ihnen in die felsenüberdachte Enklave.

    Zu Hause. Ein Begriff, dessen Bedeutung sich am Vortag – dem Tag der Schuld – in Luft aufgelöst hatte.

    Wendys Schritte knirschten gleichmäßig. Sie ließ sich von dem dünnen Geräusch und dem krümeligen Gefühl unter den Ledersohlen einlullen. Anfangs stellte sie sich noch vor, ihre Füße wären Zähne, die mürbes Gebäck zermalmten. Später dachte sie nichts anderes mehr als: Links, rechts, links, rechts. Blick auf den Boden heften, gelegentlich aufsehen, einen Fuß vor den anderen setzen.

    Links, rechts, links, rechts.

    Die Hitze nahm beständig zu. Wendy verfolgte, wie ihr Schatten sich mit der Zeit wandelte. Nach dem Eidechsenfrühstück hatte er noch zwei Schritt Länge gehabt, mittlerweile war er zu einem bescheidenen Flecken vor ihren Füßen zusammengeschmolzen und Wendy wusste, dass es nicht mehr lang dauern würde, bis die Hitze ein schier unerträgliches Ausmaß erreichte.

    Die Sonne brannte auf ihr kurzes, braunes Haar und ihren ungeschützten Nacken. Doch Wendy nahm den Schmerz kaum wahr. Das Feuer, das in ihrem Herzen tobte, war ungleich schlimmer.

    Ihr Mund schien mit trockenem Pelz ausgekleidet zu sein, die Zunge klebte wie ein dicker Fremdkörper am Gaumen. Dennoch zog sie den Wasserschlauch nur selten hervor, den sie vor ihrem Aufbruch von zu Hause geklaut hatte. Sie musste sparen. Denn auch, wenn sie nichts anderes verdient gehabt hätte, als hier draußen in der Hitze qualvoll zu verrecken, musste sie weiterkommen. Einfach deshalb, weil sie vielleicht noch etwas wiedergutmachen konnte. Wenn sie Glück hatte.

    Nochmals sah sie auf. Und endlich waren sie nähergekommen: die hohen Gebäude jener Siedlung, die sie von weitem durch die »Zauberblick«-Brille gesehen hatte. Das da war der Ort, an dem sie ihren Fehler wiedergutmachen würde.

    Wendy kramte die Brille aus dem Rucksack und setzte sie auf. Zunächst war alles verschwommen, doch mit den Knöpfchen rechts und links der Augengläser stellte sie das Bild scharf. Zum ersten Mal erschienen die Häuser nicht mehr nur nah, sondern zum Greifen nah. So gut hatte sie sie noch nie erkennen können. Was sie sah, versetzte ihr einen Schock.

    »Das ist sie also, die Siedlung deiner Hoffnung, in der du die Kinder vermutest, Wendy?«, flüsterte diese neue, hämische Stimme hinter ihrer Stirn, von der sie seit gestern verfolgt wurde. Seit sie sich mit jener schrecklichen Schuld beladen hatte. »Sieh genau hin. Da vorn sind nur ein paar Ruinen, nichts und niemand sonst, keine Menschenseele.«

    »Das kann nicht sein …«, murmelte Wendy. Die Angst drückte gegen ihren Magen. »Sie sind doch in diese Richtung geflogen!«

    »Na und?«, erhob sich das hämische Flüstern erneut. »Dann sind sie eben in diese Richtung geflogen, aber das war’s auch schon. Du hast dich geirrt. Gib es endlich zu: Du kannst es nicht wiedergutmachen. Geh zurück in dein gemütliches Zuhause und lass dich von Mutter und Vater trösten, weil du deinen Bruder und seinen besten Freund verloren hast, als du auf sie aufpassen solltest. Geh zurück und erklär ihnen, dass du ihr jüngstes Kind auf dem Gewissen hast, weil du mal wieder nicht gehört hast. Weil du deine Eltern mal wieder nicht ernstgenommen hast!«

    Wendy blieb stehen und stützte sich mit den Händen auf die Knie. Die Angst drückte nun stärker, bis in ihre Kehle hinauf, vermischte sich mit dem Brennen in ihrem Nacken. Da war auch ein dumpfes Pochen in ihrem Kopf. Sie fühlte sich überhitzt. Ihr war schwindelig, übel. Ein plötzlicher Krampf presste ihren Magen wie in einer Faust zusammen. Das Frühstück schoss aus ihrem Mund und klatschte vor ihre Füße. Ein dünner, hellbrauner Streifen im gelben Sand – geradezu anklagend glänzte er in der Mittagssonne. Wendy konnte fast hören, was er ihr zu sagen hatte: »Du brauchst mich wohl nicht. Hast genug Nahrung und Flüssigkeit in dir, hm?«

    »Verdammter Dreck«, murmelte sie, und ein Tropfen Erbrochenes baumelte ihr von der Unterlippe. Wendy ignorierte ihn.

    Sie dachte an das Buch … das wundervolle Buch beim alten Ranek, das sie mehrmals verschlungen hatte, nachdem er ihr verbotenerweise das Lesen beigebracht hatte. »Peter Pan«. Das Buch war zerlesen und von den Jahren gezeichnet. Es stammte noch aus der »Alten Zivilisation«. Eine Zeit lang hatte sie fest geglaubt, die Geschichte in dem Buch wäre wahr. Sie hatte mit Peter gesprochen, tagein, tagaus, und er hatte ihr mit seinem Rat zur Seite gestanden. Er war es auch gewesen, der ihr erklärte, man müsste nicht erwachsen werden, denn das würde einem die Kraft aus den Gliedern ziehen, und man könnte dann nicht mehr fliegen. Lange hatte sie ihm geglaubt. Doch die Zeit hatte sie eingeholt, sie war neunzehn geworden, und die Siedlungsältesten hatten ihr einen Bund-Mann in Aussicht gestellt, den sie furchtbar ernst und langweilig fand.

    Jetzt erst bemerkte sie, wie sehr ihr das »die Kraft aus den Gliedern gezogen« hatte. Wie wenig sie nur noch sie selbst gewesen war in der letzten Zeit. Kein Wunder, dass sie die Gefahr falsch eingeschätzt hatte.

    Du hattest recht, Peter. Sag mir, was ich machen soll. Was würdest du tun?

    Und endlich, endlich vernahm sie wieder seine Stimme.

    »Das weißt du doch, Wendy. Als Hook mir meine Jungs geklaut hat, habe ich da etwa aufgegeben? Damals sagte ich: Diesmal gilt es, Hook oder ich! Ich habe sie mir zurückgeholt. Jetzt geh du nach Nimmerland und hol dir deine zurück.«

    Wendy nickte. Sie wischte sich das Erbrochene vom Mund, spuckte den sauren Geschmack aus und ging weiter. Setzte einen Fuß vor den anderen.

    Links, rechts, links, rechts …

    Sie würde nicht stehenbleiben. Niemals.

    »Auf nach Nimmerland«, flüsterte sie.

    2

    Entdeckung

    Tag der Schuld

    »Wendy, Wendy! Jetzt komm doch mal, du guckst ja gar nicht!«

    Die Stimme ihres zehnjährigen Bruders drang aufgeregt aus den Dornenranken. Was, um alles in der Welt, hatten die beiden da drin gefunden?

    »Ihr sollt die Taube holen, Yori!«

    Yori und Pit, der Sohn des Brotmachers, kicherten in dem Gebüsch. Dass sie dort waren, war verboten und Wendy wusste es. Die beiden hatten den Schutz des Felsendaches verlassen und damit gegen das Gebot der Siedlung verstoßen, denn die Dornenranken wucherten zwar innerhalb der von Felswänden umschlossenen Schlucht, nichtsdestotrotz aber unter freiem Himmel. Die Taube, die sie eben erlegt hatten, war aber nun mal da vorn abgestürzt, und sie alle freuten sich auf den Braten, also hatte Wendy eine Ausnahme gemacht. Was war schon dabei?

    »Beeilt euch, ihr zwei!«, rief sie.

    Ein kurzes Rascheln später standen sie ohne Taube, aber mit glühenden Wangen, vor ihr. Sie hüpften auf und ab und berichteten, was sie entdeckt hatten und – herrjeh, ja! – da hatte auch sie nicht widerstehen können.

    Heute

    Das Sengen der Sonne ließ nach, die Schatten wuchsen erneut zu jenen stattlichen Längen heran, die sie noch am Morgen vorzuweisen gehabt hatten, und der stete, rieselnde Atem der Einöde büßte einen Teil seiner Hitze ein.

    Wendy fühlte sich gerädert von dem kräftezehrenden Marsch, und ihr Nacken brannte wie Feuer. Mühsam rappelte sie sich aus der halbsitzenden Position im Schatten eines großen Steinblocks auf, in dem sie die größte Hitze überdauert hatte. Sie schirmte die Augen mit der Hand ab und blickte zu den Gebäuden, von denen zwei wie abgebrochene Riesenzähne in den Himmel ragten. Wendy staunte aufrichtig. In der Schlucht hätte man diese Ungetüme keinesfalls verbergen können. Doch trotz der beeindruckenden Ausmaße dieser Häuser wirkte die Siedlung jetzt, aus der Nähe, noch entmutigender als zuvor: Der Wind fuhr mit hohler, klagender Stimme zwischen die Häuserschluchten und pfiff durch leere Fensteröffnungen und die Risse in den Wänden.

    Aber selbst wenn sie sich wirklich geirrt haben sollte, und die Kinder nicht hierhergebracht worden waren, würde sie alles absuchen. Denn vielleicht gab es auch hier ein Gebot wie das zu Hause: »Sei niemals von außen sichtbar!«

    Sie zog den Wasserschlauch aus dem Rucksack und trank. Dann lugte sie um den Steinblock und beäugte das Metallgeflecht, das umgekippt zwischen hohen Steinpfosten lag, die in regelmäßigen Abständen eine Linie um die Gebäude bildeten. Einige dieser Pfosten waren ebenfalls umgestürzt oder gar geborsten.

    Eine Umzäunung. So etwas nutzten sie zu Hause für die Ochsenpferche.

    Ihr Blick wanderte zu einem runden Platz zwischen den Bauwerken, in dessen Mitte eine vier Schritt hohe Metallsäule thronte. »Takashi-Corporations« stand darauf. Staubwolken wirbelten dort vom Boden auf, kreiselten in die Höhe, trieben ein paar Schritte weit und fielen wieder in sich zusammen. Etwas, das aussah wie ein vertrockneter Busch, rollte an Wendy vorbei und blieb wie in stummer Aufforderung inmitten der Staubwirbel liegen.

    »Geh schon«, drängte Peter in ihren Gedanken.

    Sie huschte durch die Schatten, die sich wie schwarze Stoffbahnen über den Platz legten und ihr Deckung gaben.

    Eines der Gebäude zog Wendys Aufmerksamkeit besonders auf sich. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Es besaß ein Kuppeldach aus einem durchsichtigen Material – war das Glas? Sie schätzte, dass es über dreißig Schritt breit war. Konnte denn etwas so Großes aus Glas sein? Zu Hause waren die meisten Behausungen tief in den weichen Kalkfelsen geschlagen worden, andere aus Holz, Blech oder ähnlichem erbaut – eigentlich aus allem, was Lakin und Feral, die Händler der Siedlung, von außerhalb der Schlucht zum Bauen heranschafften.

    Wendy schlich zum Eingang. Er bestand ebenfalls aus Glas. Ihre breitschultrige, für eine Frau hünenhafte Gestalt spiegelte sich schwach darin. Sie versuchte vergeblich hindurchzusehen. Ob Yori und Pit da drin waren?

    Entschlossen tastete sie nach der Luftdruckpistole und lud sie nach, dann drückte sie die Tür auf.

    Tag der Schuld

    »Beeil dich, Wendy!«

    Yori war vor ihr durch den Felsspalt gekrochen und stand bereits neben Pit im gleißenden Sonnenlicht. Sie fühlte sich wie in einer verdrehten Welt. Sie hörte seine Stimme nur gedämpft, dafür waren ihr Rutschen und das angestrengte Atmen so laut, als gäbe es nichts anderes mehr. Der Zwischenraum im Fels, den Yori und der Brotmachersohn hinter den Dornenranken gefunden hatten, war eng, ständig hing sie an einer Felsnase fest oder stieß sich den Kopf.

    Hoffentlich bleib ich nicht stecken!, dachte sie, dann war sie durch.

    »Wenn du nicht so groß und breit wärst wie Papa, wärst du schneller gewesen«, tadelte Yori, als sie sich endlich neben ihm und Pit aufrichtete und die Hose und die Tunika abklopfte. Er und Pit kicherten.

    »Du kleines Aas«, erwiderte sie, doch sie war ihm nicht böse, dazu war er einfach zu süß und lieb. Seine hellblonden Haare wurden ihm von der heißen Brise, die aus der Einöde auf den Felshang heraufzog, aus der Kinderstirn geweht. Seine kugelrunden Augen, braun wie ihre eigenen, blickten aufgeregt in die Weite. Er kam im Aussehen nach ihrer zarten Mutter.

    »Wir sind draußen, Wendy!«, quiekte er.

    Ja, sie waren draußen, zum ersten Mal im Leben, und Wendy wusste nicht, ob sie jubeln oder sich sorgen sollte, weil sie ihren Bruder mit ihrem

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