Die Sinne: Der Geschmack
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Über Geschmack lässt sich bekanntlich sehr wohl streiten. Und mit leerem Magen neigt man erst recht zur Reizbarkeit, daher heißt es nicht grundlos: Satt und zufrieden. Welches Menü jedoch jeweils zusagt, daran scheiden sich die Geister – und legen damit den Grundstein für den Starkult besonders kreativer Köche. Essen ist zweifellos höchst befriedigend, kann aber leider auch in maßlose Gier ausarten …
Einigkeit besteht darüber, dass bestimmte, mit Kindheitstagen verbundene Essensdüfte, Gerichte oder Naschereien lebenslang von Bedeutung bleiben, und unwillkürlich – oftmals wehmütige – Erinnerungen wecken.
Die vorliegende Sammlung unterschiedlichster Beiträge aus der Welt der Kulinarik lüftet das unglaubliche Geheimnis um Mutters unnachahmliches Kartoffelgulasch, verrät Kleopatras raffiniert eingesetzte Aphrodisiaka, befasst sich mit den Tatsachen der erstaunlichen Namensgebung des Frankfurter Würstchens, enträtselt das Mysterium des in Wien jeweils zum Kaffee servierten Wasserglases – und beweist, dass Liebe auch im Falle samtpfotiger Extrem-Gourmets durch den Magen geht.
Die Autoren wünschen guten Appetit!
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Die Sinne - Autorengruppe Die Sinne
Sinne
Sinne
Der Geschmack
Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages, Herausgebers und der Autoren unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Impressum:
© Karina-Verlag, Wien
www.karinaverlag.at
Layout, Textüberarbeitung: Karin Pfolz
Covergestaltung: Karin Pfolz, Detlef Klewer
Lektorat: Bruno Moebius
© 2018, Karina Verlag, Vienna, Austria,
Sinne
Der Geschmack
Impressum:
Die Sinne - der Geschmack, Vorwort
Bruno Moebius
Essen und Trinken halten Leib und Seele zusammen
Karina Moebius
Ein Hauch von Kardamom
Petra Kesse
Schillers Locken
Bruno Moebius
Der letzte aller Sommer
Katja Michels
Erde, Laub und der bittere Tod
Jeremias Schaub
Die Süßen
Bruno Moebius
Der schlechte Geschmack des Stolzes
Michaela Lipp
Wie schmeckt die Liebe?
Dörte Müller
Menü Surprise
Sara Puland
Das Lieblingsessen
Wilhelm Maria Lipp
Der Apfel
Sonny Tailor
Wiener Küche
Ulrike Lemmerer
Halbbitter
Freimund Pankow
Das Essen meiner Mutter
Erich Röthlisberger
Mörderische Himbeere
Bruno Moebius
Ein Bratkartoffelverhältnis
Petra Steuer
Mit Kleopatra das Kopfkissen teilen
Frankfurter Würstel vs. Wiener Würstchen
Ulrike Lemmerer
Pilzgericht
Wilhelm Maria Lipp
Quantität vor Qualität
Bruno Moebius
Bitterliche Tränen
Jasmin Mödlhammer
Das Jahr hat Geschmack
Leopold Fröhlich
Vergessene, nostalgische Geschmäcker
Erich Röthlisberger
Das Glas Wasser
Ulrike Lemmerer
Tee und Wolken
Anastasiya Maria
Tête-à-tête im Dezember
Freimund Pankow
Erikas Kette
Anastasiya Maria
Genuss und Reue
Bruno Moebius
Der Geschmack des Lebens
Irene Schwingenschlögl
Der Geschmack roter Kirschen
Bernadette Maria Kaufmann
Süßes Leben
Sabrina Nikolai
Die Sache mit dem Futter
Kirstin Schneider
Die fünf Tränke – Das Dorf der Gaukler
Miranda Rathmann
Die Sinne - der Geschmack, Vorwort
Bruno Moebius
Wie oft verwenden wir Begriffe wie ›geschmacklos/geschmackvoll‹, ›guter/schlechter Geschmack‹ und ähnliche im Zusammenhang mit Ästhetik?
Dabei ist deren Ursprung in uns selbst zu finden, nämlich im gustadorischen, dem Geschmackssinn.
Wir schmecken, wenn wir essen, trinken oder auch nur kosten oder nippen. Es genügt schon, etwas mit der Zungenspitze zu berühren, um eine Geschmacksempfindung zu erleben: süß, sauer, salzig oder bitter.
Es würde zu weit führen, die anatomischen Hintergründe des Geschmackssinns näher zu beleuchten, aber er ist – in Verbindung mit dem Geruchssinn – so wesentlich nicht nur für unser Überleben, sondern auch für unser Wohlgefühl, dass wir ihn in der Sprache auch im ästhetischen Bereich und in der einen oder anderen Redewendung gebrauchen.
›Das schmeckt mir gar nicht‹ ist eine der Bekanntesten und bedeutet ›Das gefällt mir gar nicht‹.
In diesem Sinne wünsche ich allen eine wundersame Reise ins Reich des Geschmacks. Möge sie euch ›schmecken‹!
Essen und Trinken halten Leib und Seele zusammen
Karina Moebius
»Das hast du wieder hervorragend gekocht!«, witzelte mein Mann kürzlich, als er nach dem kalten Abendessen die Teller abservierte. Ich wiederum versuchte sofort, einen subtilen Unterton herauszuhören, der den Witz möglicherweise als leisen Vorwurf enttarnte, weil ich heute gar keine Lust zum Kochen verspürt hatte. Nein, da war nichts. Alles gut. Wenn man reichlich geschnippeltes Gemüse wie Tomaten und Paprika, saure Gürkchen und Oliven auftischt, sieht das einfachste Käsebrot ganz und gar nicht bescheiden, sondern eher nach einem Festmahl aus. Vor allem dann, wenn Oliven im Haus sind. Ich liebe sie und könnte sie zu jeder Tages- und Nachtzeit futtern. Das war allerdings nicht immer so.
Der Gedanke an die erste Olive meines Lebens lässt mich schmunzeln und gleichzeitig zieht diese Erinnerung weite Kreise, denn sie hat mit meiner geliebten Tante Elfie zu tun. Jene Tante hatte nicht nur ihr Leben in vollen Zügen genossen, sondern auch das, was das Leben an kulinarischen Genüssen bot. Sie liebte einen knusprigen Schweinsbraten mit Knödel und Krautsalat ebenso wie feinste Gänseleberpastete oder Leckereien aus Schokolade und Nüssen. Sie mochte guten Käse genau so gern wie exotische Früchte, die es damals in den Fünfziger- oder Sechzigerjahren bei uns noch kaum gab, und wenn doch, sprengte deren Erwerb das Budget einer durchschnittlichen Familie. Wenn es ums Essen und Trinken ging, hatte Tante Elfie die Nase gerne vorne und wollte überall zu den Ersten gehören, die etwas Neues, noch Unbekanntes, ausprobierten.
In der Zeit, als ich zwischen drei und sieben Jahre alt war, wurden meine Eltern und ich immer wieder zum Abendessen – zumeist an einem Freitag- oder Samstagabend – bei Tante Elfie und Onkel Fritz eingeladen. Der Onkel liebte das Kochen über die Maßen und ließ seiner Fantasie am Herd freien Lauf. Die Tante wiederum war von der ›Panscherei‹ – wie sie es verächtlich nannte – in der Küche grundsätzlich wenig angetan. Obwohl sie gutes Essen sehr zu schätzen wusste, war ihr die Zubereitung desselben höchst zuwider.
Daher war sie ihrem Mann, in einem gewissen Rahmen, dankbar, dass er sich der Bereitung eines Mahls mit Hingabe widmete, und ließ ihn daher schalten, walten und kreieren. Wenn er nur nicht immer so ein Chaos angerichtet hätte …
Selbst ich als Knirps konnte den Unterschied zwischen Kochen und Kreieren erkennen. Meine Mutter kochte geplant und übersichtlich. Sie wusch zwischendurch das nicht mehr benötigte Geschirr ab, wischte die Arbeitsplatten und nach dem Essen war nur noch das Nötigste zu tun. Ganz anders beim Onkel Fritz. Die Küche glich einem Schlachtfeld. Massenhaft Geschirr, verschiedenartigste Küchenhilfen, bekleckerte Arbeitsplatten und versauter Fußboden zeugten von seinem schöpferischen Prozess. Gelegentlich hinterließ er auch angesengte Geschirrtücher. Der wenig kreative Abwasch blieb der Tante vorbehalten, was ihre Freude an Fritzens Schöpfungsakt immer wieder erheblich trübte. Ich habe heute noch so manch böses Wort der Tante im Hinterkopf. Dies ebenso wie das Unverständnis des Onkels.
Wie gut kann ich mich auch an Diskussionen meiner Eltern vor einer solchen Einladung zum Essen erinnern. Für meinen konservativen Vater erwiesen sich die Kreationen des Onkels bei den meisten Gelegenheiten als schierer Albtraum. Allein der Gedanke daran, dass schon wieder ein gemeinsames, von Fritz gekochtes, Essen anstand, trug nicht unbedingt zur guten Stimmung unseres Familienoberhauptes bei und er ließ im Vorfeld seinen Unmut an meiner Mutter und mir aus. Um den Frieden in der Familie ja nicht zu gefährden, aß er schließlich immer wieder alles, was auf den Tisch kam, anstandslos, jedoch mit Todesverachtung, auf. Ich selbst kann mich kaum mehr erinnern, womit genau wir es zu tun bekamen. Doch ich weiß noch ganz zuverlässig, dass es einmal unter anderem Oliven gab. Da ich schon als Dreijährige Eingelegtes, wie kleine Gürkchen oder Perlzwiebel, sehr mochte, war ich davon überzeugt, dass dieses Ding im Glas eine ähnliche Köstlichkeit sein musste. Als meine Mutter versuchte, mir die Olive auszureden, da sie mir ja mit Sicherheit nicht schmecken würde, bekam diese den Hauch der ›verbotenen Frucht‹ und ich musste einfach kosten. So probierte ich die erste Olive meines jungen Lebens. Beim Gedanken an jene Situation zieht sich heute noch alles in mir zusammen. Ich spüre die Enttäuschung, als wäre es erst gestern gewesen, als ich anstatt des erwarteten säuerlichen Bissens ein salziges, leicht bitter schmeckendes Etwas im Mund hatte. Es war einfach scheußlich! Eine Weile schob ich die zerkaute Olive in meinem Mund von einer Seite auf die andere, in der Hoffnung, dass es vielleicht doch noch besser würde. Letztlich verschwand ich unauffällig vom Tisch – und die Olive in der Toilette. Das allwissende »Ich hab’s dir doch gleich gesagt« meiner Mutter musste ich hinnehmen, ob ich wollte oder nicht.
Oftmals dauerten die Abendessen bei den geselligen Strobls sehr, sehr lange und wir blieben über Nacht. Ich musste ob meiner jungen Jahre immer viel zu früh ins Bett und ein großer Teil des lustigen Beisammenseins entzieht sich meiner Kenntnis. Erst viel später erkannte ich, dass höchstwahrscheinlich der Grüne Veltliner, welchen Tante und Onkel sehr liebten, seinen Anteil an den Überstunden hatte. Eine Übernachtung bei Strobls bedeutete, dass es am Morgen danach – am späten Morgen – Frühstück im kleinen Wintergarten gab. Zum Kaffee beziehungsweise Kakao bekamen wir Ei im Glas, Toastbrot, Schinken mit Oberskren, Käsevariationen, aufgeschnittene Tomaten und Gurken kredenzt. Auch vom Onkel eigenhändig frisch ausgepresster Orangensaft bereicherte den Frühstückstisch. Manchmal gab es sogar ein Gläschen Sekt – für die Erwachsenen. Bei uns daheim fiel das Frühstück wesentlich bescheidener aus und ich liebte diese Fülle. Ganz besonders den Orangensaft. Dies bis zu jenem Tag, als der Onkel irgendwo gelesen hatte, dass ein kleiner Löffel Apfelessig in den Orangensaft musste, weil dies ja so gesund wäre. Ich sehe mich heute noch bei ihm in der Küche stehend, die Arbeitsplatte noch nicht einmal in Augenhöhe. Ich habe den Geruch der frisch gepressten Orange in der Nase und spüre auch hier die Enttäuschung über den ersten Schluck Orangensaft – mit Apfelessig. Von nun an verweigerte ich den einstmals geliebten Saft, denn obwohl ich Saures mochte, schmeckte Essig hier ekelhaft.
Tante und