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Im Sog des Udo
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Im Sog des Udo

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About this ebook

Der 16-jährige Jakob Buck bereitet sich in Italien auf die Junioren-WM im Rudern vor, als ihn die Nachricht erreicht, dass sein Haus brennt. Sein Vater befindet sich mit Freunden auf einem Städtetrip an der Ostsee, seine Mutter an einem Kongress in Frankfurt. Noch während des Brandes, wird Tommy, ein Nachbar der Bucks, verhaftet. Von der Polizei erfährt Jakob, dass Tommy zusammen mit seinem Freund Udo den Brand gelegt hat. Was tatsächlich geschehen ist, wissen nur Tommy und sein Freund Udo, falls es den überhaupt gibt.
LanguageDeutsch
PublisherARAVAIPA
Release dateJan 30, 2020
ISBN9783038642312
Im Sog des Udo

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    Im Sog des Udo - Werner J. Egli

    Udo

    Tommy kaputt

    „Weißt du, wie ich mir Tommys Hirn vorstelle?, fragte mich Vater vor einigen Jahren, als ich grad mal in der fünften Klasse war und überzeugt davon, dass mir Tommys Kopf für immer ein Rätsel bleiben sollte. „Willst du es wissen?, fragte mein Vater weiter, und ich merkte, wie wichtig es ihm war, mir seine Gedanken zu verraten. Also nickte ich, um ihn mit einer ablehnenden Antwort nicht zu verletzen.

    Er hatte ein listiges Schmunzeln im Mundwinkel, eines, das ich schon ziemlich gut kannte, und es war mir klar, dass es ihm wieder einmal darum ging, mir anhand einer seiner verrückten Geschichten eine kleine Lektion zu erteilen. Da kannte er keine Gnade. Geschichten waren die Essenz des Lebens, das Elixier des Zauberers, der sie erzählte, auch wenn sie eher für einen älteren Jungen gedacht waren als für einen damals Zwölfjährigen.

    Er sah sich nach Mutter um, aber sie war nicht da, und das war gut so, denn ich bezweifle, dass er mir diese Geschichte erzählt hätte, wäre sie in der Nähe gewesen. Also nahm er die günstige Gelegenheit wahr, als wir gemeinsam am Frühstückstisch saßen, er bei Kaffee und ich bei Milch und Protein-Müsli.

    Auch diese Geschichte begann ganz harmlos.

    „Tommys Hirn ist, wie wenn du mit deinen Freunden in den Wald gehst und ein Feuerchen machst, an dem ihr eure Würstchen braten könnt."

    Ich starrte ihn an, suchte in seinem Gesicht nach Spuren, die mir seinen gegenwärtigen Gemütszustand hätten verraten können, aber er hatte sich fest im Griff.

    „Nicht diese Würstchen …, sagte er, das Lächeln im Mundwinkel sozusagen festgefroren, so als wäre an einer ganz bestimmten Stelle der Film gerissen, aber er fuhr gleich fort: „… und die Marshmallows. Und wenn ihr das Zeug gegessen habt, wollt ihr nach Hause, aber das Feuerchen brennt noch immer, und wenn ihr es brennen lässt, brennt vielleicht später der ganze Wald.

    Lustlos in meinem Müsli herumrührend, starrte ich ihn an ohne mit der Wimper zu zucken, dachte mir, weiß er schon alles oder fällt ihm das alles fortlaufend ein.

    „Was macht ihr also?"

    Für eine Sekunde blieb die Frage in der Luft hängen, dann gab er sich gleich selbst die Antwort.

    „Wenn ihr anständig seid, schickt ihr die Mädchen ein Stück weit weg, stellt euch ans Feuerchen und pisst hinein. Es zischt und brodelt und schäumt, und es steigt Rauch auf und Dampf und ihr könntet jetzt eigentlich nach Hause gehen, aber in der Feuerstelle bleibt was übrig, ein Brei aus nasser Asche, kleinen verkohlten Holzstückchen, halb verbrannten Wursthäuten und geschmorten Marshmallows. Jetzt legte er eine kurze, aber effektive Pause ein, bevor er im gleichen Tonfall fortfuhr. „Auf diesem Brei schwimmt eine Schaumkruste, die zu den Rändern der Feuerstelle hin eingetrocknet ist, in der Mitte aber noch weich und lauwarm. Und wenn du dich jetzt bückst, Jakob, und mit der Hand da reinlangst und alles durcheinander rührst, und dann eine Handvoll von dem Zeug herausholst und es dem Tommy in den Kopf drückst, hast du in etwa sein Hirn.

    Ich stand da, starrte ihn an und lachte, als hätte er mir eben den Witz des Tages erzählt, aber ich sah ihm an, dass es ihm sehr ernst war und dass er mir in seinen Worten etwas ganz anderes sagen wollte, ich wusste nur nicht genau was. Vielleicht hatte es etwas damit zu tun, dass er um meine Zukunft besorgt war, weil ich mitten in die Smartphone-Generation hinein zur Welt kam, aber sein vorhin so maskenhaftes Gesicht verzog sich, und wo vorher keine Falten gewesen waren, zerfiel sein Gesicht in mehrere Dutzend von ihnen, Lachfalten an den äußeren Nasenwinkeln und um den Mund herum. Ich liebte dieses Gesicht, das in all den Jahren meiner Kindheit und Jugend in mir das Vertrauen gestärkt hatte, von ihm nie im Stich gelassen zu werden. Er klopfte mir Mut machend auf die Schulter, lachte dabei. „Tommy ist kaputt, Junge. Du musst aufpassen, wenn du dich mit ihm einlässt."

    „Mich mit ihm einlassen, ah, genau das habe ich vor, Papa. Wo denkst du denn hin?" Er nahm die Hand von meiner Schulter und gab mir einen Klaps. Ich mochte das. Hatte er früher oft gemacht, aber es wurde von Jahr zu Jahr weniger und schließlich hörte er auf damit und ich vergaß beinahe, dass es einmal dieses kleine Ritual gegeben hatte, nur die Worte seiner kleinen Geschichten oder Anekdoten, wie immer man es auch nennen will, die vergesse ich wohl nie, und sollte ich hundert Jahre alt werde.

    Habe ich euch eigentlich schon gesagt, dass mein Vater nie zum Frisör geht und nichts von modischer Kleidung hält? Der dunkelblonde Haarschopf steht in zerzausten Strähnen und Büscheln von seinem Kopf ab. Kämmen tat er es nie. Für den Haarschnitt war meine Mutter verantwortlich, und die arbeitete nicht in einem Beauty Salon sondern in ihrer eigenen Zahnarztpraxis. Alles was mein Vater an Klamotten trug, hing ihm viel zu groß von den Schultern und Hüften, seine Schuhe waren ausgetretene Stiefel, seine Ringelsocken strickte für ihn eine unserer Nachbarinnen und auf dem Arm hatte er mehrere Tätowierungen mit dunklen Inschriften, die nur für ihn eine Bedeutung hatten, Zeichen die ihn an sein früheres Leben erinnerten oder an ein Leben in einer geheimnisvollen Unterwelt von Zombies.

    Keine Ahnung, wann die Tätowierungen entstanden waren, aber als ich ihn einmal gefragt hatte, was diese Totenköpfe, die an einer Kette hingen bedeuteten, schaute er mich an, überlegte sich lange, was er mir sagen wollte und sagte mir dann die Wahrheit. „Es sind die fünf Leben, die ich schon gelebt habe, mein Sohn."

    Hallo, ich verstand weder was vom Leben oder was vom Sterben und hatte keine Ahnung, wie bald sich das ändern würde. Ich dachte einfach, dass das alles nichts mit dem richtigen Leben zu tun hatte, sondern mit dem in seinen Büchern. Mein Vater ist nämlich Schriftsteller. Er schreibt Fantasy Horror Geschichten, richtig cooles Zeug für die Erwachsenen, denen der Alltag nicht schon genug Horror ist. Mein Vater kann mit Worten umgehen. Das heißt, er konnte es, bis zum schlimmsten Tag seines Lebens, oder genauer gesagt, bis zum Tag, an dem er die Sprache verlor und ihm ganz einfach keine Worte mehr einfielen, und mir, als seinem Sohn, kristallklar wurde, wieviel erschreckende Wahrheit in jener Geschichte steckte, die er mir etwa drei Jahre zuvor im Zusammenhang mit Tommys Hirn erzählt hatte und die ich euch jetzt weitergegeben habe.

    Der Tag, an dem mein Vater seine Sprache verlor, war der 29. Mai. Fünfzehn war ich damals. Also sind seit jenem Tag zwei lange Jahre vergangen. Tommy hatte bis zu diesem verhängnisvollen Tag bei seiner Mutter gelebt, inzwischen achtunddreißig Jahre alt, ohne einen Job und immer auf der Suche nach Geld, das ihm jemand geben würde. Er kam auch oft zu uns und manchmal gab ihm Mama oder Papa einen Zehner oder sogar einen Zwanziger. Einfach so. Sie wussten, dass Tommy ihnen das Geld nie wieder zurückbezahlen würde, obwohl Tommy beteuerte, es ihnen eines Tages zurückzugeben.

    Tommy war ein merkwürdiger Kerl. Seine hellblauen Augen schienen so klar, dass sich in ihnen kein böser Schimmer verstecken konnte und auch keine Hinterlist. Immer extrem höflich und immer schnell bereit, einem Nachbarn seine Hilfe anzubieten, wenn es etwas zu erledigen gab. Häufig fragte er auch meinen Vater oder meine Mutter, ob er ihnen mit irgendetwas zur Hand gehen konnte, aber Vater ließ ihn nie ins Haus, und ehrlich gesagt glaubte ich nicht, dass es Tommy mit dem Arbeiten ernst gewesen war, denn ich hatte ihn in unserer Nachbarschaft noch nie arbeiten gesehen.

    Es gab mal eine kurze Zeit, während der er nacheinander mehrere echte Jobs hatte. Von einer Kaufhauskette war Tommy für mehrere Monate als Sicherheitskraft angeheuert worden, stolzierte mit seiner Uniform im Laden herum, war den Leuten, die sich nicht auskannten, behilflich, das richtige Regal mit der richtigen Ware zu finden, scherzte mit kleinen Kindern und schien auf dem besten Weg zu sein, ein ganz anderer Tommy zu werden als der, den mein Vater in ihm sah.

    Meine Mutter nahm das alles mit Gelassenheit. Sie war ganz anders als mein Vater. Nahm nicht viel richtig ernst, außer ihren Job und unsere Familie, also uns, meinen Vater und mich. Sie war Zahnärztin. Hm, habe ich schon mal gesagt, aber doppelt genäht hält besser, sagt meine Mutter oft, wenn sie mir einen ihrer Ratschläge aufs Ohr haut. Hatte eine eigene Praxis mit vier Angestellten. „Tommy könnte unsere Praxis putzen", hatte sie einmal meinem Vater vorgeschlagen.

    „Vergiss es", hatte er ihr geantwortet.

    Sie hatte gelacht. „Du magst ihn wirklich nicht, nicht?", stellte sie dabei fest.

    Er überraschte uns beide mit seiner widersprüchlichen Antwort. „Stimmt, ich mag ihn auch, aber ich mag ihn nicht in meiner oder deiner Nähe haben. Oder in Jakobs Nähe."

    Meine Mutter wurde stutzig, runzelte ihre sonst so glatte Stirn und schüttelte den Kopf. „Du tust ihm womöglich unrecht, sagte sie. „Tommy hat seine Strafe verbüßt. Jeder verdient eine Chance, Ulm. So hieß mein Vater. Ulmer. Weiß der Teufel, warum er auf einen Namen wie diesen getauft worden ist. Doch Ulmer passte perfekt zu Buck. Ulmer Buck! Für seine Bücher war das schon fast wie ein Geistesblitz, der zu einem Pseudonym gereicht hätte, wäre es nicht sein richtiger Name gewesen.

    Es war mir klar, dass Vater Tommy mochte. Es war mir aber auch klar, dass er sich Sorgen um seine Familie machte. Wahrscheinlich wünschte er, Tommy wäre ein anderer Mensch gewesen, einer, der sein Leben und sich selbst im Griff hatte. Aber das schien offenbar nicht mehr möglich. Seine Mutter, Helga Lohmeyer, die über achtzig Jahre alt war und manchmal ihren blauen Alfa Romeo im Schneckentempo in unserer Stadt herumkutschierte, und ehrlich, wenn man sie von vorne herannahen sah, konnte man von ihr nicht viel anderes sehen als ein paar silberne Haare, die ihr steil zu Berge standen und über das Armaturenbrett hinwegragten. In die Garage kam niemand rein, schon gar nicht Tommy, denn sie bewahrte den Schlüssel zur Garagentür und den Schlüssel zum Alfa in einem Tresor auf, den Tommy schon vergeblich zu knacken versucht hatte. Behauptete sie wenigstens.

    „Tommy würde den Alfa zu Schrott fahren, erklärte sie meinem Vater einmal, als ich daneben stand und nervös an meinem neuen Handy herumfummelte, weil ich einen Anruf von meiner Freundin Claudia erwartete. „Als guter Nachbar, hast du das ja bestimmt schon längst gemerkt, dass Tommy nicht so richtig tickt. Schade um ihn.

    Wir duzten uns in der Nachbarschaft alle. Nur Kinder und Teens siezten die Erwachsenen. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, Tommys Mutter Helga zu nennen, aber bei Tommy war das was anderes. Für mich war Tommy Tommy, aber manchmal fiel es mir sogar schwer, seinen Vornamen auszusprechen, obwohl es für mich ja keinen persönlichen Grund gab, ihm nicht mit Respekt zu begegnen.

    „Er trinkt vielleicht ein bisschen viel, Helga, antwortete mein Vater. „Und wahrscheinlich kifft er, oder er schnupft Zeug.

    Tommys Mutter war eine sehr kleine zierliche Frau, die das Alter derart schlimm gekrümmt hatte, so dass sie den Kopf schräg vom Hals wegdrehen musste, um zu meinem Vater aufzusehen, der ein hoch aufgeschlossener, schlanker Mann war. „Es sind die Schmerzen", sagte sie so leise, als fürchtete sie, ich hörte mit. Das tat ich auch.

    „Schmerzen?, sagte mein Vater. „Wusste ich gar nicht, dass Tommy Schmerzen hat?

    „Von der Kindheit an, sagte sie. „Er stürzte mit seinem Kinderfahrrad. Schlug mit dem Kopf gegen die Bordsteinkante. Von da an war er ein anderer Junge, verstehst du, Ulm.

    Mein Vater kratzte sich im Bart, den er sich wachsen ließ. Sah jetzt schon richtig cool aus, der dunkle Bart, der am Kinn silbern glitzerte. „Das wusste ich nicht", murmelte er.

    „Siehst du, das wissen nur sein Vater und ich, das heißt, seit sein Vater gestorben ist, wusste es nur noch ich, und du weißt es nun auch."

    „Warum hast du es mir überhaupt anvertraut, Helga?"

    „Weil ich dich als Nachbarn sehr schätze, Ulm, dich und deine Frau und den Jungen. Nie ein schlechtes Wort über Tommy, auch nicht, als sie ihn aus dem Gefängnis entlassen haben. Kein einziges schlechtes Wort über meinen Tommy, obwohl es genug über ihn zu reden gäbe."

    „Was sagen denn die Ärzte? Besteht noch Hoffnung, dass Tommy…"

    Mein Handy ging los, Musik und Vibration.

    „Deine Freundin wird’s sein, Jakob, lachte sie und es war ein krächzendes Lachen, das haargenau zu ihrer Stimme passte. „Also, ich muss jetzt rein. Ticki wartet auf mich.

    Ticki war ihr braun-weiß gefleckter Mops, der beim Atmen rasselte, als wäre er so alt wie Tommys Mutter, aber er war erst vier. Tommy hatte mir einmal verraten, dass er Ticki mitkiffen ließ, indem er ihm den Rauch in die Nase blies, damit seine Atemwege durch den Hanfrauch gesäubert würden. Ah, ich sag’s euch, von Hunden hatte Tommy wirklich keine Ahnung, aber ich denke eh, dass er nicht mehr viel Ahnung von gar nichts hatte, weil sein Hirn nicht mehr mitmachte.

    Claudia war dran. „Ich habe den Franztest verbockt, sagte sie. „Wann treffen wir uns? Mein Vater ist stinksauer. Ich soll Nachhilfe bekommen.

    „Von mir?"

    „Bist du verrückt?"

    „Sag mal, glaubst du, dass in der Garage von Tommys Mutter Leichen rumliegen?"

    „Leichen? Sie lachte auf. „Spinnst du, Jakob?

    „Fahrradfahrer", beharrte ich.

    „Fahrradfahrer?"

    „Ja, weil sie doch beim Fahren nicht übers Armaturenbrett sieht"

    „Du meinst, sie überfährt Fahrradfahrer, ohne dass sie es merkt?"

    „Genau. Und die bleiben am Unterboden ihres Alfas hängen und sie schleift sie nach Hause und wenn sie den Alfa in der Garage parkt, fallen sie runter und sie räumt sie einfach nur weg."

    „Du denkst schon fast wie einer der Verbrecher in den Büchern deines Vaters."

    „Vielleicht verstaut Tommys Mutter die Leichen alle in einem Kasten, und dort drin mumifizieren sie sich im Laufe der Zeit und werden …"

    „Hör auf, unterbrach sie mich ziemlich scharf. „Warum sollte sie denn sowas tun?

    „Weil sie befürchtet, man würde ihr den Führerschein entziehen, wenn man drauf käme, dass sie zu alt ist zum Autofahren."

    „Du spinnst wirklich. Sag deinem Vater bitte mal, er soll dir seine Geschichten nicht mehr zum Probelesen geben."

    „Wir können uns morgen nach der Schule treffen, unten am See, schlug ich vor. „Du weißt schon.

    Sie brach den Anruf ab. Ich dachte daran, sie zurückzurufen, ließ es aber bleiben. Dass sie die Franzprüfung verbockt hatte, konnte gar nicht so schlimm sein. Sie war das gescheiteste Mädchen unserer Klasse, der Augapfel ihres Vaters und ihrer Mutter, und der Darling unseres Franzlehrers, Thierry Prudhomme, klein und ohne ein Gramm Fett am Körper, den er durchs Marathon-Laufen bis zum Geht-nicht-mehr gestählt hatte.

    Wir trafen uns beim alten Bootshaus, einem halb zerfallenen Bretterschuppen. Früher war er einmal das Clubhaus des Ruderclubs gewesen, aber der Zahn der Zeit hatte unaufhörlich an ihm genagt, mit heftigen Sturmböen, die manchmal ungebremst über den See hinwegbrausten. Das Haus stand direkt am Ufer, auf robusten Pfählen gebaut, mit einem Giebeldach und gelben Bretterwänden, ein Blickfang für Hobbyfotografen, die manchmal die Störche fotografierten, die dort auf den hohen Bäumen nisteten und ihre Jungen zur Welt brachten. Hin und wieder trafen wir uns dort unten, Claudia und ich, und redeten über alles, was uns gerade einfiel, und manchmal redeten wir überhaupt nicht, setzten uns auf die alten Planken, wo früher die Boote ins Trockene gezogen worden waren und die jetzt keinen Zweck mehr hatten, außer den, dass wir dort unsere Füße ins Wasser hängen ließen, und wenn wir still waren, ganz still, schwammen winzig kleine Fische zu uns und nibbelten an unseren Zehen. Und hin und wieder küssten wir uns und knutschen ein bisschen und ich konnte mir fast nichts Schöneres vorstellen, als mit ihr zusammen zu sein. Manchmal nahm ich meine Boom-Box mit und wir hörten Musik, die ich auf dem Handy hatte, alte Songs, die ich, als ich klein war, oft zu Hause gehört hatte, AC/DC und Pink Floyd und solche Bands, die mein Vater in seiner CD Sammlung hatte und Mutter gern hörte.

    Meine Eltern passten gut zusammen, meine Mutter und mein Vater. Ich nannte sie Mama und Papa. Heute noch tu ich das. Das gebot mir die Dankbarkeit, die ich ihnen gegenüber empfand, und meine Liebe. Ich kann mich nicht erinnern, dass es einmal Knatsch gegeben hätte. Sie waren beide von einer besonderen Menschlichkeit, die sie stark machte, ausgeglichen und glücklich. Nie im Leben wäre mir in den Sinn gekommen, dass einmal nur noch einer von ihnen da sein würde, aber manchmal denkt man, der Himmel könne einem nie auf den

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