Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Zu sein, zu leben, das ist genug: Warum wir Hölderlin brauchen
Zu sein, zu leben, das ist genug: Warum wir Hölderlin brauchen
Zu sein, zu leben, das ist genug: Warum wir Hölderlin brauchen
Ebook184 pages2 hours

Zu sein, zu leben, das ist genug: Warum wir Hölderlin brauchen

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Blühendes Leben und glühende Liebe. Die zeitlose Vision eines der größten deutschsprachigen Dichter.Friedrich Hölderlin ist mehr als nur ein Dichter. Er ist einer, der begeistern kann, weil er den guten Geist zur Sprache bringt, der Menschen wachsen und erblühen lässt. Deshalb sind sein Dichten und sein Denken ungebrochen aktuell. In einer von Ökonomie und Technik dominierten Welt, die oft von allen guten Geistern verlassen scheint, weist Hölderlin den Weg zu einem authentischen, lebendigen, seelenvollen, freien und begeisterten Menschsein. Christoph Quarch zeichnet das Porträt eines Dichters, der sich als Vorbote einer neuen und humaneren Welt begriff einer "vollentblühenden Welt", in der die alten griechischen Götter zu neuem Leben erwachen.
LanguageDeutsch
Release dateMar 18, 2020
ISBN9783961124107
Zu sein, zu leben, das ist genug: Warum wir Hölderlin brauchen

Read more from Christoph Quarch

Related to Zu sein, zu leben, das ist genug

Related ebooks

Poetry For You

View More

Related articles

Related categories

Reviews for Zu sein, zu leben, das ist genug

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Zu sein, zu leben, das ist genug - Christoph Quarch

    Götter

    I. Die Stimme des Gottes. Hölderlins Berufung

    Ach! wir kennen uns wenig,

    Denn es waltet ein Gott in uns.

    (aus: Menschenbeifall)

    Uns selber zu verstehen! Das ist’s, was uns emporbringt. Lassen wir uns irremachen an uns selbst, an unserem θειον, oder wie Du’s nennen willst, dann ist auch alle Kunst und alle Müh’ umsonst.

    (An Neuffer, August 1798)

    Wer ist Friedrich Hölderlin? Viele schon haben sich an einer Antwort versucht. Manche, indem sie sein Leben minutiös rekonstruierten; andere, indem sie seine Werke sorgfältig interpretierten; wieder andere, indem sie sein Schaffen in den Zusammenhang der geistigen Strömungen seiner Zeit brachten. Alle diese Bemühungen haben eine Flut von Erkenntnissen und Einsichten über Hölderlin zutage gefördert. Und doch umweht den Dichter immer noch die Aura des Geheimnisvollen. Irgendetwas an ihm scheint sich beharrlich allen Deutungsversuchen zu entziehen. Irgendwie will es nicht recht gelingen, sich einen Reim auf diese Gestalt zu machen, deren Dichtung Tausende zutiefst berührt und ergriffen hat und die trotz ihrer oft enigmatischen Sprache noch heute ihre Leser begeistert. Was ist es mit dem Dichter, der als hoffnungsvoller Stiftszögling in Tübingen begann, seine Poesie an dem von ihm verehrten Schiller schulte, mit Hegel und Schelling den deutschen Idealismus aus der Taufe hob, in seinem einzigen Roman Hyperion seine Liebesbeziehung mit der Frankfurter Bankiersgattin Susette Gontard verewigte, mit seinen späten Hymnen und Elegien zum Wegbereiter der modernen Lyrik wurde … und der zuletzt in geistiger Umnachtung die zweite Hälfte seines Lebens im Turm zu Tübingen fristete?

    Tatsächlich sind im Falle Hölderlins das Leben und das Werk des Dichters nicht zu trennen. Die Dichtung ist ihm von Anfang an eine Lebensform, die gleichsam aus seinem Innersten aufkeimt und wächst. Sie ist ebenso Ausdruck der Seele Hölderlins wie sein gelebtes Leben. Will man Werk und Leben Hölderlins verstehen, ist man deshalb gut beraten, sich der Seele des Dichters zuzuwenden – was aber nur gelingt, wenn wir den Mut aufbringen, uns selbst ihm mit der Seele, nicht mit dem Verstand, zuzuwenden: in seine Worte hineinzufühlen, Resonanzen zu entdecken und das Wesentliche seiner Dichtung ebenso wie seines Lebens zu erspüren. Dafür ist es unabdingbar, den Winken zu folgen, die er uns gibt. Wer Friedrich Hölderlin ist, verstehen wir nur, wenn wir ernst nehmen, wie er sich selbst gesehen hat.

    Hölderlin sah sich als Sprachrohr eines Göttlichen, das in ihm und durch ihn wirkte. Nicht sah er sich selbst als Urheber der Werke, die er schrieb; so wenig wie des Lebens, das er führte. Er wusste, dass ein Gott in ihm waltete, und wenn es überhaupt möglich ist, diesen Gott zu benennen, dann sah er sich als Stimme oder Sprachrohr des Apollon – jenes alten Griechengottes, dessen vornehmste Aufgabe es war, die Dichter und Sänger zu inspirieren, um durch sie das Sein dieser Welt als etwas Heiliges zur Sprache zu bringen; um durch die Rückbindung an die göttliche Tiefendimension der Wirklichkeit eine Ordnung zu gründen, die es den Menschen erlaubt, in Frieden, Freiheit und Schönheit lebendig zu sein – in Liebe zum Leben zu erblühen.

    Hölderlin sah sich als Sänger der Götter. Er wusste um seinen ›spirituellen Auftrag‹, dem er immer treu blieb – bis zur Selbstzerstörung. Denn, wie er selbst bezeugt, zuletzt war er dem Andrang des Heiligen nicht mehr gewachsen: die Leier des Gottes zerbrach und der Dichter fiel in den ›göttlichen Wahnsinn‹, von dem er als junger Student in Platons Dialog Phaidros erfahren hatte – also bei dem für ihn wohl prägendsten Autor, dem er am Ende der Vorrede zur vorletzten Fassung des Hyperion die Worte zugerufen hatte: Heiliger Plato, vergib! man hat schwer an dir gesündigt.

    So löst sich zuletzt das Mysterium der geistigen Umnachtung, in der Hölderlin seine zweite Lebenshälfte zubrachte: Das Gefäß seines Ichs war unter dem übermächtigen Zustrom der Begeisterung durchs Göttliche zerbrochen. Diese geistige Dimension des Lebens ernst zu nehmen, ist eine wichtige Lektion, die wir heute von Hölderlin lernen können.

    Im Arme der Götter. Die Kindheit

    Im Arme der Götter wuchs ich groß.

    Was für ein Satz! Für sich alleine ist er ein Gedicht! Sieben Worte, in denen ein ganzes Leben verdichtet ist. Man muss sie sich auf der Zunge zergehen lassen. Sie schwingen nach. Wer sie einmal wirklich in sich aufnahm, wird sie nie mehr los.

    Im Arme der Götter wuchs ich groß.

    Wie kann ein Mensch so etwas schreiben? Was hat er erfahren? Was ist ihm begegnet? Mit welchen Augen hat er in die Welt geblickt? Was hat seine Seele so gestimmt, dass es ihm möglich wurde, einen solchen Satz zu formulieren?

    Im Arme der Götter wuchs ich groß.

    Wir leben zu Beginn des 21. Jahrhunderts – einer rationalen, säkularen Zeit, in der es nicht geläufig ist, dass man von Göttern spricht; auch nicht davon, dass man als Mensch groß wachsen könnte. Unsere Gegenwart ist geprägt von Wissenschaft und Technik. Ihren Rhythmus prägt die Wirtschaft. Junge Menschen wachsen heute mit Maschinen auf – aber nicht im Arm der Götter groß. Hölderlins Worte sprechen offenbar aus einer Welt, die längst vergangen ist. Aber trotzdem gehen sie uns etwas an. Ja, sie gehen uns nicht irgendetwas an, sondern sie betreffen uns in etwas Wesentlichem – etwas, das nur selten Nahrung findet; etwas, das sich nach Ansprache sehnt.

    Im Arme der Götter wuchs ich groß.

    Was ist es, das durch diese Worte angesprochen und berührt ist? Etwas Zartes, etwas Stilles, das im lärmenden Getriebe dieser digitalisierten, technisierten und ökonomisierten Welt dauernd übertönt oder verleugnet wird. Etwas höchst Lebendiges, das bei aller tosenden Geschäftigkeit unbeirrt an einer echten Sehnsucht festhält: groß zu wachsen, zu gedeihen, zu erblühen, zu reifen, Frucht zu tragen, dann zu welken und zuletzt im Einklang und im Frieden mit der Welt zu sterben – groß zu sein als Mensch, der liebt und leidet, lacht und weint, singt und seufzt, vor allem aber ganz lebendig ist. Dieses Etwas kannten unsere Vorfahren als Seele. Sie ist es, die durch die Worte angesprochen und geweckt wird: aus einer dumpfen Trance, die uns Menschen heute oft benebelt und die uns den Irrsinn dieser Tage dulden lässt.

    Im Arme der Götter wuchs ich groß.

    Wer spricht diese Worte? Wer ruft hier aus welcher Zeit in unsere Welt hinein, um uns an all das zu erinnern, was wir längst vergessen haben? Es ist Friedrich Hölderlin, geboren am 20. März 1770 in Lauffen am Neckar. Er schrieb diese Zeile irgendwann um 1800, war also um die dreißig, als er wehmütig und sehnsuchtsvoll auf die Jahre seiner Kindheit blickte – einer Kindheit, die vom frühen Tod des Vaters überschattet und von Ortswechseln und Unruhe geprägt war, die sich aber gleichwohl tief in seine Seele eingeschrieben hatte: als die Zeit, da er sich im Arme der Götter aufgehoben fühlte. Das Gedicht, das er mit diesen Worten abschließt, hat er selber nie veröffentlicht. In den Ausgaben seiner Werke findet man es unter einem Titel, der die erste Zeile dieser Dichtung ist: Da ich ein Knabe war.

    Diese Worte geben einen Hinweis darauf, wer es ist, der sich durch jene Schlussworte gemeint weiß: Es ist das Kind, das in der Tiefe einer Menschenseele waltet – das spielende, das unschuldige Kind, das Kind mit einem reinen Herzen, das noch ganz das ist, was es zu sein bestimmt ist: ein Echo des Himmels, ein heiliges Herz, wie Hölderlin es gerne nannte. Ein solches reines, echtes und deshalb heiliges Herz schlägt in unser aller Brust. Und es weiß sich angesprochen, weil die Worte Hölderlins nichts anderes sind als eben dieses Echo, das aus seinem Herzen über 200 Jahre hinweg in unsere Welt tönt. Können wir es hören?

    Da ich ein Knabe war

       Rettet' ein Gott mich oft

          Vom Geschrei und der Rute der Menschen,

             Da spielt ich sicher und gut

                Mit den Blumen des Hains,

                   Und die Lüftchen des Himmels

                      Spielten mit mir.

    So beginnt ein Gedicht, das der Erinnerung gewidmet ist: an die lang vergangene Zeit der Kindheit – eine Zeit, deren heiterer Himmel schon bald durch dunkle Wolken überschattet wurde. Denn der junge Hölderlin litt unter dem Erziehungswesen seiner Zeit. Er begegnete ihm zunächst in Nürtingen, wo er die Lateinschule besuchte. 1784 absolvierte er mit Erfolg das württembergische Landesexamen. Seine Mutter drängte darauf, dass er, der Tradition ihrer Familie folgend, Pfarrer werden solle – ein Plan, dem er sich zeit seines Lebens tapfer widersetzen würde. Anfangs war das noch nicht abzusehen. Also schickte sie ihn nach Denkendorf, wo er in einem Internat zum Theologen ausgebildet werden sollte. Wie es ihm dort ergangen ist, hat er später in seinem Roman Hyperion verraten:

    Ach! wär ich nie in eure Schulen gegangen. Die Wissenschaft, der ich in den Schacht hinunter folgte, von der ich, jugendlich töricht, die Bestätigung meiner reinen Freude erwartete, die hat mir alles verdorben.

    Nach zwei Jahren wechselt er zur Klosterschule nach Maulbronn. Dort setzt sich die Zeit der Leiden für ihn fort. Immanuel Nast, einem Freund aus jenen Tagen, schrieb der damals gerade 16-Jährige:

    Ich will dir sagen, ich habe einen Ansatz von meinen Knabenjahren – von meinem damaligen Herzen – und der ist mir noch der liebste – das war so eine wächserne Weichheit, und darin ist der Grund, dass ich in gewissen Launen ob allem weinen kann – aber eben dieser Teil meines Herzens wurde am ärgsten misshandelt, solang ich im Kloster bin …

    Geschrei und Rute waren Hölderlin aus seiner Schulzeit also wohl vertraut. Gleichwohl hat er sich wunderbarerweise sein so arg gebeuteltes und strapaziertes knabenhaftes Herz bewahrt, worin der Himmel – der doch immer da war und der immer zu ihm sprach – ein vollkommen reines Echo fand; so dass Hölderlin sich aufgehoben wusste im Arme der Götter.

    Woher kam ihm dieses Wissen? Wo vernahm er den Gesang des Himmels, der in seinem Herz und seiner Dichtung widerhallt? Das Gedicht Da ich ein Knabe war spricht uns auf diese Frage eine Antwort zu:

    Da spielt ich sicher und gut

                Mit den Blumen des Hains,

                   Und die Lüftchen des Himmels

                      Spielten mit mir.

    Es ist die Sprache der belebten Welt, die im knabenhaften Herzen Hölderlins ihr Echo findet. Es ist das leise Wehen des Windes, das sein Herz berührt, das Spiel der Blumen, das ihn vor Geschrei und Rute rettet, weil es ihm die Rückbindung an das erlaubt, was in ihm Sehnsucht nach dem wirklichen, lebendigen und echten Leben wachhält. Im Roman Hyperion lässt er seinen Titelhelden rufen:

    Ich bin bei euch so recht vernünftig geworden, habe gründlich mich unterscheiden gelernt von dem, was mich umgibt, bin nun vereinzelt in der schönen Welt, bin so ausgeworfen aus dem Garten der Natur, wo ich wuchs und blühte, und vertrockne an der Mittagssonne.

    Das war die schmerzliche Erfahrung, die er in der Schulzeit selbst durchlitten hatte: Man schulte seinen Intellekt, zog ihn auf für eine Welt der Nützlichkeit und Brauchbarkeit, machte ihn zu einem rationalen Menschen, so wie man es eben damals tat – und wie man es auch heute tut, nur noch viel entschiedener und kompromissloser. Hölderlin jedoch bewahrte sich gleichwohl sein kindliches Gemüt, weil er damit begnadet war, stets und immer wieder für das Spiel der Blumen und die Lüftchen des Himmels empfänglich zu sein. Diese Gabe war es, die ihn zum Dichter machte. Die Empfänglichkeit für das, was er als Zuspruch der Götter gewahrte, war es, was ihn durch seine Kindheit rettete. Denn, wie er in späten Jahren sagte:

    Nah ist und schwer zu fassen der Gott.

    Wo aber Gefahr ist,

    Wächst das Rettende auch.

    Nah war ihm der Gott, nahe waren ihm die Götter. Nah war ihm die Natur. Nah war ihm die Erde, nah war ihm der Himmel, der in seinem Herzen das ihn rettende Echo fand. So hat er es selbst erlebt. Und so hat er es immer neu besungen. Aber können wir ihn darin noch verstehen? Ist es nicht eine vielleicht ganz nette, dabei aber doch verbrauchte und leere Metapher, wenn Hölderlin wieder und wieder Gott und Götter bemüht? Macht er sich damit nicht für eine Zeit unmöglich, deren klügste Köpfe sich anschicken, den Menschen digital zum Homo Deus aufzurüsten und den von Friedrich Nietzsche diagnostizierten Tod Gottes endgültig zu exekutieren? Was soll uns die Rede von den Göttern? Selbst wenn Hölderlin mit ihrer Hilfe seine schweren Jugendjahre bewältigen konnte, heißt das doch nicht, dass wir heute irgendetwas damit anfangen könnten – oder gar sollten.

    So erhebt sich die Stimme des nüchternen Verstandes. Und sie schickt sich an, das stille Staunen der Seele zu übertönen; wie es so oft geschieht in der Betriebsamkeit unserer modernen Welt. Doch für dieses Mal wollen wir uns diesem Diktat des Intellektes widersetzen und ein Experiment wagen: uns angehen und anreden zu lassen von den Worten Hölderlins; uns einzulassen auf seine Sprache; hinzuhören und zu lauschen, wie der Dichter von den Göttern spricht, die ihn gerettet haben und in deren Armen er nach eigenem Bekunden groß geworden ist.

    Und wie du das Herz

    Der Pflanzen erfreust,

    Wenn sie entgegen dir

    Die zarten Arme strecken,

    So hast du mein Herz erfreut,

    Vater Helios! und,

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1