Lichtwolf Nr. 66 (Stumpf und Stil)
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„Stumpf und Stil“ mit spitzem S ist kein Rechtschreibfehler, sondern Ab- und Ansage an den im Wortsinne radikalen Zeitgeist in seiner stillosen Stumpfheit. Stilfragen aller Art werden ihm in dieser Ausgabe gestellt: Wie man in der Poiesis von Denken und Schreiben einen Stil findet, ohne ihn zur Masche verkommen zu lassen, ist Wolfgang Schröders Thema. Eine Stilfrage ist auch der Umgang von Künstlern mit Kritik, für den Schneidegger schlechte Beispiele aus Geschichte und Gegenwart gibt. Mit der Schwierigkeit, sprachlichen Stil ohne Stümperei zu übersetzen, befasst sich Vasile V. Poenaru. Michael Helming nimmt das Titelthema zum Anlass für eine Meditation über den Hang zu Dualismen in Sprache und Denken. Eine andere Frage ist der Konnex von Denk- und Kleidungsstil von Philosophinnen, zu dem Georg Frost eine kurze Typologie gibt. In Sachen Musik ist längst noch nicht jeder Stil durchgenudelt, wie Marc Hieronimus sachkundig erklärt und Lust auf bisher Unerhörtes macht. Eine muslimische Perspektive auf das Wechselspiel zwischen Manierismus und Dekadenz stellt Osman Hajjar vor, während Schneidegger zum 40. Jubiläum den Stil der Alien-Filmreihe würdigt. Politischer Stil und gesellschaftlicher Stumpfsinn wird behandelt von Bernhard Horwatitsch anhand der Bedingungen und Möglichkeiten einer Kommunikation zwischen Demokraten und Nazis, Bdolf stellt das Standardwerk zur Propaganda von Edward Bernays vor und Martin Köhler grübelt in seiner Kolumne über einen Nachkriegsschlager nach. Zwischendurch gibt es das Propädeutikum und drei WKI-Miniaturen zum Thema von Bdolf.
Der tragbare Gedanke eröffnet wie stets den hinteren Heftteil, in dem sich u.a. Aphorismen pro domo et mundo sowie Rezensionen in unter 800 Zeichen finden. Michael Helming portraitiert die Ameise als Viehlosovieh und beschäftigt sich in der Reihe „Philosophen in Uniform“ mit Mircea Eliade, der im Denken von Militär und Krieg besessen war, aber glimpflich davonkam. Außerdem gibt es einen nüchternen Bericht vom Stand der Gegenkultur auf der diesjährigen Mainzer Minipressenmesse. Und in der Reihe „Die unbedeutendsten Denker der Geschichte“ hat Rüdiger Spiegel den vergessenen Elmer Sang aufgetan, der eine trotzphilosophische Rechtfertigung Kants vorlegte.
Timotheus Schneidegger
Bücher für alle und keinen. Pirateninsel des Lichtwolf. Novaheißer Independent-Verlag im Nordwesten.
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Lichtwolf Nr. 66 (Stumpf und Stil) - Timotheus Schneidegger
Lichtwolf Nr. 66 (Sommer 2019)
Titelthema: Stumpf und Stil
Inhalt Nr. 66
Editorial & Impressum
Stumpf und Stil
Einleitung ins Titelthema
Der Jugend zum Geleit
Propädeutikum und Prolegomena zum Thema „Stumpf und Stil"
von Bdolf
entweder und oder
Binärsystem Sprache
Mit Herz und Seele durch Welten aus Wort und Sinn. Gern schlagen wir in Gedanken und Gesprächen bildliche Bälle lust- und klangvoll hin und her. Wir vergleichen, arbeiten mit Entsprechungen und/oder Gegensätzen. Sprache braucht Dualismen, auch wenn die nicht immer alles erklären.
von Michael Helming
Mit Kritik umgehen
Don’t complain, don’t explain.
Stilfragen betreffen in der Kunst sowohl das Werk als auch, aber anders, die Schöpferin.
von Timotheus Schneidegger
Man denkt, was man trägt
Philosophische Kleiderordnung
von Georg Frost
Musikstilkritik
Da geht noch viel
Alle Extreme wie laut, verkopft, obszön oder gaga sind ausgereizt, die Vermischung der Genres ist längst selber eines, und im Radio läuft sowieso nur Einheitsbrei? Die Revolution der Musik kann also kommen.
von Marc Hieronimus
Stil übersetzen
Stümperei oder Stil?
Close Reading einer Obama-Übersetzung des Suhrkamp Verlags
von Vasile V. Poenaru
Kurz gedacht:
Denker im Haiku: Zenon & Kant
von Michael Helming (mh) und Bernhard Horwatitsch (bh)
Nordafrikanische Stilblüten
Ibn Khalduns „Unendliche Vorrede"
Nicht erst Spengler sah im Prozess der Zivilisation eine Verfallsgeschichte, wie sich an der Rezeption von Ibn Khalduns Weltgeschichte zeigt. Über den Islam zwischen Fundamentalismus und Manierismus
von Osman Hajjar
Hörsinn
Stufen zum Nichts: Stumpf und Stil
Kolumne von Martin Köhler
Stil-Ikone aus dem All
Das Leben als Gewalt
1979 brachten Regisseur Ridley Scott und Gestalter HR Giger einen Mythos in die Kinowelt, der bis heute beunruhigt durch das alptraumhafte Amalgam aus Technik und Mutterschaft, Verlorenheit und Revolte, Fremdheit und Innerlichkeit im All. Eine Hommage voller Spoiler
von Timotheus Schneidegger
Wahrheit als Stilfrage
Bernays’ Propaganda
Überlegungen zur Wahrheit hinter der Fassade anhand von Edward Bernays’ „Propaganda"
von Bdolf
Nazis vs. Demokraten
Kommt ein Nazi in die Bar…
Viel wird darüber debattiert, ob und wie man mit Rechten reden soll und kann. Vielleicht helfen Paul Watzlawick und ein Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, eine Antwort auf diese Fragen zu finden.
von Bernhard Horwatitsch
Poesie zwischen Kunst und Natur
Hinterrücks
Bloßer Anschauung und bloßen Wörtern Stil zu verleihen, ist die hohe Kunst des Verstandesgebrauchs, die leicht zu Handwerk und schließlich Produktion verfällt. Über die Regie der Einbildungskraft, die keine Technik ist
von Wolfgang Schröder
Das kleine Schwarze
Miniaturen mit Stumpf und Stil
von Bdolf
Kurz lesen, lang nachdenken
Der tragbare Gedanke 66
von Bdolf (bd), Marc Hieronimus (hi), Bernhard Horwatitsch (bh), und Timotheus Schneidegger (ts)
Workaholic-Gewimmel
Viehlosovieh: Ameise
Schopenhauer schenkt ihr besonders viel Aufmerksamkeit. Doch auch andere Philosophen erwähnen sie mit Fleiß, begegnet sie uns doch meist in Gestalt eines inzwischen antiquiert wirkenden Adjektivs.
von Michael Helming
Die unbedeutendsten Denker
Zur Grundlegung der vernünftigen Vernunft
Über Elmer Sang und seine trotzphilosophische Rechtfertigung Kants
von Rüdiger Spiegel
Mainzer Minipressenmesse 2019
Mainz ist zerstört
von Marc Hieronimus und Timotheus Schneidegger
Rezensionen in < 800 Z.
Kurz & Klein 66
von Michael Helming (mh) und Marc Hieronimus (hi)
Philosophen in Uniform: M. Eliade
Sonderurlaub trotz Verspätung
In seinem Werk bedeutet Krieg eine Art rituelle Jagd. Der rumänische Schriftsteller, Religionswissenschaftler und Philosoph Mircea Eliade (1907–1986) entstammte einer Offiziersfamilie und erlebte beide Weltkriege. An vorderster Front diente er nie.
von Michael Helming
Sentenzen für die Latrinentür
Pro Domo et Mundo 66
von Filbinger (fi), Michael Helming (mh), Bernhard Horwatitsch (bh), Timotheus Schneidegger (ts) und Wolfgang Schröder (ws)
Autoren & Illustratoren
Rückseite
LXVI. Stressiges Heft
Aus der Offizin 66
Der Kinderlose fragt sich, ob, wann und wie sehr der Nachwuchs aller biologisch bedingten Zuneigung zum Trotze anfängt zu nerven. In den ersten Monaten, wo man von der Menschenlarve jede Nacht um den Schlaf gebracht wird? Wenn das Kindlein zu laufen und zu sprechen lernt und damit zur wachsenden Gefahr für sich und andere wird? Wenn es auf dem Schulhof Pornos tauscht und seine Lehrer verunglimpft? In der Pubertät aber doch sicher. Und wenn die überstanden ist, wächst mit jeder Minute, die die Volljährigkeit näherrückt, die Sorge, was aus diesem Kind mit Bartflaum nur werden soll, an das man sich in den 17 Jahren, die es den Lichtwolf in diesem Sommer nun schon gibt, gelegentlich bis zum Überdruss gewöhnt hat.
Es war viel zu tun im Vorfeld dieser Ausgabe. Der zur Finanzierung nötige Brotberuf ist kraft- und nervenraubend genug, dann brachte die MMPM (siehe S. 77) mich um das lange Wochenende (Vatertag!), an dem dieses Heft in aller Ruhe hätte druckfertig gemacht werden können, und so musste dieser ewig nölende Teenager sich manchen Ausbruch elterlichen Widerwillens gefallen lassen. Aber Druckerschwärze ist ja bekanntlich dicker als Wasser, gell...
Ihr
Timotheus Schneidegger
Impressum
Lichtwolf - Zeitschrift trotz Philosophie
Ausgabe 2 / Jahrgang 18 (Nr. 66)
Elektronische Ausgabe, ISSN 2192-7995
Veröffentlicht Ende Juni 2019
Verlagsanschrift:
catware.net Verlag / Timotheus Schneidegger
Erlenstraße 4 / 26524 Hage
Tel.: (+0049) 1520 3825888
E-Mail: redaktion@lichtwolf.de
V.i.S.d.P.: Timotheus Schneidegger
Heftgestaltung & Umschlag: Georg Frost
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Herausgeber, Redaktion oder Verlag wieder. Beiträge (Text oder Bild) dürfen nicht – auch nicht auszugsweise – ohne Zustimmung ihrer Urheber weiterverbreitet werden. Zur Verwendung kommt eine Hausorthographie. Redaktionelle Beiträge sende man per E-Mail an:
redaktion@lichtwolf.de
Der Lichtwolf ist keine Literaturzeitschrift: Bitte keine Kurzgeschichten und Gedichte schicken!
Einleitung ins Titelthema: Stumpf und Stil
Wiener Armenpflege [...] wird mit dem Strafparagraphen betrieben, wie die Staubabfuhr mit dem Kehrichtwagen, [...] so ist das Elend eine Folgeerscheinung des Bettels, den man darum mit Stumpf und Stiel – Körperstumpf und Holzstiel – ausrotten muß. Durch Arretierung der Bettler wird die Armut am gründlichsten beseitigt ...
– Karl Kraus, Die Fackel Nr. 178, 25.03.1905, S. 7 f.
„Stumpf und Stil" mit spitzem S ist kein Rechtschreibfehler, sondern Ab- und Ansage an den im Wortsinne radikalen Zeitgeist in seiner stillosen Stumpfheit. Stilfragen aller Art werden ihm in dieser Ausgabe gestellt: Wie man in der Poiesis einen Stil findet, ohne ihn zur Masche verkommen zu lassen, ist Wolfgang Schröders Thema. Eine Stilfrage ist auch der Umgang von Künstlern mit Kritik, für den Schneidegger schlechte Beispiele aus Geschichte und Gegenwart gibt. Mit der Schwierigkeit, sprachlichen Stil ohne Stümperei zu übersetzen, befasst sich Vasile V. Poenaru. Michael Helming nimmt das Titelthema zum Anlass für eine Meditation über den Hang zu Dualismen in Sprache und Denken. Eine andere Frage ist der Konnex von Denk- und Kleidungsstil von Philosophinnen, zu dem Georg Frost eine kurze Typologie gibt. In Sachen Musik ist längst noch nicht jeder Stil durchgenudelt, wie Marc Hieronimus sachkundig erklärt und Lust auf bisher Unerhörtes macht. Eine muslimische Perspektive auf das Wechselspiel zwischen Manierismus und Dekadenz stellt Osman Hajjar vor, während Schneidegger zum 40. Jubiläum die Alien-Filmreihe würdigt. Politischer Stil und gesellschaftlicher Stumpfsinn wird behandelt von Bernhard Horwatitsch anhand der Bedingungen und Möglichkeiten einer Kommunikation zwischen Demokraten und Nazis, Bdolf stellt das Standardwerk zur Propaganda von Edward Bernays vor und Martin Köhler grübelt in seiner Kolumne über einen Nachkriegsschlager nach. Zwischendurch gibt es das Propädeutikum und drei WKI-Miniaturen zum Thema von Bdolf.
Der Jugend zum Geleit
Propädeutikum und Prolegomena zum Thema „Stumpf und Stil"
von Bdolf
1.) Das Stumpf und Sti(e)l Money Quote: „Wenn man eine postapokalyptische Stadt gesehen hat, hat man alle gesehen! (Zitat: Episode „Three Robots
aus der Serie „Love, Death and Robots"/Netflix)
2.) Was sagt es, wenn beim Begriff „mit Stumpf und Sti(e)l sofort die Fortsetzung „ausrotten!
einfällt?
3.) Allgemein kann man über die Gattung Mensch sagen: „Fast alle sind stumpf …! Weiterhin allgemein kann man sagen: „Ungefähr etwas weniger als die Hälfte hat einen Stiel zwischen den Beinen.
4.) Amputiert man den Stiel, bleibt entschieden weniger als nur ein Stumpf.
5.) Die politikdarstellende Nomenklatura – immer derselbe Stil – peinlich, weil auch das schönste Geld verschafft keinen größeren Stiel…
6.) Umstritten ist die Aussage einer apokryphen Deutschpunkband: „enttäuscht sein Stil / dann mach ihn kalt!", obwohl geschmackspolizeiliche Interventionen vielleicht notwendiger denn je sind...
7.) Der Stil vermag nur zu befriedigen, wenn so deadcool wie Lenny Bruce, Klaus Kinski, Karl „überlagert" Lagerfeld et alii.
8.) Die meisten populären Philosophen (d.h. mediale Philosophendarsteller) sind intellektuell stumpf und von ihrem Stil her nicht halb so cool wie sie sich in ihren affirmativen Spatzenhirnen halluzinieren.
DSCN3458_2(Photo: Michael Helming)
entweder und oder
Binärsystem Sprache
Mit Herz und Seele durch Welten aus Wort und Sinn. Gern schlagen wir in Gedanken und Gesprächen bildliche Bälle lust- und klangvoll hin und her. Wir vergleichen, arbeiten mit Entsprechungen und/oder Gegensätzen. Sprache braucht Dualismen, auch wenn die nicht immer alles erklären.
von Michael Helming
Werde ich Falsches behaupten
oder die Wahrheit sagen?
- Homer, Ilias
Worte über Worte. Hat man eines gefunden, drängt sich schon ein zweites auf. Wer denkt oder glaubt, Sprache wird besser und schöner, indem man Sprüche und Widersprüche mit Stumpf und Sti(e)l ausrottet, glatte und glänzende Sätze schafft, ohne Mehrdeutigkeiten und Unsicherheiten, ohne Deutungsspielräume und spielerische Bedeutungen, der verkennt der Worte Wesen, träumt von Glück und Wohl in Walhalla oder Wolkenkuckucksheim, wo es weder Holzwege noch Stolpersteine gibt. Von Haus aus können Worte nicht allein sein, sie suchen und finden einander und uns wie Verliebte, wie Geschwister, hier Freund, dort Feind. Wo ein Begriff auftaucht, sich erhebt, da ist sein Gegenteil oder eine Tautologie nicht fern; Dualismen, Doubletten, Doppel- und Wi(e)dergänger beherrschen Welten und Denken; überall Poden und Antipoden, permanentes Für und Wider, Pro und Contra, aber auch Ja und Ja. Viele Namen und nur wenige Ausnahmen, die Gesetz und Regel in Theorie und Praxis bestätigen, indem sie dagegenhalten. Warum gibt es beispielsweise unzählige Antilopen und keine einzige Lope? Das Spiel mit dem Gegenspiel zieht sich nicht selten ohne Sinn und Verstand kreuz und quer durch Leben und Alltag. Nur einer von mehreren Ursprüngen liegt dabei in der Beobachtung oder Feststellung, dass der Mensch, beim Versuch, seine Stellung im Universum zu deuten, zwei Grundhaltungen einnehmen kann: eine positive und eine negative.
Alles gegen Platon
Unser Denken und Sprechen scheint auf den ersten Blick ein Handeln gegen Platon zu sein. Richtung und Ziel seiner philosophischen Bemühungen war die Annäherung an das Eine, das Grundprinzip der gesamten Wirklichkeit, bis hin zur Erfahrung der Vereinigung mit dem Einen, wie er es im „Parmenides behandelt. Obwohl er an das Ungeteilte glaubt, trennt er das Sinnliche vom Verstand. Und im „Timaios
heißt es: „Das Sein verhält sich zum Werden wie das Glauben zum Wissen." Das Eine ist Zwei. Sprache und Denke sind janusköpfig.