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Großband Raumschiff Rubikon 6 - Vier Romane der Weltraumserie
Großband Raumschiff Rubikon 6 - Vier Romane der Weltraumserie
Großband Raumschiff Rubikon 6 - Vier Romane der Weltraumserie
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Großband Raumschiff Rubikon 6 - Vier Romane der Weltraumserie

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Großband Raumschiff Rubikon 6 - Vier Romane der Weltraumserie
von Manfred Weinland

Über diesen Band:

Dieses Buch enthält folgende Romane:
Manfred Weinland: Metamenschen
Manfred Weinland: Der träumende Tod
Manfred Weinland: Die Wahrheit der Bractonen
Manfred Weinland: Die Schwellenwelt


Am Morgen einer neuen Zeit.
Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.
Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.
Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.
Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden …

LanguageDeutsch
Release dateMar 8, 2020
ISBN9781393780953
Großband Raumschiff Rubikon 6 - Vier Romane der Weltraumserie

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    Großband Raumschiff Rubikon 6 - Vier Romane der Weltraumserie - Manfred Weinland

    Am Morgen einer neuen Zeit.

    Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.

    Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.

    Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen normalen Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.

    Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden ...

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

    Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)

    © Roman by Author / COVER DIETER ROTTERMUND

    © dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

    Folge auf Twitter:

    https://twitter.com/BekkerAlfred

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    Alles rund um Belletristik!

    Raumschiff Rubikon 21 Metamenschen

    Manfred Weinland

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfredbooks und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

    © by Author

    © Cover: Nach Motiven von Pixabay, Adelind, Steve Mayer

    © dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

    Prolog

    ––––––––

    GEGENWART

    Ein Baum – und andere Rätsel

    ––––––––

    Jelto flanierte tief gebeugt die von ihm eigenhändig angelegten Wege entlang und nahm das Bild der Verwüstung wohl zum hundertsten Mal seit Verlassen des Aquakubus in sich auf.

    Eine Woche war es her, dass sie aus Tovah’Zara geflüchtet waren. Eine Woche, in der John Cloud die RUBIKON in ein Versteck gesteuert und dort gehalten hatte. Es befand sich in relativer Nähe zu der »Sonne«, hinter deren Maske der uralte Wasserwürfel sich verbarg – seit dort Treymor das Sagen hatten.

    In dieser Woche hatte Jelto den Schock zu verdauen versucht, der ihn bei seiner Rückkehr auf die RUBIKON erwartet hatte. Während der Abwesenheit des Großteils der Crew hatten die Treymor eine Säuberungsaktion ohne Gleichen durchgeführt. Ihr Ziel war es gewesen, jeglichen Widerstand an Bord zu brechen, der von Lebewesen ausgehen konnte. Der Ex-Besatzung, die vor dem Aufbringen des Rochenraumers spurlos von Bord verschwunden war und von der zu dem Zeitpunkt Teile wieder gesichtet worden waren. Die Treymor hatten eine tödliche Strahlenwelle durch das Schiff laufen lassen, der insbesondere die Gewächse des kleinen Paradieses zum Opfer gefallen waren, das Jelto im hydroponischen Garten geschaffen hatte.

    Seitdem präsentierte sich dieser Ort als Wüste. Das Erdreich war von ungesunder Farbe, nicht mehr schwarz und saftig wie der Humus, den Jelto hier ausgebreitet hatte. Alles wirkte krank und für alle Zeit verdorben, und im ersten Moment hatte Jelto tatsächlich geglaubt, noch einmal ganz von vorne anfangen zu müssen. Mit dem Komplettaustausch des Nährbodens. Inzwischen jedoch hatte er mittels seiner speziellen Psi-Kraft, die er über seine Aura entfaltete, herausgefunden, dass längst nicht alles verloren war, was im Garten einmal spross und gedieh. Schon wenige Zentimeter unter der Oberfläche hatten Kulturen überlebt. Wurzelgeflechte, Myzelien, Samenkörner...

    Und dennoch fand Jelto für sich selbst keinen Weg, sich dieser Hoffnung zu widmen, wie es seine Pflicht gewesen wäre.

    Er selbst war innerlich so tot wie der Boden, auf dem er dahin schritt. Verständlich wurde dies, wenn man bedachte, dass der Florenhüter jedes Pflänzchen, jeden Busch und jeden Baum als sein Kind betrachtete. Und hier waren nicht nur vereinzelt ein paar Gewächse eingegangen, was trotz aller Fürsorge und Pflege immer einmal passierte, hier waren – so schien es zunächst – alle seine Zöglinge ausgerottet worden.

    Er hatte so viel Zeit mit ihnen verbracht, so oft zu ihnen gesprochen und ihren lautlosen Stimmen gelauscht. Viele – die meisten eigentlich – von ihnen waren außerirdischen Ursprungs. Und in manch einer Gattung hatte ein Kollektivgedächtnis geschlummert, das anzuzapfen sein größter Ehrgeiz gewesen war. Auf diese Weise hatte er viel über die Herkunftswelten seiner Zöglinge erfahren; es Dramen, Tragödien... aber mitunter auch beschwingte Komödien , die an ihn herangetragen worden waren. Hier in seinem Garten hatte Jelto in meditativer Ruhe Ausflüge in mannigfache Welten unternommen, indem er sich einfach nur dem öffnete, was seine Kinder ihm anboten.

    Und jetzt wandere ich über einen Friedhof, in dessen kränklicher Erde offenbar noch Spuren von Leben zu finden sind – Leben, das nicht von der Säuberungswut der Treymor erreicht und umgebracht wurde... aber will ich mich seiner annehmen? Will ich noch einmal ganz von vorne beginnen, auf das Risiko hin, dass auch das, was ich diesem Boden entlocke, irgendwann, durch irgendein Ereignis, wieder hinweggerafft wird?

    Genau diese Angst ließ ihn zögern. Ließ ihn nun schon zum hundertsten Mal in der zurückliegenden Woche mit sich hadernd durch die Ödnis flanieren. Bislang hatte er eine Antwort, die ihn überzeugt hätte, nicht gefunden.

    »Diese Barbaren!«

    Jelto zuckte zusammen. Unweit von ihm stand ein Narge. Er hatte nicht bemerkt, wie er in den Garten gekommen war. Aber es genügte ein Blick, um zu sehen, dass es sich bei dem geflügelten Humanoiden mit der ockergelben Haut weder um Jiim noch um dessen Junges Yael handelte.

    Charly!

    Eine andere Möglichkeit blieb nicht, denn es gab nur diese drei... (diese zwei , korrigierte sich Jelto) Nargen an Bord der RUBIKON.

    Misstrauisch wandte er sich dem in besonderer Weise mit Yael verbundenen Phantom zu. »Was tust du hier?«

    »Mitleiden.«

    »Mit wem?«

    »Mit dir natürlich. Wem sonst?«

    Jelto machte ein paar schnelle Schritte auf das weder reale noch völlig irreale Wesen zu, von dem Jiim ihm in einer stillen Stunde erzählt hatte. Charly war kein Unbekannter mehr. Anfänglich hatte ihn selbst Sesha verleugnet, aber inzwischen schien erwiesen zu sein, dass er existierte, irgendwie jedenfalls. Sein Schöpfer war Yael, der damit ein noch weitgehend unerforschtes Paratalent demonstrierte, von dem er lange selbst nichts geahnt hatte. Jelto glaubte sich zu erinnern, dass Charly bei seinen ersten Auftritten noch von perfekt menschlicher Gestalt gewesen war und sich erst nach und nach den Nargen angeglichen hatte. Warum und wieso – darüber schieden sich die Geister, selbst Yael schien dazu keine gefestigte Meinung zu haben.

    Charly machte keine Anstalten, vor Jelto zurückzuweichen. Mit stoischem Gleichmut stand er in einem ehemaligen Blumenbeet.

    Jelto brauchte fünf Schritte, um den imaginär-realen Nargen mit seiner Aura zu berühren. Zwei weitere Schritte, und Charly tauchte komplett in das vitalisierende Licht, das Jeltos Körperzellen erzeugten. Es war mehr als bloße Helligkeit, es war Jeltos sechster Sinn. Über die Aura kommunizierte er mit seinen Pflanzenkindern, und über die Aura leitete er ihnen die Energie zu, die sie zum besonderen Gedeihen anregte.

    Jelto hatte keine Ahnung, wie – und ob überhaupt – Charly darauf reagieren würde.

    Aber das Yaels Vorstellung entsprungene Wesen reagierte tatsächlich.

    Vorbei war es mit der Ruhe.

    Ein gellender Schrei, der in Jeltos Ohren dröhnte...

    ... und Charly sprang zurück, als wäre er mit flüssigem Feuerübergossen worden.

    Wild flügelschlagend hob er ein paar Meter vom Boden ab, brachte sich damit endgültig aus der Reichweite der Aura und zeterte: »Warum tust du mir weh? Ich war freundlich zu dir – oder nicht? Dankst du es mir so?«

    »Es tut mir leid«, log Jelto und winkte Charly zu sich herunter. »Komm wieder her. Ich achte in Zukunft darauf. Ich wusste ja nicht, dass... nun, dass du allergisch auf mein Licht reagierst.«

    »Das hast du mit Absicht getan!«, grollte Charly weiter. Er entfernte sich ein Stück weit und landete erst wieder, als er gut zehn Meter zwischen sich und den Florenhüter gebracht hatte.

    »Ich wundere mich, dass du so darauf reagierst«, sagte Jelto. »Warum ist das so? Menschen... nein, alle, die ich sonst kenne, empfinden den Kontakt mit meiner Aura eher wohltuend, erfrischend.«

    Charly spulte sein ganzes Repertoire an Flüchen ab. Schließlich wandte er sich dem Schott zu und machte Anstalten, sich zurückzuziehen.

    Jelto wusste genug über Charly, um zu bezweifeln, dass er das Schott gebraucht hatte, um hierher zu gelangen. Demzufolge konnte sein Abgang in diese Richtung nur dramaturgischen Zwecken dienen.

    »Bleib noch!«

    Charly schüttelte schmollend den Kopf. »Hast deine Chance gehabt. Jetzt verdufte ich. Wo ich nicht gemocht werde –« Den Rest des Satzes schenkte er sich.

    »Seit wann legst du Wert darauf, gemocht zu werden? Da hat Yael mir ganz andere Dinge erzählt.«

    Jeltos Stimme holte ihn ein, und er kam zum Stehen. Drehte sich um. Sein Gesicht war zu einer Grimasse aus Verärgerung, Wut und Verachtung verzerrt.

    »Yael... ausgerechnet!«

    »Dein Freund.«

    »Das war er vielleicht mal. Hat mich schwer enttäuscht.«

    »Was ist passiert?« Jelto setzte sich langsam in Bewegung, näherte sich aber nicht weiter als auf fünf Schritte. Charly schien mehr als nur eine Aversion gegen die Aura zu haben. Offenbar hatte ihm der Kontakt, obwohl so kurz, schwer zugesetzt. »Immerhin, heißt es, hat er dich erschaffen.«

    »Heißt es.« Charly verzog das Gesicht noch stärker. »Muss gehen. Will. Ich komm auch so schnell nicht wieder. Haste jetzt davon, Grünauge. Haste jetzt davon.«

    Jelto wollte einen weiteren Versuch starten, Charly zum Bleiben zu bewegen, doch das bestenfalls halb reale Wesen löste sich einfach vor seinen Augen auf.

    »Weg... So ein Biest.« Jelto überlegte kurz. »Sesha?«

    »Ich höre.«

    Jelto zögerte. Er konnte sich die Antwort auf die ungestellte Frage, wohin Yael gegangen war, bereits denken: Charly? Da war kein Charly...

    »Ach, nichts.«

    Gedankenversunken wandte sich Jelto wieder den tiefer gelegenen Gartenregionen zu. Und so merkte er nicht, dass jeder seiner Schritte etwas hinterließ, das sich wie ein hauchdünnes Ärmchen aus dem Boden bohrte.

    Ohne es gezielt darauf anzulegen, wirkte seine Aura offenbar bereits auf die letzten Lebensspuren, die das Treymor-Verbrechen noch hinterlassen hatte. Erste zarte Pflänzchen reckten sich der Kunstsonne entgegen.

    Aber sie sahen anders aus als das, was einst an den betroffenen Stellen gediehen war. Noch winzig klein, strömten sie bereits etwas zutiefst Bedrohliches aus, am Verstörendsten dabei... ihr Aussehen...

    John Cloud sah aus dem Fenster des Hauses, in dem er längst mehr als nur Gast war. Sein Blick schweifte über die verödeten Vorgärten, die ursprünglich unter Jeltos Anleitung entstanden, die Zerstörungsorgie der Treymor während der Besatzungszeit an Bord der RUBIKON aber nicht über standen hatten.

    Mit einer Ausnahme.

    Der Lebensbaum, dessen Samen Jelto vom Planeten Vil mitgebracht hatte, schien den alles sonstige Leben auslöschenden Strahlengewalten getrotzt zu haben. Er war inzwischen mannshoch, sein Stamm etwa armdick, und Dutzende Zweige bildeten eine reich beblätterte Krone.

    »Verrückt...«, murmelte Cloud und vergaß kurz das eigentliche Thema, um das sich sein Gespräch mit Assur gedreht hatte.

    Die RUBIKON kreuzte in sicherem Abstand (wobei, was war schon sicher?) zum Aquakubus. Sieben Tage konnten einem vernunftbegabten Lebewesen kurz oder lang vorkommen, je nachdem, unter welchen Bedingungen und Verhältnissen es sie verbrachte.

    John Cloud kam die zurückliegende Woche wie eine halbe Ewigkeit vor. Er hasste die Vorstellung, nicht zu wissen, was im Kubus vorging, und vor allem: nicht helfen zu können.

    Taurt und seine letzten Getreuen waren völlig auf sich gestellt, vielleicht schon nicht mehr am Leben. Die Treymor machten ernst. Sie hatten begonnen, die Weltenkugeln und jedes größere Objekt außerhalb der Ewigen Stätte, das den Widerständlern Zuflucht bieten konnte, zu zerstören. Es schien ihnen nicht nur egal zu sein, was dabei mit all den Bewohnern dieser Lebensräume geschah, es war ihn egal.

    Cloud hatte die Anführerschaft der Treymor aus nächster Nähe kennengelernt. Eine Erfahrung, auf die er gern verzichtet hätte. Im Nachhinein empfand er sie dennoch als wertvoll, auch wenn ihm die Nuancen der treymorschen Mentalität weiterhin verborgen geblieben waren.

    Konnte es wirklich sein, dass eine Spezies jenseits aller Moral angesiedelt war und sich allein von Machtinteressen leiten ließ?

    Natürlich kann das sein. Wie naiv bin ich denn? Selbst unter Menschen gibt es Beispiele zuhauf für eine solche »Denke«.

    Er musste sich nur einen gewissen Reuben Cronenberg ins Gedächtnis rufen – der Inbegriff von Unmoral und Machtstreben ...

    Assur trat neben ihn. Sofort roch er den Duft ihres Parfüms. Es war verführerisch, aber das hätte es gar nicht gebraucht, um die schlanke Angkgeborene bezaubernd zu finden. Cloud war froh, ihr begegnet zu sein. Sie hatte seinem Leben eine gewisse Normalität geschenkt, auf die er lange hatte warten müssen. Zugleich wirkte Assur unendlich geheimnisvoll, und obwohl sie im Alltag auf einer Wellenlänge tickten, maßte sich Cloud nicht an zu glauben, sie auch nur halbwegs zu durchschauen – was auch daran liegen mochte, dass Assur selbst längst nicht alles über sich zu wissen schien. Die Angks waren auf unbekannte Weise für ihren Dienst an Bord der RUBIKON »präpariert« worden. Dahinter steckte Kargor, und niemand hegte inzwischen noch einen Zweifel, dass er seine Aktion »gut gemeint« hatte. Fakt aber war und blieb: Die Angks insgesamt waren jederzeit für Überraschungen gut, das hatten sie erst kürzlich wieder bewiesen, als sie die von ihnen bewohnten Häuser an Bord wie... ja, Cloud fiel kein treffenderes Wort ein... Transmitter benutzt hatten.

    »He!« Assur knuffte ihn in die Seite. »Was heißt hier ‚verrückt‘? Du solltest es eigentlich unterstützen. Ein Mann sollte das generell, wenn es um die Pläne seiner Frau geht – aber hier steht noch viel mehr auf dem Spiel. Die Risiken dürften begrenzt sein, der mögliche Gewinn dafür umso größer.«

    Cloud löste den Blick von draußen und drehte sich zu Assur um. »Ich meinte mit ‚verrückt‘ nicht deinen Vorschlag.«

    »Sondern?« Ihre Augen glitzerten misstrauisch.

    Er hob die Hand und zeigte mit gespreiztem Daumen hinter sich. »Den Baum dort.«

    Sie sah über seine Schulter hinweg.

    »Ist es nicht verrückt, dass er völlig unversehrt die Strahlenhölle überstanden hat?«

    Sie nickte. »Ich sehe ihn jeden Tag, und wir sprachen auch schon darüber. Es fällt schließlich jedem auf, der hier wohnt.«

    »Richtig. Und ich bat auch schon mehrfach Jelto, sich der Sache anzunehmen. Es könnte von künftiger Bedeutung sein zu erfahren, wie der Baum im Stande war, der Welle zu trotzen. Leider stoße ich auf taube Ohren. Jelto ist –«

    »Er steht immer noch unter Schock und total neben sich«, fiel Assur ihm ins Wort. »Wenn du mich fragst: Der Baum kann warten, Jelto hingegen bräuchte dringend therapeutische Hilfe.«

    »Die lehnt er aber ab. Rigoros.«

    »Du bist der Commander.«

    Er legte den Kopf schief. »Willst du damit sagen, ich müsste ihm befehlen, sich einem Seelenklempner anzuvertrauen?«

    »Seelenklempner in dem Sinn haben wir nicht. Aber Sesha enthält ein vergleichbares Programm. Manchmal helfen schon Gespräche. Es bliebe alles unter Jelto und der KI. So würde ich versuchen, es ihm schmackhaft zu machen.«

    Cloud nickte. »Vielleicht hast du recht. Ich hatte einfach gehofft, er fängt sich wieder von allein. Aber keiner von uns kann vermutlich nachvollziehen, was die Zerstörung der Gärten für jemanden bedeutet, der mit seinen Pflanzen fast schon in Symbiose lebt...«

    Assur lächelte. »Rede mit ihm. Auf dich hört er. Auch wenn du nicht befiehlst.«

    Ein Grinsen bildete sich auf Clouds Gesicht. »Zum Glück ist er keine Frau.«

    »Was soll das heißen?«

    »Nur dass Frauen oft nicht mal dann auf mich hören, wenn ich befehle.«

    »Hast du das denn schon mal probiert? Privat, meine ich.« Ihre Stimme wurde plötzlich ganz rauchig – und Cloud ganz anders ums Herz.

    »Assur...«

    Sie hielt ihn sich spielerisch auf Distanz. »Wir sind noch zu keinem Ergebnis in der eigentlichen Frage gekommen.«

    Cloud seufzte. »Du weißt, was mich zögern lässt. Von wegen: ‚Die Risiken dürften begrenzt sein...‘»

    »Das sind sie – definitiv.«

    »Wie kommst du darauf? Dein Vorhaben –«

    Wieder schnitt sie ihm das Wort ab. Mit einem hingehauchten Kuss. »Das Schiff würde niemals zulassen, dass einem Angk etwas passiert. Offenbar muss es uns die Komponenten beschützen, die die Bractonen ihm hinzugefügt haben.«

    »Von Jarvis wissen wir, dass Sesha kaltblütig versuchte, die Angks zu töten, während die RUBIKON sich in Treymorgewalt befand.«

    »Von Sesha wissen wir, dass sie den letzten Schritt nie gegangen wäre. Ihr innerer Widerstreit zwang sie sogar, schizophrene Züge zu entwickeln, nur um Schiff und Besatzung schützen zu können.«

    Cloud dachte über ihre Argumente nach. »Okay«, sagte er schließlich. »Das Leben an sich steckt schon voller Risiken. Von mir aus kannst du es tun – starte deine Untersuchung der Häuser. Aber gib auf dich Acht. Ich will dich nicht verlieren.«

    Die letzten beiden Sätze sprach er mit großem Ernst, was ihr ein dankbares Lächeln zu entlocken schien. Vielleicht war es aber auch nur die Vorfreude auf das abenteuerliche Vorhaben, das sie in Gedanken bestimmt schon vorbereitete.

    »Ich liebe dich.«

    »Ich liebe dich auch.«

    »Darf ich mir jemanden zur Unterstützung aussuchen?«

    »Wenn derjenige damit einverstanden ist.«

    Sie nickte. »Das gilt es, herauszufinden.«

    »Hast du schon jemanden fest im Auge?«

    »Im Auge ja – aber sie weiß es noch nicht.«

    »Sie?« Irgendwie hatte er erwartet, dass sie sich für Jarvis entscheiden würde. »Um wen handelt es sich?«

    Sie verriet es ihm.

    Zuerst starrte Cloud sie ungläubig an. Dann aber nickte er. »Offenbar glaubst du wirklich, dass dein Vorhaben mit keinerlei ernsthaftem Risiko für Leib und Seele verbunden ist, sonst würdest du das nicht wollen...«

    Einen Mikrokosmos wie diesen hatte Winoa noch nie zuvor betreten. Aber sie folgte einer Einladung, der sie nicht hatte widerstehen können.

    Flügelrauschen.

    Als sie den Kopf hob, sah sie Yael auf sich zukommen. Sie spürte den Windstoß seiner letzten Schwingenschläge, als er wenige Schritte von ihr entfernt landete.

    »Schön, dass du gekommen bist!«

    »Das klingt, als hättest du nicht daran geglaubt.«

    »Oh!« Er mimte den Erschrockenen. »Ich merke, ich muss mich vorsehen.«

    »Wieso?«

    »Weil du ein gutes Gespür hast, dich in andere hineinzuversetzen.«

    »Also stimmt es?«

    »Ein bisschen, ja.«

    »Soll ich lieber wieder gehen?« Sie wandte sich halb um zu dem Schott, das kaum auffiel in der vorgegaukelten Welt, in die sie gekommen war.

    »Nein. Nein!« Er trat auf sie zu. »Geh nicht, bitte. Ich benehme mich furchtbar. Aber... aber ich hab auch eher selten Besuch.«

    »Mädchenbesuch?«

    »Was macht das für einen Unterschied, ob es...« Er schwieg abrupt, biss sich auf die Unterlippe. »Ich sollte besser den Mund halten, wie?«

    »Vielleicht reicht es schon, wenn du öfter dein Hirn einschaltest, bevor du ihn aufmachst.« Sie lächelte.

    Er schwieg. Dann zeigte er hin zu dem Dorf, der in der Ferne zu sehen war. »Komm. Ich zeig dir, wo ich mit meinem Elter lebe. – Natürlich nur, falls es dich interessiert.«

    »Es interessiert mich sogar sehr. Ist Jiim da?«

    »Ich weiß nicht. Warum?«

    »Nur so.«

    Sie schlenderten nebeneinander zum Dorf am Schrund.

    Winoa war begeistert. Alles wirkte täuschend echt. Die Brise. Die Wärme. Die Sonne. Der Himmel im Ganzen. Und ganz zu schweigen von der fantastischen Landschaft, die sich vor ihren Blicken ausbreitete.

    »So war deine Heimat wirklich?«, fragte sie fasziniert, als sie beim ersten Baum, dessen Krone eine Hütte trug, stehen blieben.

    »Mein Elter sagt das, ja. Als wir Kalser einen Besuch abstatteten... du weißt schon, ist noch nicht lange her... war alles sehr verändert. Aber wenigstens scheint mein Volk eine Zukunft zu haben. Danach sah es, wie Jiim erzählt, für eine lange Zeit nicht aus. Wenn du Richtung Horizont blickst, siehst du nichts als ewiges Eis, ewigen Schnee. Nur hier beim Schrund... so nennen wir den Abgrund, aus dessen Tiefe genügend Wärme aufsteigt, um diese Enklave hier in ein winziges Stück fruchtbares Land zu verwandeln... herrschen Bedingungen, die ein Leben und Überleben erst möglich machen.« Er sah Winoa von der Seite her an. »Du denkst jetzt bestimmt: Die spinnen, die zwei Nargen, dass sie sich ihr Zuhause nicht ein bisschen... netter gestalten. Ein Fingerschnipsen würde ja genügen. Sesha war und ist uns behilflich bei der Gestaltung unserer Welt.«

    Winoa schüttelte fast empört den Kopf. »Ich finde es toll hier. Was meinst du mit ‚netter‘? Auf mich wirkt es so authentisch . Und wie ich hörte, kann man endlos durch die Weite streifen, man stößt nirgends gegen eine Wand. Irgendwelche Dimensatoren ermöglichen das...«

    Yael bestätigte auch dies. »Es ist die perfekte Illusion. Oft vergesse ich völlig, dass das hier keine reale Umgebung ist.«

    Winoa lächelte.

    »Willst du meine Hütte sehen – oder Freunde kennenlernen?«

    »Du hast hier Freunde?«

    Yael zeigte auf die überall zu erkennende Bewegung. Dutzende Nargen schufen ein Dorfbild, das einem Idyll gleich kam.

    »Aber es sind doch... Hologramme.«

    »Das vergisst man schnell – zumindest, solange man sie nicht anfassen will.«

    Winoa lachte fröhlich auf. »Du unterhältst dich mit ihnen?«

    »Klar. Manchmal unternehme ich auch Ausflüge mit dem einen oder anderen. Wenn mein Orham keine Zeit oder keine Lust hat.«

    »Orham... damit meinst du deinen Elter?«

    »Aber ja.«

    »Meine Eltern sind getrennt.«

    Yael schien unsicher, was er darauf erwidern sollte. »Ich hatte nie mehr als einen. Das reicht auch – glaube ich.«

    »Wenn man’s nicht anders gewöhnt ist...«

    »Wahrscheinlich.«

    »Bist du traurig, weil dein Vater und deine Mutter nicht mehr zusammenleben?«

    Winoa überlegte, zuckte dann mit den Schultern. »Manchmal. Aber nicht so sehr. Ich hab sie ja immer noch beide. Und jetzt hab ich sogar zwei Zimmer in zwei verschiedenen Häusern.«

    »Auch ein Aspekt...« Yael grinste. »Komm jetzt. Ich zeig dir meine Hütte – sie hat nur einen Raum, und den teile ich mir mit meinem Orham.« Er zeigte auf einen etwas entfernt stehenden Baum.

    »Wie komme ich da hoch?«, fragte Winoa skeptisch. »Gibt’s einen Lift? Oder eine Antigravplattform?«

    »Ich bin dein Lift – wenn es dir nichts ausmacht, dich von mir umarmen zu lassen.«

    Sie sah ihn aus großen Augen an. »Du willst mich hochtragen?«

    »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich lass dich schon nicht fallen.«

    »Wer redet von Angst? Hey! Das ist klasse! So was wollte ich schon immer mal – ohne technischen Schnickschnack fliegen...«

    Yael sah sie verblüfft an. Dann winkte er sie zu sich.

    Winoas Herz klopfte bis zum Hals, als er sie mit Gurten und einem seltsam anmutenden Tragegeschirr, das wie zufällig in der Nähe lag, an sich befestigte. Instinktiv schlang sie die Arm um seinen schlanken Körper.

    »Bereit?«, fragte Yael.

    »Bereit!«, jauchzte Winoa.

    Der goldene Jungnarge hob ab.

    »Du bist ganz schön stark«, kicherte Winoa auf halber Strecke. »Ich hoffe nur, du hältst durch.«

    »Dich Fliegengewicht schaffe ich allemal«, lachte er zurück.

    Vorsichtig setzte er sie auf dem Balkon ab, der die Hütte umlief und von einem meterhohen Geländer gesichert wurde.

    Winoa genoss jede Sekunde, bevor Yael sie abschnallte. Aber natürlich zeigte sie das nicht.

    Die Hände um das Gelände gelegt, blickte sie nach unten. »Wie hoch ist das?«

    »Gut zwanzig Nargenlängen.«

    »Wow.«

    »‘Wow‘ bedeutet wohl ‚erstaunlich‘?«

    »Könnte man so übersetzen.«

    »Komm.« Er winkte sie zur offenen Tür der Hütte. »Mal sehen, ob mein Orham da ist.«

    »Och«, sagte Winoa, »muss ja nicht sein, oder? Manchmal stören die Alten auch ein bisschen, oder?«

    Yael feixte. »Stören ist noch harmlos ausgedrückt. Ey, die können richtig nerven

    Da sie laut sprachen und keine geharnischte Erwiderung darauf aus dem Inneren der Hütte erfolgte, konnten sie eigentlich davon ausgehen, dass sich Jiim nicht darin aufhielt.

    So war es auch. Die Hütte gehörte ihnen ganz allein. Und Yael ließ es sich nicht nehmen, Winoa in die Feinheiten nargischer Lebensart einzuführen, angefangen vom Schlafgeschirr, das von den Deckenbalken baumelte, bis hin zur bevorzugten Nahrung – Feggwürmern, die Jiim von ihrem Abstecher nach Echt-Kalser mitgebracht hatte und die von Sesha inzwischen so zahlreich geklont worden waren, dass sie kaum noch vom Speiseplan wegzudenken waren.

    Winoa fand die behaarten Würmer eklig und machte auch kein Hehl daraus, als Yael sie einen Blick in die mit Laub und Erde ausstaffierte Vorratskiste werfen ließ. So dick wie Winoas Daumen und so lang wie ihr Unterarm wanden sie sich mit borstigen Stoppeln im lockeren Erdreich und lugten hier und da zu einem Drittel oder auch bis zur Hälfte daraus hervor. Augenlos schaukelten die Leiber hin und her, als folgten sie einem unhörbaren Takt.

    »So mögen sie ja eklig sein«, zeigte Yael Verständnis für Winoas Reaktion, »aber frittiert sind sie ein wahrer Gaumenschmaus.«

    » Frittiert ?« Sie schüttelte sich.

    Er zeigte in die Küchenecke, wo ein bauchiger Topf an einer schweren Eisenkette über einem lustig flackernden Feuer hing. »Klar. In etwas Triggelschleim frittiert schmecken sie –«

    »Danke.« Winoa würgte. »Das reicht. Der Appetit ist mir komplett vergangen. Bringst du...« Sie wandte sich dem Ausgang zu. »... wieder nach unten? Bitte

    Offenbar merkte er, dass er zu weit gegangen war. »Hey!« Schnell kam er auf sie zu und fasste sie an den Oberarmen. »Das war nur Spaß... ein ziemlich blöder, ich weiß, tut mir leid. Ich wär auch sauer, aber glaub mir, ich wollte dich nicht verjagen, höchstens...«

    »Höchstens?« Sie schaute in seine Augen, die nicht allein ob ihrer Fremdartigkeit faszinierten.

    »... ein bisschen necken.«

    Sie legte die Stirn in Falten. »Necken setzt voraus, dass man jemanden mag. Leute, die man nicht leiden kann, neckt man nicht, sondern ärgert sie.«

    Er hielt ihrem Blick stand. »Kann sein.«

    Sekundenlang starrten sie sich nur schweigend an. Schließlich reichte es Winoa. »Und wann«, fragte sie ungeduldig, »willst du Idiot mich endlich küssen?«

    Yaels Gesichtsausdruck wäre einen Schnappschuss wert gewesen. Er wollte etwas erwidern, stammelnd , aber er kam nicht dazu, denn Winoa verschloss ihm den Mund mit ihren Lippen.

    Im selben Moment rief von draußen jemand ihren Namen.

    Assur wartete ab, bis Yael ihre Tochter am Fuß des Baumes abgesetzt hatte, dann ging sie auf sie zu. Yael grüßte etwas fahrig und vertiefte sich dann in die Arbeit, Winoa aus den Gurten zu lösen, die sie während des kurzen Flugs gesichert hatten.

    »Ich suche dich schon eine Weile. Am Ende musste ich Sesha fragen, wo ich dich finden kann.«

    »Ich bin hier«, sagte Winoa. Es klang leicht abweisend, fast schon ein wenig verärgert.

    Assur genügte ein langer Blick auf beide , um zu begreifen, dass sie störte – und schon gestört hatte.

    »Ich freue mich, dass ihr euch angefreundet habt«, versuchte sie, die Situation zu entkrampfen. »Ihr versteht euch gut, das habe ich schon bemerkt. Hat Yael dir seine Hütte gezeigt?«

    Winoa nickte verschlossen.

    Assur lag ein »Ich wollte dir nicht nachschnüffeln« auf der Zunge, aber sie schluckte es gerade noch hinunter. »Ich wollte mit dir reden, dich etwas fragen.«

    »Überrascht mich jetzt nicht wirklich.«

    Assur lachte und versuchte sich in ihre eigene Teenagerzeit zurückzuversetzen. Winoas plötzliche Verstocktheit kam ihr gar nicht mehr so fremd vor.

    »Ich meinte...« Sie lächelte in Yaels Richtung, obwohl der Jungnarge es immer noch vermied, sie anzusehen. »... unter vier Augen.«

    »Oh, Mutter !« Winoa ließ keinen Zweifel daran, wie peinlich ihr das alles war.

    »Kommst du bitte?«

    »Wohin?«

    »Nach draußen. Du kannst dich neu mit Yael verabreden. Aber das, worum ich dich bitten möchte, ist wichtig. Mir wichtig.«

    Sie hatten immer einen guten Draht zueinander gehabt. Momentan jedoch war davon wenig zu spüren.

    Winoa stampfte einmal mürrisch mit dem Fuß auf, ihr Blick schleuderte Blitze in Assurs Richtung... und wurde ganz weich und verlegen, als er sich Yael zuwandte. »Danke für die Tour«, sagte sie. »Wir sehen uns...«

    »Ja. Keine Ursache. War... nett.«

    Yaels Schüchternheit entschädigte Assur für die schlechte Laune ihrer Tochter, die sie nun ausbaden durfte. Sie mochte den jungen Nargen, den auf seine Art – ebenso wie die Angks und vieles andere an Bord – ein Geheimnis umgab, das bislang nur in Ansätzen hatte gelüftet werden können. Nur allzu klar in Erinnerung war ihr noch sein Verschwinden nach Portas, der Tabuwelt des Angksystems. Mit einem Gewaltakt hatte die RUBIKON unter Johns Führung es geschafft, den Verschollenen ausfindig zu machen und zu bergen. Erstaunlicherweise hatten die Schiffssysteme kaum Verwertbares über die Oberflächenverhältnisse auf Portas aufzeichnen können. Der Planet war und blieb ein Mysterium.

    »Find ich auch.« Winoa wandte sich widerstrebend ihrer Mutter zu und widmete ihr die Aufmerksamkeit, die sich Assur von Anfang an gewünscht hätte. »Wohin geht’s? Was liegt an? Was kann so wichtig sein, dass –«

    »Ich dachte, wir verbringen ein wenig Zeit miteinander – so wie früher.«

    Für einen Moment verlor sich der mürrische Ausdruck auf Winoas Gesicht, so als erinnerte sie sich auch an Zeiten größerer Gemeinsamkeiten. Kurz vor Erreichen des Schotts, das sie aus der Pseudowelt hinausführen würde, fragte sie: »Ist irgendwas? Steckst du in einer Sinnkrise?«

    Assur musste lachen. »Ganz so schlimm ist es nicht – hoffe ich zumindest. Aber was ist verkehrt daran, etwas Zeit miteinander zu verbringen?«

    »Kommt darauf an, wie

    Assur sagte es ihr in dem Moment, als sie auf den Gang hinaustraten und sich das Trennschott nach Pseudokalser hinter ihnen schloss.

    Winoa blieb verdutzt stehen. »Echt?«, brachte sie über die Lippen und wirkte ehrlich erstaunt. Es klang regelrecht erschrocken.

    »Tut mir leid, wenn ich dich...« Assur überlegte, ob sie nicht doch zu weit gegangen war. Das Risiko, das sie John gegenüber verneint hatte, schien ihr plötzlich nicht mehr ganz so vernachlässigbar.

    »Leid? Hey, Mum. Wenn das dein Ernst ist, dann...«

    »Dann?«

    »... ist das grandios! Ich bin natürlich dabei. Wann geht’s los?«

    Ein Welle von Wärme durchströmte Assurs Bauch. Sie legte den Arm um Winoas Tochter und schaute ihrer Tochter tief in die Augen. »Freut mich, dass ich dich a) noch überraschen kann und du b) offenbar Feuer und Flamme bist.« Sie drückte Winoa. »Wann es losgehen kann? Gleich. Sofort. Alles, was wir brauchen, sind wir beide. Du und ich. Es wird... fantastisch!«

    Die Abenteuerlust hatte sie gepackt. Und das war ansteckend, wie Winoas gerötete Wangen verrieten.

    »Mit deinem Dad habe ich bereits gesprochen. Er ist einverstanden. Wenn wir... nun ja, du kennst ihn, da unterscheidet er sich nicht wirklich von dem Mann, mit dem ich jetzt zusammen bin... wenn wir versprechen, vorsichtig zu Werke zu gehen.«

    »Ich an deiner Stelle würd mir das nicht gefallen lassen.«

    Yael zuckte zusammen, als sich Charly hinter ihm hervorschob, als hätte er das Geschehen schon längere Zeit verfolgt.

    »Was willst du?«, herrschte Yael ihn unfreundlich an.

    »Was ich will? Das, was ich immer tue, wenn ich bei dir bin. Wir waren mal Freunde – schon vergessen?«

    »Waren... ja«, murmelte Yael. Ein Schatten schien sich auf sein Gesicht zu legen. »Aber du hast dich verändert. Du bist nicht mehr der, der mein Freund war. Ich wünschte, es wäre noch so und ich müsste mich nicht...«

    »Nicht was

    »Vor dir fürchten.«

    »Das tust du doch gar nicht. Ich wollt‘, es wäre so.« Charly griente.

    »Noch einmal: Was willst du?«, fragte Yael unwirsch.

    »Dir ein bisschen Dampf unter den Hintern machen.«

    »Inwiefern?«

    »Wie ich schon sagte: Ich an deiner Stelle, würd mir das nicht bieten lassen.«

    »Wovon bei Maron redest du?«

    »Na, deine Kleine.«

    »Hör auf, sie so zu nennen!« Yael machte einen Schritte auf Charly zu und stieß ihn mit gewölbtem Brustkorb an. Für Außenstehende mochte das Bild, das sie boten, an das Balzverhalten einiger Säugetier-Gattungen erinnern.

    Charly flatterte kurz mit den Flügeln, als müsste er um sein Gleichgewicht kämpfen. »Hey! Biste verknallt?«

    »Verschwinde!«, fauchte Yael. Und nicht nur das, er wünschte sich, von der lebensechten Projektion in Frieden gelassen zu werden.

    Für einen Moment sah es so aus, als würde seine Hoffnung in Erfüllung gehen. Charly verblasste, wurde durchscheinend... kehrte dann aber wieder in alter Frische zurück.

    »Denkste! Mit mir nicht, mein Ex-Kumpel, mit mir nicht!«

    »Du bist eine Plage! Ich muss einen Weg finden, dich... dich...«

    »Ja? Spuck’s aus, Alter. Klappt sowieso nicht!«

    »Dich ungeschehen zu machen«, schnappte Yael.

    Charly lachte wiehernd. »Brauchst mich aber noch. Wirst schon sehen. Braucht mich alle noch. Bin wertvoll.«

    Sprach’s und stakste Richtung Schrund, wo er sich einfach vornüber in den Abgrund fallen ließ.

    Von den Holo-Nargen nahm keiner Notiz davon. Für sie schien – im Gegensatz zu Lebewesen – Charly immer noch nicht zu existieren.

    Yael verspürte keinen Impuls, nachzusehen, was aus Charly geworden war. Es war ein fast schon typischer Auftritt des »Wesens«, das seit seiner Rückkehr aus der Nonzone wie ausgewechselt wirkte – und die Indizien, dass genau das geschehen war, dass etwas oder jemand ihn ausgetauscht hatte, häuften sich.

    Yael bekam eine Gänsehaut. Er überlegte, ob er nach seinem Orham suchen und mit ihm sprechen sollte. Dann aber wanderten seine Gedanken zu Winoa und dem, was Charly gesagt hatte: »Ich an deiner Stelle würd mir das nicht gefallen lassen.«

    Yael wusste intuitiv, was der Plagegeist damit gemeint hatte.

    Er grübelte noch eine Weile, dann fasste er einen Entschluss. Nachdem er eine kurze Nachricht an seinen Elter hinterlassen hatte, machte er sich auf die Suche nach Winoa. Ihre Mutter hatte es dringend gemacht. Vielleicht waren sie in Not und brauchten Hilfe.

    Yaels erste Anlaufstelle war das Dorf der Angks...

    »Danke, dass du gekommen bist.«

    »Wenn der Commander ruft ...« Jeltos faltenlose Mimik blieb unbewegt. Aus ernsten grünen Augen sah der Florenhüter Cloud an.

    »Halb so offiziell reicht, danke.« Cloud lächelte und lenkte Jeltos Schritte die Straße zwischen den Häusern entlang, die das Angkdorf bildeten. Der holografische Himmel, der sich über den Hightech-Bauten spannte, wurde von einer Kunstsonne dominiert. Ein paar Schäfchenwolken komplettierten die Illusion.

    Cloud begrüßte die Möglichkeiten, die sich der Besatzung an Bord der RUBIKON boten, um einen eigentlich klinisch sterilen Lebensraum so zu dekorieren und auszustaffieren, dass man die echte Natur eines Planeten kaum vermisste. Aber alle »Kulisse« ersetzte nicht die Akzente, die Jelto vor dem Wüten der Treymor gesetzt hatte und von denen momentan nur noch einer übrig war.

    Vor ihm kamen sie wenig später zum Stehen.

    »Der Lebensbaum von Vil...« Jelto nickte beinahe andächtig. »Du kennst seine Geschichte, John.«

    »Ja, ich kenne sie. Sie ist bemerkenswert. So bemerkenswert wie die ganze Gesellschaft dort.« Für einen Moment schweiften Clouds Gedanken zu dem plastischen Bericht, den Jelto nach seiner Rückkehr gegeben hatte. Die Vilaner lebten in großer Nähe zur Natur und zu ihren Verstorbenen. Im Grunde waren ihre Bäume Sinnbild für den Tod, nicht für das Leben. Irgendwie aber auch für die neue Saat, die aus dem Tod eines Lebewesens hervorzugehen vermochte.

    Jeltos Blick verriet, dass auch er in Erinnerungen schwelgte. So kurz der Aufenthalt auf Vil auch gewesen sein mochte, so intensiv war er doch von ihm erlebt worden.

    Plötzlich kehrte Jeltos Blick ins Hier und Jetzt zurück. Er wusste, was Cloud von ihm wollte.

    »Ich werde tun, was ich kann. Es muss einen Grund geben, weshalb der Baum die Zerstörungswelle als einzige Ausnahme überstanden hat. Und diesen Grund finde ich heraus.«

    Cloud nickte. »Vielleicht können wir daraus einen Nutzen für die Zukunft erzielen.«

    »Vielleicht.« Jelto wirkte schon wieder geistesabwesend.

    »Wie geht es in deinem Garten weiter? Hast du dich inzwischen entschieden, ob du ihn neu anlegst, oder...«

    Jelto schüttelte den Kopf.

    »Du brauchst eine Aufgabe.«

    »Die hast du mir doch gerade gegeben.«

    »Sie wird dich, so wie ich dich kenne, nicht lange beschäftigen.«

    »Nur keine zu hohen Erwartungen, Commander .« Jelto zwinkerte ihm zu.

    Cloud klopfte ihm zum Abschied auf die Schulter. »Du machst das schon. Ich höre von dir. Tut mir leid, wenn ich es so kurz mache, aber da hinten... kommt gerade jemand, mit dem ich noch ein paar Takte zu reden hätte.« Er hatte Assur entdeckt, die sich in Begleitung ihrer Tochter näherte.

    Jelto glaubte zu verstehen, nickte und wandte sich dem Baum zu.

    Cloud ging den Angks entgegen, hinter denen in diesem Moment eine auffällige Gestalt auftauchte. Sie erinnerte entfernt an einen grotesk gezeichneten Engel.

    Cloud erkannte auf den ersten Blick Yael, den Jungnargen mit der goldenen, nicht ockerfarbenen Haut, wie es bei seinem Volk normalerweise üblich war. Aber an Jiims Sprössling war nichts normal. Irgendetwas von Jiims Ganfrüstung hatte auf ihn abgefärbt. Yaels Fähigkeiten grenzten in vielerlei Hinsicht an Zauberei und waren größtenteils unerforscht. Immer wieder, seit er geschlüpft war, überraschte er seine Umwelt mit neuen Eskapaden.

    Was aber nicht seine Schuld war.

    Yael war eine Seele von einem Nargen. Charakterlich gab es an ihm nicht das Geringste auszusetzen, auch seine pubertären Auseinandersetzungen mit Jiim hatten sich auf ein kaum noch spürbares Level zurückgeschraubt.

    Dennoch war und blieb er unberechenbar.

    Und jetzt holte er zielstrebig zu Assur und Winoa auf, in einem Tempo, das ihn sie noch vor Cloud erreichen ließ.

    Cloud sah, wie sich Assurs Miene leicht verfinsterte, als sie sich zu dem Nargen umdrehte.

    Dann war auch Cloud bei der Gruppe.

    »Ärger?«, raunte er Assur zu, die ihn längst bemerkt hatte.

    Sie ließ Yael nicht aus den Augen. Winoa war dem »jungen »Mann« entgegengeeilt und redete jetzt auf ihn ein. Beide gestikulierten heftig, ihre Unterhaltung jedoch wurde so leise geführt, dass nicht einmal Wortfetzen zu Cloud und Assur drangen.

    »Wir waren nicht anders – als wir so jung waren, oder?«, fragte sie, ohne ihn anzusehen.

    »Ich stelle mir das Leben auf den Angkwelten immer etwas verklärt vor«, gab er zu. »Durchlebt ihr dort wirklich ebenso alle Problemphasen des Lebens wie... na ja, wie die Menschen, mit denen ich einst aufwuchs?«

    Sie wusste, woher er kam. Und ebenso gut, worauf er ansprach. »Pubertät ist etwas Universelles«, behauptete sie und löste widerstrebend den Blick von den zwei Teenagern. »Hast du etwas anderes geglaubt?«

    Er schüttelte den Kopf. »Was ist das Thema ihrer... Auseinandersetzung?«

    »Ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich schuld. Ich habe sie vorhin gestört.«

    »Wobei?«

    »Nicht, was du gleich wieder denkst. Aber sie hatten sich wahrscheinlich etwas ungestörte Zweisamkeit versprochen. Jiim war nicht zuhaus. Sie hatten...«

    »... sturmfreie Bude.«

    »Was?«

    »So nannte man das bei uns früher.«

    »Du warst bestimmt ein schlimmer Finger.« Sie lachte.

    »Ich war das Harmloseste, was du dir überhaupt vorstellen kannst«, versicherte er.

    »Schade. Ich sehe dich lieber etwas verwegener.«

    Verdutzt schaute er sie an.

    »Egal. In meiner Jugend war ich wählerisch, im Alter wird man milde und sieht über die Fehler seiner Partner eher hinweg...«

    Sie lachten beide.

    Winoa kam zu ihnen. Als Cloud zu der Stelle blickte, wo sie bei Yael gestanden hatte, befand sich der Narge immer noch dort. Sein Gesichtsausdruck war grimmiger denn je.

    »Hi Commander .« Sie sagte es ernster als sonst.

    Er sah sie forschend an. Dann nickte er hin zu Yael. »Kann ich schlichten?«

    Sie schüttelte den Kopf. Cloud war erstaunt, wie erwachsen sie plötzlich wirkte. »Damit komme ich schon klar. Ich gehör ihm ja nicht. Auch wenn ich ihn ziemlich mag. Aber es gibt Dinge...« Sie verstummte.

    »Worum ging es denn?«, fragte Assur.

    Für einen Moment sah es so aus, als wollte Winoa damit nicht herausrücken. Doch dann sagte sie: »Er will unbedingt dabei sein – und das geht nicht. Ich weiß, dass es nicht geht. Aber er sieht es nicht ein.«

    »Was?«, fragte Assur. »Wo dabei sein?«

    »Bei unserer Exkursion.«

    Jetzt dämmerte es auch Cloud. »Bei der Erforschung der... Häuser?«

    Sie nickte verärgert.

    »Und das willst du nicht?«

    »Auf keinen Fall!«

    »Es wäre auch zu gefährlich – für ihn«, warf Assur ein, die genauso überrascht schien wie Cloud. »Er ist nun mal kein Angk. Für dich und mich, mein Kind, ist es ungefährlich...«

    Glaubte oder hoffte sie das? Erstmals fiel Cloud eine leichte Unsicherheit, ein Schwanken in ihrer Stimme auf. Und er begriff: Sie hat mich reingelegt. Sie ist sich überhaupt nicht sicher. Aber wieso riskiert sie dann Winoas Gesundheit?

    Wahrscheinlich, weil sie sich selbst noch besser einreden konnte, alles im Griff zu haben, wenn sie ihre Tochter mit einbezog.

    Oder aus irgendeinem anderen obskuren und unerfindlichen Grund.

    Frauenlogik eben.

    Cloud seufzte.

    »Hört sich logisch an«, sagte er. »Müsste Yael eigentlich auch einleuchten – oder?«

    »Er ist ein ziemlicher Sturkopf«, sagte Winoa, was aus ihrem Mund aber eher wie eine Auszeichnung klang.

    »Ich werde, wenn ihr das wollt, mit ihm sprechen«, bot Cloud an.

    Während Assur noch zögerte, nickte Winoa. »Du bist der Commander. Auf dich muss er hören. Viel Glück.«

    Sie zwinkerte ihm zu.

    Cloud wusste, dass er einen Narren an ihr gefressen hatte. Sehr vielen anderen hätte er die unverhohlene Schadenfreude nicht durchgehen lassen.

    Bevor er sich zu Yael aufmachte, wandte er sich noch einmal an Assur. »Sesha ist instruiert, euch jedwede Unterstützung angedeihen zu lassen. Trotzdem lege ich dir ans Herz, noch einmal in dich zu gehen. Ist es wirklich eine so gute... und vor allem gefahrlose... Idee, im Zweiergespann mit deiner Tochter an die Erforschung der Häuser zu gehen? Wenn du wenigstens sagen würdest, du nimmst dir Jarvis an die Seite. Er hat auch seine Erfahrungen mit dem Phänomen dieser Konstrukte gemacht. Er könnte dir –«

    »Es ist ungefährlich, ich bleibe dabei. Die Häuser... das, was hinter ihnen steht... wurde für Angks gemacht. Es birgt für Angks keinerlei Gefährdungspotenzial.«

    »Und woher willst du das wissen?«

    »Ich weiß es.«

    Frauenlogik die Zweite.

    Cloud umarmte sie zum Abschied, ebenso Winoa, die ihm ins Ohr flüsterte: »Keine Sorge, ich pass auf sie auf.«

    Gegen seinen Willen musste er lächeln. Er winkte ihnen zu und ging dann zu Yael, der immer noch wie angewurzelt an der Stelle stand, wo ihn Winoa verlassen hatte.

    »Hi«, sagte Cloud.

    »Verschwinde!«, fauchte der verliebte Narge.

    Bis eben noch schien das Leben im »Dorf« seinen gewohnten Gang genommen zu haben. Doch noch ehe Assur und Winoa ihr Haus betreten konnten, strömten aus allen Richtungen Angks herbei, angeführt von Rotak, der mehr war als der gewählte Sprecher der Sonderbegabten. Für Assur war er der Ex-Partner, für Winoa der Vater, der diese Rolle nie einbüßen würde. Assur kannte und respektierte die Beziehung, die Vater und Tochter miteinander verband. Aber sie beharrte auch auf Akzeptanz, was ihre neue Rolle Rotak gegenüber anging.

    Die Rollen waren klar verteilt. Aber darum ging es Rotak gar nicht. Er stellte sich ihnen im Namen der Gemeinschaft aller Angks in den Weg.

    »Ich habe mit den anderen darüber gesprochen, was ihr vorhabt«, sagte er. Sein Ton war angemessen – ernst, aber nicht hysterisch. Warum auch?

    »Ich habe es offen mit dir besprochen, nie ein Geheimnis daraus gemacht.« Assur gab sich selbstbewusst, während Winoa halb hinter ihr Deckung bezog.

    Assur gestand ihr dieses Privileg zu; sie war eben doch noch ein Kind, auch wenn sie diesbezüglich Minuten zuvor noch ihre Zweifel gehegt hatte.

    »Die Gemeinschaft hätte es lieber von dir selbst erfahren.«

    »Warum?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort kannte. Es missfiel ihr nur, sich – und ihm samt den anderen – einzugestehen, dass sie sich tatsächlich eines frappierenden Versäumnisses schuldig gemacht hatte. Sie hätte umgekehrt auch von Rotak und jedem anderen Angk erwartet – und verlangt –, dass man sie in etwas so Elementares einbezog wie das Projekt, das sie mit Winoa in Angriff nehmen wollte.

    Rotak schüttelte den Kopf. »Du und ich, wir wissen beide, dass diese Frage unter deiner Würde ist.«

    Sie schwieg. Sah ihn an. Musterte die Gesichter hinter ihm. Niemand war wütend auf sie, das sah sie und es hätte sie beruhigen können. Aber die Besorgnis, die sie in ihren Gesichtern las, war mindestens ebenso belastend.

    »Wir werden vorsichtig sein«, versprach sie.

    »Ihr werdet es unterlassen«, sagte Rotak.

    Kopfschüttelnd stemmte sie die Fäuste in die Taille. »Du hast mir nichts zu befehlen. Der Commander dieses Schiffes hat mir grünes Licht gegeben. Das ist alles, was ich brauche.«

    »Ist das so?« Er musterte sie eindringlich. »Hast du aufgehört, eine von uns zu sein, ein Teil des Ganzen?«

    Sie verneinte. »Ich bin und bleibe dem Ganzen verpflichtet und loyal. Aber meiner Meinung nach tangiert das nicht mit meinem Vorhaben. Ich gefährde niemanden.«

    »Du setzt alles aufs Spiel«, warf ihr Rotak vor. »Und ich halte dich für zu klug, um dir abzunehmen, dass du das nicht weißt.«

    »Unsere Häuser bergen ein Geheimnis.«

    »Ich weiß. Wir alle wissen das. Aber ist das ein Grund, es lüften zu müssen? Die Bractonen schenkten uns dieses Dorf, das mehr ist, als wir erwarten durften – und mehr als John Cloud sich erhoffen konnte. Wir tun alles zum Wohle des Schiffes und seiner Besatzung, dazu wurden wir von den Bractonen befähigt. Sie gaben uns vieles mit auf unseren Lebensweg, aber niemals das Versprechen, uns jedes ihrer Geheimnisse enthüllen zu müssen. Ist es nicht mehr als genug, dass wir ihre Technologie nutzen dürfen? Müssen wir sie bis ins letzte Detail hinterfragen und verstehen lernen? Sind wir dazu überhaupt fähig? Bedenke, von wem wir sprechen. Sie sind die ERBAUER. Sie haben mehr erschaffen als das Angksystem, unser ursprüngliches Zuhause.«

    Sie wusste, worauf er anspielte. Die Bractonen hatten die Ewige Kette initiiert, und die Ewige Kette hatte das Universum, in dem sie alle lebten, erzeugt. Die Tridentischen Kugeln, auch CHARDHIN-Perlen genannt, wachten über die Fortexistenz des Kosmos.

    Primitive Völker hätten eine solche Ballung an Macht als Gottheit bezeichnet und verehrt.

    Und sie? Was war sie im Begriff zu betreiben, sie, Assur?

    Gottes lästerung , dachte sie und begriff erstmals die volle Tragweite dessen, was Rotak und die anderen, die sich vor ihr versammelt hatten, ihr vorwarfen.

    »Ich... wir werden vorsichtig zu Werke gehen – und respektvoll«, versprach sie.

    »Du bist nicht davon abzubringen«,. Sagte Rotak resignierend. Seine gerade noch straffen Schultern sanken unmerklich ein.

    »Ich verdanke den Bractonen, so wie jeder Angk, alles«, sagte sie. »Aber im Gegensatz zu dir oder euch zweifle ich an, dass sie nicht wollten, dass wir uns weiterentwickeln und Geheimnissen, die uns in unserer Entwicklung und in unserem Selbstverständnis weiterbringen könnten, unangetastet lassen. Vielmehr glaube ich, dass sie von uns erwarten, dass wir uns mit der von ihnen zur Verfügung gestellten Technologie auseinandersetzen. – Das ist meine Sicht der Dinge. Wer kann sie widerlegen? Wer kann mir die Garantie und den unumstößlichen Beweis liefern, dass ich mich irre, meine Einstellung falsch ist – und eure, die sich Zurückhaltung und Anbetung ins Wappen geschrieben hat, die richtige?«

    Rotak fixierte sie stumm. Für einen Moment sprang der lange erloschen Funke, der sie einst zusammengeführt hatte, wieder zwischen ihnen über. Sie spürte seine aufrichtige Bewunderung – und seinen Respekt.

    »Es ist, wie es ist«, sagte er, gab den anderen ein Zeichen und zog sich zurück.

    Winoa löste sich aus dem Schatten ihrer Mutter und sah sie an, als erblicke sie sie zum ersten Mal, so wie sie wirklich war. Nicht als Mutter, sondern als Frau, als Angk.

    »Wow«, sagte sie. Und nach einer kleinen Pause: »Können wir jetzt endlich?« Sie nickte zum Haus.

    »Ja«, sagte Assur.

    In der Ferne redete John immer noch mit Yael. Er musste die Zusammenrottung gesehen haben, hatte aber nicht eingegriffen.

    Auch eine Form von Respekt.

    Mit neuem Selbstbewusstsein ausgerüstet, übertrat Assur, gefolgt von ihrer Tochter, die Schwelle eines Hauses, das viel mehr war als nur ein Haus.

    Sie hoffte, es niemals bereuen zu müssen, an den Grundfesten dieses Geheimnisses rütteln zu wollen.

    »Wie gehen wir vor?«, fragte Winoa, als hätte es die Verzögerung durch Yael nie gegeben. Vielleicht war sie auch froh, erst einmal eine Tür zwischen sich und den Jungnargen gebracht zu haben.

    Assur lächelte ihre Tochter an. Es war einer dieser Momente, in denen sie spürte, wie der Stolz in ihr aufwallte, und sie empfand es keineswegs als Schande, stolz auf dieses Mädchen zu sein, das mit seinen weizenblonden Haaren, die wellig bis zur Schulter fielen, vielfach aber auch einfach als störrische Strähnen in alle Himmelsrichtungen zeigten, der figurbetonten, zugleich aber auch lässigen und an den Bordalltag angepassten Kleidung – Dreiviertelhosen, bauchfreies T-Shirt, sandalenähnliche Schuhe – mehr und mehr aus ebendiesen Schuhen herauswuchs. Wie alle Eltern wurde auch Assur einmal mehr schmerzlich bewusst, wie schnell die Zeit verflog. Die Bilder, die sie in sich trug, unterstrichen das. Bilder eines Säuglings, der ihr frisch nach der Geburt von einer Tavnerin, die als Amme fungiert hatte, zwischen die Brüste gelegt worden war, oder einer bereits in frühem Kindesalter oft aufmüpfigen und frechen Göre, die mehr als einmal eine Suchaktion nach sich losgetreten hatte; einmal sogar bis zu einer anderen Angkwelt, weil es Winoa irgendwie gelungen war, sich eine Passage über einen kobaltblauen Turm und die Energiestraßen zu ergattern... Selbst im Nachhinein blieb Assur noch fast das Herz stehen, wenn sie sich vor Augen hielt, was alles hätte passieren können.

    Das Haus war ihnen vertraut. Sie lebten hier seit Monaten – so wie andere Angks andere Häuser an Bord der RUBIKON bezogen hatten. Die Grundsteine der Architektur, in der sich die neuen Besatzungsmitglieder geübt hatten, waren bereits im Angksystem gelegt worden – unter der Regie der ERBAUER. Doch das war weder der Neu-Crew selbst noch der alten Stamm-Crew zunächst bewusst gewesen. Die Bractonen hatten einen Gedächtnisblock in den Gehirnen der Angks etabliert. Er war erst gelöst worden, als es den ERBAUERN gefiel. In der ersten prekären Situation, in die die RUBIKON-Besatzung nach Verlassen des Ersten Reichs geschlittert war.

    Seither waren sich die Angks ihrer Möglichkeiten bewusst: Sie vermochten mit dem Schiff zu verschmelzen und es auf diese Weise aufzuwerten. »Tuning« hatte irgendjemand es einmal genannt. Die Angks steuerten im Bedarfsfall ein geistiges und paranormales Potenzial bei, das von den Bractonen hinterlegte Defensiv- und Offensiv-Gimmicks aktivierte: die Ghost-Generatoren beispielsweise, mit dem sie die Treymor im Milchstraßenzentrum entscheidend hatten narren und ablenken können, um die Installation einer neuen Tridentischen Kugel erst zu ermöglichen. Zuvor hatte sich hinter dem Ereignishorizont anstelle der von Kargor zum Raumschiff umfunktionierten Station eine sogenannte »Negaperle« zu manifestieren versucht. Wer diesen Vorgang initiiert hatte und ob überhaupt eine intelligente Macht dahinter steckte, war bis heute ungeklärt. Ebenso gut konnte es möglich sein, dass die Negaperle vom Universum an sich wie eine Art Krebsgeschwulst auf astrophysikalischer Ebene hervorgebracht worden war. Andererseits sprach die Präsenz der Treymor, die eine »Heilung« oder »Reparatur« der betroffenen kosmischen Zone mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln hatten verhindern wollen, für eine bislang unbekannte Macht, die im Hintergrund die Fäden zog... und deren Erzfeinde offenbar die Bractonen waren.

    Assur wusste, dass viel über die Identität eines solchen Feindes spekuliert wurde. Die ERBAUER selbst konnten nicht dazu befragt werden. Seit geraumer Zeit verschanzte sich das Angksystem hinter einer undurchdringlichen Chaoswolke, von der nicht wenige sogar fürchteten, es könnte sich um keinen Schutzschild handeln, sondern bereits um die Überreste des Ersten Reichs – weil eine unfassbare Katastrophe das Angksystem in den Abgrund gerissen hatte.

    Eine Katastrophe von derselben Macht initiiert, die an der Entstehung der Negaperle beteiligt gewesen war? Dieselbe Macht vielleicht auch, auf die die Treymor im Aquakubus offenkundig gewartet hatten...?

    Obwohl Assur nur streiflichtartig Revue passieren ließ, was in jüngster Zeit an elementaren Veränderungen passiert war, wurde ihr ganz seltsam zumute, als sie an das immense Gefahrenpotenzial dachte, das auf die Milchstraße jetzt schon lauerte.

    »Wie immer«, beantwortete sie endlich Winoas berechtigte Frage nach der Vorgehensweise. »Wir nehmen Kontakt auf mit dem Gewebe des Schiffes. Wir kontaktieren es.«

    »Dann sprechen wir mit Sesha?«

    Sie schüttelte den Kopf. »Das dachte ich auch lange. Aber Sesha hat damit nichts zu tun. Für mich fühlt es sich jedes Mal eher so an, als existiere eine zweite Künstliche Intelligenz, die nur für die Häuser, nur für unsere Verschmelzung damit und die Zurverfügungstellung unserer Kräfte zuständig ist.«

    »Sesha hätte das längst bemerkt – und moniert«, erwiderte Winoa nicht ganz zu unrecht. »Sie kann manchmal eine ganz schöne Diva sein.«

    » Zicke trifft es eher, oder?«

    Beide lachten.

    Sesha intervenierte nicht. Schon öfter hatte Assur das Gefühl gehabt, dass die angestammte Bord-KI nur dann Zugang zu den Häusern erhielt, wenn deren Bewohner es ausdrücklich wollten.

    Das war momentan nicht der Fall.

    »Lass uns anfangen«, sagte Assur. »Setzen wir uns, machen wir es uns bequem – für das Resultat macht es keinen Unterschied, ob wir uns die Beine in den Baum stehen, oder uns hinfläzen.«

    Sie nahmen nebeneinander auf dem weichen Sofa Platz. Dann nickten sie sich zu... und fühlten sich in die Struktur des Materials ein, auf dem sie saßen. Es gehörte ebenso zur RUBIKON wie Boden, Decke oder Wände. Oder jedes beliebige Einrichtungsdetail.

    »Bleiben wir zusammen?«, fragte Winoa.

    »Ganz bestimmt«, versprach Assur, während sie das Gefühl hatte, mit dem Objekt, auf dem sie Platz genommen hatte, zu verschmelzen.

    »Es geht los.«

    Sie sagte es in eine veränderte Umgebung, denn das Mobiliar und alle anderen Charakteristika des Raumes verschwanden.

    Eine kalte Brise fegte über sie hinweg. Es wurde dunkel. Eisig beinahe.

    »Mum!«

    Aber Assur antwortete ihrer Tochter nicht mehr.

    Assur war fort.

    Es hatte anders ablaufen sollen, alles hatte anders ablaufen sollen.

    Zaghafter.

    Vor allem aber kontrollierter.

    Nun, gerade mit der Kontrolle war es so eine Sache. Sie war schon vorbei, bevor Assur für sich auch nur die Illusion hätte aufbauen können, alles im Griff zu haben.

    Närrin!

    Assur ließ kein gutes Haar an sich. Sie spürte es nur einen Moment, nachdem der gewohnte Anblick ihrer Inneneinrichtung verblasst war. Etwas ging schief. Gehörig schief.

    »No!«

    Ihr Ausruf bedeutete nicht nein – sie bediente sich lediglich der Abkürzung von Winoas Namen, der ihr immer über die Zunge glitt, wenn sie an irgendetwas zu knabbern hatte – in der Regel am Verhalten ihres Töchterchens, ihrem Benehmen, das nicht immer zu Freudensprüngen Anlass kam.

    Hier und jetzt aber war Winoa unschuldig.

    Ich hab’s verbockt. Ich ganz allein. Ich hätte auf den Vater meines Kindes hören sollen...

    Die merkwürdige Umgebung lenkte sie ab. Es war kein unbekannter Ort in dem Sinn, dass sie sich überhaupt nicht vorstellen konnte, wo sie gelandet war. Aber gerade das bereitete ihr ein verdammtes Unbehagen!

    Das Licht war geschwunden – nicht vollständig, sodass Kohlrabenschwärze sie umgab, aber immerhin doch so weit, dass es den Anschein hatte, als würde irgendetwas die normale Helligkeit im Hausinnern schlucken.

    Hausinnern – ja! Denn sie befand sich zweifellos immer noch in den Wänden, die sie mit ihrer Tochter betreten hatte. Der Raum als solcher war... schien identisch zu sein. Allein, ihm fehlte jegliches Mobiliar. Nackt und leer präsentzierte er sich, dazu voller Düsternis und Kälte. Assur kam sich vor, wie in einem Gefrierschrank.

    Sie sah an sich herunter. Sie hockte nicht länger auf dem Sofa, auf das sie sich zusammen mit ihrer Tochter gelümmelt hatte, sondern war halb eingesunken in den Boden des Hauses.

    Der Kontakt mit dem Schiff war also hergestellt – auch hier, in diesem veränderten Zuhause.

    Aber wo war Winoa? Warum gab sie keine Antwort, reagierte nicht auf ihren Ruf?

    Und wohin zum Teufel war das Mobiliar verschwunden?

    »Sesha?«

    In dem Moment, in dem sie nach der KI rief, erteilte sie ihr die Freigabe, Zugriff auf das Gebäude zu nehmen.

    Aber Sesha schwieg so beharrlich wie Winoa.

    »Sesha!«, wiederholte Assur, diesmal bedeutend dringender.

    Der Erfolg – beziehungsweise Misserfolg – blieb derselbe.

    Verstört konzentrierte sich Assur und legte die Handflächen neben sich auf den frostkalten Boden, bei dem es sie nicht überrascht hätte, wäre er mit einer Schicht Raureif überzogen.

    Sie stemmte sich aus dem Boden, er sie mit einem schmatzenden Geräusch freigab. Im Stehen drehte sie sich um ihre Achse. Aber nichts änderte sich. Dieser Raum war völlig kahl, und der nächste, in den sie sich unsicheren Schrittes begab, ebenso.

    Das zunächst noch beherrschbare Unbehagen schlug langsam in Panik um, kippte in Hysterie.

    So schnell sie konnte, eilte sie zur Haustür. Riss sie auf. Wollte hinausstürmen...

    Stattdessen bremste sie ab. Ihr Schwung verpuffte. Ihr Elan ebenfalls.

    Nicht dass draußen nichts gewesen wäre. Aber was sie sah, ließ ihr das Herz noch tiefer in die Hose rutschen.

    Dieselbe Düsternis, wie sie das Haus auszeichnete, dieselbe Kargheit und Verlassenheit, zeichnete auch das Angkdorf aus, das sich ihren Blicken darbot.

    Assur hasste die eisige Hand, die ihr die Luft abzuschnüren schien.

    »No!«, krächzte sie erneut. Ihr Blick flog über die Straße, über die angrenzenden Häuser, den großen Platz mit dem Brunnen, wo sie oft und gern gesessen hatte... als hoch oben noch die holografische Sonne berückende Sommertage gezaubert hatte.

    Diese Sonne war verschwunden, die Düsternis allgegenwärtig.

    Assur drehte sich um und schrie sich fast die Lunge aus dem Leib – erst nach ihrer Tochter, dann nach Sesha... und zu guter Letzt wieder nach Winoa und beliebigen anderen Personen, die sie an Bord des Schiffes schätzen gelernt hatte.

    Das Schweigen wurde greifbar. Es drückte wie ein Gewicht auf ihre Schultern, ihre Seele.

    Schließlich hielt sie es im Haus nicht mehr aus, taumelte nach draußen... und torkelte durch das hässliche Grau, das alle Farben an Bord gestohlen hatte.

    Und mit den Farben... so schien es zumindest ... waren sämtliche Mannschaftsmitglieder verschwunden.

    Cloud bereute es, sich eingemischt zu haben. Yael zeigte keinerlei Gesprächsbereitschaft. Er war wie viele Jugendliche in seinem Alter: Was die Erwachsenen sagten, interessierte ihn nicht. Nicht die Bohne. Unablässig blickte er zu dem Haus, in dem Assur und ihre Tochter verschwunden waren.

    »Sie hat dir doch erklärt, dass sie etwas Zeit mit ihrer Mutter verbringen will – du bist ja nicht abgeschrieben. Aber respektier, dass sie nicht immer wie eine Klette an dir kleben will. Junge, das wird sie beeindrucken, glaub mir. Je weniger du klammerst, desto mehr kommt sie auf dich zu. Ein klein wenig Lebenserfahrung bringe ich ja nun auch mit –«

    Bei diesem Satz wandte Yael ihm zum ersten Mal das Gesicht zu – zumindest empfand Cloud es als Premiere für diese Begegnung.

    »Ich will sie weder erdrücken noch an ihr kleben wie eine... wie sagtest du?«

    »Klette.«

    »Eine Klette, ja. Ich mache mir lediglich Sorgen um sie. Das scheint keiner zu kapieren. Ich will zu ihr, um im Notfall einschreiten zu können!«

    Seine Stimme vibrierte leicht. Seine Aufregung übertrug sich auf Cloud. Aber er wiegelte ab. »Dort, wo sie hingehen... wenn man es nennen kann... würdest du auf verlorenem Posten stehen. Diese Technologie ist nicht für dich und mich gemacht. Sie ist auf Angks einjustiert. Wir können sie – im Glücksfall – benutzen. Aber wir wären außerstande, so in ihre Basis vorzustoßen, wie Assur und Winoa es vorhaben zu tun.«

    »Von genau der Gefahr spreche ich die ganze Zeit!«

    Cloud schüttelte den Kopf, gab sich dann einen Ruck. »Ich gebe zu, anfangs teilte ich deine Bedenken. Aber Assur hat mir glaubhaft versichert, dass sich die Bractonentechnik niemals gegen sie wenden –« Er hörte auf zu sprechen. Weil er merkte, wie sich Yaels Augen weiteten. Sein Blick war an ihm vorbei gerichtet. Dorthin, wo –

    Yael hob ab. Mit einem energischen Schlag beider Flügel schwang er sich in die Lüfte, und dann konnte Cloud ihm nur noch hinterher schauen, wie er pfeilschnell auf Winoa zu jagte.

    Es sah fast wie ein Angriff aus.

    Das aber täuschte, und zwar gewaltig. Wenn es überhaupt einen Angriff gegeben hatte, dann bereits dort, woher Winoa gerade gerannt kam: Sie stürmte aus ihrem Haus... allein! Ihr Gesicht war angstverzerrt.

    Cloud spürte, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht wich.

    »Sesha?!«

    »Commander?«

    »Status bei...« Er schilderte kurz, worüber genau er Rapport haben wollte.

    Seine Legitimation hob jede eventuell bestehende Einschränkung in Sachen Intimsphäre auf. Die KI scannte das Haus, in dem Cloud manche zärtliche Stunde mit Assur verbracht hatte.

    Aber daran wagte er jetzt gar nicht denken. Er rannte bereits dorthin, wo Yael gelandet war. Zu Winoa.

    »Kind!«, rief er, als er bei ihr und dem Nargen ankam. »Was ist passiert? Du siehst aus, als wäre dir –«

    Sie warf sich an seine Brust, zitterte, schluchzte. Yael bedachte Cloud mit einem schrägen Blick, aber das war dem Commander egal. Völlig egal in dieser Situation.

    »Sie ist verschwunden – ich weiß nicht, wohin! Mum ist einfach verschwunden. Von einem Moment zum anderen war ich allein! Wir hatten gerade begonnen, mit dem Gewebe des Schiffes zu verschmelzen...«

    Das Gewebe des Schiffes.

    Irgendwie störte sich Cloud an der seltsamen Ausdrucksweise. Aber sie verkam zur absoluten Nebensache.

    Assur... war verschwunden?

    »Du musst dich irren. Komm.« Er fasste sie an den Armen und drehte sie vorsichtig in die Richtung des Hauses, dessen Tür weit offen stand. Er sah gerade noch Yael darin verschwinden – und realisierte erst da, dass der Narge sich auf eigene Faust von ihnen abgesetzt hatte.

    Verdammt, was will er eigentlich beweisen? Von seinem Elter hat er das nicht!

    »Zeig mir, wo... und wie... du sie verloren hast. Los schon, Winoa! Wir müssen Assur finden... Sesha?«

    »Negativ«, antwortete die KI aus dem Off. »Sämtliche Scans ohne Ergebnis. Das Haus ist frei von Personen... korrigiere: war frei. Yael hat es betreten. Er...«

    Es kam selten vor, dass die KI beim Sprechen ins Stocken geriet. Es sei denn, man fuhr ihr über den »Mund« – was Cloud aber nicht tat.

    »Was ist?«, wurde er aufmerksam. »Sesha?«

    »Der Narge Yael ist soeben ebenfalls verschwunden.«

    Cloud blieb stehen. Winoa an seiner Hand wurde ebenfalls zurückgehalten.

    »Wiederhol das!«

    »Der Narge Yael ist auch nicht mehr zu orten.«

    »Wie soll das gehen?«

    »Ich schicke Bots...«, bot Sesha an.

    »Warte noch«, bremste Cloud die KI. »Ich bin gleich da. Ich werfe selbst einen Blick rein. Die Bots können immer noch eingreifen. Verständige Jarvis. Ich will ihn hier haben. So schnell es geht!«

    »Verstanden.«

    Es war

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