Fakten, Schein und Wissenslücken
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Wissen wir wirklich, was wir zu wissen glauben oder führt uns die apodiktisch beanspruchte Deutungshoheit der Wissenschaften in einen berechtigten Kulturpessimismus.
Wo liegt die Grenze zwischen Glauben und Wissen? Im Zeitalter der "Fake News" und der Algorithmisierung des Wissens stellt sich die Frage nach einem intellektuell redlichen Umgang mit Wissenslücken mehr denn je.
Hans Peter Homberger
Hans Peter Homberger studierte Naturwissenschaften an der ETH Zürich, wo er auch am Institut für Zellbiologie promovierte. Nach Forschungsaufenthalten in Sherbrooke und Genf absolvierte er das Studium zum «Master of Business Administration» und erfüllte im Anschluss erfolgreich mehrere Aufgaben auf Geschäftsführungs- und Vorstandsebene in der Industrie und im Dienstleistungssektor. Hans Peter Homberger ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern.
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Fakten, Schein und Wissenslücken - Hans Peter Homberger
In dem folgenden Text wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit ausschließlich die männliche Form verwendet. Sie bezieht sich auf Personen beiderlei Geschlechts.
Inhaltsverzeichnis
Fakten im Schatten von Wissenslücken
Was wissen wir und was glauben wir?
Wissen und Wissenschaftlichkeit.
Wahrheit und Wirklichkeit.
Grenzen der Wissenschaft.
Wissensgrundlagen.
Wissenschaft und Ethik.
Sind Erkenntnisse Fakten?
Empirie
Deduktion und Induktion
Wissenschaft studiert die Schöpfung ohne Schöpfer.
Dialektik
Die rätselhafte Welt der Physik
Offene Fragen für Wissensdurstige
Methodische Ausgrenzung produziert Artefakte
Quantenphysik – Jagd auf bewegte Ziele
Schrödingers Tür zur Metaphysik
Schöpfung oder Evolution – ein Faktencheck.
Irrungen und Wirrungen in der Biologie.
Gedanken über das Leben.
Proteine
Nukleinsäuren.
RNS (Ribosenukleinsäure)
Wissen und Halbwissen.
Allgemeines Wissen
Verschwörungstheorien.
Glaube
Atheismus, eine Glaubensgemeinschaft?
Die Digitale Transformation
Digitalisierung – die Pulverisierung und «Entseelung» des Wissens
Neue Lebens- und Arbeitswelt.
Hoffnungen und Ängste.
Vertrauen
Lückenhaftes Wissen über den Cyberspace
Wissen ist Macht
Was macht Wissen mit uns?
Wer trägt die Verantwortung?
Code.org
Persönliche Schlussfolgerung
Fakten im Schatten von Wissenslücken
Was wissen wir und was glauben wir?
Erkenntnisse aus der Wissenschaft sind für viele Menschen von großer Bedeutung beim Entwurf ihres Lebenskonzeptes. Einblicke in die Naturwissenschaften, die Philosophie und die Theologie haben sich dabei als nützlich erwiesen, aber auch zu Konfusion beigetragen. Der vereinfachten Berichterstattung der Medien vertrauen die meisten, auch wenn bekannt ist, dass die Beurteilung von wissenschaftlichen Resultaten komplex ist. Es ist wichtig, dass sich die Wissenschaft «sozialisiert» und aus dem Elfenbeinturm heraustritt. Diese Öffnung darf aber nicht zu oberflächlicher Darstellung komplexer Zusammenhänge führen. Vereinfachungen bergen die Gefahr der Täuschung in sich, und diese muss vermieden werden.
Für Laien ist es nicht einfach, sich die Grundlagen zu erarbeiten, die zum Verständnis eines wissenschaftlichen Disputs notwendig sind. So ist es fraglich, ob die neuesten Erkenntnisse der Theoretischen Physik aus unserem eingeschränkten Blickwinkel und Erfahrungshorizont verstanden werden können. Trotzdem reden viele Menschen über Quantenphysik, Relativitätstheorie, Unschärferelation und Schwarze Löcher, als gehörten diese Themen zur schulischen Grundausbildung. In der Schule kann das Wissen, das zu einem umfassenden Verständnis physikalischer Diskurse notwendig ist, kaum vermittelt werden. Selbst Experten haben nicht für jedes komplexe physikalische Phänomen eine Erklärung, während Laien oft darüber sprechen, als sei alles klar und eindeutig.
Wissenschaftliches Vorgehen ist Arbeiten mit Modellen. Modelle helfen, komplexe und abstrakte Situationen und Vorgänge besser zu verstehen. Die Modelle müssen gut erklärt und verstanden werden. Alle Grundlagen, die zu einem Modell geführt haben, müssen transparent dargelegt und allfällige Annahmen deklariert werden.
Modelle und Vergleiche hinken immer, und es ist gewagt, auf deren Basis absolute Schlüsse zu ziehen. Wissen über eine Sache ist nie absolut, weil es immer mehrere Standpunkte gibt, von denen aus ein Sachverhalt betrachtet werden kann und muss.
Stehen sich zwei Menschen gegenüber und hält man eine Münze rechtwinklig vor ihre Augen, so wird der eine behaupten, die Münze sei mit einer Zahl bedruckt, der andere wird feststellen, dass eine Figur oder ein Kopf die Oberfläche prägt.
Dieses Beispiel zeigt uns, dass es wichtig ist, wissenschaftlichen Modellen mit Skepsis zu begegnen.
Eine wahre Aussage über die oben beschriebene Situation ist, dass beide Beobachter recht haben. Es ist eine Tatsache, dass die Münze zwei Seiten mit unterschiedlicher Aufprägung hat. In unserem Beispiel schließt die Beschreibung der Wirklichkeit oder der Wahrheit eine weitere räumliche Dimension ein. Wäre es unmöglich, die Münze dreidimensional um die eigene Achse zu drehen, könnte man ihre beiden Seiten nicht überprüfen.
Dies müssen wir beachten, wenn wir uns mit den Begriffen «Wissen» und «Wissenschaftlichkeit», «Wahrheit» und «Wirklichkeit» auseinandersetzen.
In der Frage nach dem Ursprung des Lebens und dem Sinn der menschlichen Existenz führt die subjektive Wahrnehmung der Betrachter oft zu unlösbaren Disputen. Es ist nachgerade unmöglich, über diese Fragen nachzudenken, zu reden und zu schreiben, ohne sich scharfer Kritik auszusetzen.
Wissen und Wissenschaftlichkeit
Am Anfang der wissenschaftlichen Methoden stehen oft keine Fakten, sondern Annahmen, die zwar plausibel sind, aber nicht in wissenschaftlichem Sinne hergeleitet und bewiesen werden können. Diese Annahmen werden «Axiome» genannt. Sie bilden den Ausgangspunkt für ein System von daraus logisch abgeleiteten Hypothesen bzw. Theorien. Der Beweis, ob ein Axiom und eine daraus abgeleitete Hypothese wahr sind, kann nicht erbracht werden. Ihr Wahrheitsgehalt wird vorausgesetzt. Wissenschaftliche Experimente dienen dazu, Hypothesen und Theorien zu untermauern.
Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die Newton’schen Axiome, die zu den Grundlagen der Physik gehören:
Das Trägheitsprinzip:
Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen Bewegung, solange keine äußeren Einflüsse auf ihn wirken.
Beschleunigungsprinzip:
Durch einwirkende Kräfte erfährt ein Körper eine Beschleunigung, die der Kraft proportional ist und deren Richtung besitzt: Kraft = Masse x Beschleunigung.
Wechselwirkungsprinzip:
Jede Aktion erzeugt eine Reaktion, die auf den Verursacher der Aktion zurückwirkt (actio = reactio). So ist es einem Menschen in einem Boot nicht möglich, einen etwa gleich schweren Menschen in einem ähnlichen Boot zu sich zu ziehen, ohne dass er gleichfalls zu diesem hingezogen wird.
Wo immer möglich, versucht man den hypothetischen und theoretischen Wissensbestand durch Experimente zu bestätigen. Die Erfolge der Raumfahrt stammen zum großen Teil aus dem Experimentierfeld der Newton’schen Axiome.
Naturwissenschaftliche Gesetze gründen auf theoretischen bzw. experimentellen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Wissen baut auf einem axiomatischen und/oder auf einem empirischen Informationsstand auf, der wiederum von Daten, deren Qualität, Zugänglichkeit und Interpretation abhängig ist.
Insbesondere die variable Zugänglichkeit und die perspektivische Interpretation von Daten erklären den unterschiedlichen Informationsstand einzelner Menschen, Gesellschaften und Kulturen. Wissen ist also an Personen gebunden und darum standpunktabhängig.
Mit dieser Tatsache haben sich bekannte Philosophen befasst, beispielsweise Gottfried Wilhelm Leibniz. Er führte den Begriff der «Perspektive» und den zugehörigen Begriff des «Standpunktes» in die Philosophie ein. Immanuel Kant betonte, dass die Philosophie, will sie Wissenschaft sein, den Menschen auf einen seiner menschlichen Denksituation angemessenen Standpunkt verweisen muss. Somit können wissenschaftliche Erkenntnisse nur dann miteinander verglichen und zu einem theoretischen Gedankengebäude zusammengefügt werden, wenn sie von einem konsensbasierten Standpunkt aus erarbeitet werden.
Wissenschaftlichkeit ist aber auch mit dem Anspruch objektiver Gültigkeit und Überprüfbarkeit verbunden. Wissenschaftliche Aussagen sollen logisch widerspruchsfrei sein, sie sollen uns im Bemühen, unsere Umwelt zu verstehen, unterstützen.
Wahrheit und Wirklichkeit
Das oben beschriebene Beispiel der zwei Seiten