Lichtwolf Nr. 63 (Genozid für Fortgeschrittene)
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Von den Genoziden des 21. Jahrhunderts ist einiges zu erwarten, liegt den künftigen Tätern doch reichlich Anschauungsmaterial vor – neben den Praxisbeispielen ist das Thema auch theoretisch gut durchdrungen, etwa in Form von Gregory Stantons „8 Stages of Genocide“, in deren dritte einzutreten man sich nicht nur in Sachsen anschickt.
Ganz ohne Dehumanisierung geht es beim sechsten Massenaussterben voran, an dessen Ende auch die dafür verantwortliche Spezies ausgerottet sein könnte, womit sich Marc Hieronimus beschäftigt. Der Literatur ist eine menschenleere Welt nicht unvertraut, wie Wolfgang Schröders postapokalyptische Zitatsammlung zeigt. Die Zeit bis zur Selbstauslöschung vertreiben sich einige mit mörderischen Frauenhass: Sarah Maria Lenk stellt die „Incels“ vor. Im Lichtwelpen beantwortet Onkel Bdolf eine Frage aus Kindermund zum Platz der Alten Synagoge in Freiburg. Bernhard Horwatitsch gibt eine philosophiegeschichtliche Übersicht zum Begriff des Bösen. Es folgen drei Praxisbeispiele, die zeigen, dass ein Genozid immer das ist, was man daraus macht: Vasile V. Poenaru geht dem Todesurteil wegen Völkermords gegen den rumänischen Diktator Ceausescu nach, Michael Helming besucht die Wolfsschanze im heutigen Polen und kehrt blutüberströmt zurück und Martin Köhler blickt in seiner Kolumne über die Mauern der Festung Europa. Malthusianismus und Sozialdarwinismus als ideengeschichtliche Wurzeln des Völkermordens werden von Timotheus Schneidegger behandelt und Georg Frost untersucht den Beitrag von Mikroben und Religion zur Eroberung der „Neuen Welt“ durch die Europäer. Gott ist schließlich nicht zimperlich, wenn es um den Hochmut der Völker und die Offenbarung geht, wie Osman Hajjar zeigt, worauf Schneidegger eine kurze Übersicht alttestamentarischer Massaker gibt. Am Ende ist nur noch ein einziger übrig: Wolfgang Schröder denkt mit Mary Shelley darüber nach, was uns so ein letzter Überlebender noch zu sagen hätte.
Zwischendurch gibt es die neue Reihe „Denker im Haiku“ sowie von Bdolf eine dichterische Anrufung El Zids und Aufklärung über einige Missverständnisse betreffs der Eridianer, damit das Heft nicht ganz so finster ist, wie es dem Thema „Genozid für Fortgeschrittene“ angemessen wäre.
Der hintere Heftteil startet wie üblich mit dem tragbaren Gedanken und dem September aus Renate von Charlottenburgs Zyklus „Die 12 Monate“. Es folgt Schneideggers ziemlich befangener Prozessbericht über das von der AfD gegen den Verlag angestrengte Verfahren, das kurz vor Druckschluss verhandelt wurde. Sodann gibt es wieder Rezensionen in unter 800 Zeichen, ehe Michael Helming für die Reihe „Lebende & Leichen“ den Schriftsteller Hans Olschewski ausbuddelt, der eine sagenhafte Odyssee auf Ostpreußisch verfasst hat und danach vollständig in der Versenkung verschwunden ist. Simon Preker stellt zu guter Letzt den Bären als Viehlosovieh vor, ehe das Heft mit den Aphorismen pro domo et mundo und den Autorenportraits endet.
Timotheus Schneidegger
Bücher für alle und keinen. Pirateninsel des Lichtwolf. Novaheißer Independent-Verlag im Nordwesten.
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Lichtwolf Nr. 63 (Genozid für Fortgeschrittene) - Timotheus Schneidegger
Lichtwolf Nr. 63 (Herbst 2018)
Titelthema: Genozid für Fortgeschrittene
Inhalt Nr. 63
Editorial & Impressum
Genozid für Fortgeschrittene
Einleitung ins Titelthema
Der Jugend zum Geleit
Propädeutikum und Prolegomena zum Thema „Genozid für Fortgeschrittene"
von Bdolf
Die Menschheit schafft sich ab
Wi(e)der die Natur
Der Begriff der Zweiten Natur wurde in der Antike geprägt und spätestens durch Marx wieder bekannt gemacht – aber wird er auch begriffen? Wie natürlich ist das Zweitnatürliche? Und wohin wird es uns führen?
von Marc Hieronimus
Kurz gedacht
Denker im Haiku: Schopenhauer & Kant
von M. Helming & B. Horwatitsch
Letzte Worte
„Die Erde könnte unbewohnt sein"
Zitate zum Ende, gesammelt
von Wolfgang Schröder
Femizid im Netz
„I wish hitler put females in concentration camps"
Ende April überfuhr ein 25-Jähriger in Toronto mehrere Fußgänger und tötete zehn Menschen als Auftakt der Rebellion der Incels (Involuntary Celibates). Sie verbindet im Internet ihre sexuelle Frustration, ihr Frauenhass und ein nicht ganz unbekanntes Weltbild.
von Sarah Maria Lenk
Philosophie trotz Kinder
Der Lichtwelpe: Holocaust-Problem
Der Jungfreiburger Lukas-Mario (süße 9!) hat ein HOLOCAUST-PROBLEM mitten in seiner ökologisch befreiten Zone! Rat kommt vom ortskundigen Onkel Bdolf.
Philosophiegeschichte
Eine kleine Genealogie des Bösen
Seit Jahrtausenden denkt die Menschheit über das Wahre, Schöne und Gute nach – und über das Böse. Ein ideengeschichtlicher Abriss mit Donald Trump als unsicherem Anwendungsfall
von Bernhard Horwatitsch
Ceausescu
Ein Blankoscheck für kreative Geschichtsschreibung
1989 entledigten sich die freiheitsliebenden Rumänen ihres blutsaufenden Diktators Ceausescu. Ganz so war es aber nicht. Über die rumänische Genozid-Mär zwischen Fake News, Horror-Serie und Self-Fulfilling Prophecy
von Vasile V. Poenaru
Der sich den Wolf schanzt
Das große Kratzen bei Ketrzyn
Ein mückenverseuchter Zwitter aus Mahnmahl und Freizeitpark ist das waldige Areal des ehemaligen Führerhauptquartiers Wolfsschanze. Ein Besuch mit Blutverlust und Juckreiz
von Michael Helming
Festung Europa
Stufen zum Nichts: Genozid für Fortgeschrittene
Kolumne von Martin Köhler
Globale Reise nach Jerusalem
Wie viele sind zu viele – und wenn ja, wer?
Der Gedanke, es könne zu viele Menschen geben, wurde erst in der Neuzeit denkbar und wird die Menschheit für den Rest ihrer Geschichte beschäftigen.
von Timotheus Schneidegger
Vor Wut verhört
Viva El Zid!
von Bdolf
American Genocide
Wo sind sie geblieben?
Die meisten europäischen Siedler und Conquistadoren haben in Amerika nie einen Indianer zu Gesicht bekommen. Die mitgebrachten Krankheitserreger waren ihnen stets voraus und ermöglichten erst die genozidalen Landnahme.
von Georg Frost
Alientegration
Missverständnisse betreffs der Eridianer
von Bdolf
Koranische Straflegenden
Ubi sunt qui ante nos in mundo fuere?
„Wer sich schuldig macht in meinen Augen, soll sehen, was er davon hat!", heißt es in der Betriebsanleitung der Heiligen Handgranate. Auch im Koran ist Gott wenig zimperlich, wenn es um Hochmut und die Offenbarung geht.
von Osman Hajjar
Biblische Massaker
Offenbarung mit genozidalem Potential
von Timotheus Schneidegger
Der letzte Mensch
Verney oder das postfinale Befinden
Mary Wollstonecraft Shelley gehörte zu den Ersten, die sich den letzten Überlebenden einer globalen Katastrophe ausmalten. Was hätte uns so einer zu sagen?
von Wolfgang Schröder
Kurz lesen, lang nachdenken
Der tragbare Gedanke 63
von Bdolf (bd), Michael Helming (mh), Bernhard Horwatitsch (bh), Sarah Maria Lenk (sl) und Timotheus Schneidegger (ts)
Renate von Charlottenburg:
Die zwölf Monate: September
Lichtwolf vor Gericht
Der Prozess
Im April 2017 hat der catware.net Verlag die Domain www.afd-ostfriesland.de erworben und wurde darob von den Rechtspopulisten abgemahnt. Ende August 2018 ging es dann vor Gericht. Ein ziemlich befangener Prozessbericht
von Timotheus Schneidegger
Rezensionen in < 800 Z.
Kurz & Klein 63
von Bdolf (bd), Michael Helming (mh), Marc Hieronimus (hi) und Timotheus Schneidegger (ts)
Lebende & Leichen: Hans Olschewski (1925–1968)
Bei Gewitter auf dem Wasser
Mit Mitte dreißig lässt Hans Olschewski (1925–1968) ein ungewöhnliches Romandebüt vom Stapel. Noch auf Jungfernfahrt durch die Gewässer der großen Literatur verschwindet er jedoch vom Radar.
von Michael Helming
Adornos Teddy
Viehlosovieh: Bär
Vom Kuschel- bis zum Problembär ist uns Meister Petz zugleich nah und fern.
von Simon Preker
Aphorismen
Pro Domo et Mundo 63
von Michael Helming (mh), Bernhard Horwatitsch (bh) und Wolfgang Schröder (ws)
Autoren & Illustratoren
Rückseite
LXIII. Zeiten- nach Sonnenwende?
Aus der Offizin 63
Zeitgenossen bleibt verborgen, was für Historiker in 100 Jahren als Wendepunkt klar ist. So ist zu bezweifeln, ob „nach Chemnitz wirklich alles anders ist, wie ja auch „nach Köln
das meiste blieb wie zuvor – jedenfalls für weiße Cis-Männer mit deutschem Pass, Hochschulabschluss und unbesorgter Nachbarschaft.
Anderswo bietet die Frage, wohin man im Ernstfall noch entweichen könne, wenn die autoritären Fremdenfeinde bald überall regieren, genug der Einstimmung auf den aktuellen Lichtwolf, der themenbedingt zu den dunkelsten seiner sechzehnjährigen Erscheinungsgeschichte gehört.
Lang erwartete Gerichtstermine kommen dagegen plötzlich: Die Klage der AfD gegen den catware.net Verlag wurde kurz vor Druckschluss verhandelt, berichtet wird darüber ab S. 95, das (wahrscheinlich ungünstige) Urteil allerdings ergeht erst nach Erscheinen dieser Ausgabe. Dann dürfte der Lichtwolf für sein finanzielles Überleben mehr denn je auf Abonnenten angewiesen sein. Ersparen Sie uns das teure Auslands-porto und bleiben Sie noch ein bisschen!
Keine Zeitenwende wünscht
Ihr
Timotheus Schneidegger
Impressum
Lichtwolf - Zeitschrift trotz Philosophie
Ausgabe 3 / Jahrgang 17 (Nr. 63)
Elektronische Ausgabe, ISSN 2192-7995
Veröffentlicht Ende September 2018
Verlagsanschrift:
catware.net Verlag / Timotheus Schneidegger
Erlenstraße 4 / 26524 Hage
Tel.: (+0049) 1520 3825888
E-Mail: redaktion@lichtwolf.de
V.i.S.d.P.: Timotheus Schneidegger
Heftgestaltung & Umschlag: Georg Frost
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Herausgeber, Redaktion oder Verlag wieder. Beiträge (Text oder Bild) dürfen nicht – auch nicht auszugsweise – ohne Zustimmung ihrer Urheber weiterverbreitet werden. Zur Verwendung kommt eine Hausorthographie. Redaktionelle Beiträge sende man per E-Mail an:
redaktion@lichtwolf.de
Der Lichtwolf ist keine Literaturzeitschrift: Bitte keine Kurzgeschichten und Gedichte schicken!
Einleitung ins Titelthema: Genozid für Fortgeschrittene
Von den Genoziden des 21. Jahrhunderts ist einiges zu erwarten, liegt den künftigen Tätern doch reichlich Anschauungsmaterial vor – neben den Praxisbeispielen ist das Thema auch theoretisch gut durchdrungen, etwa in Form von Gregory Stantons „8 Stages of Genocide", in deren dritte einzutreten man sich nicht nur in Sachsen anschickt.
Ganz ohne Dehumanisierung geht es beim sechsten Massenaussterben voran, an dessen Ende auch die dafür verantwortliche Spezies ausgerottet sein könnte, womit sich Marc Hieronimus beschäftigt. Der Literatur ist eine menschenleere Welt nicht unvertraut, wie Wolfgang Schröders postapokalyptische Zitatsammlung zeigt. Die Zeit bis zur Selbstauslöschung vertreiben sich einige mit mörderischen Frauenhass: Sarah Maria Lenk stellt die „Incels vor. Im Lichtwelpen beantwortet Onkel Bdolf eine Frage aus Kindermund zum Platz der Alten Synagoge in Freiburg. Bernhard Horwatitsch gibt eine philosophiegeschichtliche Übersicht zum Begriff des Bösen. Es folgen drei Praxisbeispiele, die zeigen, dass ein Genozid immer das ist, was man daraus macht: Vasile V. Poenaru geht dem Todesurteil wegen Völkermords gegen den rumänischen Diktator Ceausescu nach, Michael Helming besucht die Wolfsschanze im heutigen Polen und kehrt blutüberströmt zurück und Martin Köhler blickt in seiner Kolumne über die Mauern der Festung Europa. Malthusianismus und Sozialdarwinismus als ideengeschichtliche Wurzeln des Völkermordens werden von Timotheus Schneidegger behandelt und Georg Frost untersucht den Beitrag von Mikroben und Religion zur Eroberung der „Neuen Welt
durch die Europäer. Gott ist schließlich nicht zimperlich, wenn es um den Hochmut der Völker und die Offenbarung geht, wie Osman Hajjar zeigt, worauf Schneidegger eine kurze Übersicht alttestamentarischer Massaker gibt. Am Ende ist nur noch ein einziger übrig: Wolfgang Schröder denkt mit Mary Shelley darüber nach, was uns so ein letzter Überlebender noch zu sagen hätte.
Zwischendurch gibt es die neue Reihe „Denker im Haiku sowie von Bdolf eine dichterische Anrufung El Zids und Aufklärung über einige Missverständnisse betreffs der Eridianer, damit das Heft nicht ganz so finster ist, wie es dem Thema „Genozid für Fortgeschrittene
angemessen wäre.
Der Jugend zum Geleit
Propädeutikum und Prolegomena zum Thema „Genozid für Fortgeschrittene"
von Bdolf
1.) „Der Mensch erscheint im Holozän (M. Frisch) – „Holozän
– „Holocaust" – ist doch alles klar, oder?
2.) Trotz allem Massenmorden – die Menschheit wächst und wächst!
3.) Um die demographischen Folgen des WKII darzustellen, muss man einen sehr kleinen Maßstab anwenden.
4.) Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben – deswegen gibt es Massenmorde und solche, die keine sein sollen.
5.) „Wenn wir eine Rasse von Kannibalen und Mördern sind, denn wollen wir es feiern und genießen!", dergestalt aus der Not eine Tugend machen?
6.) „Gruppensex im Massengrab!", schrie der Proll, bevor er Opfer der ungleichen Verteilung von Lebenschancen wurde – wer arm ist, stirbt früher!
7.) Letztlich haben Mikroorganismen mehr Menschen getötet als der mörderischste menschliche Furor – die Realität ist kein Kuschelzoo ...
8.) Brutal und grausam verhalten sich die Angehörigen der menschlichen Gattung ohne Grund – was, wenn es angesichts schwindender Ressourcen tatsächlich einen Grund gäbe?
9.) Die Ulrich-Horstmann-Jugend eilt von Sieg zu Sieg!
garbage-2729608Photo: RitaE, pixabay.com, CC0
Die Menschheit schafft sich ab
Wi(e)der die Natur
Der Begriff der Zweiten Natur wurde in der Antike geprägt und spätestens durch Marx wieder bekannt gemacht – aber wird er auch begriffen? Wie natürlich ist das Zweitnatürliche? Und wohin wird es uns führen?
von Marc Hieronimus
Cicero schreibt in Anlehnung an Aristoteles, deinde consuetudine quasi alteram quandam naturam effici, dass durch die Gewöhnung (an die Kultur, d.h. das Erzogensein) quasi eine zweite Natur entstehe. An anderer Stelle bezeichnet er die Früchte menschlicher Arbeit als solche. Marx und nach ihm Lukácz und Adorno haben den Begriff auf den Gesamtzusammenhang der verdinglichten Welt übertragen, der uns zwar wie Natur umgebe, aber zu Anhängseln des Produktionsprozesses degradiere. Damit war bereits vieles angedacht, was Technologiekritiker wie Anders, Mumford, Illich, Ellul und Charbonneau (siehe LW47, 59, 61) in großartigen Werken ausformuliert haben; die wichtigsten Bücher müssen ja gar nicht mehr geschrieben, sondern nur noch gelesen werden. Mit der fortschreitenden Technologisierung und der mittlerweile menschheitsbedrohlichen Förderung und Vernichtung von Rohstoffen bekommt die Reflexion über die Zweite Natur (N2) aber eine ganz andere Dringlichkeit.
Erste versus Zweite Natur
Seit der Mensch denkt – also länger als seit Menschengedenken – formt er seine Umwelt. Das tun auch Biber, Ameisen und in gewissem Maße alle Lebewesen, zumindest durch ihren Stoffwechsel. Der Mensch greift weiter aus, indem er Tiere ausrottet und andere domestiziert. Manche seiner „Produkte" wie Schaf, Kuh und viele Hunderassen sind ohne ihn nicht mehr lebensfähig. Auch der Mensch selbst hat sich körperlich verändert. Wer versuchte, vor-prometheisch ohne Feuer zu überleben, könnte mit seinen verkümmerten Zähnen die täglich zum Lebenserhalt nötige Kauleistung kaum aufbringen. Nicht einmal die härtesten Maschinenstürmer können dahin zurückwollen; die Jungsteinzeit mit Feuer, Ackerbau und Viehzucht wäre gerade hart genug. Es ist sinnvoll, erst mit dem Ende dieser Epoche von einer Zweiten Natur zu sprechen: In den ersten Städten entstand die Schrift, die Verwaltung, v.a. aber waren nun Menschen erstmalig nicht mehr selbstversorgend und fingen an, ihre Umwelt unwiederbringlich zu verändern.
Warum, könnte man fragen, wollte überhaupt irgendwer zurück oder woanders hin? Hat N2 nicht bislang noch alle Probleme gelöst, die sie verursacht hat? Nun, nein, und das kann sie auch nicht, im Gegenteil: N2 verursacht zwingend den Untergang der Menschheit, zumindest auf lange Sicht. Nicholas Georgescu-Roegen (vgl. LW64) kommt das Verdienst zu, das Materieproblem in die Thermodynamik und deren Konzept der Entropie in die Wirtschaftswissenschaft eingeführt zu haben. Zwar bleibt Energie (und Materie) erhalten (1. Hauptsatz), aber Prozesse sind aufgrund des Entropiestrebens irreversibel (2. Hauptsatz). Die Zahnpasta lässt sich wieder zurück in die Tube kriegen, aber eben nur unter einem gewissen Aufwand. Insgesamt strebt alles (das Gasgemisch, Badezimmer, Universum) zur maximalen Unordnung, auch Wärmetod genannt.
Der Mensch ist nun ein erheblicher Entropiebeschleuniger. Egal, was er der Natur seit Ende der letzten Eiszeit entnommen hat – Steine, Eisen, Kupfer, später Erdöl, Silizium, „seltene Erden" usw. – wurde in seinen Händen weniger und ist durch Zerstreuung größtenteils für immer verloren. N2 ist aber auf Rohstoffe angewiesen. Wenn wir von Recycling und ökologischem Fußabdruck reden, sitzen wir der falschen Vorstellung auf, es gebe ein Maß von Verbrauch, das nachhaltig, also dauerhaft aufrechtzuerhalten wäre. Nein: Wat fott is, is fott, sagt der Rheinländer. Niemand scheint bis heute begriffen zu haben, oder vielmehr: Jeder verdrängt alltäglich, dass die Rohstoffe und mit ihnen die Energie einmal ausgehen werden, und zwar nicht in Millionen Jahren, sondern spätestens im 22. Jahrhundert. Wahrscheinlich sind längst die ersten Menschen geboren, die ihr Ende erleben werden. Exit N2, die Masse der Menschen wird – wenn sich nicht nahezu alles drastisch zum Guten ändert, und nichts weist derzeit darauf hin – nur noch als eine hilflose Kopie des Urzeitmenschen fortleben können.