Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Lichtwolf Nr. 63 (Genozid für Fortgeschrittene)
Lichtwolf Nr. 63 (Genozid für Fortgeschrittene)
Lichtwolf Nr. 63 (Genozid für Fortgeschrittene)
Ebook250 pages2 hours

Lichtwolf Nr. 63 (Genozid für Fortgeschrittene)

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Von den Genoziden des 21. Jahrhunderts ist einiges zu erwarten, liegt den künftigen Tätern doch reichlich Anschauungsmaterial vor – neben den Praxisbeispielen ist das Thema auch theoretisch gut durchdrungen, etwa in Form von Gregory Stantons „8 Stages of Genocide“, in deren dritte einzutreten man sich nicht nur in Sachsen anschickt.

Ganz ohne Dehumanisierung geht es beim sechsten Massenaussterben voran, an dessen Ende auch die dafür verantwortliche Spezies ausgerottet sein könnte, womit sich Marc Hieronimus beschäftigt. Der Literatur ist eine menschenleere Welt nicht unvertraut, wie Wolfgang Schröders postapokalyptische Zitatsammlung zeigt. Die Zeit bis zur Selbstauslöschung vertreiben sich einige mit mörderischen Frauenhass: Sarah Maria Lenk stellt die „Incels“ vor. Im Lichtwelpen beantwortet Onkel Bdolf eine Frage aus Kindermund zum Platz der Alten Synagoge in Freiburg. Bernhard Horwatitsch gibt eine philosophiegeschichtliche Übersicht zum Begriff des Bösen. Es folgen drei Praxisbeispiele, die zeigen, dass ein Genozid immer das ist, was man daraus macht: Vasile V. Poenaru geht dem Todesurteil wegen Völkermords gegen den rumänischen Diktator Ceausescu nach, Michael Helming besucht die Wolfsschanze im heutigen Polen und kehrt blutüberströmt zurück und Martin Köhler blickt in seiner Kolumne über die Mauern der Festung Europa. Malthusianismus und Sozialdarwinismus als ideengeschichtliche Wurzeln des Völkermordens werden von Timotheus Schneidegger behandelt und Georg Frost untersucht den Beitrag von Mikroben und Religion zur Eroberung der „Neuen Welt“ durch die Europäer. Gott ist schließlich nicht zimperlich, wenn es um den Hochmut der Völker und die Offenbarung geht, wie Osman Hajjar zeigt, worauf Schneidegger eine kurze Übersicht alttestamentarischer Massaker gibt. Am Ende ist nur noch ein einziger übrig: Wolfgang Schröder denkt mit Mary Shelley darüber nach, was uns so ein letzter Überlebender noch zu sagen hätte.

Zwischendurch gibt es die neue Reihe „Denker im Haiku“ sowie von Bdolf eine dichterische Anrufung El Zids und Aufklärung über einige Missverständnisse betreffs der Eridianer, damit das Heft nicht ganz so finster ist, wie es dem Thema „Genozid für Fortgeschrittene“ angemessen wäre.

Der hintere Heftteil startet wie üblich mit dem tragbaren Gedanken und dem September aus Renate von Charlottenburgs Zyklus „Die 12 Monate“. Es folgt Schneideggers ziemlich befangener Prozessbericht über das von der AfD gegen den Verlag angestrengte Verfahren, das kurz vor Druckschluss verhandelt wurde. Sodann gibt es wieder Rezensionen in unter 800 Zeichen, ehe Michael Helming für die Reihe „Lebende & Leichen“ den Schriftsteller Hans Olschewski ausbuddelt, der eine sagenhafte Odyssee auf Ostpreußisch verfasst hat und danach vollständig in der Versenkung verschwunden ist. Simon Preker stellt zu guter Letzt den Bären als Viehlosovieh vor, ehe das Heft mit den Aphorismen pro domo et mundo und den Autorenportraits endet.

LanguageDeutsch
Release dateApr 2, 2020
ISBN9780463705766
Lichtwolf Nr. 63 (Genozid für Fortgeschrittene)
Author

Timotheus Schneidegger

Bücher für alle und keinen. Pirateninsel des Lichtwolf. Novaheißer Independent-Verlag im Nordwesten.

Read more from Timotheus Schneidegger

Related to Lichtwolf Nr. 63 (Genozid für Fortgeschrittene)

Related ebooks

Philosophy For You

View More

Related articles

Reviews for Lichtwolf Nr. 63 (Genozid für Fortgeschrittene)

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Lichtwolf Nr. 63 (Genozid für Fortgeschrittene) - Timotheus Schneidegger

    lw63_cover

    Lichtwolf Nr. 63 (Herbst 2018)

    Titelthema: Genozid für Fortgeschrittene

    Inhalt Nr. 63

    Editorial & Impressum

    Genozid für Fortgeschrittene

    Einleitung ins Titelthema

    Der Jugend zum Geleit

    Propädeutikum und Prolegomena zum Thema „Genozid für Fortgeschrittene"

    von Bdolf

    Die Menschheit schafft sich ab

    Wi(e)der die Natur

    Der Begriff der Zweiten Natur wurde in der Antike geprägt und spätestens durch Marx wieder bekannt gemacht – aber wird er auch begriffen? Wie natürlich ist das Zweitnatürliche? Und wohin wird es uns führen?

    von Marc Hieronimus

    Kurz gedacht

    Denker im Haiku: Schopenhauer & Kant

    von M. Helming & B. Horwatitsch

    Letzte Worte

    „Die Erde könnte unbewohnt sein"

    Zitate zum Ende, gesammelt

    von Wolfgang Schröder

    Femizid im Netz

    „I wish hitler put females in concentration camps"

    Ende April überfuhr ein 25-Jähriger in Toronto mehrere Fußgänger und tötete zehn Menschen als Auftakt der Rebellion der Incels (Involuntary Celibates). Sie verbindet im Internet ihre sexuelle Frustration, ihr Frauenhass und ein nicht ganz unbekanntes Weltbild.

    von Sarah Maria Lenk

    Philosophie trotz Kinder

    Der Lichtwelpe: Holocaust-Problem

    Der Jungfreiburger Lukas-Mario (süße 9!) hat ein HOLOCAUST-PROBLEM mitten in seiner ökologisch befreiten Zone! Rat kommt vom ortskundigen Onkel Bdolf.

    Philosophiegeschichte

    Eine kleine Genealogie des Bösen

    Seit Jahrtausenden denkt die Menschheit über das Wahre, Schöne und Gute nach – und über das Böse. Ein ideengeschichtlicher Abriss mit Donald Trump als unsicherem Anwendungsfall

    von Bernhard Horwatitsch

    Ceausescu

    Ein Blankoscheck für kreative Geschichtsschreibung

    1989 entledigten sich die freiheitsliebenden Rumänen ihres blutsaufenden Diktators Ceausescu. Ganz so war es aber nicht. Über die rumänische Genozid-Mär zwischen Fake News, Horror-Serie und Self-Fulfilling Prophecy

    von Vasile V. Poenaru

    Der sich den Wolf schanzt

    Das große Kratzen bei Ketrzyn

    Ein mückenverseuchter Zwitter aus Mahnmahl und Freizeitpark ist das waldige Areal des ehemaligen Führerhauptquartiers Wolfsschanze. Ein Besuch mit Blutverlust und Juckreiz

    von Michael Helming

    Festung Europa

    Stufen zum Nichts: Genozid für Fortgeschrittene

    Kolumne von Martin Köhler

    Globale Reise nach Jerusalem

    Wie viele sind zu viele – und wenn ja, wer?

    Der Gedanke, es könne zu viele Menschen geben, wurde erst in der Neuzeit denkbar und wird die Menschheit für den Rest ihrer Geschichte beschäftigen.

    von Timotheus Schneidegger

    Vor Wut verhört

    Viva El Zid!

    von Bdolf

    American Genocide

    Wo sind sie geblieben?

    Die meisten europäischen Siedler und Conquistadoren haben in Amerika nie einen Indianer zu Gesicht bekommen. Die mitgebrachten Krankheitserreger waren ihnen stets voraus und ermöglichten erst die genozidalen Landnahme.

    von Georg Frost

    Alientegration

    Missverständnisse betreffs der Eridianer

    von Bdolf

    Koranische Straflegenden

    Ubi sunt qui ante nos in mundo fuere?

    „Wer sich schuldig macht in meinen Augen, soll sehen, was er davon hat!", heißt es in der Betriebsanleitung der Heiligen Handgranate. Auch im Koran ist Gott wenig zimperlich, wenn es um Hochmut und die Offenbarung geht.

    von Osman Hajjar

    Biblische Massaker

    Offenbarung mit genozidalem Potential

    von Timotheus Schneidegger

    Der letzte Mensch

    Verney oder das postfinale Befinden

    Mary Wollstonecraft Shelley gehörte zu den Ersten, die sich den letzten Überlebenden einer globalen Katastrophe ausmalten. Was hätte uns so einer zu sagen?

    von Wolfgang Schröder

    Kurz lesen, lang nachdenken

    Der tragbare Gedanke 63

    von Bdolf (bd), Michael Helming (mh), Bernhard Horwatitsch (bh), Sarah Maria Lenk (sl) und Timotheus Schneidegger (ts)

    Renate von Charlottenburg:

    Die zwölf Monate: September

    Lichtwolf vor Gericht

    Der Prozess

    Im April 2017 hat der catware.net Verlag die Domain www.afd-ostfriesland.de erworben und wurde darob von den Rechtspopulisten abgemahnt. Ende August 2018 ging es dann vor Gericht. Ein ziemlich befangener Prozessbericht

    von Timotheus Schneidegger

    Rezensionen in < 800 Z.

    Kurz & Klein 63

    von Bdolf (bd), Michael Helming (mh), Marc Hieronimus (hi) und Timotheus Schneidegger (ts)

    Lebende & Leichen: Hans Olschewski (1925–1968)

    Bei Gewitter auf dem Wasser

    Mit Mitte dreißig lässt Hans Olschewski (1925–1968) ein ungewöhnliches Romandebüt vom Stapel. Noch auf Jungfernfahrt durch die Gewässer der großen Literatur verschwindet er jedoch vom Radar.

    von Michael Helming

    Adornos Teddy

    Viehlosovieh: Bär

    Vom Kuschel- bis zum Problembär ist uns Meister Petz zugleich nah und fern. 

    von Simon Preker

    Aphorismen

    Pro Domo et Mundo 63

    von Michael Helming (mh), Bernhard Horwatitsch (bh) und Wolfgang Schröder (ws)

    Autoren & Illustratoren

    Rückseite

    LXIII. Zeiten- nach Sonnenwende?

    Aus der Offizin 63

    Zeitgenossen bleibt verborgen, was für Historiker in 100 Jahren als Wendepunkt klar ist. So ist zu bezweifeln, ob „nach Chemnitz wirklich alles anders ist, wie ja auch „nach Köln das meiste blieb wie zuvor – jedenfalls für weiße Cis-Männer mit deutschem Pass, Hochschulabschluss und unbesorgter Nachbarschaft. 

    Anderswo bietet die Frage, wohin man im Ernstfall noch entweichen könne, wenn die autoritären Fremdenfeinde bald überall regieren, genug der Einstimmung auf den aktuellen Lichtwolf, der themenbedingt zu den dunkelsten seiner sechzehnjährigen Erscheinungsgeschichte gehört. 

    Lang erwartete Gerichtstermine kommen dagegen plötzlich: Die Klage der AfD gegen den catware.net Verlag wurde kurz vor Druckschluss verhandelt, berichtet wird darüber ab S. 95, das (wahrscheinlich ungünstige) Urteil allerdings ergeht erst nach Erscheinen dieser Ausgabe. Dann dürfte der Lichtwolf für sein finanzielles Überleben mehr denn je auf Abonnenten angewiesen sein. Ersparen Sie uns das teure Auslands-porto und bleiben Sie noch ein bisschen!

    Keine Zeitenwende wünscht

    Ihr

    Timotheus Schneidegger

    Impressum

    Lichtwolf - Zeitschrift trotz Philosophie

    Ausgabe 3 / Jahrgang 17 (Nr. 63)

    Elektronische Ausgabe, ISSN 2192-7995

    Veröffentlicht Ende September 2018

    Verlagsanschrift:

    catware.net Verlag / Timotheus Schneidegger

    Erlenstraße 4 / 26524 Hage

    Tel.: (+0049) 1520 3825888

    E-Mail: redaktion@lichtwolf.de

    V.i.S.d.P.: Timotheus Schneidegger

    Heftgestaltung & Umschlag: Georg Frost

    Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Herausgeber, Redaktion oder Verlag wieder. Beiträge (Text oder Bild) dürfen nicht – auch nicht auszugsweise – ohne Zustimmung ihrer Urheber weiterverbreitet werden. Zur Verwendung kommt eine Hausorthographie. Redaktionelle Beiträge sende man per E-Mail an:

    redaktion@lichtwolf.de

    Der Lichtwolf ist keine Literaturzeitschrift: Bitte keine Kurzgeschichten und Gedichte schicken!

    Einleitung ins Titelthema: Genozid für Fortgeschrittene 

    Von den Genoziden des 21. Jahrhunderts ist einiges zu erwarten, liegt den künftigen Tätern doch reichlich Anschauungsmaterial vor – neben den Praxisbeispielen ist das Thema auch theoretisch gut durchdrungen, etwa in Form von Gregory Stantons „8 Stages of Genocide", in deren dritte einzutreten man sich nicht nur in Sachsen anschickt.

    Ganz ohne Dehumanisierung geht es beim sechsten Massenaussterben voran, an dessen Ende auch die dafür verantwortliche Spezies ausgerottet sein könnte, womit sich Marc Hieronimus beschäftigt. Der Literatur ist eine menschenleere Welt nicht unvertraut, wie Wolfgang Schröders postapokalyptische Zitatsammlung zeigt. Die Zeit bis zur Selbstauslöschung vertreiben sich einige mit mörderischen Frauenhass: Sarah Maria Lenk stellt die „Incels vor. Im Lichtwelpen beantwortet Onkel Bdolf eine Frage aus Kindermund zum Platz der Alten Synagoge in Freiburg. Bernhard Horwatitsch gibt eine philosophiegeschichtliche Übersicht zum Begriff des Bösen. Es folgen drei Praxisbeispiele, die zeigen, dass ein Genozid immer das ist, was man daraus macht: Vasile V. Poenaru geht dem Todesurteil wegen Völkermords gegen den rumänischen Diktator Ceausescu nach, Michael Helming besucht die Wolfsschanze im heutigen Polen und kehrt blutüberströmt zurück und Martin Köhler blickt in seiner Kolumne über die Mauern der Festung Europa. Malthusianismus und Sozialdarwinismus als ideengeschichtliche Wurzeln des Völkermordens werden von Timotheus Schneidegger behandelt und Georg Frost untersucht den Beitrag von Mikroben und Religion zur Eroberung der „Neuen Welt durch die Europäer. Gott ist schließlich nicht zimperlich, wenn es um den Hochmut der Völker und die Offenbarung geht, wie Osman Hajjar zeigt, worauf Schneidegger eine kurze Übersicht alttestamentarischer Massaker gibt. Am Ende ist nur noch ein einziger übrig: Wolfgang Schröder denkt mit Mary Shelley darüber nach, was uns so ein letzter Überlebender noch zu sagen hätte.

    Zwischendurch gibt es die neue Reihe „Denker im Haiku sowie von Bdolf eine dichterische Anrufung El Zids und Aufklärung über einige Missverständnisse betreffs der Eridianer, damit das Heft nicht ganz so finster ist, wie es dem Thema „Genozid für Fortgeschrittene angemessen wäre.

    Der Jugend zum Geleit

    Propädeutikum und Prolegomena zum Thema „Genozid für Fortgeschrittene"

    von Bdolf

    1.) „Der Mensch erscheint im Holozän (M. Frisch) – „Holozän – „Holocaust" – ist doch alles klar, oder?

    2.) Trotz allem Massenmorden – die Menschheit wächst und wächst! 

    3.) Um die demographischen Folgen des WKII darzustellen, muss man einen sehr kleinen Maßstab anwenden.

    4.) Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben – deswegen gibt es Massenmorde und solche, die keine sein sollen.

    5.) „Wenn wir eine Rasse von Kannibalen und Mördern sind, denn wollen wir es feiern und genießen!", dergestalt aus der Not eine Tugend machen?

    6.) „Gruppensex im Massengrab!", schrie der Proll, bevor er Opfer der ungleichen Verteilung von Lebenschancen wurde – wer arm ist, stirbt früher!

    7.) Letztlich haben Mikroorganismen mehr Menschen getötet als der mörderischste menschliche Furor – die Realität ist kein Kuschelzoo ...

    8.) Brutal und grausam verhalten sich die Angehörigen der menschlichen Gattung ohne Grund – was, wenn es  angesichts schwindender Ressourcen tatsächlich einen Grund gäbe? 

    9.) Die Ulrich-Horstmann-Jugend eilt von Sieg zu Sieg! 

    garbage-2729608

    Photo: RitaE, pixabay.com, CC0

    Die Menschheit schafft sich ab

    Wi(e)der die Natur

    Der Begriff der Zweiten Natur wurde in der Antike geprägt und spätestens durch Marx wieder bekannt gemacht – aber wird er auch begriffen? Wie natürlich ist das Zweitnatürliche? Und wohin wird es uns führen?

    von Marc Hieronimus

    Cicero schreibt in Anlehnung an Aristoteles, deinde consuetudine quasi alteram quandam naturam effici, dass durch die Gewöhnung (an die Kultur, d.h. das Erzogensein) quasi eine zweite Natur entstehe. An anderer Stelle bezeichnet er die Früchte menschlicher Arbeit als solche. Marx und nach ihm Lukácz und Adorno haben den Begriff auf den Gesamtzusammenhang der verdinglichten Welt übertragen, der uns zwar wie Natur umgebe, aber zu Anhängseln des Produktionsprozesses degradiere. Damit war bereits vieles angedacht, was Technologiekritiker wie Anders, Mumford, Illich, Ellul und Charbonneau (siehe LW47, 59, 61) in großartigen Werken ausformuliert haben; die wichtigsten Bücher müssen ja gar nicht mehr geschrieben, sondern nur noch gelesen werden. Mit der fortschreitenden Technologisierung und der mittlerweile menschheitsbedrohlichen Förderung und Vernichtung von Rohstoffen bekommt die Reflexion über die Zweite Natur (N2) aber eine ganz andere Dringlichkeit.

    Erste versus Zweite Natur

    Seit der Mensch denkt – also länger als seit Menschengedenken – formt er seine Umwelt. Das tun auch Biber, Ameisen und in gewissem Maße alle Lebewesen, zumindest durch ihren Stoffwechsel. Der Mensch greift weiter aus, indem er Tiere ausrottet und andere domestiziert. Manche seiner „Produkte" wie Schaf, Kuh und viele Hunderassen sind ohne ihn nicht mehr lebensfähig. Auch der Mensch selbst hat sich körperlich verändert. Wer versuchte, vor-prometheisch ohne Feuer zu überleben, könnte mit seinen verkümmerten Zähnen die täglich zum Lebenserhalt nötige Kauleistung kaum aufbringen. Nicht einmal die härtesten Maschinenstürmer können dahin zurückwollen; die Jungsteinzeit mit Feuer, Ackerbau und Viehzucht wäre gerade hart genug. Es ist sinnvoll, erst mit dem Ende dieser Epoche von einer Zweiten Natur zu sprechen: In den ersten Städten entstand die Schrift, die Verwaltung, v.a. aber waren nun Menschen erstmalig nicht mehr selbstversorgend und fingen an, ihre Umwelt unwiederbringlich zu verändern.

    Warum, könnte man fragen, wollte überhaupt irgendwer zurück oder woanders hin? Hat N2 nicht bislang noch alle Probleme gelöst, die sie verursacht hat? Nun, nein, und das kann sie auch nicht, im Gegenteil: N2 verursacht zwingend den Untergang der Menschheit, zumindest auf lange Sicht. Nicholas Georgescu-Roegen (vgl. LW64) kommt das Verdienst zu, das Materieproblem in die Thermodynamik und deren Konzept der Entropie in die Wirtschaftswissenschaft eingeführt zu haben. Zwar bleibt Energie (und Materie) erhalten (1. Hauptsatz), aber Prozesse sind aufgrund des Entropiestrebens irreversibel (2. Hauptsatz). Die Zahnpasta lässt sich wieder zurück in die Tube kriegen, aber eben nur unter einem gewissen Aufwand. Insgesamt strebt alles (das Gasgemisch, Badezimmer, Universum) zur maximalen Unordnung, auch Wärmetod genannt. 

    Der Mensch ist nun ein erheblicher Entropiebeschleuniger. Egal, was er der Natur seit Ende der letzten Eiszeit entnommen hat – Steine, Eisen, Kupfer, später Erdöl, Silizium, „seltene Erden" usw. – wurde in seinen Händen weniger und ist durch Zerstreuung größtenteils für immer verloren. N2 ist aber auf Rohstoffe angewiesen. Wenn wir von Recycling und ökologischem Fußabdruck reden, sitzen wir der falschen Vorstellung auf, es gebe ein Maß von Verbrauch, das nachhaltig, also dauerhaft aufrechtzuerhalten wäre. Nein: Wat fott is, is fott, sagt der Rheinländer. Niemand scheint bis heute begriffen zu haben, oder vielmehr: Jeder verdrängt alltäglich, dass die Rohstoffe und mit ihnen die Energie einmal ausgehen werden, und zwar nicht in Millionen Jahren, sondern spätestens im 22. Jahrhundert. Wahrscheinlich sind längst die ersten Menschen geboren, die ihr Ende erleben werden. Exit N2, die Masse der Menschen wird – wenn sich nicht nahezu alles drastisch zum Guten ändert, und nichts weist derzeit darauf hin – nur noch als eine hilflose Kopie des Urzeitmenschen fortleben können.

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1