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Maigret und die Aussage des Ministranten
Maigret und die Aussage des Ministranten
Maigret und die Aussage des Ministranten
Ebook84 pages1 hour

Maigret und die Aussage des Ministranten

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About this ebook

Jeden Morgen macht sich der Ministrant Justin auf den Weg zur Frühmesse durch die menschenleeren Gassen des Städtchens. Nur an diesem Morgen ist alles anders. Justin entdeckt einen leblosen Körper. Aber als die Polizei eintrifft, ist keine Leiche da. Niemand glaubt dem kleinen Justin, niemand außer Maigret. Vom Fieber ans Bett gefesselt und von Madame Maigret auf Pfeifenentzug gesetzt, findet der Kommissar schließlich die Lösung dieses verzwickten Falls.
Maigrets 99. Fall spielt in einem nicht näher genannten Städtchen in der französischen Provinz.
LanguageDeutsch
PublisherKampa Verlag
Release dateApr 11, 2019
ISBN9783311700647
Maigret und die Aussage des Ministranten
Author

Georges Simenon

Georges Simenon (Lieja, Bélgica, 1903 – Lausana, Suiza, 1989) escribió ciento noventa y una novelas con su nombre, y un número impreciso de novelas y relatos publicados con pseudónimo, además de libros de memorias y textos dictados. El comisario Maigret es el protagonista de setenta y dos de estas novelas y treinta y un relatos, todos ellos publicados entre 1931 y 1972. Célebre en el mundo entero, reconocido ya como un maestro, hoy nadie duda de que sea uno de los mayores escritores del siglo xx.

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    Maigret und die Aussage des Ministranten - Georges Simenon

    Kampa

    1

    Zur Morgenandacht läuten die Glocken zweimal

    Vom Himmel fiel ein feiner, kalter Regen. Es war dunkel. Nur am Ende der Straße, auf der Seite der Kaserne, von der aus um halb sechs Trompetengeschmetter erhallt war und nun Getrampel von Pferden, die zur Tränke geführt wurden, leuchtete schwach das Rechteck eines Fensters; vielleicht jemand, der früh aufstand, oder ein Kranker, der die ganze Nacht wach gelegen hatte.

    Die übrige Straße schlief. Es war eine ruhige Straße, fast neu, mit ein-, höchstens zweistöckigen Häusern, die sich alle ähnelten und in den Vororten der meisten großen Provinzstädte zu finden sind. Das ganze Viertel war neu und hatte keine Geheimnisse. Ruhige und rechtschaffene Menschen wohnten hier, Angestellte, Handelsvertreter, Alte mit einer kleinen Rente, friedliebende Witwen.

    Maigret hatte seinen Mantelkragen hochgeschlagen und sich in die Toreinfahrt der Knabenschule gedrückt. Er rauchte seine Pfeife, während er mit der Uhr in der Hand wartete.

    Punkt Viertel vor sechs läuteten die Glocken der Pfarrkirche in seinem Rücken. Es war, so hatte es ihm der Junge gesagt, das erste Läuten zur Sechs-Uhr-Messe.

    Der Klang der Glocken hing noch in der feuchten Luft, als er weniger wahrnahm als vielmehr erahnte, dass im Haus gegenüber ein Wecker schrillte. Es dauerte nur einige Sekunden. Der Junge hatte gewiss schon die Hand unter der warmen Bettdecke hervorgestreckt und im Dunkeln nach dem Schalter getastet, mit dem sich der Wecker abstellen ließ. Kurz darauf wurde es hinter dem Mansardenfenster im zweiten Stock hell.

    Alles ging genauso vor sich, wie der Junge es beschrieben hatte. Er stand leise auf, während im Haus noch alles schlief. Nun wird er nach seinen Kleidern und Socken gegriffen, sich anschließend Gesicht und Hände gewaschen haben und mit dem Kamm durchs Haar gefahren sein. Was seine Schuhe betraf, so hatte er erklärt:

    »Ich ziehe sie erst auf der letzten Treppenstufe an, um meine Eltern nicht zu wecken.«

    So ging es jeden Tag, im Winter wie im Sommer, seit fast zwei Jahren, seitdem Justin Messdiener in der Sechs-Uhr-Messe im Krankenhaus war.

    »Die Uhr im Krankenhaus geht immer drei oder vier Minuten hinter der Pfarruhr nach«, hatte der Junge auch gesagt.

    Und der Kommissar hatte den Beweis dafür. Seine Inspektoren bei der mobilen Brigade – wohin er einige Monate zuvor versetzt worden war – hatten nur mit den Schultern gezuckt, als der Junge tags zuvor detailliert vom Glockengeläut erzählt hatte, vom ersten und vom zweiten Läuten.

    Vielleicht hatte Maigret nicht darüber gelächelt, weil er als Kind selbst lange Messdiener gewesen war.

    Um Viertel vor sechs läuteten zuerst die Glocken der Pfarrkirche, danach Justins Wecker in seiner Mansarde, und kurz darauf ertönte das Glockenbimmeln der Krankenhauskapelle, das an das eines Klosters erinnerte.

    Noch immer hielt Maigret seine Uhr in der Hand. Der Junge brauchte kaum mehr als vier Minuten, um sich anzuziehen. Das Licht ging aus. Jetzt tastete er sich gewiss auf den Socken die Treppe hinunter, um seine Eltern nicht zu wecken, setzte sich auf die unterste Stufe, um seine Schuhe anzuziehen und nahm seinen Mantel und seine Mütze von dem Kleiderständer aus Bambus, der sich rechts im Flur befand.

    Die Tür öffnete sich. Der Junge schloss sie leise, blickte ängstlich die Straße hinauf und hinunter und sah die große Gestalt des Kommissars, der auf ihn zukam.

    »Ich hatte Angst, Sie würden nicht kommen.«

    Und er eilte voran. Justin war ein kleiner Kerl von zwölf Jahren, blond, mager und schon eigensinnig.

    »Ich soll alles genauso machen wie sonst auch, nicht wahr? Ich gehe immer schnell, weil ich genau ausgerechnet habe, wie viele Minuten ich für den Weg brauche, und weil ich im Winter, wenn es dunkel ist, Angst habe. In einem Monat beginnt es um diese Zeit schon zu dämmern.«

    Er bog die nächste Straße rechts ein; eine ebenso ruhige, aber kürzere Straße. Sie mündete in einen runden mit Ulmen bepflanzten Platz, über den Straßenbahnschienen diagonal hinwegführten.

    Maigret nahm all die winzigen Details wahr, die ihn an seine eigene Kindheit erinnerten. So hielt der Junge einen gewissen Abstand zu den Häusern, wahrscheinlich fürchtete er, dass plötzlich jemand aus einem dunklen Eingang auftauchen könnte. Auch hielt er sich ein Stück abseits von den Bäumen, hinter denen sich ein Mann hätte verstecken können.

    Eigentlich war er mutig, denn schon zwei Winter hindurch war er jeden Morgen bei Wind und Wetter, manchmal in dichtem Nebel oder mondloser Finsternis, ganz allein den immer gleichen Weg gegangen.

    »Wenn wir in der Mitte der Rue Sainte-Catherine sind, werden Sie das zweite Läuten zur Morgenandacht in der Pfarrkirche hören …«

    »Wann kommt die erste Straßenbahn?«

    »Um sechs Uhr. Ich habe sie nur zwei- oder dreimal gesehen, als ich mich verspätet hatte … Das eine Mal hatte mein Wecker nicht geklingelt, das andere Mal war ich wieder eingeschlafen. Jetzt springe ich immer sofort aus dem Bett, wenn er klingelt.«

    Ein kleines blasses Gesicht in der regnerischen Dunkelheit, die Augen noch vom Schlaf verhangen, ein nachdenklicher Ausdruck mit einem Anflug von Ängstlichkeit.

    »Ich höre als Messdiener auf. Ich gehe heute nur noch einmal hin, weil Sie es unbedingt wollen …«

    Sie bogen links in die Rue Sainte-Catherine ein, in der wie in den anderen Straßen des Viertels alle fünfzig Meter eine Straßenlampe stand, die einen Lichtkreis auf den Boden zeichnete. Der Junge ging unbewusst schneller, sobald er einen Lichtkreis durchquert hatte und wieder in die Dunkelheit eintauchte.

    Aus der Ferne hörte man noch immer

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