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DAS HAUS DER MONSTER - DIE MONSTER SIND ZURÜCK: Gruselroman
DAS HAUS DER MONSTER - DIE MONSTER SIND ZURÜCK: Gruselroman
DAS HAUS DER MONSTER - DIE MONSTER SIND ZURÜCK: Gruselroman
Ebook398 pages5 hours

DAS HAUS DER MONSTER - DIE MONSTER SIND ZURÜCK: Gruselroman

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About this ebook

John Coal war der typische Sonderling im Ort – ein alter, schrulliger Eigenbrötler, aber ansonsten harmlos. Zumindest war es das, was die Nachbarn von ihm dachten. Bis eines Nachts ein Junge sein dreißig Jahre lang sorgfältig gehütetes Geheimnis enthüllte …
Nun ist er auf der Flucht. Die Polizei, die Armee und sogar die Zoos machen Jagd auf ihn. Aber John ist ein alter Hase, wenn es darum geht, den Menschen zu entkommen, und so begibt er sich zusammen mit seiner Vampir-Ziehtochter Rachel in die Wildnis der schottischen Highlands.
Hier, so hoffen sie, können sie einen neuen Anfang wagen. Aber John kann seiner Vergangenheit genauso wenig entkommen wie seinem Fluch. Das Böse wird immer das Böse finden, und die Bedrohung für John und Rachel hat gerade erst begonnen …
Auch in der zweiten Geschichtensammlung erwarten Sie wieder Horrorstorys über Werwölfe, Vampire, Ghule, Geister, die Toten und die Untoten – erlebt und erzählt von John Coal, dem seltsamen Mann aus dem HAUS DER MONSTER.
"Einer der wenigen Autoren, die mich zum Lachen bringen." - David Baddiel
LanguageDeutsch
Release dateApr 22, 2024
ISBN9783958355125
DAS HAUS DER MONSTER - DIE MONSTER SIND ZURÜCK: Gruselroman

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    DAS HAUS DER MONSTER - DIE MONSTER SIND ZURÜCK - Danny King

    Böses Erwachen

    In jeder Stadt und in jedem Viertel gab es ein gruseliges altes Haus … heruntergekommen, zugewuchert, vernachlässigt und vergessen. Meistens wurde es von einem gruseligen alten Mann bewohnt, auf den mehr oder weniger die gleiche Beschreibung zutraf.

    So hatte ich die letzten paar Jahrzehnte meines Lebens verbracht  –  vor aller Augen versteckt. Nur wenige Menschen nahmen mich überhaupt wahr, und noch weniger kümmerte es. Ich war einfach nur der alte John Coal, ein gewöhnlicher und unscheinbarer Mann, der leicht humpelte und einen Finger weniger als die meisten Menschen hatte. Solange ich meine Nachbarn nicht behelligte, behelligten sie mich auch nicht. Das war eine stille Übereinkunft zwischen den Bewohnern meiner Straße und mir.

    Doch anscheinend konnte niemand seiner Vergangenheit für immer entkommen.

    ***

    Ein Werwolf zu sein hatte viele Nachteile. Der Kontrollverlust beim Aufgehen des Mondes, die unaufhaltsame, mörderische Raserei, die kurz darauf folgte, die unschuldigen Leben, die mit dem Zuschnappen des Kiefers ausgelöscht wurden, und natürlich all die verdammten Hosen, die man dabei verbrauchte. Aber das vielleicht Nervtötendste daran war, am nächsten Morgen aufzuwachen, weit weg von zu Hause und ohne Erinnerung daran, wie man dorthin gekommen war … durchgefroren und nackt wie am Tag der Geburt. So hatte ich mich auch an dem Morgen wiedergefunden, nachdem Tommys Vater sich dazu bequemt hatte, mich aufzusuchen.

    Ich brauchte einen Moment, um mich an die Ereignisse zu erinnern, die zu seinem Besuch geführt hatten, aber sobald es mir gelungen war, war mein Gesicht unter den verkrusteten scharlachroten Streifen kalkweiß geworden.

    »Oje«, war alles, was ich noch herausbringen konnte. Was sonst gab es auch noch dazu zu sagen? Bewusstlos geschlagen und zum Sterben zurückgelassen, hatte ich keine Möglichkeit gehabt, mich vor meiner Verwandlung in meinem extra für diese Zwecke verstärkten und schalldichten Keller einzusperren, was ich normalerweise immer tat. Auf diese Weise hatte ich mich selbst und alle anderen in meiner Nähe in den letzten dreißig und ein paar zerquetschten Jahren geschützt … und doch war ich jetzt, am Morgen danach hier, entfesselt und frei.

    Was hatte ich bloß getan?

    Bis jetzt hatten nur wenige Menschen in der Stadt überhaupt Notiz von mir genommen, und obwohl ich lediglich eine extrem verschwommene Erinnerung an die letzten Stunden hatte, konnte ich nicht anders, als zu befürchten, dass sich das nun drastisch ändern würde.

    Doch zuallererst musste ich Kleidung finden. Das war nicht gerade die leichteste Aufgabe, weil ich mitten im Heideland, unter einem Ginsterbusch aufgewacht war, der nur ein paar dornige Zweige besaß, mit denen ich meine Scham bedecken konnte. Mich dort raus zu schleppen, stellte sich als äußerst ereignisreiche Erfahrung heraus, doch glücklicherweise hatte die frostige Novemberluft dazu beigetragen, meine faltige blaue Haut zu betäuben.

    Es gab keinerlei Geräusche oder Anzeichen von Leben jenseits des Busches, nur einige herabstürzende Stare und ein weit entfernter Jet, der einen bauschigen Kondensstreifen an den klaren blauen Himmel malte. Anders als die meisten dachten, besaß ich in meiner menschlichen Form keinen besseren Orientierungssinn als alle anderen. Ich mochte als Werwolf zwar in der Lage sein, mich über einen halben Quadratkilometer offenes Land hinweg an einen Hirsch anzupirschen, aber als Mensch konnte ich an den meisten Tagen nicht mal das Corned Beef bei Aldi finden. Ich machte mich also einfach in Richtung der wenigsten Ginsterbüsche auf den Weg und hoffte, eine Wäscheleine zu finden, bevor ich den dazugehörigen Waschfrauen begegnete. Leider hing niemand zu dieser Jahreszeit seine Wäsche draußen auf, deshalb musste ich mit einem Plastikbeutel und einem liegen gelassenen Leitkegel auskommen, um mich vor den herbstlichen Elementen zu schützen. Keine idealen Umstände, aber das war leider das Problem mit der heutigen Gesellschaft. Vor vierzig Jahren waren die Hecken noch von illegal abgeladenem Müll übersät gewesen, doch heutzutage war die Landschaft so sauber, dass es schon fast ekelhaft war. Wie sollte ein Werwolf da nach einer wilden Nacht etwas zum Anziehen finden? Ich war schon fast versucht, das bei meinen Gemeinderäten vorzubringen  –  falls ich in der letzten Nacht, welche von ihnen am Leben gelassen hatte. Es gab noch nicht mal mehr Vogelscheuchen … eine Bezugsquelle, von der ich mir früher immer regelmäßig Klamotten besorgt hatte. Aber nein, die waren auch weg.

    Gut war, dass es mittlerweile Altkleidercontainer gab, die oft sehr abgelegen standen und bis zum Rand voll mit frisch gewaschenen Klamotten waren. Aber es war fast unmöglich, an die Kleidung ran zu kommen. Trotzdem musste ich es heute versuchen. So fand ich mich später am Morgen genau dort wieder, in einer Parkbucht an der A134, wo ich mit einem Zweig in der Hand durch die Klappe eines hellgrünen Metallcontainers angelte, während ich mit der anderen Hand strategisch den Leitkegel hielt und etwas zum Anziehen zu besorgen versuchte.

    Der Verkehr brummte an mir vorbei und man schenkte mir nur ein gelegentliches mitfühlendes Hupen, aber im Großen und Ganzen versuchte niemand, meinem Diebstahl Einhalt zu gebieten. Ich nahm an, dass Thetford an diesem Morgen mit größeren Problemen zu kämpfen hatte.

    Trotz meiner Bemühungen befanden sich die schönen Geschenke im Kleidercontainer in quälender Entfernung. Ich versuchte es, indem ich zwei Zweige abbrach und damit die Klappe aufstemmte, schaffte es aber nur, mehrere Paare Kinderfußballschuhe (alle in Größe 1) und den Karton eines Samsung Flatscreen-Fernsehers herauszuziehen, den jemand fein säuberlich in den falschen Container gesteckt hatte, obwohl der richtige Recyclingbehälter praktischerweise direkt daneben stand. Sehr frustrierend, aber trotzdem nicht schlimmer als meine sonstigen Shopping-Erfahrungen.

    Ich wollte gerade aufgeben, als eine Stimme hinter mir fragte, ob alles klar wäre.

    Ich hatte lange genug in Thetford gelebt, um zu kapieren, dass die Frage, ob alles klar war, nicht wörtlich zu verstehen war. Es ist schwer, die exakte Bedeutung rüberzubringen, aber es bedeutete in etwa so viel wie: Und was zum Henker glaubst du eigentlich, was du da machst, Sonnenscheinchen?

    Ich drehte mich um und erblickte einen Mann mit mehreren Tüten voller leerer Flaschen in den Händen, der neben einem großen weißen Van stand. Er war bestimmt einen Meter achtzig breit und fast genauso groß und hatte Tattoos an Stellen, an denen die meisten anderen Menschen Kleider trugen, und mehr Haare auf seinen Fingerknöcheln als auf seinem Kopf. Ich überflog hastig seine Tinte und schlussfolgerte daraus, dass er den Peterborough United Football Club unterstützte, ein Fan alles Englischen war (einschließlich, aber nicht ausschließlich, flatternder Flaggen und Bulldoggen in Union-Jack-Westen) und entweder auf drei Söhne namens Mickey, Terry und Carl oder aber auf ein Trio homosexueller Liebhaber dieser Namen stolz war.

    »Mir ist kalt«, antwortete ich, was zwar stimmte, aber natürlich nicht die ganze Geschichte war.

    »Bist du Engländer?«, fragte er überrascht. Das war nicht die Erwiderung, die ich erwartet hatte. »Ich dachte, du wärst einer von diesen verfickten Bulgaren. Die hocken nämlich ständig in diesen Tonnen.«

    Mein neuer Freund sah nicht aus wie ein Mann, der scharf darauf war, sich mit Bulgaren abzugeben … oder mit überhaupt jemandem, nackt oder sonst wie.

    »Bulgare?«, fragte ich ein wenig verwirrt.

    »Ja, du weißt schon  …  aus  …«, sagte er und zeigte beiläufig mit dem Daumen über seine Schulter.

    »Bulgarien?«, erkundigte ich mich vorsichtig.

    »Nein. Ja, doch, ich schätze schon. Aber nein, ich mein das Lager die Straße runter. All diese Immigranten da unten. Alles Abschaum!«, spie er aus, als ob allein schon die Worte ihm einen schlechten Geschmack im Mund verursachten.

    »Ich komme aus King’s Lynn«, versicherte ich ihm, merkte aber an der Art, wie sich seine Lippen verzogen, dass er auch nur wenig Sympathien für jemanden aus King’s Lynn besaß.

    »Wo sind denn deine Klamotten?«, fragte er nun. Ich hatte mich schon gefragt, wann er darauf zu sprechen käme.

    »Tja, du wirst es mir wahrscheinlich nicht glauben, aber  …«, begann ich.

    Ich werde euch jetzt nicht mit den Einzelheiten meiner Geschichte langweilen, aber als ich fertig war, mochte er Bulgaren noch weniger und war garantiert drauf und dran, dem ersten Ausländer, dem er begegnete, für das, was sie mir meiner Behauptung nach angetan hatten, die Arme abzureißen.

    Mir  –  einem armen, alten Peterborough United Fan wie er einer war.

    Ich war nicht besonders stolz auf die Lügen, die ich ihm aufgetischt hatte, aber indem ich mir seine Vorurteile zunutze machte, erhielt ich ein verständnisvolles Ohr, ein oranges Weingummi und, was noch viel wichtiger war, etwas zum Anziehen. Gary (oder Gaz, wie er sich selbst nannte) wühlte nach meiner Story hinten in seinem Van herum und fand dort ein Paar kurze Arbeitshosen, ein verschlissenes T-Shirt, eine leuchtende Sicherheitsweste und ein Paar alte Stiefel für mich, die noch nicht mal ein schuhloser Bulgare mitten im tiefsten, dunkelsten Januar würde tragen wollen. Ich revanchierte mich für den Gefallen, indem ich ihm dabei half, mehrere hundert Bierflaschen in die jeweiligen Öffnungen zu stecken, und verabschiedete mich dann herzlich von ihm, als er sich wieder trollte.

    »Tschüss«, rief er ohne einen Anflug von schlechtem Gewissen, weil er mir keine Mitfahrgelegenheit in die Stadt anbot. »Pass auf dich auf. Anscheinend rennt hier draußen irgendwo ein irres Scheißvieh frei rum. Einer von diesen scheißfurchtbaren Zigeunerhunden, möchte ich wetten«, meinte er und fuhr mit quietschenden Reifen und klapperndem Auspuff davon.

    Da lag Gaz aber mal wieder komplett falsch. Dieser irre Hund war nicht bulgarischer als er. Rein technisch gesehen, kam auch er nämlich aus King’s Lynn.

    Das war’s dann mit dem Viertel

    Da ich eine leuchtende Sicherheitsweste anhatte und einen Leitkegel mit mir herumtrug, war es mir möglich, den ganzen Weg bis zur Hauptstraße und in die Stadt zu laufen, ohne dass jemand auch nur mit der Wimper zuckte – oder sich übertriebene Mühe gab, mich nicht umzufahren.

    Als ich die Stadt erreichte, war sie eindeutig nicht mehr dieselbe, die ich in der Nacht zuvor verlassen hatte. Ein blaues blinkendes Lichtermeer erfüllte die High Street und Hundeführer und bewaffnete Polizisten rannten aufgeregt hin und her, während ich an ihnen vorbeiging, ohne dass eine Schnauze oder ein Pistolenlauf auf mich gerichtet wurde. Um der Polizei gegenüber fair zu sein: Ich war es ja eigentlich auch nicht, nach dem sie suchten, und doch war es genau ich, den sie suchten. Sie wussten es nur noch nicht, und ich beabsichtigte, es so lange wie nur möglich dabei zu belassen.

    »Halten Sie sich von der Straße fern. Allen Bewohnern wird geraten, drinnen zu bleiben und bis auf Weiteres Türen und Fenster verschlossen zu halten«, rief ein Polizeikommissar mit Megafon, der hinten auf einem Polizeibus stand und ein paar vereinzelte Seelen dirigierte. Er warf mir einen kurzen Blick zu, als ich an ihm vorbeischlenderte, und so hielt ich meinen Leitkegel in die Höhe, wie um zu fragen: Wo soll der denn hin?

    Der Kommissar ließ mich anstandslos weitergehen, ohne mich noch mal anzusehen, sodass ich meinen Heimweg, vorbei an Reihen über Reihen von Krankenwagen und einem Rudel sensationsgeiler Reporter, unbehelligt fortsetzen konnte.

    Soweit ich hören konnte, wusste niemand, woher die wütende Bestie gekommen oder wohin sie gegangen war, aber sie war im Viertel definitiv eingeschlagen wie eine Kanonenkugel in einem Kindergarten. Es gab bislang sechs bestätigte Todesopfer, aber Gott sei Dank keine Verletzten, denn ansonsten hätte die Stadt bei Anbruch der nächsten Nacht echte Probleme bekommen.

    Meine Straße war von bewaffneten Polizisten abgeriegelt worden. Fünf der sechs Opfer waren meine Nachbarn, und einer von ihnen war komplett aufgefressen worden, mit Knochen und allem drum und dran, weshalb ich mich natürlich schrecklich fühlte, bis ich herausfand, dass man dabei offenbar über mich selbst sprach.

    »Von dem armen alten Trottel ist nichts übrig geblieben außer jede Menge Blut an den Wänden. Ist das zu fassen?«, meinte der diensthabende Polizist zu mir, als ich mich ans flatternde gelbe Absperrband stellte und all die weißen Kriminaltechnik-Zelte betrachtete, die man in meiner Straße aufgestellt hatte.

    »Oh ja, ich hab gehört, dass so was passieren kann«, antwortete ich hastig, nur zu glücklich, seine Version der Ereignisse bekräftigen zu können. Der Polizist sah mich zweifelnd an und fragte dann, wer ich sei. »Die Verkehrssicherung hat mich hierher geschickt. Anscheinend nehmen die sich die ganze Straße vor.«

    Der Polizist betrachtete meinen Leitkegel, war aber offenbar nicht vollends überzeugt.

    »Mir hat keiner was gesagt und ich soll niemanden durchlassen«, betonte er auf eine Weise, die mich fast den Punkt am Ende seines Satzes hören ließ.

    »Ist mir auch recht«, sagte ich mit einem Achselzucken. »Dann besorg ich mir jetzt erst mal ein Frühstück.« Ich überreichte ihm meinen Leitkegel und trottete mit der größtmöglichen vorgetäuschten Lässigkeit davon.

    Natürlich würde man mich nicht nur mit einem Leitkegel als Beweis durch eine Polizeiabsperrung lassen, aber ich musste irgendwie in mein Haus zurückkommen. Es war wichtig … im wahrsten Sinne des Wortes eine Sache von Leben und Tod … also schlüpfte ich um die Ecke und behielt den Polizisten dabei im Auge, in der Hoffnung, dass dieser seinen Posten wenigstens fünf Minuten lang für eine heimliche Kippe verlassen würde. Zu meinem Pech, wenn auch nicht zum Pech seiner Lungen, tat er das aber nicht. Doch durch genaues Beobachten entdeckte ich irgendwann trotzdem einen Weg durch die Absperrung.

    Forensische Teams der Polizei durchkämmten nun das Gebiet auf der Suche nach Beweisen und DNS und schienen offenbar Backstage-Pässe für alles zu haben. Ich hatte daraufhin eine plötzliche Eingebung und eilte zu B&Q am anderen Ende der Stadt. In der Abteilung für Farben und Dekoration schnappte ich mir kurzerhand einen weißen Papieroverall, eine Staubmaske, ein paar Einweg-Latexhandschuhe und eine Spendenbox vom Tisch des Kundenservice, die mir beim Bezahlen der gerade genannten Dinge half. Auf dem Parkplatz zog ich alles an und ging dann zurück, wobei ich hoffte, dass ich eher wie aus CSI: Miami als aus DIY SOS aussah, und glücklicherweise sah der Polizist das wohl so, denn er hob das gelbe Absperrband und ließ mich den Tatort betreten.

    Bis ich mein Haus erreichte, kam ich an einem weiteren Dutzend weiß gekleideter Ermittler vorbei, die allesamt auf Händen und Knien über den Asphalt krochen. Auch im Haus selbst nahmen mehrere Ermittler Blutproben von meinem Teppich, schossen Fotos meiner Habseligkeiten und vermaßen die eindrucksvollen Kratzspuren, die meine Wände zierten. Ich stibitzte mir ein Lineal und einen Plastikbeutel von einem Klapptisch in meinem Vorgarten und ging hinein.

    »Könnte es ein Löwe gewesen sein?«, hörte ich eine von ihnen mutmaßen.

    »Auf jeden Fall irgendeine Raubkatze«, stimmte ihr ein Kollege zu.

    Sie zupften nun einige winzige Haarsträhnen vom Türrahmen und packten sie sehr sorgfältig in einen durchsichtigen Beweismittelbeutel. Ich fürchtete, dass sie enttäuscht sein würden, wenn sie diese untersuchten, da alle Beweise meiner Transformation am nächsten Morgen grundsätzlich verschwanden. Diese Strähnen stammten bestimmt von meinem mit Schottenkarostoff bezogenen Einkaufs-Trolley, mit dem ich die letzten vierzig Jahre beim Raus- und Reingehen an meiner Tür entlang geschrammt war.

    In meinem Keller befanden sich weitere Ermittler; manche durchwühlten meinen Besitz, andere fotografierten alles, was sie fanden. Hier unten gab es auch weitere Furchen, insbesondere auf der Rückseite meiner verstärkten Stahltür. Wie es aussah, hatten sie mittlerweile eine vernünftige Vorstellung davon, woher die Bestie gekommen war, wenn auch nicht, um was es sich dabei tatsächlich handelte. Mein Keller schien aber auf jeden Fall spannende Hinweise zu liefern.

    Dann war da noch die Sache mit Rachels Sarg.

    Sie hatten ihn unter einem Berg alter Zeitungen gefunden und vergeblich versucht, ihn aufzustemmen. Zum Glück – meinem und natürlich ihrem eigenen – hatten sie bisher keinen Erfolg gehabt. Sie hatten schon alle Schrauben herausgedreht und ihre Stemmeisen in der Lücke angesetzt, aber so sehr sie sich auch bemühten, sie konnten den Deckel einfach nicht aufhebeln. Keiner konnte sich erklären, warum das so war, doch es gab einen vollkommen vernünftigen Grund dafür. Rachel lag darin und hielt ihn von innen geschlossen. Da sie wusste, dass sie in großen Schwierigkeiten wäre, wenn man sie da drin fand, hielt sie ihn fest und wartete auf Rettung, die entweder durch meine Rückkehr oder die Ankunft der Nacht kommen würde.

    »Ich übernehme das jetzt«, sagte ich zu ihnen, als ich mir einen Weg durch die anderen Leute bahnte. Das hatte ich vor allem wegen Rachel gesagt, damit sie meine Stimme hörte und mir half, wenn es soweit war.

    Rachel ist, wie ich vielleicht schon erwähnt habe, ein Vampir. Sie ist verwandelt worden, als sie noch ein Kind war und obwohl sie nun fast hundert Jahre alt ist, sieht sie noch immer kaum wie zwölf aus. Sie ist vor ungefähr dreißig Jahren zu mir gekommen, um Hilfe zu suchen. Sie war mordsüchtig und über die Jahre extrem unglücklich geworden. Das passiert verlorenen Seelen oft. Für manche Kreaturen ist der Tod etwas Unvermeidliches, aber es kann dennoch schwer auf dem Gewissen lasten, und so hatte ich für sie getan, was ich konnte. Ich hatte sechs Silberschrauben aus einem Kruzifix geschmiedet, das ich mir von der Lincoln Kathedrale geborgt hatte, und hatte sie weggesperrt, während ich an ihrer Rehabilitation gearbeitet hatte. Wisst ihr, Rachel braucht zwar Blut zum Leben, aber sie muss nicht zwangsläufig töten, und ich hatte immer gehofft, wenn ich sie dazu bringen könnte, das zu verstehen, dann könnte ich sie endlich freilassen.

    Es war ein langer und Geduld erfordernder Prozess, aber Rachel hatte jetzt seit über dreißig Jahren niemanden mehr getötet. Das hatte übrigens keiner von uns beiden – zumindest bis letzte Nacht. Oh, der süffisante Ausdruck auf ihrem Gesicht … ich konnte ihn schon beinahe sehen und fühlte mich auch gebührend schuldig.

    »Wer sind Sie? Sie gehören nicht zu meiner Einheit«, meinte eine Ermittlerin schließlich, nahm mich beiseite und verlangte meinen Ausweis zu sehen.

    Alle drehten sich daraufhin zu mir um und ein Fotograf machte ein Bild von mir, doch da ich noch immer meinen Ganzkörperpapieranzug (nur drei Pfund – das ist echt preiswert) und meine weiße Staubmaske trug, sah ich nicht anders aus als die Ermittlerin neben mir. Vielleicht trug ich ein bisschen weniger Lidschatten, aber viele Unterschiede wiesen wir nicht auf.

    »Hör mal, wenn ich dir helfe, versprichst du mir dann, ein braves Mädchen zu sein?«, fragte ich zum großen Erstaunen der Ermittlerin.

    »Holen Sie sofort den Sergeant her. Dieser Verrückte befindet sich unbefugt an meinem Tatort«, blaffte sie als Antwort.

    »Ich meine es ernst. Wir zwei haben ein ernstes Problem, wenn du Blödsinn machst. Hast du gehört, Mädel?«

    Die Ermittlerin blinzelte über meine Unverschämtheit und einer ihrer Assistenten lachte, aber ich hatte in Wirklichkeit gar nicht mit ihr gesprochen. Ich hatte mit Rachel geredet.

    »Bring sie nicht um«, warnte ich sie. »Halt sie bloß davon ab, sich einzumischen.« Draußen herrschte Tageslicht und es war der schlimmste Albtraum jedes Vampirs, dass seine Ruhestätte während des Tages aufgespürt wurde. Ich konnte Rachel zwar helfen, hier rauszukommen, aber meine Hilfe würde ihren Preis haben.

    Ein bewaffneter Polizist tauchte jetzt am oberen Ende der Treppe auf und fragte, wo das Problem war.

    »Entfernen Sie diesen Mann auf der Stelle vom Tatort, bevor er noch alles kontaminiert«, verlangte sie schnippisch. Rachel wartete, bis der Beamte fast bei mir war, bevor sie den Deckel mit aller Kraft wegstieß und alle damit überrumpelte.

    »Oh, John.« Sie lächelte begeistert. Ihre Reißzähne waren voll ausgefahren und schimmerten im elektrischen Licht. »Du warst ein ganz schön böser Junge.«

    Auf Wiedersehen, Thetford

    Rachel und ich waren schon hundert Kilometer weit weg, bevor überhaupt jemand nach der Ermittlerin und ihrem Team suchte. Sie fanden sie in meinem Keller, verwirrt, aber am Leben. Sie faselten so merkwürdiges Zeug, dass ihre Retter das Ganze schließlich auf eine Kohlenmonoxidvergiftung zurückführten. Rachel hatte sie alle überwältigt, bevor einer von ihnen auch nur schreien konnte, und hatte, wie sie vorher versprochen hatte, nicht einen Tropfen Blut vergossen. Wir hatten außerdem ein Dutzend weitere Kriminaltechniker und Polizisten in den Keller gelockt, um die Straße draußen freizumachen, und als wir fertig waren, nahm sie ihren Platz im Sarg wieder ein und ich schleppte ihn nach oben. Sie brauchte zum Glück nur einen Kindersarg, sodass ich es allein schaffte, trotzdem wäre es in der Nacht wesentlich einfacher gewesen, da Rachel dann nicht in dem verdammten Ding hätte liegen müssen.

    Ein Polizeibus stand hilfreicherweise mit den Schlüsseln in der Zündung genau vor dem Haus und der Polizist, mit dem ich zuvor gesprochen hatte, hob äußerst höflich das Absperrband für mich hoch, damit ich wegfahren konnte.

    Wir ließen den Polizeibus direkt vor der Stadt stehen und mithilfe einer Heckler & Koch, die ich mir von einem der Beamten geliehen hatte, kaperten wir uns nordwärts und zogen eine Spur zurückgelassener Fahrzeuge und erschütterter Opfer hinter uns her.

    Als die Nacht anbrach, hatten wir bereits die Grenze überquert und befanden uns in der weiten Landschaft der schottischen Highlands. Wir hatten also halb England zwischen uns und die Polizei gebracht, doch jetzt wurde die Sache schwierig, denn mit dem Anbruch der Nacht verschwand auch mein Einfluss auf Rachel, und mit dem Aufgehen des Mondes schwand außerdem meine Macht über mich selbst. Das konnte nur zu einem Blutbad für die armen Menschen in Broxburn, Dunbar und West Barns werden … ein Vampir und ein Werwolf, die von der Leine gelassen worden waren und kein Van Helsing weit und breit. Aber ausnahmsweise in ihrem extrem langen Leben sah Rachel mal die Vorzüge, tatsächlich auf mich zu hören, anstatt in einen Blutrausch zu verfallen, und wir konnten den Schutz der Dunkelheit deshalb dazu nutzen, um zu verschwinden, ohne verfolgbare Spuren zu hinterlassen.

    Sobald der Mond aufgeht, bin ich nämlich schnell und stark. Ich brauche kein Fahrzeug, kann aber dennoch weite Strecken zurücklegen, selbst mit einem Sarg auf dem Rücken. Rachel ist ebenso schnell und außerdem kann sie mich in meinem verwandelten Zustand beeinflussen, deshalb hatten wir bei Sonnenaufgang weitere dreihundert Kilometer in nördliche Richtung geschafft und uns danach sicher in einem Heuschober irgendwo östlich von Inverness versteckt.

    Hier ruhten wir uns eine Weile aus. Rachel frühstückte mehrere Hühner, während ich mir ein Paar Stiefel und einen Regenmantel lieh, den ich an einem Haken neben der Tür fand, um in die Stadt zu marschieren.

    »Du kommst doch wieder zurück, oder?«, fragte Rachel, als ich ging.

    »Natürlich. Wir sind doch eine Familie«, versicherte ich ihr, bevor ich ihren Sargdeckel schloss und sie unter mehrere Heuballen in eine Ecke der Scheune schob. Solange niemand mit einer Heugabel dort rumstocherte, würde man nicht herausfinden, dass sie dort war. Zumindest konnte man sie nicht so einfach entdecken. Später am Morgen jedoch hatte der Bauer kein Glück damit, seine Kühe zum Füttern reinzubringen. Irgendetwas verängstigte sie offenbar und sie weigerten sich, zur Fütterung auch nur in die Nähe der Scheune zu gehen, egal, wie hungrig sie auch waren.

    Ich brauchte gute drei Stunden, um nach Inverness zu laufen, denn niemand hielt an, um mich mitzunehmen, trotz des strömenden Regens, daher erreichte ich die Stadt kurz vor der Mittagszeit. Ich sah mittlerweile wie eine frisch aus dem Grab auferstandene Leiche aus. Es gab viele Orte, wo ich etwas hätte essen können, aber ich war eigentlich gar nicht hungrig. Tatsächlich war ich nicht mehr hungrig gewesen, seit ich gestern Morgen aufgewacht war. Ich musste mich wohl nachts in Thetford richtig vollgefressen haben und jetzt würde ich wahrscheinlich tagelang nichts mehr essen können. Ein kloschüsselsprengender Toilettengang war wohl zu erwarten, aber was Essen anging, könnte man mir jetzt beim besten Willen nicht mal mehr eine Wurst in den Mund zwingen.

    Der andere Effekt, den meine Raserei stets hatte, war, mich zu verjüngen. Es ist schon eine seltsame Sache mit Werwölfen. Wir sind nämlich nicht unsterblich wie Vampire. Wir werden alt und müssen letzten Endes sterben, aber eine erfolgreiche Jagd kann den Alterungsprozess aufhalten und manchmal sogar umkehren, wenn wir genug töten … was ich seit fast dreißig Jahren nicht mehr getan hatte. Ich hatte mir erlaubt, alt zu werden, denn ich hatte gewollt, dass mein verfluchtes Leben endlich endet, aber jetzt, dank meines spontanen nächtlichen Straßenfestes, hatte ich die Uhr deutlich zurückgedreht und war wieder jung – oder zumindest nicht mehr ganz so alt wie vorher. Meine Haare waren noch immer grau und mein Gesicht voller Falten, doch meine Augen strahlten wieder blau und mein Körper fühlte sich stärker an als seit … nun ja, länger, als ich mich zurückerinnern konnte.

    Als Erstes ging ich zur Bank. Ich hatte nämlich daran gedacht, meinen Geldbeutel einzupacken, als ich mit Rachel geflohen war, und jetzt hob ich genug ab, um mich komplett neu einzukleiden und ein Auto zu mieten. Wie die meisten alten Einsiedler hatte ich mit den Jahren einen beträchtlichen Notgroschen angespart. Tatsächlich hatte ich mit den Jahren ungefähr zehn Notgroschen angespart, alle auf andere Namen und auf anderen Bankkonten und keiner davon war zu mir zurück verfolgbar. Es zahlt sich nämlich aus, den Behörden immer einen Schritt voraus zu sein, besonders da sie wegen der berüchtigten Moor-Würger-Morde damals in den 1960er Jahren noch immer nach mir suchten. Die hatten natürlich nichts mit mir zu tun. Das war leider ganz und gar das Machwerk meines verstorbenen Vaters gewesen, aber ich stand deswegen trotzdem unter Verdacht. Herrlich, nicht wahr? Die meisten Eltern hinterlassen ihren Kindern ein Haus oder ein paar staubige, alte Fotoalben als Erinnerungsstücke, aber mein Vater nicht … nein, der hinterließ mir einen unvorteilhaften Ruf als Serienmörder, der mir wohl für den Rest meines Lebens anhaften wird. Ich vermute, im Gegensatz zum Mittelalter würden mich die Behörden wahrscheinlich einfach einsperren, anstatt mich zu hängen, aber alles in allem wäre es mir trotzdem lieber gewesen, mein Vater hätte mich komplett aus der Sache rausgehalten und sein Vermächtnis stattdessen einem anderen Trottel hinterlassen.

    »Unglaublich, oder?«, fragte der Immobilienmakler, der es kaum schaffte, seinen Blick von der heutigen Zeitung loszureißen, obwohl ich ihm genau gegenüber saß und seit drei Minuten ungeduldig gegen seinen Schreibtisch trat. »Es heißt, sie sind jetzt schon in Schottland.«

    »Tatsächlich?«, antwortete ich ausdruckslos.

    »Es heißt, sie sind vielleicht genau hierher unterwegs.«

    »Ist das so?«

    »Ein alter Kerl und ein junges Mädchen, mit Maschinengewehren bewaffnet.«

    »Ein alter Kerl, sagen Sie? Vielleicht so einer wie ich?«, erkundigte ich mich, nur um seine Aufmerksamkeit zu bekommen.

    Der Makler senkte nun tatsächlich seine Zeitung und musterte mich interessiert. Ich war mittlerweile frisch gewaschen und gekämmt, nachdem ich in der Toilette des Eastgate Shoppingcenter ausgiebig Gebrauch von einem Stück Seife und einer Haarbürste gemacht hatte, bevor ich in einen Anzug von der Stange geschlüpft war.

    Der Makler lächelte höflich und legte seine Zeitung jetzt endlich hin. »Wohl kaum«, sagte er. »Was kann ich denn für Sie tun?«

    »Ich möchte eine Immobilie kaufen«, erklärte ich ihm. »An irgendeinem ruhigen Ort, weit, weit weg von allen anderen.«

    TEIL 1

    Das Haus der Toten

    I

    Cape Wrath ist eine Halbinsel im Norden Schottlands, der von Westen und Norden her die kalten Atlantikwinde zusetzen und die im Osten durch den Kyle of Durness vom nächsten Dorf abgeschnitten ist. Ursprünglich war es die Heimat einiger kleiner Bauern-Gemeinschaften, die das Land bearbeitet und wirtlich gemacht hatten, denn das Cape war beinahe hundert Jahre lang unbewohnt gewesen, zum Teil dank der Highlands Clearances des 18. Jahrhunderts und der Tatsache, dass man um keinen Preis der Welt Match of the Day auf die Mattscheibe bekam, nicht mal mit diesen richtig großen Fernsehschüsseln. Ein Großteil des Landes war gesperrt und wurde von der RAF für Bombenübungen benutzt, und die wenigen Straßen, die die Insel aufweisen konnte, waren im Winter und manchmal sogar im Sommer vollkommen unpassierbar. Im

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