Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Physik und Freiheit
Physik und Freiheit
Physik und Freiheit
Ebook385 pages5 hours

Physik und Freiheit

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Physik und Freiheit ist die faszinierende Darstellung der Zusammenarbeit zwischen David Bohm, einem der führenden theoretischen Physiker zum Thema der Quantentheorie, und dem Philosophen J. Krishnamurti, der vom „Spiegel“ als der „Guru, der allen Gurus ein Gräuel sein musste“, bezeichnet wurde. Sie ergänzten sich in ihrer klaren wissenschaftlichen Methode auf der einen Seite und der kompromisslosen Forderung nach Freiheit von allen gesellschaftlichen und psychologischen Zwängen auf der anderen. Der Autor bringt die Lehren beider Männer feinfühlig auf den Punkt und bindet ihre Lehren und ihre Zusammenarbeit in den geschichtlichen Rahmen ein.
Die unorthodoxen Ansätze von Bohm und Krishnamurti zu den Themen Freiheit, Liebe, Denken, Physik, Umwelt, Urgrund und Religion, um nur einige zu nennen, sind so relevant wie nie zuvor und regen den Leser dazu an, die heutigen Zustände in der Gesellschaft kritisch zu hinterfragen. Das Buch liefert zahlreiche Anstöße zum Nachdenken, zeigt die Grenzen des Denkens auf, erkundet Wege der Selbsterkenntnis und verdeutlicht die Dringlichkeit des Wandels der Gesellschaft und des Einzelnen.

LanguageDeutsch
Release dateApr 20, 2020
ISBN9783861911388
Physik und Freiheit

Related to Physik und Freiheit

Related ebooks

Body, Mind, & Spirit For You

View More

Related articles

Reviews for Physik und Freiheit

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Physik und Freiheit - David Edmund Moody

    Foto: Mark Edwards, © Krishnamurti Foundation Trust

    David Edmund Moody

    Physik und

    Freiheit

    Ein außergewöhnlicher Gedankenaustausch

    zwischen David Bohm und J. Krishnamurti

    Übersetzung aus dem Englischen von

    Petra Michel

    Titel der englischen Originalausgabe:

    An Uncommon Collaboration

    David Bohm and J. Krishnamurti

    © 2016 David Edmund Moody

    Deutsche eBook Ausgabe:

    1. Auflage 2020

    © Crotona Verlag GmbH & Co. KG

    Kammer 11 | D-83123 Amerang

    www.crotona.de

    Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen, fotomechanische

    Wiedergabe, Tonträger jeder Art und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

    Übersetzung aus dem Englischen: Petra Michel

    Umschlaggestaltung: Annette Wagner

    Umschlagphoto von Mark Edwards. Copyright Krishnamurti Foundation Trust.

    Der Autor bedankt sich bei der Krishnamurti Foundation of America und dem

    Krishnamurti Foundation Trust, England für die Unterstützung bei der Auswahl und Reproduktion der Fotos.

    Die folgenden Zitaten dieses Buches wurden mit Erlaubnis wiedergegeben.

    Zahlreiche Zitate [pp. 18-397; 5000 Worte] aus THE ENDING OF TIME by J. KRISHNAMURTI and DR. DAVID BOHM. Copyright (c) 1985 by Krishnamurti Foundation Trust Limited. Reprinted by permission of HarperCollins Publishers.

    Zitate der Seiten pp. 516-17, 518-19, 521, 523, 525-6, 534-5 [864 Worte] aus THE AWAKENING OF INTELLIGENCE by J. KRISHNAMURTI. Copyright (c) 1974 by Krishnamurti Foundation Trust Ltd. Reprinted by permission of HarperCollins Publishers.

    Zitate der Seiten pp. 9, 17, 32, 46, 104, 107, 115, 134, 140 [906 Worte] aus THE FIRST AND LAST FREEDOM by J. KRISHNAMURTI. Copyright 1954 by Krishnamurti Writings, Inc., renewed (c) 1982 by J. Krishnamurti. Reprinted by permission of HarperCollins Publishers.

    Die Erlaubnis für die Verwendung von Zitaten von J. Krishnamurti und anderer Werke, deren Copyright bei dem Krishnamurti Foundation Trust Ltd. liegen, wurde unter der Voraussetzung gegeben, dass eine solche Erlaubnis keine Anerkennung der in diesem Buch ausgedrückten Gedanken beinhaltet.

    ISBN 978-3-86191-138-8

    Inhalt

    Einleitung

    Kapitel Eins: Der Weg nach Princeton

    Kapitel Zwei: Quantenfolgerungen

    Kapitel Drei: Der Beobachter und das Beobachtete

    Kapitel Vier: Der Weltlehrer

    Kapitel Fünf: Urteilsloses Gewahrsein

    Kapitel Sechs: Drei Tagebücher

    Kapitel Sieben: Im Spiegel von Beziehungen

    Kapitel Acht: Ojai

    Kapitel Neun: Das Wesen der Intelligenz

    Kapitel Zehn: Ganzheit und Fragmentierung

    Kapitel Elf: Bohms Vorbehalte

    Kapitel Zwölf: Das Ende der Zeit I

    Kapitel Dreizehn: Das Ende der Zeit II

    Kapitel Vierzehn: Das Ende der Zeit III

    Kapitel Fünfzehn: Das Ende der Zeit IV

    Kapitel Sechzehn: Konfrontation

    Kapitel Siebzehn: Denken als System

    Kapitel Achtzehn:Physik und Metaphysik

    Kapitel Neunzehn: Die Quelle der Offenbarung

    Kapitel Zwanzig: Folgerungen und Reflexionen

    Anhang 1: Moody und Bohm im Dialog überKrishnamurti und sein Werk

    Anhang 2: Moody und Bohm über die Zeit

    Anhang 3: Physik und die Naturgesetze

    Danksagung

    Biographische Quellen

    Bibliographie

    Photos

    Für Marilyn

    Einleitung

    In einer Welt, die von vielfältigen Problemen − Umweltproblemen, politischen, religiösen, sozialen, ethischen und persönlichen Problemen − sowie von tiefsitzenden Konflikten verzehrt wird, die sich in weit verbreiteter Gewalt niederschlagen, muss man sich die Frage stellen, ob all diese Probleme und Konflikte unterschiedliche Ursachen aufweisen, die kaum miteinander zu tun haben, oder ob sie alle einen gemeinsamen Ursprung besitzen. Unsere Politiker bemühen sich ganz offensichtlich nur scheibchenweise um Einzellösungen, ohne die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass die einzig sinnvolle und dauerhafte Antwort darin besteht einzusehen, dass unsere Probleme alle auf eine gemeinsame Ursache zurückgehen. Ein solcher Ansatz könnte eine Tür für einen neuen Ansatz öffnen, der durchaus als revolutionär bezeichnet werden kann.

    Der psychologische Philosoph J. Krishnamurti (1895-1986) sah die Gesellschaft und die zwischenmenschlichen Beziehungen auf genau diese Art und Weise. Obgleich er keinen akademischen Hintergrund besaß und nur eine minimale Schulbildung vorweisen konnte, war er im Laufe seines Lebens trotzdem in der Lage, eine unabhängige und tiefgreifende Ansicht des alltäglichen Bewusstseins zu artikulieren und seine strukturellen Eigenschaften zu beleuchten, die zu Täuschungen, Konflikten und Störungen sowohl im individuellen als auch im kollektiven Bereich führen. Mit seinem Bestreben hat er Millionen von Leben berührt und sich in Dialogen, von denen viele aufgezeichnet wurden, mit hunderten von Individuen ausgetauscht, die seine Beobachtungen als tief beeindruckend und äußerst wichtig einschätzten. Von all seinen Gesprächspartnern war wohl kaum jemand so bedeutsam wie der theoretische Quantenphysiker David Bohm.

    Unter den bedeutenden Innovatoren der Geistesgeschichte ist Zusammenarbeit eher die Ausnahme als die Norm. Kopernikus, da Vinci, Galileo, Newton, Shakespeare, Mozart, Einstein, denen wir wohl allen ein gewisses Genie zuschreiben, waren Individuen, die neue Wege beschritten, ohne einen Wegbegleiter an ihrer Seite zu haben. Doch es gibt auch ein paar Gegenbeispiele, wie Watson und Crick, Russell und Whitehead, Freud, Jung (zumindest zeitweise), Rogers und Hammerstein. Diese Ausnahmen sind jedoch gerade wegen ihrer Seltenheit bemerkenswert.

    Innerhalb dieser kleinen Gruppe von Genies sind J. Krishnamurti und David Bohm vielleicht die außergewöhnlichsten. Watson und Crick waren beide Biologen, Russel und Whitehead Philosophen, Freud und Jung Psychiater. Im Gegensatz dazu war David Bohm ein herausragender Wissenschaftler, ein Physiker, während Krishnamurti eine Mischung aus Philosoph und Psychologe mit spirituellem oder metaphysischem Hintergrund war. Wie haben diese zwei Männer zueinander gefunden? Was hatten sie gemeinsam? Worüber sprachen sie?

    Über zwei Jahrzehnte hinweg wurden 144 Gespräche zwischen Krishnamurti und Bohm aufgezeichnet, wobei zahlreiche davon auch als Video vorliegen. Vierunddreißig davon wurden für die Öffentlichkeit transkribiert und editiert und erschienen in einer Reihe von Büchern, wie beispielsweise: Weisheit und Wissenschaft, Vom Werden zum Sein oder Fragen und Antworten.

    Krishnamurtis Philosophie ist persönlich und direkt. Es handelt sich dabei keineswegs um abstrakte obskure Theorien oder gar New Age Phantastereien. Er behandelt alltägliche Themen wie Angst, Einsamkeit, Liebe, Tod, Leid, Freude und Selbsteinschätzung. Gleichzeitig sind seine Ansichten jedoch auch subtil und bisweilen nur schwer fassbar. Er achtete sehr auf die jeweilige Rolle von Denken, Fühlen, Sehnsucht, Intelligenz und Erkenntnis sowie auf die Möglichkeit einer Bewusstseinstransformation. Er betonte stets, dass er in keiner Weise eine Autoritätsperson sei und seine Philosophie nur dahingehend bedeutsam sein könne, wenn sie echte Selbsterkenntnis anregen würde.

    Bohm wird heute als einer der führenden Physiker des 20. Jahrhunderts angesehen. Seine Verbindungen mit Oppenheimer und Einstein sind an sich schon interessant, aber bei Weitem bedeutsamer waren seine Beiträge zu den Grundlagen der Quantenmechanik. Diese waren bisweilen so radikal, dass er als Außenseiter in seinem Bereich angesehen wurde, und seine Beiträge erst Jahrzehnte später umfassender gewürdigt wurden. Sein Zusammenstoß mit dem Komitee für unamerikanische Umtriebe¹ des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten von Amerika sollte sich als schicksalshaft für sein Leben und seine Karriere erweisen und erweitert seine beeindruckende persönliche Geschichte noch um eine andere Dimension.

    Zweifellos schätzte Bohm die Philosophie Krishnamurtis im Hinblick auf seine eigene Selbsterkenntnis. Dies trug zu einem wirklich menschlichen und rührenden Element in ihrer Zusammenarbeit bei. Die biographischen Informationen in den ersten Kapiteln dieses Buches sollten unter diesem Hintergrund verstanden werden. Die außergewöhnlichen politischen und beruflichen Ereignisse, die die ersten Jahrzehnte von Bohms Werdegang dominierten, haben ihn sicherlich darauf vorbereitet, Krishnamurtis Wirken zu schätzen und sich damit zu beschäftigen. Der Erfolg oder Misserfolg seines Mitwirkens an dieser Philosophie schaffte den Unterton für den folgenden Text.

    Ich konnte mich glücklich schätzen, von 1975 bis 1992 sowohl mit Krishnamurti (bis zu seinem Tod 1986) als auch mit David Bohm eng zusammenarbeiten zu dürfen. Dies geschah im Zusammenhang mit der Oak Grove School, die in Ojai in Kalifornien von Krishnamurti gegründet wurde und bei der ich als Lehrer, pädagogischer Koordinator und Schulleiter arbeitete. Über die persönliche Ebene hinaus war meine Zusammenarbeit mit den beiden Männern speziell auf pädagogische und psychologische Themen ausgerichtet. Dies half mir wahrscheinlich, die Tiefe und Bedeutung des über zwanzig Jahre langen Austausches der beiden in Fülle und Umfang wirklich schätzen zu können.

    Es mag noch viele Jahre in Anspruch nehmen, bevor die Zusammenarbeit zwischen Krishnamurti und David Bohm vollkommen entschlüsselt und eingeordnet werden kann. Ihr Dialog war so umfassend und tiefgründig, dass er sich kaum in einem einzelnen Buch festhalten lässt. Das Ziel des vorliegenden Buches ist es daher nicht, eine abschließende oder endgültige Charakterisierung ihrer Arbeit anzubieten, sondern diese einem größeren Publikum näherzubringen. Jeder der beiden Männer war unglaublich interessant und ungewöhnlich – und die Geschichte ihrer Zusammenarbeit war es noch mehr. Die Geschichte ihrer Beziehung ist zeitlos.

    1 House Un-American Activities Committee.

    Kapitel Eins

    Der Weg nach Princeton

    Die Ereignisse, die David Bohm mit J. Krishnamurti in Kontakt brachten, erscheinen auf den ersten Blick verschlungen, aber im Nachhinein erkennt man, dass es sich weniger um Umwege handelte, sondern um die kürzeste Verbindung von zwei sehr weit voneinander entfernten Ausgangspunkten.

    Die Umstände von Bohms Kindheit waren nicht gerade förderlich für die Entwicklung eines wissenschaftlichen Genies. Er wurde 1918 in Wilkes-Barre, Pennsylvania, geboren, einer Stadt, deren Haupteinkommen vom Kohleabbau kam. Bohms Vater Samuel immigrierte als Teenager aus Ungarn in die USA. Er mietete sich ein Zimmer bei einem Gebrauchtmöbelverkäufer, der Samuel dabei half, selbst ein Geschäft für gebrauchte Möbel aufzubauen, und gab ihm dazu noch seine Tochter Frieda als Frau. Samuel, Frieda, David und ein jüngerer Bruder lebten in einer Wohnung über dem Laden.

    Samuel Bohm war nicht begeistert von Davids sich schon früh entwickelndem Interesse an den Wissenschaften und Science Fiction. Er hätte es vorgezogen, wenn seine Söhne in das Möbelgeschäft eingestiegen wären. Doch Davids Leidenschaft für exotische andere Welten und die vierte Dimension sowie auch seine praxisnahen Interessen, wie die Konstruktion von Radios aus Drähten und Kristallen, die er sich auf dem Schrottplatz besorgte, ließen sich nicht verleugnen. Als er dann die High School besuchte, wurde sein frühreifer Intellekt unübersehbar. Sein Mathematiklehrer, der dieses Fach fünfzig Jahre lang lehrte, bezeichnete ihn als einzigartig. Er stellte seine Schüler einmal vor eine Aufgabe, von der er fürchtete, dass keiner von ihnen diese würde lösen können, doch Bohm fand sogar drei Lösungen, von denen eine so außergewöhnlich war, dass er diese seinem Lehrer erst einmal erklären musste. Weitere frühe Anzeichen seines sich entwickelnden Intellekts waren einige Erfindungen, die er als Teenager machte und sogar zu vermarkten versuchte. Unter anderem entwickelte er eine tropffreie Karaffe, die durch eine schmale Manschette am Rand die Oberflächenspannung der Flüssigkeit beim Ausgießen brechen und das Tropfen verhindern sollte sowie einen neuartigen Kolbenmotor und eine Modifizierung der Struktur von Flugzeugflügeln.

    Davids Mutter Frieda litt an depressiven Anfällen, und ihre Beziehung mit Samuel war schwierig. Wenn dieser von der Arbeit nach Hause kam, kritisierte und beschimpfte er sie, und die Spannungen in der Familie wurden immer greifbarer. Sie verwöhnte David, war aber auch ständig um seine Gesundheit besorgt, eine Angewohnheit, die David offensichtlich von ihr annahm und sein Leben lang nicht mehr los wurde. Er war schüchtern, auch ein wenig linkisch und sportlich nicht sehr gut, so dass er auch kein Interesse daran hatte, sich mit anderen Jungen sportlich zu messen. Er mochte jedoch lange Spaziergänge in den Wäldern um Wilkes-Barre, die er entweder allein oder mit Freunden unternahm. Auf einem dieser Spaziergänge kam er an einen Bach, der sich nur mit Hilfe von ein paar Steinen überqueren ließ, die aus dem Wasser herausragten. Bohm überlegte sich vorher, wie er seine Füße richtig auf welchen Stein setzen sollte. Als er dann jedoch erst einmal losgelaufen war, merkte er, dass er einfach weiterspringen musste und sein Plan ihm nicht viel nutzte. Dieses Erlebnis nahm eine Einsicht hinsichtlich der Natur einer fließenden Bewegung vorweg, über die er später noch oft sprechen sollte.

    1929, als Bohm elf Jahre alt war, wurde Wilkes-Barre hart von der Großen Depression getroffen, und David sah sich so bereits in jungen Jahren mit wirtschaftlicher Not konfrontiert. Obgleich seine eigene Familie keine finanzielle Not litt, war dies für viele andere um ihn herum nicht der Fall. Bohm begann, progressive Zeitschriften zu lesen und entwickelte politische Ansichten, die links von der Mitte anzusiedeln waren. Er diskutierte oft bis spät in die Nacht hinein mit dem Vater einer seiner Freunde über Politik, und seine Erfahrungen mit den Schwächen des Kapitalismus sollten später einen wichtigen Einfluss auf seine Karriere haben.

    Als er dann zur Universität ging, muss es eine Erleichterung für ihn gewesen sein, dem engen intellektuellen Horizont von Wilkes-Barre zu entkommen. Trotz einiger früher Anzeichen seines Genies, zeichnete sich seine Kindheit weniger durch herausragende Errungenschaften als durch seine Fähigkeit aus, in einem Umfeld zu wachsen und zu gedeihen, das keinesfalls ideal für intellektuelles Wachstum war. Es sollte noch einige Jahre dauern, bis er eine intellektuelle Atmosphäre fand, die tatsächlich dazu geeignet war, seine Fähigkeiten anzuregen, wobei sein Umzug von Wilkes-Barre zum Pennsylvania State College bereits ein großer Schritt in diese Richtung war. Die Universität war nicht unbedingt für die Qualität ihres Physikstudiums bekannt, sondern eher für ihre eher praxisnahen Studiengänge, wie Ingenieurswissenschaften und Landwirtschaft. Da die Regeln für das Studium jedoch relativ locker gehandhabt wurden, war Bohm in der Lage, ein paar unabhängige Vorlesungen mit anderen Professoren zu belegen. Beispielsweise arbeitete er sich in seinem ersten Studienjahr, gemeinsam mit ein paar anderen Studenten, durch ein weiterführendes Lehrbuch hindurch, das die komplette Mathematik umfasste, die für das Studium der theoretischen Physik erforderlich war. In einer Physik-Vorlesung bemerkte Bohm einen Fehler in der Logik eines weithin akzeptierten Beweises über radioaktive Strahlung. Sein Professor stellte daraufhin Bohms Überlegungen in seiner Vorlesung vor und präsentierte eine von ihm entwickelte verbesserte Lösung.

    Bohm gefiel auch die Gegend um die Universität, wo lange Spaziergänge in den Wäldern zu seinem täglichen Alltag gehörten. Er machte sich nur wenig aus Freundinnen oder den üblichen Freizeitaktivitäten, sondern dachte auf seinen Spaziergängen über physikalische Problemstellungen nach, und seine sich entwickelnden Einsichten und aufblühende Kreativität gaben ihm Kraft. Am Ende seines Grundstudiums wurde es Bohm klar, dass er ein weiterführendes Physik-Studium anstreben wollte. Seine finanziellen Mittel waren jedoch so begrenzt, dass er dies nicht ohne finanzielle Unterstützung erreichen konnte. Der mathematische Fachbereich an der Pennsylvania State University bot eine Prüfung an, die dem Studenten ein attraktives Stipendium versprach, der am besten abschnitt. Die Prüfung bestand aus fünf Problemen, die so anspruchsvoll waren, dass die meisten Studenten nur ein oder zwei davon in der angegebenen Zeit lösen konnten. Bohm beantwortete vier der fünf Probleme korrekt und skizzierte einen Lösungsansatz für das fünfte, bevor die Zeit ablief.

    Die sechshundert Dollar für den Gewinn befähigten ihn, sich am California Institute of Technology (Caltech) einzuschreiben. Er hoffte, dort Gleichgesinnte zu finden, die ebenso wie er den Reiz wissenschaftlicher Erkenntnis zu schätzen wussten. Die Realität war jedoch nicht so wie erhofft. Doch trotzdem wurde Caltech, ähnlich wie der kleine Bach, den er in seiner Kindheit übersprungen hatte, zu einem wesentlichen Sprungbrett auf seinem Lebensweg. Caltech selbst war eher das Gegenteil von dem, was er brauchte, um sein ganz eigenes Genie zu entfalten. Er blühte in einer kooperativen Atmosphäre auf, in der er tiefgründig in aller Ruhe und mit nur minimalen äußeren Vorschriften und Beschränkungen mit ein paar Freunden wissenschaftlichen Problemen nachgehen konnte. Caltech hatte eine herausragende Reputation, war jedoch extrem wettbewerbsorientiert, sehr auf Prüfungen fixiert und verfolgte einen mechanistischen, problem-orientierten physikalischen Ansatz. Obgleich er sich dort in gewisser Hinsicht hervortat – er scheint der einzige Student gewesen zu sein, der jedes Problem eines Einführungskurses über Elektrizität und Magnetismus bearbeitete – wurde es jedoch bald klar, dass Bohm in diesem Umfeld nicht würde wachsen können. Das Klima war heiß und trocken und eignete sich nicht für die langen täglichen Spaziergänge, die er brauchte, um sein intellektuelles Feuer am Brennen zu halten. Nur die Wanderungen auf dem circa zwanzig Kilometer entfernten und 1.700 Meter hohen Mt. Wilson brachten ihm Erleichterung.

    In seinem dritten Semester ergab sich für ihn eine intellektuelle Erlösung in Form eines der führenden amerikanischen Physiker, J. Robert Oppenheimer. Dieser war Professor an der physikalischen Fakultät der University of California, Berkeley und hielt bisweilen Vorlesungen bei Caltech. Ein Freund von Bohm ermunterte ihn, Oppenheimer zu treffen, und die beiden verstanden sich sofort. Oppenheimer veranlasste den Wechsel von Bohm an die Universität in Berkeley und vermittelte ihm auch eine Assistenzstelle. So zog Bohm 1941 von Pasadena nach Berkeley. Dort fand er ein Umfeld vor, das wesentlich mehr im Einklang mit seiner Weiterentwicklung stand.

    Am Physik-Lehrstuhl unterrichtete nicht nur Oppenheimer, sondern auch ein anderer weltbekannter Physiker, Ernest Lawrence. Zu der Zeit war die Entschlüsselung der Struktur des Atoms eines der Hauptanliegen in der Physik. Dies wurde mit Hilfe von sogenannten Teilchenbeschleunigern erforscht, die ein Atom oder Proton auf ein anderes schossen. Lawrence hatte die entscheidende Einsicht, dass ein Beschleuniger, der die Teilchen im Kreis beschleunigte, diese auf wesentlich höhere Geschwindigkeiten beschleunigen konnte, wofür er den Nobelpreis erhielt. Er nannte diesen Beschleuniger ein „Zyklotron", was mit seinen immer größer werdenden Generationen von Beschleunigern die Basis für den Erfolg seines Labors an der University of California in Berkeley war.

    Der blonde, blauäugige Lawrence, der aus dem mittleren Westen der USA stammte, war umgänglich und sympathisch. Er und Oppenheimer waren etwa zur gleichen Zeit nach Berkeley gekommen, und die beiden wurden schnell gute Freunde. Lawrence war der experimentelle Innovator und Oppenheimer der Theoretiker. Oppenheimer hatte an den Universitäten in Harvard und Cambridge studiert und seinen Doktor im Alter von dreiundzwanzig Jahren gemacht. Seine intellektuellen Fähigkeiten beschränkten sich nicht nur auf die Physik, sondern schlossen auch italienische Dichtung, östliche Philosophie sowie gute Weine ein. Die Feste in seinem Haus in Berkeley waren für seine Freunde und Studenten erinnerungswürdige Ereignisse, die nicht selten mit Oppenheimers Lieblingsstreichquartett von Beethoven ausklangen. Er servierte oftmals ein scharfes indonesisches Gericht, Nasi Goreng, das Lawrence in „nasty gory"² umbenannte.

    Bohm fand sowohl die intellektuelle Atmosphäre wie auch die Umgebung von Berkeley äußerst anregend. Das kühlere Klima und die leicht zugänglichen Waldwege entsprachen seinem Wesen, und das von Oppenheimer bewirkte kulturelle Milieu war stimulierend. Bohm verehrte ihn fast wie eine Vaterfigur, obgleich er nur vierzehn Jahre älter war als er selbst. Richard Feynman, mit dem Bohm sich zu der Zeit anfreundete und der später ebenfalls den Nobelpreis erhielt, war auch einer von Oppenheimers Doktoranden. Im Gegensatz zu Caltech fand Bohm in Berkeley endlich den fruchtbaren Boden, auf dem sein Interesse an der theoretischen Physik gedeihen konnte.

    Das Forschungsprojekt, das Bohm von Oppenheimer zugewiesen wurde, bezog sich auf die Auswirkungen eines Zusammenstoßes von einem Proton mit Deuterium, das aufgrund eines zusätzlichen Neutrons eine schwerere Form des Wasserstoffatoms ist. Bohm bearbeitete das Problem mit der ihm eigenen Sorgfalt. Er hatte seine Forschungen zu dem Thema 1943 fertiggestellt, doch bevor er die Arbeit einreichen konnte, wurde ein hochrangiger Regierungsbeamter auf seine Arbeiten aufmerksam und erkannte eine potenzielle militärische Anwendung. Da sich die USA auf einen Krieg vorbereiteten und Bohm nicht die notwendige Unbedenklichkeitsbescheinigung besaß, wurden seine Forschungen von den staatlichen Stellen beschlagnahmt und man verbot ihm, seine Doktorarbeit zu veröffentlichen. Oppenheimer musste ihm daher seinen Doktor ausschließlich aufgrund seiner persönlichen Empfehlungen verleihen.

    Bereits 1939 waren den führenden Physikern überall auf der Welt die grundlegenden Prinzipien einer Atombombe bekannt. Drei davon, Leo Szilard, Eugene Wigner und Edward Teller baten Albert Einstein, der zu der Zeit in den USA ansässig war, einen Brief an Präsident Roosevelt zu schreiben, um ihn auf diese Tatsache hinzuweisen. Innerhalb von ein paar Monaten wurde das geheime Manhattan Projekt ins Leben gerufen, um eine solche Bombe zu entwickeln. Obgleich dieses Projekt formell dem Militär unterstand, waren nur die führenden Wissenschaftler des Landes in der Lage, die Forschungen durchzuführen. Oppenheimer wurde berufen, die wissenschaftlichen Forschungen zu leiten. Aus diesem Grund war er auch monatelang nicht in Berkeley, sondern in Los Alamos, New Mexico, wo die Arbeiten zum Manhattan Projekt durchgeführt wurden.

    In seiner Abwesenheit hatte Oppenheimer seinen Doktoranden Josef Weinberg beauftragt, seine Vorlesungen in Quantenphysik zu halten, was auch die detaillierten Geschehnisse im Inneren des Atoms umfasste. Weinberg war jedoch, auch aufgrund seines Gesundheitszustandes, überlastet, so dass Bohm die Vorlesung übernahm. Dies erwies sich als glücklicher Umstand, da es Bohm die Möglichkeit eröffnete, die Grundlagen der Quantenmechanik intensiver zu studieren. Weinberg und Bohm waren gute Freunde und diskutierten oft nächtelang über die Bedeutung der Quantenphysik. Die damit verbundenen Prinzipien waren äußerst fremdartig für die klassische, Newtonsche Physik und ließen beliebig großen Spielraum für Diskussionen und alternative Interpretationen. Doch ihre Unterhaltungen waren keinesfalls auf die Physik beschränkt und umfassten auch ihre beidseitige Faszination mit politischen Themen.

    In den Dreißigerjahren war eine gewisse Sympathie mit einer Marxistischen Ideologie in den intellektuellen Zirkeln der Vereinigten Staaten keine Seltenheit. Die Schrecken des kommunistischen Experiments in der Sowjetunion waren noch nicht deutlich geworden. Die Wirtschaftskrise der Großen Depression hatte die Schwächen des Kapitalistischen Systems verdeutlicht, und viele Menschen sahen in dem sozialistischen Ideal einen Weg aus den persönlichen und ökonomischen Problemen. Oppenheimer selbst war ein Beispiel für diese Einstellung. Er betätigte sich in einigen quasi-kommunistischen Organisationen und hatte viele Freunde und Bekannte, die Mitglieder der Kommunistischen Partei waren. Einige von Oppenheimers Doktoranden schlossen sich ebenfalls diesen Ideen an, Weinberg, Bohm, Rossi Lomanitz und Bernard Peters eingeschlossen. Lomanitz organisierte eine Vereinigung der Angestellten des Radiation Labors und Bohm nahm an ein paar Treffen der ortsansässigen Kommunistischen Partei teil. Die Studenten waren von dem Ideal einer freien, klassenlosen Gesellschaft erfüllt, in der sich jeder Einzelne zu seinem oder ihrem vollen Potenzial entwickeln konnte.

    Oppenheimer hätte es vorgezogen, wenn Bohm mit ihm in Los Alamos zusammengearbeitet hätte, aber seine diesbezügliche Anfrage wurde abgelehnt, da Bohm Angehörige in Osteuropa hatte. Der wirkliche Grund für die Ablehnung war wahrscheinlich politischer Natur, obgleich weder Oppenheimer noch Bohm zu der Zeit Kenntnis davon hatten. Also wurde Bohm dem Radiation Labor zugewiesen, wo er Plasmaphysik erforschte, wobei Plasma einen vierten Materiezustand darstellt (neben dem festen, flüssigen und gasförmigen Zustand), der bei sehr hohen Temperaturen auftritt, wenn dem Atomkern alle Elektronen fehlen. Im Zusammenhang mit diesem Projekt steuert Bohm seinen ersten Beitrag zu den Grundlagen der theoretischen Physik bei. Seine Untersuchungen des Plasmaverhaltens zeigten, dass freie Elektronen die Tendenz haben, als Kollektiv zu agieren, so als stünden sie in einer Art Kommunikation miteinander. Seine Beschreibung dieses Verhaltens wird Bohmsche Diffusion genannt und noch heute in jedem Lehrbuch über Plasmaphysik behandelt.

    Selbst als er diese Forschungsarbeiten ausführte, arbeitete Bohm weiter an seinem Verständnis der Quantenphysik. Die Quantenwelt beschäftigt sich mit Ereignissen im Land der Elektronen, in dem eine Realität vorherrscht, die Alice-im-Wunderland-ähnlich anmutet und weit von den Erfahrungen des alltäglichen Lebens entfernt ist. Unter anderem ergibt sich mit der konventionellen Physik, dass ein Elektron auf seiner Umlaufbahn um den Atomkern schnell seine Energie verbrauchen und sich dann vom Atom lösen sollte, was natürlich nicht den Beobachtungen entspricht. Bohm schaffte es, die dazugehörige Mathematik derart abzuändern, dass die Integrität des Atoms erhalten bleibt. Er schrieb eine Veröffentlichung darüber, die jedoch weder bei Oppenheimer noch bei Wolfgang Pauli, zwei Verfechtern der eher orthodoxen Interpretation, auf Zustimmung stieß. Zukünftige Ereignisse bekräftigten jedoch die Originalität und Genauigkeit von Bohms Vorschlag, und heute ist die „Renormalisierung" des Elektronenverhaltens eine Standardanwendung in der Quantenmechanik.

    Eine Zusammenfassung von Bohms Veröffentlichung landete auf dem Schreibtisch von John Wheeler, der zu der Zeit an der Universität in Princeton lehrte. Der Einstein-Schüler erkannte die Tiefe von Bohms Einsichten und bot ihm eine Stelle als Assistenzprofessor an. Die Universität in Princeton arbeitete eng mit dem Institute for Advanced Study (IAS) zusammen, wo zahlreiche führende Wissenschaftler, Albert Einstein eingeschlossen, beschäftigt waren. Als Oppenheimer nach dem Zweiten Weltkrieg dort zum Direktor berufen wurde, entschloss

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1