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Swallowed: Die Entführung der Qualle
Swallowed: Die Entführung der Qualle
Swallowed: Die Entführung der Qualle
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Swallowed: Die Entführung der Qualle

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About this ebook

Postapokalypse, 2072: Eine Meute Tiefseepiraten entführt die renommierteste Wissenschaftlerin der sieben Tiefseemeere.
Gefangen auf dem schnellsten U-Boot der Tiefsee kämpft sie um ihre Freiheit. Wäre ihre Entführung nicht furchtbar genug, stehlen die Piraten Tatjanas Erfindung. Diese ist die einzige Möglichkeit nach dem Atomkrieg, um die Erdoberfläche erneut zu besiedeln.
Gelingt es Tatjana, ihren Traum vom Aufstieg an die Oberfläche zu verwirklichen? Oder versinkt sie mitsamt ihrer Erfindung in den Tiefen des Meeres?

Ein satirisch-dystopischer Roman für alle Liebhaber von faszinierenden Tiefseewelten, durchgeknallten Piraten und einer Prise Gesellschaftskritik.
LanguageDeutsch
Release dateMay 28, 2020
ISBN9783751946223
Swallowed: Die Entführung der Qualle
Author

Xavier Wilhelm

Der Autor Xavier schreibt von klein auf. Angefangen mit seitenlangen Abenteuerromanen überraschte er schon sehr früh seine Lehrer und Eltern in der Schulzeit. Für ihn stand schon sehr früh fest, Deutsch studieren zu wollen. Seit seinem Abschluss ist er begnadeter Lektor, der neben seiner Tätigkeit gerne schreibt und als Autor auf Poetry Slams und Lesungen unterwegs ist. Natürlich ist er auch derjenige, der bei der Überarbeitung immer den Rotstift schwingt. Die Liebe zu Büchern verschiedener Genres führte zur Entstehung seiner ersten Geschichten in jungen Jahren. Xavier liebt die Berge, das Meer und versinkt als Autor gerne in fantastischen Welten. Zu seinen größten literarischen Vorbildern zählen Douglas Adams, Michael Crichton und Jule Verne.

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    Book preview

    Swallowed - Xavier Wilhelm

    Inhaltsverzeichnis

    Erster Teil Die Entführung der Qualle

    Prolog: Wie Scienter hoffnungsvoll über den Mars rollte

    Die mystische fabelhafte Welt des Sarku Akula

    Wieso Frau Dr. Mądrość einen schlechten Tag hatte

    Spyra geht auf Jagd

    Yunus und sein piratisches Grundgesetz

    Beginn der Tour

    Sarku Akula bekommt einen Muffin

    Keine moralischen Fragen, bitte!

    Von ausgestorbenen Enten und monströsen strahlenden Pilzen

    Balu und seine Delfine

    Der Arsch im Torpedokeller

    Kowalskis stinkende Laune

    Auf der Brücke

    Letzter Brief

    Auf dem Weg zur Station

    Russischer Basar

    Die Überraschung

    Russischer Fugu

    Kneipenschießerei

    Die Flucht

    Die Transsibirische Unterwasserbahn geht auf ihre lange Reise

    Zurück an Bord

    Feuer frei!!!

    Ein hoffnungsloser Patient

    Frau Mądrośćs unglaublicher Plan

    Das Trinkgelage

    Die Leuchtkorallenwälder

    Ende Erster Teil

    Zweiter Teil Die unglaublichen Abenteuer der Tiefseepiraten

    Prolog: Warum Seehunde die besseren Hunde sind!

    Ring frei für die Krebse!

    In Akulas Quartier

    Der Pazifische Feuerring

    Ein gut gemischter Trunk!

    Russische Sehenswürdigkeiten

    Das Problem der Evolution

    Kuffi Kufffisch

    Korallenhaus gegen Korallenhaus

    Der Angriff

    Yunus trifft zum ersten Mal auf Sarku Akula

    Sarku badet Kniffi

    Keine Drogen, bitte!

    Die traurige Geschichte vom Kleinen Wal

    Neue Order

    Geschichten in einer Nacht

    Kyū Tama

    Des Menschen nächster Abkömmling

    Cuatro

    Merkwürdige Vorkommnisse

    Warum Kowalski immer schlecht gelaunt ist

    Das Schlammspringer-Experiment

    Gurami Kussani

    Echos aus der Vergangenheit

    Die Tiefseesternschnuppe

    Erster Teil

    Die Entführung der Qualle

    „Das ist das verrückteste, was wir jemals

    gemacht haben ...

    Die Bombe wird niemals hochgehen,

    und ich sage das als Bombenexperte."

    (William D. Leahy, Kommentar zur Atombombe, Anfang 1945)

    „I have the bigger Bomb!"

    (Ein amerikanischer Präsident über einen Social-Media-Kanal am Tag X.)

    Prolog:

    Wie Scienter hoffnungsvoll über den Mars rollte

    Eins vorweg: Diese Geschichte, die Euch in die tiefsten Untiefen dieser Welt entführen wird, beginnt an einer Stelle, wo man es am wenigsten erwarten würde. Zweifellos kein Ort, an dem man sich gewöhnlich seine Flasche Wodka mit guten Freunden teilen würde, da es hier so schweinekalt und bitterlich trostlos ist – eben eine reine Wüste dahinvegetierenden Sandes und rauer verwehender Asche.

    Unsere Geschichte beginnt auf dem Mars, nicht gerade deshalb, weil dieser Ort für unsere Handlung sonderlich wichtig ist, sondern aus reiner Willkür und plötzlich einsetzender Spontaneität. Zugegeben – ein Ort, der kaum unterschiedlicher zum Fleckchen unserer Erzählung gewesen sein könnte.

    Irgendwo in seinen rauen schmucklosen Dünen schauten drei Aluminiumräder aus dem Sand heraus, die an eine Zeit erinnerten, als die Nachfahren sich ehemals lausender Affen Raumsonden zu ihrem kosmischen Nachbarn schickten, um diesen zu erforschen. Dieses sinnlose und auch sehr sonderbare Unternehmen war in einer Welt, in welcher sich die führenden Herrscher dieser Primaten um jeden Liter fossilen Brennstoffs stritten, kaum nachvollziehbar gewesen.

    Noch sonderbarer war nur das Bemühen, die damals existierende Gemeinschaftswährung zu retten, die wie eine braune Banane, die ihre besten Tage bereits hinter sich hatte, zu faulen und müffeln begann. Der darauf folgende Knall war schon längst überfällig gewesen, und alles Leben auf der Erde kehrte zu jenem Zeitpunkt zurück, als man die Ursuppe gerade neu ansetzte und sie zum ersten Mal umrührte.

    Auf dem Land war dies jedenfalls so.

    Und angenommen, wir hätten jetzt ein großes Teleskop auf dem Mars greifbar in unseren Händen und würden es in Richtung Erde richten, so würden wir eine graue, wolkenumhüllte und lebensunfreundliche Kugel im stillen All ausmachen, die kaum noch an das Blau ihrer tiefen sieben Weltmeere erinnerte.

    Aber zurück zum Mars, zurück zum Rover. Dieser Rover war in der Tat was ganz Besonderes, da er mit seinem Massenspektrometer in der Lage war, kleinste organische Verbindungen ausfindig zu machen.

    Hey, hey! Aufwachen, lieber Leser, wir reden hier immerhin von der Vorstufe allen Lebens, also wäre hier ein wenig Euphorie angebracht!

    Doch leider fand Scienter keine einzige Spur von Leben, Milliarden von imaginären Dollarnoten der Wall Street wurden sprichwörtlich in den Marssand gesetzt.

    Nehmen wir jedoch an, rein hypothetisch, in diesem Buch findet sich der freilich unwichtige Beweis, dass es Leben auf dem Mars gibt, Scienter war nur zu dämlich oder besser gesagt technisch zu unausgereift. Natürlich stellt sich die Frage, wie dieses Leben aussehen würde.

    Doch Moment Mal! Was ist denn das, was gerade an der Radkappe des Rovers emporklimmt und sich nun in der Profilrinne voranrobbt? Ach du heiliger Żubrówka! Ein kleiner, dünner Wurm! Damit dürfte der Beweis für Leben auf dem Mars (zumindest in diesem Buch) erbracht sein. Die Frage, die ich mir nun gerade aus bloßer Willkür stelle: Ist es der Wurm, oder sind es die Affen, die wir als primitiv bezeichnen müssten? Prost!

    Die mystische fabelhafte Welt des Sarku Akula

    Und wir tauchen hinab, hinein in eine Welt, die Ihr Euch in Eurem besten Suff nicht hättet vorstellen können. Als hättet ihr zu tief ins Glas geschaut, nehme ich Euch nun hinein in die unseligen Tiefen, aus denen Ihr so schnell nicht wieder herauskommen werdet. In einer ominösen sphärischen Welt, zu der kein Licht mehr hindurchdringt, weil jene Wolkendecke zu dicht und beständig geworden ist und sich schon seit Jahren nicht mehr geöffnet hatte.

    Doch wir befinden uns mittlerweile tief im Wasser, also dort, wo das Leben selbst in völliger Dunkelheit und erdrückender Tiefe die Zeit überdauern konnte. Und selbst wir, die Nachfahren kleiner stinkender Affen, die einst von den Bäumen herunterbaumelten, und Städte, Völker und Starbucks errichteten und diese wegen allerhand Meinungsdifferenzen wieder niedertrampelten, überlebten in jener Brühe, aus der wir uns einst als kleiner Fisch an Land wagten.

    Dabei war es doch immer die Tiefsee gewesen, die auf uns diesen gewissen Reiz ausgeübt hatte, galt sie lange doch als noch weniger erforscht als das weite Universum. Lange war es nämlich unmöglich gewesen, so tief mit mechanischem Gerät zu tauchen, ohne hierbei wie eine Konservendose auf Papierdicke zusammengedrückt zu werden. Wir Menschen sind eben nicht dafür gemacht und gedacht gewesen, in jener Suppe umherzupaddeln, der wir unser Dasein zu verdanken hatten, als irgendwann ein kleiner Fisch an Land robbte und Affe wurde.¹

    Und gleichzeitig ist es nun unsere letzte Wiege, aller Ironie zum Trotz. Es ist, als hätte uns das Meer verschluckt. Doch gewissermaßen ist es hier nicht so trostlos und leblos, wie man es sich vorgestellt hat, auch wenn böse Zungen gern was anderes behaupten. Mit dem richtigen Pegel kann es hier sogar ganz schön sein. Beispielsweise dann, wenn man aus dem Bullauge seines Unterwasserfahrzeugs hinausblickt und stundenlang dem facettenreichen Schauspiel der Biolumineszenz nachgeht. Das grünlich-grelle Lichtspiel der Quallen, Fische, Sepien und sonstigen prähistorischen Getiers kann – je nach Pegel – einen ganz schön in diffuse Stimmungen versetzen. Deshalb empfehle ich dies nicht, wenn man schon mehrere Becher intus hat.

    Doch inmitten dieser Dunkelheit lebt das wohl anmutigste wie auch schrillste Ungetüm, das durch die sieben Weltmeere treibt. Manche sagen, es ist so mysteriös und absonderlich wie das geheimnisumwitterte Leuchten der Tiefsee-Vespenquallen, obgleich auch genauso gefährlich. Andere vergleichen dieses mystische Geschöpf mit der Seltenheit jener Tiefseekalmare, die lange Zeit als Seemannsgarn abgestempelt wurden.

    Bei unserem gesuchten Wesen handelt es sich um einen ganz seltsamen Fisch, vielleicht den schillerndsten Fisch des gesamten Weltmeeres, den wir wissenschaftlich zur Art Sarku Akula rechnen. Diese Art, so vermuten wir, existiert bislang nur in einem einzigen gewitzten Exemplar, das alle sieben Weltmeere unsicher macht. Jener, der eine Begegnung mit dem Sarku Akula hatte, kann froh sein, wenn er mit seinen Liebsten noch einen Schluck Brandy oder Wodka genießen konnte. Die Lebensgewohnheiten eines Sarku Akulas sind dermaßen unbekannt, dass man zu Recht schon von einem kryptischen, fast schon glorifizierten Wesen sprechen kann, von dem man Kindern Gute-Nacht-Geschichten erzählt. Die Kinder fragen daraufhin immer hibbelig: »Mami, Mami, wo ist denn der Sarku Akula?«, – woraufhin in der Regel immer »Irgendwo da draußen, Kleines!« als Antwort ertönt.

    In den Weltmeeren ist der Sarku Akula berüchtigt, und wenn hartgesottenen Seemännern auf einmal die Knie beben und sie so zerbrechlich wie eine Weichkoralle werden, dann weiß man, dass sie gerade den Sarku Akula gesehen haben.

    Eines ist jedoch hinreichend durch die zahlreichen Angriffe im Hinblick auf seine Lebensgewohnheiten belegt: Der Sarku Akula hat eine starke, geradezu bindende Affinität zum spirituosen Konsum entwickelt. Auffallend ist nämlich, dass jedes Schiff den mystischen Sarku Akula damit besänftigen konnte, indem es seine hochprozentige Ladung über Bord warf. In letzter Zeit mehrten sich deshalb Berichte, bei dem Sarku Akula handele es sich um den größten Säufer im gesamten Tierreich.

    Und von ihm handelt diese Geschichte …


    1 Es ist wohl ziemlich gesichert, dass ein bärtiger fetter Mann namens Darwin sich bei diesen Worten noch im Grab seelisch verbogen hätte, wenn er dies hören würde.

    Wieso Frau Dr. Mądrość einen schlechten Tag hatte

    Lade Systemfiles ...

    Aufbau des Langstreckenkommunikationskanals

    Tiefsee-Forschungsschiff Qualle ...

    Letzte übermittelte Position

    ... 48°51‘54.27"S

    ...153°24‘29.07"E

    Tiefe ... 4674m

    Status ... Antwort ausstehend…

    Dunkelheit und Stille. Zwei Worte, die ausreichen würden, um mühelos jene Finsternis zu beschreiben, die sich bereits zweihundert Meter unterhalb des Meeresspiegels vor dem Bullauge ausbreitete. Ab hier tauchen wir hinab ins zungenbrecherische Mesopelagial, die erste Ozeanzone, in die kein Sonnenlicht hindurchbrechen würde, wenn es denn vorhanden gewesen wäre. Jedoch haben die Wolken, die den Planeten Erde wie einen staubigen Mantel umgaben, schon lange dafür gesorgt, dass kein Funken Licht den Erdball mehr erreicht hat. Und genauso lange hatte der Mensch es nicht mehr gewagt, das Schattenspielchen zu beenden und aus der Tiefsee an Land zurückzukehren.

    Irgendwo im östlichen tieferen Teil des Indischen Südpolarbeckens, welches ziemlich nahe an der Antarktis gelegen war, konnte man heute raue motorisierte Geräusche im Wasser vernehmen, die jeden dümpelnden Schlafhai aus den Träumen gerissen hätten. Das Zentrum dieser tosenden Maschinerie lag bei ungefähr 4674 Metern. Wäre man in diesen Tiefen seinem Fischalltag nachgegangen, so wäre man heute wohl zur falschen Zeit am falschen Ort geschwommen. Viele primitive Fische hatten ab solchen Tiefen nur noch sehr primitive Augen; bei manchen Tieren hatten sich die Augen zu kleinen unbeweglichen Punkten zurückentwickelt, die das Sehen nur noch rudimentär möglich machten. Das Sehen beschränkte sich hierbei auf zwei Dinge: hell und dunkel.

    Farbsehen? Fehlanzeige! Die Dunkelheit, oder besser ausgedrückt: „Das große Nichts!", nahmen die Augen hierbei in der Regel in 99 Prozent der Fälle wahr.

    Das Dasein als kleiner Tiefseebewohner war zugegebenermaßen recht finster, trostlos und grau. Das Einzige, worauf man sich verlassen konnte, war eine gute Nase, die einen zielsicher zum nächstbesten Tiefseebüfett leitete. Und hätten die Fische in der Tiefsee philosophische Ansichten vertreten, so hätten sie sich bestimmt die ganze Zeit hypothetische Fragen gestellt: »Oh, es ist so dunkel. Was ist das vor meiner Nase, was so lecker nach Schillerlockenfilet riecht? Ich kann es riechen, und es schmeckt gut! Aber wie sieht denn mein Schillerlockenfilet nun aus? Ist es genauso dunkel wie alles andere hier? Ist alles dunkel und schwarz, was ich rieche? Ist alles rein nichts, aber es schmeckt gut? Oder gibt es da draußen noch etwas anderes außer Dunkelheit und gut schmeckendem Nichts?«

    Diese Fragen hätte sich kaum ein Fisch beantworten können, weil er eben nichts anderes kannte als das Schwarz vor seinen Augen. Und trotz alldem, manchmal gab es einen kleinen grellen Blitz, der selten von den Rezeptoren unserer kleinen Fische aufgefangen wurde und von der leuchtenden Biolumineszenz eines anderen Tieres stammte. Hier herrschte für Tiefseefische folgende Devise: »Wenn es Bling-Bling vor einem macht, musste man zuschnappen, ansonsten entgingen einem leckere Fischstäbchen und Krabbenchips.«

    Zu diesen Momenten zählte man das eine Prozent des hellen Sehens, für die das zurückentwickelte Auge auch noch zuständig war.

    Doch heute änderte sich alles in den kleinen überschaubaren Leben der fast schon blinden Fische. Es war wie eine plötzlich einsetzende Apokalypse. Ein Lichtkegel, der aus der Tiefe emporstieg, zwang schlagartig die schemenhafte Dunkelheit in die Knie. Alles strahlte auf einmal hell, als hätte jeder Kubikzentimeter Tiefseewasser plötzlich unter den Halogenstrahlern eines Seziertisches Platz genommen. Und für jeden Fisch, jede Qualle, Tiefseemilbe, Borstenwurm und Co. stand plötzlich die Welt auf dem Kopf, als jene schaurige Helligkeit die hoffnungslos beschränkten Sinnesorgane der Tiere in eine reine Ekstase versetzten.

    Von jeglichen Reizen völlig überflutet, fingen die Meeresbewohner plötzlich an, sich im Kreise hin und her zu rollen und im Wasser elanvolle Flickflacks und Purzelbäume zu schlagen. Andere hingegen begaben sich mottenhaft auf die Suche nach dem Licht und knallten kurzerhand gegen eine weiße, harte Metallwand, was jedes Mal einen hässlichen matschigen Fleck hinterließ.

    Eine spektakulär große und vielleicht deshalb so unheimliche Qualle schwebte durch das Nichts der Tiefsee. Ihre Tentakel wanden sich zu einem grell-leuchtenden Knäuel zusammen, der vom Schirm mitgezogen wurde. Der Schirm pulsierte, und mit jeder Kontraktion trieb das Objekt ruckartig nach vorne. Obwohl es den Anschein hatte, rein biologischer Natur zu sein, lag man mit dieser Einschätzung richtig daneben. Es war etwas anderes, Anorganisches und Mechanisiertes. Ein riesiges Unterseeboot in Quallenform, ein Wolf im Schafspelz, oder besser gesagt ein Seewolf in Quallengelatine. Und mit diesem Schiff sollte unsere feucht-fröhlich-nasse Geschichte beginnen.

    Auf dem Deck dieses Schiffes, irgendwo zwischen Brücke, Kombüse und Aufenthaltsraum, saß eine junge Frau in ihrem Quartier und schrieb mit einer alten Feder in ein Tagebuch:

    12.12.2072: Vielleicht mein letzter Eintrag

    Wir sind nahe am Ziel, zu dem wir die ganze Zeit hinwollten. Die Antarktis in nicht mehr weit, und wir können damit anfangen, eine Schuld zu begleichen, die wir selbst auf uns geladen haben. Die Welt hat sich gewandelt, doch wir stehen am Rande eines Wendepunktes. Vielleicht ist es möglich, jene Fehler auszubügeln, damit uns unsere Kinder nicht fragen werden, wieso wir unser Schattentreiben in der Tiefsee stiften. Lange Zeit habe ich mich gefragt: Wie sieht es da oben aus, an Land? Schließlich kenne ich nur das Wasser beziehungsweise den wankenden, bebenden Boden eines U-Bootes oder einer Unterwasserstadt. Doch was Land ist, in Form von Oberfläche, das weiß ich nicht, davon träume ich. Genauso frage ich mich, was Sonnenlicht ist. Ist es dasselbe Licht wie dieses, das mir gerade aus meiner Dampflampe entgegenscheint? Oder ist es was anderes? Mein Vater sagt, es soll warm sein, man kriegt davon, wenn man zu lange in ihm liegt, eine rote brennende Haut. Ich bin mir sicher, wir sind ganz nahe dran, den ersten Schritt aus unserem Graben herauszuwagen, in den wir uns vor der kosmischen Katastrophe verzogen hatten. Als die herrschenden Tyrannen niemals damit rechneten, dass eines Tages die Apokalypse vom Zaun brechen und eine gewaltige Feuersbrunst über den Erdball hinwegfegen würde, gingen einige, die noch bei Menschenverstand waren, einen Schritt zurück und verkrochen sich in unser tiefes Refugium. Mit Sicherheit, eine kosmische Katastrophe wie zu Zeiten der Dinosaurier war es beileibe nicht. Immerhin hatten wir unsere eigenen Kometen bereits zur Genüge auf der Erde, wahrscheinlich mehr, als in unserem Sonnensystem ihre Bahnen zogen. Im Schatten der Despoten, falschen Demokraten und Tyrannosauriern, die wie wild um jeden Zentimeter Erde rangen, grenzte es schon fast an ein Wunder, dass wenigstens ein Teil von uns überlebte. Doch vielleicht ändert es sich, vielleicht kriechen wir wieder hoch. Wir werden so aufs Land gehen wie der erste Ichthyostega. Hoffentlich kriege ich keinen Sonnenbrand.

    Mądrość

    Sie legte den Stift beiseite und verließ ihr spartanisch beleuchtetes Quartier. Ein Lastenaufzug katapultierte sie kurzerhand auf Ebene eins. Ihr Quartier befand sich in den zusammengewundenen Tentakeln des Schiffes, die aus einzelnen Modulen bestanden und in der Regel als Wohneinheiten fungierten. Je mehr Passagiere an Bord der Qualle waren, desto länger wurden die Tentakel. Der Schirm des Schiffes auf Ebene eins war die Zentrale, in der alles ineinanderlief und die somit das Herzstück des Schiffes ausmachte. Hier befand sich eine kleine Brücke, die jedoch selten manuell bedient wurde, da der Computer sämtliche relevanten wie auch die unliebsamen irrelevanten Aufgaben übernehmen konnte. Die Forschungslabore waren wesentlich wichtiger, allein schon wegen der mitgeführten Sonden und Gerätschaften, die für sämtliche wissenschaftliche Analysen von fundamentaler Bedeutung waren. Allerdings waren einige Kammern hinter einer riesigen Metallplatte verschlossen und somit vor jeglichem Zugriff geschützt.

    Mądrość – deren Namen keiner auszusprechen wusste – dachte an diesem Morgen, während sie genüsslich am Rundtisch im Aufenthaltsraum einen grünen Tee genoss, dass dies alles den Sicherheitsbestimmungen entsprach. Jedoch bremste dieser Gedanke kaum ihre Ungeduld. Denn irgendwo hinter einer dieser verschlossenen Sicherheitstüren schlummerte etwas, bei dem jeder Wissenschaftler schnell wieder zu einem aufgeregten, ungeduldigen Kind werden würde. Anders ausgedrückt: Es war wie kurz vor Weihnachten. Man wusste, dass in einem Zimmer der Tannenbaum mit den Geschenken stand, aber man musste warten, bis die Sonne unterging. Leider konnte man sich nicht wie an Weihnachten kurz vor die Türschwelle stellen, um mal eben einen vorsichtigen Blick ins Zimmer (unter den Tannenbaum) zu erhaschen, gerade wenn mal die mürrische Tante nicht hinsah.

    Auch Mądrośćs Ungeduld spielte verrückt. Sie wollte so unbedingt, aber sie konnte nicht. Auf dem Rundtisch lagen noch vom letzten Abend eine ganze Reihe entkorkter Spirituosen, die die letzte Nacht gerade noch so überlebt hatten. Einige von diesen waren sogar recht wertvoll und würden jegliches Sammlerherz höherschlagen lassen, vor allem der erst vor kurzem geöffnete Johnnie Walker und der Gorbatschow-Wodka.

    Ihr Vater gesellte sich plötzlich zum Frühstück hinzu, ein alter, aber sehr gelehriger Mann, den nichts auf der Welt beunruhigen konnte. Mądrość erzählte immer gern, wie sehr er einem Felsbrocken ähnelte. Egal, ob eine stürmische Brise oder eine starke Flut über ihn hereinbrach, er würde nie auch nur einen Zentimeter ins Wanken geraten.

    Auch Nedrey, Sascha und der stinkende Philipp saßen am Tisch. Somit war auch das Forscherquintett komplett. Dazu kamen noch drei namenlose Techniker, die an Bord ein Dasein wie vergessene Kellerkinder fristeten und dafür sorgten, dass das Schiff nicht in seine Einzelteile auseinanderbrach, was durchaus schon auf Booten passierte, wenn keine Nerds an Bord waren.

    Den letzten Teil der ohnehin schon überschaubaren Crew, machten zwei Nautiker aus, die sich lediglich darum bemühten, dass der Autopilot ordnungsgemäß funktionierte, wobei sie die meiste Zeit der Expedition nur dasaßen und dabei grünen Tee mit Wodka für alle mischten.

    Die Leitung des Unternehmens hatte Mądrośćs Vater inne. Gesponsert wurden sie von Cherry², einem zeitgenössischen Großunternehmen, das sein Geld in der Vergangenheit durch den Verkauf von statussymbolträchtigen Mobiltelefonen gewonnen hatte, die von aller Welt damals für ausgesprochen cool und prestigeträchtig gehalten wurden. Das Logo von Cherry war deshalb allgegenwärtig auf dem Schiff zu sehen. Eine kleine schrumpelige, blutrote Kirsche, aus deren fruchtiger Haut sich ein kleiner gefräßiger Wurm herausfraß, und der sich verführerisch, paradiesisch und bedrohlich zugleich um den Stiel schlängelte.

    Auch wenn Cherry nicht gerade das beste Unternehmen für eine wissenschaftliche Expedition war und dies wohl auch nur aus eigenen finanzorientierten (und marketingtechnischen) Interessen tat, war sich Mądrość bewusst, dass sie ohne Cherry nie so weit gekommen wären. Denn welche Forschung wurde heute nicht ohne die Milliarden eines schweren Geldsackes realisiert? Immerhin hatte es auch seine Vorzüge, vom reichsten Unternehmen der sieben Weltmeere gesponsert zu werden. Vor allem Cherry verstand es, die Inneneinrichtung edel, bequem und luxuriös zu halten. Das Einrichtungsequipment hatte ausnahmslos diesen glänzenden weißen Touch, den man so gut aus dem Cherry Store kannte. Auf diese Weise ließ es sich in der Tat gut leben, pardon, forschen natürlich.

    Allerdings war heute kein gewöhnlicher Tag. Denn nicht nur die Fische da draußen erlebten heute ihre persönliche Apokalypse. Manchmal war es unvermeidbar, dass Dinge passierten, die man sich nicht erklären konnte und bei denen man sich im Nachhinein fragte, ob diese nicht irgendwie zu verhindern gewesen wären. Diese Frage, eins vorweg, wird sich Mądrość die folgenden Tage öfters stellen.

    Es geschah, als Mądrość gerade dabei war, sich den Tagesplan am Tisch durchzulesen. Sie dachte hierbei gleichzeitig über so vieles nach: Nur noch wenige Stunden, dann können wir endlich mit dem Countdown beginnen, dachte sie, die Tore von Forschungslabor 001 werden sich öffnen, und es wird endlich Weihnachten sein.

    Wäre da nicht dieser pfeifende Knall gewesen.

    Erst weit entfernt, unverhofft, aber dann näher kommend, traf die Druckwelle auf die Außenwand des Schiffes, pflanzte sich von dort aus wellenartig durch jede Sektion fort und ließ alle an Bord zusammenzucken. Ein Ping – wie aus einem Katz- und-Maus-U-Boot-Thriller – hatte sich geradewegs durch das Schiff gezogen.

    Irgendetwas hatte sie erfasst.

    Verwirrt sahen sich alle im Aufenthaltsraum an. Zuerst dachten alle an eine ganz harmlose, natürliche Ursache. Des Öfteren war es schon vorgekommen, dass andere Schiffe sie mit ihrem Sonar getroffen hatten, und selbst wenn das nicht der Fall gewesen war, gab es da noch die Tiefseemonster, die Ultraschallwellen ausstoßen konnten, die ähnliche Geräusche verursachten.

    Dummerweise war die Anwesenheit von anderen U-Booten mehrere tausende Kilometer von der Unterwasserstadt Magellan nicht anzunehmen gewesen.

    Dann wahrscheinlich doch die Tiefseeungeheuer.

    Also kein Grund zur Panik.

    Nicht lange dauerte es jedoch, bis eine erneute Druckwelle jenes schrille Piepsen hervorrief, das man so gut aus alten U-Boot-Filmen kannte, wenn Menschen eingepfercht in ihrer Stahlbuchse vom Sonar eines Kriegsschiffes erfasst wurden.

    Wieder ertönte der Ping, der Mądrośćs Herz pochen ließ. Das Schlimme an der ganzen Sache war der Umstand, dass der Ping plötzlich wesentlich häufiger und schneller frequentiert zu sein schien. Schon bald schien es, als würde man ein Muster heraushören, welches keinem geheuer war. Nach einer schnellen pfeifenden Lautfolge wurden die Töne im nächsten Moment dumpf und plätscherten dann nur noch vor sich hin. Die Lautfolge schien zu wechseln, kurz zu pausieren, nur um dann wieder von neuem zu beginnen.

    Erst langsam und dumpf, dann schrill und rasend.

    Mądrośćs Vater ging zum Computer-Terminal und versuchte, die Lage des Signals zu lokalisieren. »Signal kommt aus nord-östlicher Position. Befindet sich quasi hinter unserer angesetzten Route. Distanz ist recht nah, weniger als eine Unterwassermeile. Es ist aber sehr schwach. Wenn wir weiter in südlicher Richtung fahren, werden wir es bald verlieren.«

    »Ein Signalband bestehend aus einer Abfolge von kurzen und schnellen Tönen«, stellte Mądrość fest. »Wahrscheinlich ausgelöst durch ein Fächersonar.«

    »Menschlichen Ursprungs«, ergänzte der Vater. »In einer Passage der Tiefsee, wo wenig bis gar nichts los ist, wo man selbst dem Krill mit dem Hydrophon beim Schmatzen zuhören kann.«

    »Nach Informationen des amerikanischen Tiefseekonsulats sollten wir hier eigentlich allein sein«, bemerkte einer der Nautiker vom Tisch, während er gedankenverloren sein Brot mit grünlicher Algenpastete beschmierte.

    Wieder traf das Signal auf die Qualle

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