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About this ebook

Seine Freundin beschließt, ein neues Leben als Model zu beginnen - ohne ihn. Sein Vater will, dass er statt BWL-Studium und entspanntem Leben in Hamburg dessen Zahnarztpraxis in Salzgitter übernimmt. Seine hübsche Untermieterin scheint auf Frauen zu stehen, sodass romantische Tagträume an der kalten Realität zerschellen. Kein Studienabschluss, keine Freundin, keine Kohle. Ob im Visier der Bundespolizei oder spätes Erwachen auf dem Behandlungstisch eines Veterinärs - Tom Scharf fliegen die Arschkarten rechts und links nur so um die Ohren. Bis ihm ein rauchendes Känguru und Lady Gaga den Weg weisen.
LanguageDeutsch
Release dateJun 10, 2020
ISBN9783751912402
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Author

Carsten Eicke

Carsten Eicke wurde 1967 in der Löwenstadt Braunschweig geboren und läuft zufällig auch mit demselben Sternzeichen herum. Ansonsten ist er Comedy-Autor und schreibt überwiegend fürs Fernsehen. Zunächst schrieb er für "Die SAT.1-Wochenshow". Danach folgten "7 Tage - 7 Köpfe", "Mensch Markus", "Versteckte Kamera" und "Die Comedyfalle". Außerhalb des Fernsehens tobt er sich mit Standup-Programmen und Buchprojekten aus. Er spricht fließend Deutsch, Englisch und Schwedisch, macht einen Killer-Caesar´s-Salad und schmutzt nicht. Viel Zeit verbringt er in Schweden, umarmt Bäume und macht sie zu Papier, falls das Notebook wieder mal ins Wasser gefallen ist und zum Trocknen überm Feuer hängt.

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    Arschkarten-Abo - Carsten Eicke

    Der Autor

    Carsten Eicke wurde 1967 in der Löwenstadt Braunschweig geboren und läuft zufällig auch mit demselben Sternzeichen herum. Ansonsten ist er Comedy-Autor und schreibt überwiegend fürs Fernsehen. Weil Brainpool ihn irgendwie lustig fand, schrieb er zunächst für „Die SAT.1-Wochenshow. Danach folgten „7 Tage – 7 Köpfe, „Mensch Markus, „Versteckte Kamera und „Die Comedyfalle". Außerhalb des Fernsehens tobt er sich mit Standup-Programmen und Buchprojekten aus. Er spricht fließend Deutsch, Englisch und Schwedisch, macht einen Killer-Caesar’s-Salad und schmutzt nicht. Viel Zeit verbringt er in Schweden, umarmt Bäume und macht sie zu Papier, falls das Notebook wieder mal ins Wasser gefallen ist und zum Trocknen überm Feuer hängt.

    Weiteres Buch von Carsten Eicke:

    Der Fuffziger-Codex - Geheime Regeln für alte coole Kerle

    „Ich bin gerade dabei, meinen nächsten Schritt

    in die Zukunft zu gehen."

    „Heiraten, dick werden, Kinder kriegen?"

    „Genau. Was sind deine Pläne?"

    „Die gleichen. Nur ohne heiraten, dick

    werden oder Kinder kriegen."

    Tom Scharf

    Inhaltsverzeichnis

    Back to the Vergangenheit

    Nichts wie weg

    Plastikbrötchen an der Tankstelle

    Tom allein zu Haus

    La femme torture

    Eine Hochzeit und ein Todesfall

    Schnittchen und Gürkchen mit Star-Factor

    Ein Viertel der Weltbevölkerung mit dem Namen Helena

    Schöner Wohnen mit Müll

    Die Wohnungsbesichtigung

    Bienvenidos a Miami!

    Sunny six feet under

    Von Onkeln und Tanten

    Speed

    Hamburg, meine Perle

    Home, sweet home

    Der Grillabend

    Skippy ist tot – es lebe Skippy!

    Kurzschluss-Karaoke

    Katerstimmung

    Ich bin ein Star, holt mich hier nicht raus!

    Alles auf Anfang

    Ein Freund, ein guter Freund

    Ein Bett im Kornfeld

    Wie ein Elefant in einer Porzellankiste

    Bienes buntes Ballaballa- Brötchen-Bistro

    There is Hope!

    Polternd in Salzghetto

    True

    Glück ist…

    Goldene Zeiten

    Die Hochzeit

    Back to the Vergangenheit

    Wie, was mache ich so? Mich gepflegt langweilen, das mache ich. Erste Symptome: Arschbrennen vom Plattsitzen und fortschreitende mentale Lähmung. Die altdeutsch holzfurnierte Veranstaltungsgruft im „Gasthof zum König" und ein schwitzender Paul Kuszmarek mir gegenüber machen das alles nicht besser. Überall im angemieteten Saal haben sich Grüppchen gebildet, um über die guten alten Zeiten zu reden – die eigentlich für gute alte Zeiten nichts taugen, da sie erst fünfzehn Jahre her sind. Wir sind da alle schon in Farbe rumgelaufen.

    Geschlagene zwei Stunden höre ich mir nun schon von wechselnden, ehemaligen Mitschülern geschönte Lebensläufe an: Männer, Ehefrauen, Scheidung, Wohnwagen, Gartenlaube. Mein Haus, mein Auto, mein dicker Bauch; dazu Mörderkonversationsstücke wie ‚Ist das etwa der Jan-Sören aus der Parallelklasse – nein! Das glaub ich jetzt nicht‘. ‚Rülpst Beate immer noch, wenn sie lacht?‘ und ‚Gibt es ein Leben nach dem Tod?‘

    Nein, okay, die letzte Frage nicht. Obwohl die immerhin zu einer halbwegs interessanten Diskussion führen könnte, während Paul mich nonstop zutextet und mir einseitig die Welt erklärt. Im Moment fühlt es sich so an, als ob ich gleich in ein mittelschweres Wachkoma fallen werde. Ich hoffe natürlich, dass ich hier lebend rauskomme. Kann aber immer noch passieren, dass ich mich vors kaltwarme Büfett stürze und tottrampeln lasse.

    Wenn mir schon keiner die Frage stellt, dann muss ich es wohl tun: Was zur Hölle mache ich hier? Niemand hat mich gezwungen. Man weiß doch, was bei Klassentreffen abgeht: Immer wieder muss man bunte, actionreiche Schwänke aus seinem Leben erzählen und immer wieder muss man sich aufgepumpte Belanglosigkeiten anderer anhören. Was natürlich die Frage aufwirft, wie interessant das eigene Leben auch für andere ist. Schulzeit und die eigenen Zwanziger reloaded.

    Paul hat sein Gebrabbel eingestellt und guckt mich erwartungsvoll an. Ich winke lässig Richtung Menschengewühl an der Tür und tue so, als hätte ich jemanden unglaublich Wichtigen gesehen. Irritiert schaut Paul in die gleiche Richtung. Ach so, ja. Was ich so mache? Also, ich bin der Manager von Adele und demnächst gehe ich mit ihr wieder auf Welttournee. Nächstes Jahr werden wir uns ein Haus kaufen und weitere Kinder kriegen.

    Nein, haha, ganz so glamourös ist mein Leben natürlich nicht, aber glücklicherweise bin ich ja der jüngste deutsche UNO-Gesandte in New York und für die Seuchenbekämpfung bei der Weltgesundheitsorganisation zuständig.

    Quatsch, jetzt aber die Wahrheit und nichts als die Wahrheit: Ich bin Raketenwissenschaftler und habe den Doppel-Warp-Antrieb für die neue Marsmission der NASA entwickelt.

    Die wirkliche Wahrheit will ich eigentlich nicht zum Besten geben, aber irgendwas muss ich ja sagen, denn Paul hier gegenüber schaut mich weiterhin mit seinem runden, dickbackigen Gesicht erwartungsvoll an. Seine Frisur sieht immer noch aus, als hätte jemand mutwillig überall Ecken reingeschnitten. Und dieses Unentspannte, was er schon damals hatte, ist auch immer noch Teil seines durchschnittlichen Daseins. Zehn Jahre sind seit dem Abi ins Land gegangen, aber gerade ist mir wieder eingefallen, dass er mir früher schon auf die Nerven ging. Wie eine Klette hing er immer an einem, wollte grundsätzlich alles bis ins kleinste Detail wissen. Soll ich ihm erzählen, dass ich mit meinem Studium fast fertig bin? Dass ich nur noch zwei Scheine brauche und dann ganz groß Karriere mache? Ganz bestimmt. Also höchstwahrscheinlich.

    „Ich studiere BWL und mache was mit Medien, antworte ich nun und nippe an meiner Cola. „Ist unglaublich interessant, weil man mit total vielen Menschen zusammenkommt.

    „Aha."

    Wie aha? Das ist doch super!

    „Und wie lange brauchst du noch?", fährt er fort.

    Geht dich gar nichts an.

    „Das müssen doch bis jetzt auch schon…, murmelt er gedankenverloren vor sich hin, während von seinem Kopf die Schuppen leise aufs blaue Boss-Poloshirt rieseln, „…so roundabout achtzehn Semester gewesen sein.

    Korrekt. Ich arbeite eben sehr sorgfältig. Außerdem waren da noch der drei Semester lange Irrweg ins Psychologie-Studium und die zweimonatige Ausbildung zum Mixologen an der Barkeeper-Schule in Palma de Mallorca. Ich mache jetzt einen super Sex on the Beach. Und der Cocktail ist auch ganz gut. Kleiner Scherz. Meine Eltern wissen weder vom Psychologisieren noch von der Bartender-Lehre etwas. Und deswegen wird auch ein Paul Kuszmarek nichts davon erfahren.

    „Oder hast du zwischendrin noch was anderes gemacht?", bohrt er weiter.

    Ja, schon, die vier Jahre Tauchlehrer in einer Club Med-Anlage in Punta Cana in der Dominikanischen Republik. Sonnenschein, Partys und kurzweiliges Entertainment für Körper und Seele. Sozusagen Murmeltiertag mit animiertem Freizeitprogramm in der Karibik, jeden Tag aufs Neue. Ich gebe zu, das hat mich auf dem Weg in meine immer noch nicht begonnene Karriere etwas Zeit gekostet. Meinten wohl auch meine Eltern, als sie die berechtigte Frage stellten, ob das denn mit dem BWL-Studium bei mir auch noch mal was wird und wie weit ich denn sei. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

    „Ich arbeite neben dem Studium in einem großen Verlag", antworte ich schließlich knapp.

    „Interessant. In welchem denn?"

    Geht dich ’nen Scheißdreck an. Glücklicherweise denke ich es nur und bleibe nach außen ein charmanter Klassentreffen-Wegplauderer. Ich weiß ja selbst, dass das alles nicht optimal läuft und ich mir manchmal im Weg stehe. Ich hätte schon längst fertig sein sollen. Schon lange. Aber irgendwas ist ja immer.

    „Tom, kannst du kurz?", schiebt sich plötzlich Sina von der Seite ins Bild. Yes! Yes, we can! Mit ihrer schwarzen Jeans, dem einfachen orangen Top und der anthrazitfarbenen Strickjacke wirkt sie, als ob sie gerade aus dem Büro gekommen ist, aber ansonsten hat man bei ihr nicht das Gefühl, dass zehn Jahre vergangen sind. Ihr Gesicht strahlt wie eh und je. Unsere ehemalige Klassensprecherin ist meine Rettung. Fast wie damals, als unser cholerischer Chemielehrer Dr. Vonderheide wegen meines ständigen Zuspätkommens den Bunsenbrenner nach mir geworfen hatte. Sinas astreine Rückhand mit dem Diercke-Weltatlas lenkte das Ding direkt weg von meinem Kopf durchs offene Fenster, wo das Teil die Konrektorin Mathiessen vom Fahrrad schoss. Einer der geilsten Tage meiner gesamten Schulzeit.

    Blitzartig springe ich vom Tisch auf.

    „Tschuldige, Paul. Sina braucht mich, wie du siehst."

    Es gibt also doch einen Gott, der mit kleinen Gesten eingreift, während er ansonsten die Menschen vergeblich davon abhalten will, diesen Planeten in den Weltraummülleimer zu werfen.

    „Aber komm wieder, mahnt Paul. „Ich muss dir unbedingt noch erzählen, wie ich bei der Salzgitter AG ins Projektmanagement gekommen bin. Total irre, du!

    Ja, darauf wette ich, aber ich will es nicht hören. Also nichts wie weg hier. War ’ne Schnapsidee, hierherzukommen.

    Erleichtert trotte ich Sina hinterher. Sie war eigentlich schon immer eine Nette. Nicht übermäßig hübsch, nicht übermäßig pfiffig, aber dafür unter den Top Ten in der Rangliste des örtlichen Tennisvereins. Gut, dass sie damals ihren Aufschlag perfektioniert hatte. Das ersparte mir ein Bunsenbrennertattoo auf der Stirn und meinem Chemielehrer eine Anzeige wegen versuchten Mordes. Für ein paar Wochen waren wir nach ihrer spektakulären Luftabwehr dann zusammen gewesen, schon aus bloßer Dankbarkeit, aber das war es dann auch. Beherzt schnappt sie sich meine Hand und zieht mich im Slalom vorbei an schwafelnden, kichernden Grüppchen.

    „Hast du vergessen, dass du Paul noch nie mochtest?", sagt sie, als wir auf der anderen Seite des Raums anhalten.

    „War mir irgendwie entfallen."

    Soweit es mir meine neue Jeans, die im Schritt immer noch etwas eng ist, erlaubt, lasse ich mich möglichst leger neben sie auf die Gelsenkirchenerbarockpolster fallen.

    „Mensch Tom, wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen!"

    Genau. Schöne Beine hat sie. Ich weiß gar nicht, warum wir nicht mehr in Kontakt geblieben sind.

    „Geht’s dir gut?"

    „Mir? Ich…"

    „Also ich wohne jetzt in Hamburg", grätscht Sina direkt in meine Antwort.

    „Was, echt? So’n Zufall, da bin…"

    „…Tolle Stadt! Und nach der Trennung von Klaus, genau das Richtige. Ich liiiiiebe es, da zu wohnen. Die Elbe, die Alster…"

    „Also ich finde auch, dass man…"

    „…der neue Wall, die Hafencity! Salzgitter ist dann doch nichts auf Dauer. Was will man hier denn auch machen? Hier ist doch so gar nichts los, oder? Lebst du noch hier?"

    „Eigentlich nicht, ich bin…", versuche ich es erneut. Vergeblich.

    „Hätte ich auch nicht erwartet von dir, quäkt sie fröhlich weiter. „Ich hab übrigens ’ne kleine Boutique. Da bin ich mein eigener Herr. Oder Frau, wenn man so will. Haha! Seit Klaus und ich uns getrennt haben…, wir waren zwei Jahre zusammen. Weiß auch nicht, aber er meinte, wir würden nicht so richtig zusammenpassen. Versteh ich gar nicht. Wir hatten doch Pläne. Und so, wie es zwischen uns abgegangen ist. Ich sage dir! Schade eigentlich. Er hat nie viel gesagt. War eher ’n Stiller. Aber ich finde, das muss ja auch nicht sein. Dafür konnte er immer so gut zuhören. Man kann…

    In meinen Ohren rauscht es, und alles dringt nur noch verzerrt zu mir durch. Entweder habe ich gerade einen Schlaganfall oder das ist der Selbstschutzmechanismus meines Gehirns, der in diesem Moment reinkickt. Und mit einem Mal weiß ich auch wieder, warum der Kontakt zwischen Sina, ihren Beinen und mir abgerissen ist: Sie hat schon immer so viel gequatscht. Zu viel. Irgendwie hatte ich komplett verdrängt, wie schrill und durchdringend ihre Stimme ist. Wer Bernadette Rostenkowski-Wolowitz aus der Serie „The Big Bang Theory" kennt – genau so.

    Mit leichtem wiederholten Kopfnicken kann ich die Dauerbeschallung am Laufen halten, während ich mich gedanklich in aller Ruhe Fragen der höheren Mathematik widme: Wenn ich mit Sina zusammen in einem mittelgroßen Raum stehe und sie ununterbrochen redet, wie viel Zeit X braucht es, bis sie den ganzen Sauerstoff Y aufgebraucht hat, ein Unterdruck im Raum entsteht und ich selbst mangels Luft ins Schlafkoma falle? Nein, ich ziehe die Frage zurück. Bis sie diesen Raum verbal vakuumiert hat, bin ich dehydriert, weil ich zu höflich war, ihr ins Wort zu grätschen. Würde Sina es merken, wenn ich mal kurz zur Theke rüberspurte? Ich versuche wirklich zuzuhören, aber ihr verbales Dauerfeuer lähmt meine Ohren so sehr, dass selbst meinen Gedanken langsam schwindlig wird.

    „Tomtom, du alte Schabracke!", sind die ersten Worte, die ich nach ein paar Minuten wieder bewusst wahrnehme.

    Zu meiner Rechten tauchen lachend Gregor und Christian aus dem Gewühl auf. Sina hat ihren Soundteppich für einen Moment aufgerollt und untern Arm geklemmt. Mit verschränkten Armen schaut sie meine beiden besten Kumpels der Oberstufe an. Ich kenne diesen Blick. Ich kenne ihn von Yvonne. Die hat ihn auch immer drauf, wenn ich während „Grey’s Anatomy" die Gitarre stimme.

    „Gregor. Christian, ihr auch hier…", grüßt Sina säuerlich mit einem vorgetäuschten Lächeln. Gregor schaut sie grinsend an.

    „Mensch, Sina, gut schaust aus. Läuft alles?"

    „Ja, und ich jetzt von hier weg, entgegnet sie spitz und dreht sich dann wieder schnell zu mir. „Tom, war echt schön, mit dir zu reden.

    „Fand ich auch."

    „Bis später, okay?, wispert sie mir noch zu, und weg ist sie. Ich grinse bis über beide Ohren und schiebe mich hinterm Tisch hervor, weil mit Chris und Greg hoffentlich endlich Leben in die Bude kommt. Mann, waren wir ein Trio! Die langen Nächte im „Joker, die legendäre Klassenfahrt nach Florenz und nicht zu vergessen der zugemauerte Eingang beim Abistreich. Gregor war immer der Lautere von den beiden, während man bei Christian genauer hinhören musste. Es war immer das Gleiche, er begann in normaler Lautstärke zu reden und wurde zum Ende hin immer leiser. War so ’ne Macke von ihm. Aber er war auch das Brain, das mich und Gregor davon abhielt, Blödes zu machen. Wie damals, als wir nachts betrunken versuchten, Kisten mit Leergut neben einer Kneipe mitzunehmen und selbst im Supermarkt abzugeben. Man hätte nur unserem ohrenbetäubenden Lärm folgen müssen. Glücklicherweise war Christian da, um uns das auszureden. Vermutlich hat seine leiser werdende Stimme uns damals in den Schlaf gesäuselt.

    „Was hat die denn?"

    „Sie findet euch immer noch scheiße."

    Gregor winkt ab.

    „Ach so. Aber wir sind doch zehn Jahre cooler geworden!"

    Echt? Na wenn er meint. Er sieht eigentlich genau so aus wie früher, als ich mit ihm die hinterletzte Reihe der Klasse geteilt habe. Von der er dann die Mädels mit den mit viel Spucke durchgekauten Papierkügelchen per Pusterohr in den Wahnsinn getrieben hat. Sein Faible für verwaschene Holzfällerhemden und gammelige Jeans scheint ihm bis heute auch erhalten geblieben zu sein. Schulterzuckend schaut er mich an.

    „Egal. Was geht, Alter?, sagt er und legt seine Rechte schwer auf meine Schulter. Ich mache es ihm nach, so dass es für einen Moment so aussieht, als wollten wir Sirtaki tanzen. Nun ja, Anstoß zum hoffentlich letzten „Was machst’n so?-Spiel für heute. Und der Ball ist in meiner Hälfte. Also Anpfiff!

    „Nicht viel, aber dafür scheinbar bei dir. Ist Groß-Karo wieder in Mode? Oder kommst du gerade aus den schwedischen Wäldern?"

    „Nee, direkt vom Büfett im ‚Ritter St. Georg‘."

    „Na dann, heb an, Knappe! Und tue geschwind kund: War’s lecker?"

    „Das ist so ein Nobelschuppen in Braunschweig", nuschelt Christian dazwischen, während er beiläufig seinen Blick über den Saal gleiten lässt. In seinem dunkelblauen Anzug mit hellblauer Krawatte sieht er aus, als ob er gerade aus der Fußgängerzone vom Wahlzettelverteilen gekommen ist.

    „Ach, sach an!"

    „Kennst du den etwa?"

    „Schon vergessen? Auf der Einladung steht ‚Klass-sentref-fen‘. Das bedeutet? Hier. Aus. Der. Gegend."

    „Du bist ausgewandert, springt ihm Gregor zur Seite. „Also haste deinen Eingeborenen-Status verwirkt.

    „Die Nobelschuppen vergisst man nicht. Lassen die dich da mit so ’nem Holzfällerhemd rein? Und viel wichtiger, kannst du dir sowas leisten?"

    „Ich bin der Souschef da."

    Langsam schlendern wir durch den Raum. Ich versuche die Infos zu verdauen. Wollte er damals nicht bei seinem Vater im Schreiner-Betrieb anfangen? Ich weiß ja nicht, wie gut er kocht, aber ich denke mal, das war ’ne gute Entscheidung. Seinem Bauch nach ist es eher das Gebiet, in dem er sich auskennt.

    „Echt? Du machst jetzt einen auf Jamie Oliver für die Braunschweiger Schickeria? Aber musst du auch immer alles selbst probieren?"

    Beherzt klopfe ich gegen seinen mittelprächtigen Bauchansatz, in dem sich ein sechs Monate altes Baby verstecken könnte.

    „Schicksal als Koch, grinst er unbeeindruckt. „Apropos probieren: Was gibt’s vom Fass?

    Ich zucke mit den Schultern. Keine Ahnung. Hab mich bis jetzt zurückgehalten. Muss ja noch fahren. Zielstrebig steuert er auf die Bar im Vorraum zu.

    „Ja, ich weiß, mit Auto hier, sagt Gregor. „Aber egal jetzt, eins geht.

    Wie früher kann der Gregster meine Gedanken lesen. Christian und ich stellen uns an einen Stehtisch, während er sich dreist an der Bar vordrängelt, wie damals in der Cafeteria. Verlernt hat der nix, das steht mal fest.

    Dagegen wirkt Christian irgendwie verdammt spießig. Fast hätte ich ihn in seinem Anzug nicht wiedererkannt. Sein ständiges Umherschauen im Saal lässt mich zu der Annahme kommen, dass er entweder von einer herumstreunenden Herrenausstatter-Gang verfolgt wird oder jemanden Spezielles auf dieser Revival-Sause sucht.

    „Is was?", will er stattdessen von mir wissen.

    „Nee, bei mir ist alles klar. Suchst du den Ausgang oder warum guckste so?"

    „Hast du Marion schon irgendwo gesehen?", fragt er, um im nächsten Moment wieder den Raum abzuscannen.

    „Nee, keine Ahnung. Schwärmst du immer noch für die?"

    Er schaut mich an, als hätte ich gerade Hochverrat begangen.

    „Natürlich nicht."

    „Bist du in einer Beziehung?", will er schließlich wissen.

    „Wieso? Willst du mich auf ’nen Drink einladen?", frage ich lachend. Schade, dass er den wenigen Humor, den er hatte, auch noch verloren hat. Also denn:

    „Beruhig dich, nur ein Scherz. Ich hab seit zwei Jahren ’ne Freundin. Läuft spitze, kann nicht klagen."

    „Gut."

    Sein „Gut" klingt aber nicht gut.

    „Und selbst, alles gemütlich unterm Schirm?"

    Christian schüttelt den gegelten Undercut.

    „Frauke hat sich von mir getrennt."

    Strike! Tom 1, Christian 0.

    „Schade. Lag’s am Anzug?"

    „Wichser!", erwidert er und schaut mich wütend an. War der schon immer so furztrocken humorlos?

    „Das is’n Boss-Anzug. Du könntest auch mal in deine Optik investieren."

    Wie jetzt? Ich? Funkelnagelneue Jeans, Adidas-T-Shirt, Turnschuhe. Damit ist man doch immer richtig angezogen. Das ist so was von zeitlos!

    „Außerdem komm ich gerade von der Arbeit, murmelt Christian gereizt. „Überstunden.

    Eigentlich ist das die Stelle, an der ich Christian fragen müsste, was er denn so macht, aber ich lasse den Satz einfach mal ein wenig in der Luft hängen, denn…

    „Ich bin bei der NordLB, im Immobilienbereich."

    …er erzählt es eh von sich aus.

    „Ja, unser Krischi macht ganz schön Karriere", grinst Gregor, der aufs Stichwort drei frische Pils vor uns auf den Tisch knallt.

    „Und wer hätte das nach’m Vierer-Abi-Schnitt gedacht, häää?"

    „Und du?, kontert Christian in meine Richtung. „Bohrst du jetzt Patientinnen an wie dein Alter?

    Nur, wenn es nach meinem Vater ginge, der als unangefochtener Lieblingszahnarzt in Salzgitter-Lebenstedt sämtlichen Schulfreunden die Kreisamalgambomben rausgesprengt und feste Klammern verordnet hat.

    „Nee, ich studiere BWL."

    Oha, ist das da ein kritischer Blick aus Christians schlicht genadeltem Boss-Zwirn? Ich glaube, er legt sich den Ball zurecht und… ja, stößt ab zum Gegenangriff.

    „Und vorher?", fragt er interessiert, während er sich lässig an einen Pfeiler zu lehnen versucht und die zehn Jahre älter gewordenen Mitschülerinnen mit seinem Blick durchröntgt. Ich bin nicht sicher, ob ich gerade was auf den Ohren habe.

    „Wie vorher?"

    „Ich hab auch BWL studiert. UND vorher meine Banklehre abgeschlossen."

    „Konntest du dich nicht entscheiden?", versuche ich lustig zu sein.

    Chapeau, gut gekontert, meine Abwehr wankt. Jetzt geht es Mann gegen Mann.

    „Nein, der Karriere wegen. Gleich in die Oberliga. Nächstes Jahr habe ich meine eigene Abteilung."

    Zu spät, da ist es, das Gegentor! Christian gleicht aus, 1:1! Und er

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