Vom Pogrom in den Widerstand: Walter Felix Suess (1912–1943): Musiker – Arzt – Gestapo-Opfer
Von Andrea Hurton
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Über dieses E-Book
Die Geschichte des Walter Felix Suess handelt von einem künstlerisch begabten jungen Menschen, dessen Leben nach dem "Anschluss" 1938 sukzessive vernichtet wurde. Sein Ausschluss aus der Reichskulturkammer als "jüdischer Mischling I. Grades" zerstörte Suess' Lebenstraum als Dirigent. Während der "Novemberpogrome" 1938 verwüsteten Nationalsozialisten seine Zahnarztpraxis in Bad Gastein. In Wien schloss er sich 1939 als bis dahin vollkommen unpolitischer Mensch einer kommunistischen Widerstandsorganisation an. Ein V-Mann der Gestapo infiltrierte die Gruppe und löste im April 1941 eine Verhaftungswelle aus, der auch Walter Suess zum Opfer fiel: am 28.1.1943 starb er unter dem Fallbeil. Die vorliegende Biografie basiert auf außergewöhnlichen Quellenfunden, die es ermöglichen, neben dem Schicksal von Walter Suess vor allem die Tätigkeit der Gestapo-Spitzel in ungewöhnlicher Detailschärfe zu dokumentieren. Mit zahlreichen Abbildungen und einem umfangreichen
Dokumentenanhang.
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Buchvorschau
Vom Pogrom in den Widerstand - Andrea Hurton
Impressum
© 2020 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck
E-Mail: order@studienverlag.at
Internet: www.studienverlag.at
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-7065-6049-8
Satz: Da-TeX Gerd Blumenstein, Leipzig
Umschlag: Studienverlag/Karin Berner
Umschlagabbildungen: Vollstreckung des Todesurteils über Walter Felix Suess (Bundesarchiv Berlin, R 3017/22.939 = VGH 4.531, A. 2);
Walter Felix Suess beim Dirigieren, 1937 (Bundesarchiv Berlin);
Walter Felix Suess als Gestapohäftling (Bundesarchiv Berlin)
Registererstellung durch die Autorin
Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at.
Inhaltsverzeichnis
Cover
Impressum
Titel
Einleitung: Archivfunde als biographische Quellen
Walter Felix Suess: Ein ungewöhnlicher Weg in den Widerstand
Medizin und Musik – Ein Lebensentwurf zwischen Pflicht und Neigung
Novemberpogrom in Bad Gastein: Der Anfang vom Ende
Der Ausschluss aus der Reichskulturkammer
Enttäuschte Hoffnungen …
Tätigkeit im kommunistischen Widerstand
Suess’ Wohnung als Treffpunkt von KP-Funktionären und personelle Ausdehnung der illegalen Verbindungen
„Lit-Stelle für den II. Bezirk und „Agitprop-Kommission
Kontakte zur tschechischen Gruppe der KPÖ
Die Infiltration der 3. Illegalen KPÖ-Leitung durch Spitzel der Gestapo
Infiltration der Gruppe Suess durch V-Leute der Gestapo
Verrat und Verhaftung
Die KPÖ-Bezirksleitung für den II. Bezirk
Die Gestapo-Akteure und Haftbedingungen
Gertrude Suess
Der Volksgerichtshof
Die Anklage: „Vorbereitung zum Hochverrat"
Walter Suess enttarnt seinen Verräter
Spitzel zwischen Gestapo und Justiz: Unsichtbar und dennoch stets präsent
Exkurs: Die Senate des Volksgerichtshofes (VGH)
Die Hauptverhandlung
Die Richter
Die Anwälte
Die Zeugen
Die Angeklagten
Die Urteile
Gnadengesuche
Der Scharfrichter
Die Hinrichtung
Gedenk- und Erinnerungsorte
Wien 2, Molkereistraße 7
Gedenkräume des Wiener Landesgerichts
Zentralfriedhof Gruppe 40
Dokumentenanhang
Danksagung
Quellen- und Literaturverzeichnis
Abbildungsnachweis
Abkürzungsverzeichnis
Personenregister
Andrea Hurton
Vom Pogrom in den Widerstand
Walter Felix Suess (1912–1943):
Musiker – Arzt – Gestapo-Opfer
Einleitung:
Archivfunde als biographische Quellen
Die erste Begegnung mit der Person Walter Suess fand im früheren Zwischenarchiv des Bundesarchivs in Dahlwitz-Hoppegarten bei Berlin statt. Bis 1990 unterstanden diese Aktenbestände dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und wurden landläufig auch als „Berlin Document Center des Ostens bezeichnet. Die riesigen Bestände dieses „NS-Archivs
des Ministeriums für Staatssicherheit lagerten von 1992 bis 2013 in einem ehemals von der Stasi genutzten Gebäudekomplex in Dahlwitz-Hoppegarten, der bis heute nahezu unverändert geblieben ist. Bis zum Ende der DDR war dieses Areal besonders stark abgeschirmt, da die Hauptabteilung III (Chiffrieren und Dechiffrieren) des MfS dort untergebracht war. Nach der Wende wurde lediglich der die Mauern umgebende Stacheldraht ausgetauscht.
Überraschenderweise fanden sich dort auch Tausende Akten der Gestapoleitstelle Wien, des Volksgerichtshofs und anderer NS-Justizbehörden zu österreichischen Widerstandskämpfern und -kämpferinnen. Diese Dokumente gelangten 1945 als „Beutegut" nach Moskau und wurden ausweislich der Tausende Seiten umfassenden handgeschriebenen (!) Findbücher etwa ab 1955 in die DDR transferiert, wo sie bis 1990 völlig unbeachtet blieben.
Quantitativ und substanziell übertreffen etliche dieser Gestapo-Akten bei weitem alle vergleichbaren Dokumentensammlungen, die in österreichischen Archiven vorhanden sind. In einigen personenbezogenen Fällen sind sogar die der Verhaftung zeitlich vorgeschalteten Maßnahmen erkennbar, z. B. handschriftliche Denunziationen, die an die Gestapo gelangten. Den Kern eines vollständigen Gestapo-Akts bildet die sogenannte „Vorführungsnote (mit Fotos), die das erste Verhörprotokoll nach der Festnahme dokumentiert. Bereits in diesen „Vorführungsnoten
sind zahlreiche biographische Details über den bzw. die Festgenommenen enthalten, während der unmittelbare Anlass der Festnahme nur kurz am Rande vermerkt ist. Je nach politischer Bedeutung und Aussagebereitschaft variieren die Zahl und der Umfang der Vernehmungsprotokolle sehr stark. Welch ein psychischer Druck auf manchen Beschuldigten lastete, lässt sich mitunter sogar aus den verschleiernden und beschönigenden Anfangspassagen mancher Vernehmungsprotokolle entnehmen, wenn es, wie in vielen Fällen, am Anfang etwa heißt: „Nach eindringlicher Ermahnung bin ich jetzt bereit, meine früheren Aussagen zu ergänzen (bzw. zu korrigieren) und ein umfassendes Geständnis abzulegen."
Jedes Blatt dieser Vernehmungsprotokolle wurde von den Festgenommenen handschriftlich unterzeichnet, wobei in vielen Fällen erwiesen ist, dass sie diese nicht einmal lesen durften. Nach dem Ende der Vernehmungen erfolgte im Regelfall zu jeder Person ein „Abschlussbericht", der die Basis für die Anklageschrift bildete.
Bei verhafteten Widerstandskämpfern, denen die Gestapo offensichtlich eine besonders wichtige Bedeutung beimaß, finden sich neben den protokollierten Einzelverhören auch, wie etwa bei Walter Suess, zusammenfassende autobiographische Darstellungen, zu denen die Gestapo ihre Opfer nötigte.
Die in einem erbsengrünen Farbton gestrichenen Wände, der Geruch nach Desinfektionsmitteln, der auch viele Jahre nach dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik in den Räumen spürbar war, die antiquarisch anmutenden Tastentelefone – das Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten atmete den Geist der untergegangenen DDR.
Ehemaliges Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten. Bis 1990 war hier die Abteilung III (Chiffrieren und Dechiffrieren) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR untergebracht.
Die Akten des für meine Arbeit besonders wichtigen Bestandes ZB II waren in einem handschriftlich verfassten Registrierbuch aus dem Jahr 1955 fein säuberlich verzeichnet. Der Text auf dem Deckblatt lautete: „Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Ministerium des Innern, Staatssekretariat für Staatssicherheit, Verwaltung / Abteilung XII Zentral-Archiv". Die Berichte zu den Gestapo-Ermittlungen waren nach den in den jeweiligen Akten enthaltenen Namen der Beschuldigten geordnet, allerdings weder alphabetisch noch chronologisch, so dass sich die Suche nach bestimmten justiziellen Verfahrenskomplexen recht aufwendig gestaltete.
Die Akten des Volksgerichtshofs enthalten Anklageschriften (meistens in mehrfacher Ausfertigung)¹ und Urteile, Eingaben der Angeklagten, Korrespondenz von Justizbehörden, die Handakten des Oberreichsanwalts beim Volksgerichtshof, das Protokoll der Hauptverhandlung, die Gnadengesuche der Angeklagten bzw. der Angehörigen sowie die Vollstreckungsbände.
Anders als Anklageschrift und Urteile, deren Fokus auf den für die justizielle Verfolgung relevanten Aspekten liegt, enthalten die Gestapo-Vernehmungsprotokolle durch ihren Detailreichtum oft Informationen, die differenzierte Einsichten in die organisatorischen Binnenstrukturen der Widerstandsgruppen und die persönlichen Beziehungen der involvierten Personen erlauben.
In den Gestapo-Akten finden sich gelegentlich auch persönliche Gegenstände der Verhafteten. Manche dieser Akten, die Jahrzehnte lang niemand mehr in der Hand gehabt hatte, spiegeln in bedrückender Weise die Lebenssituation der Beschuldigten zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung. Im Volksgerichtshofs-Akt des Widerstandskämpfers Bruno Dubber ist etwa neben einem „Überwachungsbericht und der „Vorführungsnote
der Pass einer österreichischen Widerstandskämpferin (Regine Kästenbauer) enthalten; moosgrün glänzend und kaum gebraucht, sah er aus wie neu.
In einem sehr umfangreichen Akt des Volksgerichtshofs (Ermittlungssache gegen 14 namentlich angeführte Personen) nahm Dr. Walter Suess einen zentralen Stellenwert ein. In den unscheinbaren vergilbten Kuverts stößt man auch auf unerwartete Funde: persönliche Gegenstände, die die Gestapo dem Delinquenten bei der Verhaftung abgenommen hatte (Fotos, Einladungskarten zu Konzerten, Zeitungsausschnitte, die Einladung zur Promotion usw.). Dieser Akt des Volksgerichtshofs² erwies sich als eine zentrale Quelle zur biographischen Erforschung des Lebens von Walter Felix Suess.
Walter Felix Suess: Ein ungewöhnlicher Weg in den Widerstand
Medizin und Musik – Ein Lebensentwurf zwischen Pflicht und Neigung
Walter Felix Suess wurde am 18. April 1912 als Sohn des Arztes Dr. Julius Suess und dessen Frau Anna geboren. Er war das zweite Kind seiner Eltern; die 1907 geborene Schwester Johanna („Hansi") starb im Alter von vier Jahren.³ Sein Vater stammte aus einer jüdischen Familie, die Mutter war Nicht-Jüdin.
Walter Felix Suess als Kind, mit der Eisenbahn spielend.
Dr. med. Julius Suess betrieb in der Molkereistraße 7 (Wien II.) ein florierendes zahnärztliches und zahntechnisches Atelier.⁴ Anna Suess arbeitete in der Praxis ihres Mannes als Zahntechnikerin – damals ein eher ungewöhnlicher Beruf für eine Frau.
Walter im Alter von etwa zehn Jahren mit seinen Eltern Anna und Julius Suess im Garten vor dem Wohnhaus (Molkereistraße 7/Ecke Ausstellungsstraße 25) mit Blick auf das etwa 300 Meter entfernte Riesenrad.
Promotionsanzeige von Walter Suess, Dezember 1936.
Walter Felix Suess besuchte nach der Volksschule acht Klassen Realgymnasium.
Von 1931 bis 1932 studierte er an der Wiener Staatsakademie für Musik und ausübende Kunst. Gleichzeitig nahm er an der Universität Wien ein Medizinstudium auf und erlangte im Dezember 1936 seinen Doktoratsabschluss.
Nur ungefähr drei Wochen nach der Promotion starb der Vater, Julius Suess, am 15. Jänner 1937 im Alter von 66 Jahren.
Parallel zu seinem Studienabschluss als