Gut Runst: Was der Rennsteig vom Leben erzählt
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Frank Stübner wollte es wissen: Allein und ohne die Übernachtungen vorauszubuchen, lief er in sechs Tagen die Tour von Hörschel nahe Eisenach bis Blankenstein in Oberfranken. Auf knapp 170 Kilometern erlebt der Wanderer Natur und Geschichte, trifft auf Gleichgesinnte und Originale. Stübner schreibt seine Erfahrungen, Begegnungen und Beobachtungen auf der Strecke auf und reichert sein Tagebuch mit zahlreichen Bildern sowie Tipps zu Strecke, Unterkunft, Vorbereitung und Durchführung an.
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Book preview
Gut Runst - Frank Stübner
TAG 1:
DER SCHWARZE MONTAG
Es ist Montag, der 8. Juli 2019. Ich sitze im Triebwagen der Süd Thüringen Bahn am Bahnhof von Friedrichroda. Soeben habe ich mir am Automaten eine Fahrkarte nach Hörschel für 9,90 Euro gekauft. Friedrichroda, ein durchaus bedeutender Ferienort in Thüringen, zumindest sagen das die touristischen Zahlen, hat in Sachen Bahnhof leider einen katastrophalen Anblick zu bieten. Zwar fahre ich selten mit dem Zug und kann nicht sagen, wann ich von hier das letzte Mal losgefahren bin, aber in den 30 Jahren nach der Wende, in denen durchgängig Züge fuhren, kann ich nur feststellen, dass anscheinend nie jemand ernsthafte Ambitionen hatte, an diesem Zustand auch nur ansatzweise etwas zu ändern. Der Anblick ist ernüchternd: Sämtliche Gebäude sind zugesprayt. Die Farbe am Vordach über dem Bahnsteig blättert ab. Es liegt Müll herum. Der gesamte Komplex sieht aus, als sei er zum Abriss freigegeben. Ich will, wie so viele, einfach nicht mehr hören, warum wer alles nichts dafür kann. Am Ende sind sowieso immer die Anderen schuld.
Wenigstens fährt der Zug, der übrigens sauber und relativ neu ist, pünktlich los. Es ist angenehm, einmal nicht selbst zu fahren und bei der sich anbahnenden allgemeinen Verkehrsumgestaltung ist die Bahn vielleicht ein Zukunftsmodell. An der ersten Haltestelle Reinhardsbrunn steigen zu den wenigen Mitfahrern noch einige hinzu. Zum Zustand des herzoglichen und unter Denkmalschutz stehenden Bahnhofgebäudes von 1897 will ich mich nicht äußern, da es nahtlos den Zustand des Bahnhofs Friedrichroda fortsetzt. Und wenn ich an die Posse vom Schloss Reinhardsbrunn denke, das mehrfach verkauft wurde und seit Jahren verkommt, bin ich traurig, wie nach der Wende diese bis dahin gut genutzten Einrichtungen verfallen sind.
Bis nach Fröttstädt sind es noch einige Haltestellen und ich komme planmäßig an. Soweit ich weiß, muss ich auf die andere Seite des Bahnsteigs, um Richtung Eisenach weiterzufahren. Komischerweise bleiben alle anderen auf derselben Seite stehen, und ich bin zunächst irritiert. Schließlich kommt doch ein Mann mittleren Alters und ich frage vorsichtshalber nach, ob das hier Richtung Eisenach richtig ist. Er bestätigt es und wir kommen ins Gespräch. Da er, wie sich herausstellt, an der dualen Hochschule Eisenach als Dozent arbeitet, finden wir schnell ein Thema. Die Firma, in der ich arbeite, hat in der Vergangenheit schon etliche Absolventen dieser Schule aufgenommen bzw. den Part des Arbeitgebers übernommen, den so ein duales System aus Theorie und Praxis benötigt. Er berichtet von seinen Erfahrungen mit Firmen und Konzernen und ich merke ihm an, dass er resigniert ist. Seiner Meinung, die Wirtschaft im Osten sei ausgeblutet, kann ich nur zustimmen. Auch wenn ich letztendlich persönlich Glück hatte, kann ich bestätigen, dass das, was speziell in den ländlichen Gegenden an leistungsfähigen Betrieben übriggeblieben ist, an den Fingern abgezählt werden kann. Speziell die ingenieurtechnischen Leistungen und kreativen Fähigkeiten werden im Osten zurückgedrängt. Das ist eine fatale Entwicklung und für Großkonzerne nur die verlängerte Werkbank zu sein, ist keine nachhaltige Lösung. Obwohl es dramatisch ist, finde ich es fast amüsant, wenn dann die Verantwortlichen überrascht sind, dass speziell die jungen Leute in den Westen gehen oder die wenigen Lichtblicke in den Städten nutzen. Es sind völlig logische Schritte und am Ende muss sich niemand wundern. Noch schlimmer ist, dass es zwar seit vielen Jahren die sogenannten Experten die Probleme kennen, aber nichts unternommen wird. Aber ich will ja Urlaub machen und nachdem wir uns in Eisenach verabschieden und er mir viel Glück wünscht, gehe ich auf die Suche nach dem letzten Zug Richtung Hörschel.
Auch hier ist es zwar relativ eindeutig, aber ich frage trotzdem sicherheitshalber einen Fahrgast, ob das hier der Zug ist, der in Hörschel hält. Da er schon dasteht, kann ich mich bereits hineinsetzen. Da aber bisher kaum jemand darin sitzt, will ich mich noch einmal vergewissern. Schließlich will ich heute noch den ganzen Tag wandern und da wäre es ungünstig, wenn ich schon zu Beginn unnötig Zeit verschenke. Es klappt dann alles fast wie geplant und mit wenigen Minuten Verspätung bin ich endlich in Hörschel. Eine Stunde und 15 Minuten für diese Strecke ist sehr lange. Mit dem Auto hätte ich wahrscheinlich die Hälfte der Zeit gebraucht. Aber wenn man auf dem Lande wohnt, ist das eben so.
Mit mir steigen unter anderem zwei junge Männer aus. Sie haben beide einen großen Rucksack dabei und ich frage: „Rennsteigwanderung? „Ja
, erwidern sie. „Ich auch, sage ich und füge hinzu „Sonst gibt es auch keinen Grund, in Hörschel auszusteigen.
Wir lächeln alle leicht. Nach wenigen hundert Metern trennen wir uns. Der Tradition entsprechend nimmt man einen Stein aus der Werra mit und den will ich noch holen. Die zwei scheinen dieses Ritual nicht zu kennen und marschieren los. Am Ufer treffe ich zwei Frauen, die soeben auch einen Stein geholt haben und starten wollen. Es ist gar nicht so einfach, stelle ich fest und setzte den Rucksack ab, um mich möglichst gefahrlos bücken zu können. Schließlich will ich nicht gleich zu Beginn nasse Füße bekommen, zumal es gerade um die 13 Grad Celsius sind. Als ich alles habe und losmarschieren will, werfe ich beschwingt den Sack auf meinen Rücken. Da dieser nur acht bis neun Kilogramm wiegt, geht das recht gut, aber schon passiert es: Ein Träger bleibt an meiner Armbanduhr hängen und das Armband reißt ab. Na prima denke ich und stecke die Uhr einfach in die Hosentasche. Ich habe jetzt keinen Nerv, das Armband wieder an die Uhr zu fummeln, das kann ich später in Ruhe machen. Ich starte noch die App und laufe los, an einem unter Denkmalschutz stehendem Kirchlein vorbei und auf der anderen Seite in eine kleine Seitenstraße hinein, die nach wenigen Metern zum Feldweg wird.
Hörschel an der Werra
Den Anfang, der vor mir liegt, kenne ich gut. Ich habe mehrmals am Rennsteig-Staffellauf teilgenommen, und diese Strecke hatte ich sogar schon zweimal, nur aus der anderen Richtung als Schlussläufer. Von zirka Höhenmeter 200 geht es recht gemächlich bergauf. Nach einer Viertelstunde hole ich die beiden Damen ein. Die wiederum sind gerade mit einem Mann am Feldrand im Gespräch. Alle drei scheinen auch die Rennsteigwanderung zu machen, aber als organisierte Tour. Sie unterhalten sich nämlich gerade über den Gepäcktransport und der Mann hat ein Stativ für Fotos dabei. Rechter Hand kann man über das bereits weit gereifte Korn Richtung ehemalige Grenze nach Hessen schauen. Und links taucht in der Ferne zum ersten Mal die Wartburg auf. Dass man sie schon von hier aus sehen kann, war mir nicht mehr