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Verwundungen: Roman
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Verwundungen: Roman

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About this ebook

Als Wien nach Kriegsende in Trümmern liegt, ist man in der Vorstadt vom Bombenhagel weithin verschont geblieben. So auch Mariabrunn, Wallfahrtsort und Schauplatz dieses Buches. Sebastian Hauser, ein Abgesandter der Diözese St. Pölten, soll ermitteln, wie es um die Kirche und den Glauben der Menschen im äußersten Westen der Stadt bestellt ist. Einst Zufluchtsort des jungen Priesters, stellt die Pfarre heute für ihn einen Platz des Einklangs dar, aber auch der Sehnsucht und Verwundung. Vor Jahren hat er hier sein Herz verschenkt – an eine Frau, die urplötzlich aus dem Schatten der Vergangenheit hervortritt.

In literarischer Manier des 20. Jahrhunderts verwebt der Autor die Geschichte einer unheilvollen Liebe in ein Netz aus kultureller, literarischer und landschaftsmalerischer Aufarbeitung. Der Roman zeigt eine Momentaufnahme einer längst vergangenen Zeit, indem er die Ruhe nach dem großen Sturm einfängt. Inmitten von lauschigen Bächen, Wäldern und gut gefüllten Gaststätten sehen die Menschen einer nackten, ungewissen Zukunft entgegen.
LanguageDeutsch
Release dateOct 12, 2020
ISBN9783903263321
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    Verwundungen - Peter Zakravsky

    Abschied

    Der Abgesandte

    Ende April begab sich der Abgesandte der Diözese St. Pölten, Sebastian Hauser, mit der Bahn nach Hadersdorf-Weidlingau, um in der Gegend westlich von Wien den Zustand der Kirchen, Pfarrhöfe und sonstigen Heiligtümer der Dekanate Neulengbach und Tulln zu inspizieren. Ein riskantes Unterfangen, denn im Raum Wien tobten zu diesem Zeitpunkt immer noch Kampfhandlungen. Unbeschadet dessen hatte der Bischof darauf bestanden, dass Hauser sich unverzüglich auf den Weg machen sollte. Hier in Niederösterreich hätten sie das Gröbste überstanden, hatte der Michael, Bischof Michael Memelauer, mit dem Hauser seit langem per du war, gesagt.

    »Es gilt keine Sekunde zu verlieren, unfassbar der Wandel, der sich gerade vor aller Augen vollzieht, man könnte das, was sich derzeit abspielt durchaus als Wiedergeburt des Glaubens hierzulande bezeichnen. Der Ansturm muss von unseren Kircheneinrichtungen optimal aufgefangen und in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Da kommt einiges auf die Glaubensgemeinden zu«, hatte der Bischof die Situation kurz umrissen.

    »Ich stimme dir zu«, hatte Hauser zum Michael gesagt, »füge jedoch hinzu, ganz geheuer sind mir die Vorgänge nicht.«

    Darauf er: »Gut so, du warst schon immer ein Skeptiker, du kennst meine Grundhaltung, ich deine. Ich denke, an unserem Vertrauensverhältnis hat sich nichts geändert, Sebastian.«

    »Nicht das Geringste«, hatte Hauser versichert.

    »Ich will«, hatte der Michael gesagt, »ganz direkt und ohne schnörkelige Umschreibung, dass du den aktuellen Zustand der Sprengel persönlich erkundest, die Schäden an Gebäuden sowieso, aber auch Todesfälle von Mitarbeitern, Personal-Veränderungen, Finanzgebarung und mit aller gebotenen Vorsicht die jetzige Einstellung unserer Leute gegenüber dem Nationalsozialismus. Ich erwarte von dir regelmäßige Berichterstattung.«

    Gegen jede Vernunft hatte sich Hauser in letzter Sekunde von der Erzdiözese Wien, der es wegen der anhaltenden Gefahren nicht gelungen war, einen geeigneten Mann zu finden, breitschlagen lassen, die heiligen Stätten des Stadtdekanats 14 und des Dekanats Purkersdorf mit zu übernehmen. Dafür, sich ein derart gewaltiges Arbeitspensum aufzuhalsen, zusätzlich zu den 37 Pfarren der beiden niederösterreichischen Sprengel auch noch 16 Wiener Kircheneinrichtungen abzugehen, gab es nur einen einzigen triftigen Grund: Es würde sich ihm dadurch die Chance auftun, der Wallfahrtskirche Maria Brunn wieder zu begegnen, einem der wenigen Sehnsuchtsorte aus der Zeit, als er in Wien Theologie studiert hatte.

    Dass der Herr Bischof ausgerechnet ihm diesen Auftrag erteilt hatte, war natürlich kein Zufall. Hauser hatte jahrelang für den St. Pöltner Bischofssitz gearbeitet. Verwaltung, das war sein Spezialgebiet. Aber die Nazis hatten der Kirche derart viele Prügel vor die Füße geworfen, dass er zermürbt darum angesucht hatte, nach Salzburg zurückkehren zu dürfen, wo in der Nähe des Wohnorts seiner Mutter zufällig eine Pfarrersstelle frei geworden war.

    Vor kurzem hatte sich dann Bischof Memelauer mit der Bitte an ihn gewandt, nach Niederösterreich zurückzukommen, es gäbe eine völlig neue Situation, und es bräuchte Leute wie ihn, dringend, die Zeit der inneren Emigration wäre Gott sei Dank vorbei. Ein für die Aufrechterhaltung des Pfarrbetriebs während seiner Abwesenheit notwendiger Ersatz war rasch gefunden und so war einem Aufbruch nach St. Pölten zwecks Entgegennahme konkreter Instruktionen nichts mehr im Weg gestanden.

    Den Wechsel ausgerechnet nach Hadersdorf-Weidlingau hatte er sich eingebildet, weil von diesem westlichen Wiener Vorort nur einen Katzsprung stadteinwärts entfernt die Kirche Maria Brunn steht und er die Absicht hatte, sich dort öfters aufzuhalten. Der Ankunftsort jedoch hatte so gar nichts Einladendes. Zwar war er weder zerbombt noch verlassen, aber die Bewohner hatten sich verbarrikadiert, harrten wie all die letzten Monate in ihren Verstecken aus, waren nicht bereit, einen Fremden wie ihn willkommen zu heißen. Unmöglich, hier ein Quartier zu finden. Also entschloss er sich, durch das Mauerbachtal Richtung Westen zu gehen, aber je länger er unterwegs war, mindestens eine Stunde war bereits vergangen, desto verzagter wurde er. Als er schließlich Hainbach erreichte, erblickte er rechter Hand hinter der Brücke der Hauptstraße über den Hainbach die vollkommen unversehrte Wirtschaft Zum Reinwald, wie ein unübersehbares Schild verriet. Das Portal ins Himmelreich war nicht versperrt. Hauser öffnete die Türe und betrat sich Orientierung verschaffend den Raum, den er sofort als den Schankraum erkannte, als auch schon sein Blick auf einen hinter der Schank stehenden, großgewachsenen, ziemlich korpulenten Mann mit einem freundlichen Gesicht fiel.

    »Sind Sie der Wirt? Ich brauche eine Bleibe«, sagte Hauser.

    »Der bin ich. Gestatten, Leopold Reinwald.«

    »Ja, Reinwald. Das muss ich mir merken, um zurückzufinden, sollte ich mich verirren.«

    »Sie sehen ziemlich erschöpft aus.«

    »Fürwahr, das bin ich. Ich suche schon seit über einer Stunde ein Quartier. Haben Sie ein Zimmer für mich?«

    »Jawohl, haben wir. Ist keine Kaisersuite, aber gediegen. Für wie lange?«

    »Für länger, die Kriegskatastrophe beschert Arbeit, viel Arbeit…«

    Endlich eine Unterkunft, ein gottgewollter Glücksmoment. Der Wirt trat hinter der Theke hervor und hielt Ausschau nach dem Gepäck. In diesem Moment sah Hauser erstmals, dass der Reinwald eine weiße, über dem Bauch zusammengebundene Latzschürze trug, die ihm bis zu den Schienbeinen reichte. Für einen Wirt ein sehr vernünftiges Kleidungsstück, gewiss nichts Aufregendes, erwähnenswert aber deshalb, weil der Wirt diese Drapierung, egal wie schmutzig sie war, nie abzulegen schien, wie er im Laufe des folgenden Aufenthalts noch mitbekommen sollte. Der Wirt und seine Schürze gehörten zusammen wie die Finger einer Hand.

    »Das ist alles?«, wunderte sich der Schürzenmann, als er Hausers Köfferchen entdeckte.

    »Mehr brauch‘ ich nicht.«

    Flugs ergriff der Wirt das Gepäckstück und geleitete den Neuankömmling durch die ausgedehnten, nach dem Moder langen Leerstehens riechenden Räumlichkeiten des Wirtshauses nach oben in den Schlaftrakt, wo er mit plötzlicher Verbeugung eine Türe aufstieß:

    »Ihr Zimmer, südseitig mit Balkon. Sie werden sich wohlfühlen.«

    »Bestens. Im Vertrauen gesagt, der Hitler-Wahn ist ausgestanden, der Krieg zu Ende, das Land befreit, da darf man sich über eine wohlanständige Bleibe wieder von ganzem Herzen freuen. Dieses sonnenbeschienene Zimmer nehme ich gerne.«

    »Besser, Sie wohnen bei uns, bevor, um Gottes Willen, die Russen die Wirtschaft beschlagnahmen«, sagte der Wirt.

    »Die Russen sind die Befreier.«

    »Aber das sind doch Kommunisten!«

    Ups, dachte Hauser, in diesem Hornissennest stochere ich nicht weiter herum.

    Kaum war der Verängstigte verschwunden, öffnete Hauser die Balkontüre, um die milde Frühlingsluft hereinzulassen. Das wird meiner Lunge guttun, dachte er und atmete tief durch. Diese Gegend war intakt geblieben. Es sind die unbedeutenden Marktflecken, die Weiler, die Marterln, die tief im Wald versteckten Einöden, die zumeist verschont bleiben. Die Awaren, Türken, Schweden, Napoleon, sie alle zogen an diesem Hainbach vorbei, ließen es wie es war. Und wie wenn nie etwas geschehen wäre, sperrte der Wirt sein Wirtshaus auf, brachte der Bauer die Saat aus, schritt der Förster sein Revier ab, kehrte Alltag ein, während die anderen draußen in den Trümmern der Großstadt noch ihre Angehörigen suchten.

    Wann boten unsere Gotteshäuser wirklich Schutz? In diesem Krieg jedenfalls nicht. Sie besaßen keinen besonderen Status, wurden oft vorsätzlich bombardiert. So sind die verschreckten Kreaturen, sobald die Sirenen heulten, in die Bunker gelaufen, aber niemals in die Kirchen. Aus Angst und Enttäuschung wandten sich viele von uns ab. Was haben wir effektiv an Widerstand gegen die Hitlerei ausgerichtet? Wenig, sehr, sehr wenig, grübelte Hauser vor sich hin.

    Als er kurz nach sieben Uhr vom Balkon aus den Blick über die südliche Hügelkette schweifen ließ, bemerkte er, dass dem Tal allmählich das Sonnenlicht ausging. Noch eine Viertelstunde und die ganze Umgebung würde im Schatten liegen. Höchste Zeit also für seinen ersten Erkundungsspaziergang, die Zeit wurde ihm schon knapp. Da fiel ihm unverwandt eine seiner Lieblingsstellen aus Stifters Feldblumen ein:

    Noch muss ich Dir sagen, ehe ich schließe, dass ich gestern wieder einmal recht spazieren war, so zu sagen, unendlich über allen Landen herum, um Heerschau über alle Schönheiten zu halten, über lebende und leblose. Da waren die lichten, klaren, glänzenden Lüfte mit den wunderlichen Aprilwolken voll Sonnenblicken – das Zittern der anbrütenden Lenzwärme über den noch schwarzen Feldern – die schönen grünen Streifen der Wintersaat dazwischen.

    Ein prachtvolles Stimmungsbild! Die kalte Jahreszeit hat kapituliert, der Frühling gewann allmählich die Oberhand. In diesem Jahr vermischte sich die gewohnte Euphorie der Menschen über den Jahreszeitenwechsel natürlich mit dem allgegenwärtigen Jubel über den jungen Frieden. Das Aufatmen der Natur fiel also zusammen mit dem Aufatmen der Menschen. Ein doppeltes Hochgefühl, dem sich nur jene verweigerten, die verbissen an den Endsieg geglaubt hatten.

    Maikäfer, Maikäfer, flieg nach Maria Brunn,

    bring uns heut‘ oder morgen a schene Sunn.

    Hauser verließ hastig sein Zimmer, schritt, den Reim im Ohr, rechts herum durch den Wirtsgarten am Försterhaus vorbei geradewegs in den Wald hinein, wo er sich alsbald verlor.

    Er war mit seinen 52 Jahren in ein Alter gekommen, in dem er den Entschluss, Priester geworden zu sein, nicht im Geringsten bedauerte. Der Verzicht auf Familie, die Rolle des Außenseiters, in die er sich manchmal gerückt sah, waren angesichts der Erfüllung, die ihm der Gottesdienst bereitete, leicht zu verschmerzen. In seinem Leben bildete der Glaube das Zentrum, um das tägliche Einerlei mochten sich andere kümmern. So sehr er früher als Bürokratieexperte gegolten hatte, so wenig wollte er mittlerweile mit Verwaltungskram zu tun haben. Profanen Verpflichtungen ging er aus dem Weg. Er war glücklich, im Salzburgischen seine Bestimmung gefunden zu haben. Wenn er die Zeichen richtig deutete, so krochen gerade jetzt jene, die gestern noch Hitler bewundert hatten – und das waren nicht wenige – reumütig in den Schoß der Kirche zurück. Allein gelassen in dieser entzauberten Welt, konfrontiert mit den fürchterlichsten persönlichen, familiären und beruflichen Katastrophen, nahmen diese armen Kreaturen einen neuen Anlauf und suchten wieder Halt bei uns. Aber Obacht, die Art Liebe, die die Kirche gibt, ist speziell, darauf sind die meisten nicht gefasst. Dass jetzt so viele zu

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