Meine Türkisch-Deutsche-Jugend
Von Cem Erkin
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Über dieses E-Book
Das heißt "Guten Tag" auf Deutsch; für diejenigen, die kein Türkisch können.
Mein Name ist Cem Erkin. Ich bin 25 Jahre alt und versuche gerade die Welt zu erkunden.
Ich will alles verstehen, auch eine Frau oder alle Frauen.
Heute lade ich Euch ein, mitzukommen. Wir werden nach Berlin fahren und die Stadt erkunden. Später fahren wir mit meiner Familie nach Istanbul.
Ja, wir Türken sind Muslime und dabei, die Welt zu erobern. Weltlich, dem Islam verbunden, jedoch trotzdem dem Gesetz des Landes unterlegen.
Ich lebe zwischen zwei Kulturen. Deutschland und die Türkei sind nicht wirklich unterschiedlich, wenn es darum geht, den Islam an- oder abzuerkennen.
Nur... wer hat das erfunden? - Unser "Vater der Türken" oder die Menschen selbst, die sich dieser Politik unterordnen müssen?
Kommt mit zum Brandenburger Tor und in die Blaue Moschee.
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Buchvorschau
Meine Türkisch-Deutsche-Jugend - Cem Erkin
Die Vorstellung
Im Jahr 2010 besuchte ich die 10. Klasse der Hauptschule in Siegburg und wusste genau, dass ich an der weiterführenden Schule, sprich in die Fachoberschule, dann in Köln an der Fachhochschule studieren wollte.
Ich war als Kind einer türkischen Gastarbeiterfamilie nach der 5. Klasse von Istanbul nach Deutschland gebracht worden. Obwohl ich in der fünften Klasse ein sehr gutes Zeugnis besaß, wurde ich wegen mangelnden Deutschkenntnissen in die Hauptschule eingeschrieben und in den ersten Jahren, also in der sechsten, siebten und der achten Klasse immer aus pädagogischen Gründen versetzt. Als ich in der neunten Klasse war, sprach ich so viel Deutsch, dass ich mich am Unterricht aktiv beteiligen konnte und dadurch verbesserten sich meine Noten so, dass ich Typ B der 10. Klasse besuchen konnte. Damit wurde der Weg für den Besuch der weiterführenden Schule frei. Schon zu Beginn der 10. Klasse war ich über den Aufbau der Fachoberschule informiert, genauer gesagt, dass in der 11. Klasse ein einjähriges Praktikum absolviert werden musste, und zwar vier Tage die Woche. Am Donnerstag mussten wir zur Schule stattdessen zur Schule.
Im zweiten Halbjahr machten sich alle meiner Kameradinnen und Kameraden auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz. Nur ich suchte einen Praktikumsplatz.
Ich hatte noch nie eine Bewerbung geschrieben, doch meine Mitschüler auch nicht. Daher hatte sich das Bewerbungstraining fast zum Hauptziel des Unterrichts entwickelt. Einige bewarben sich als Kfz-Mechatroniker, einige als Bäcker, einige als Elektriker, Schlosser, Maler, die anderen als Erzieherin oder Arzthelferin. Nur ich musste mich als Praktikant bewerben und das war doch wieder etwas anderes.
Ein entfernter Verwandter väterlicherseits kam ungefähr zu dieser Zeit aus Istanbul, um in Deutschland zu studieren. Doch sein türkisches Abitur wurde hier nicht anerkannt und so musste er die Fachoberschule noch einmal besuchen und auch an der Abschlussprüfung teilnehmen. Auch musste er ein einjähriges Praktikum absolvieren, was er bei Schwekutsch, Motorgeräte GmbH vor zwei Jahren getan hatte. Der Geschäftsführer war mit ihm äußerst zufrieden gewesen und würde ich mit meinem Verwandten bei ihm vorsprechen, so würde er mir bestimmt einen Praktikumsplatz zur Verfügung stellen.
Mein Vater kannte meinen Praktikumsplatz, jedoch wollte ich ihm trotzdem etwas über den Betrieb erzählen.
„Vater, Du kennst Schwekutsch, aber Dir etwas Genaueres über die Firma zu erzählen ist mir sehr wichtig: Das Unternehmen Schwekutsch wurde vor mehr als dreißig Jahren von Erika und Johannnes Schwekutsch gegründet. Das Grundprinzip der Firma war schon immer die optimale Auswahl an Lieferanten und Markenhersteller. Die Firma legt einen sehr großen Wert auf guten Service. Im Jahr 1990 zog man um und expandierte. Schwekutsch ist heute ein moderner Fachbetrieb mit dementsprechender Ausstattung. In dem Betrieb befindet sich eine Werkstatt, in der repariert wird und zusammengebaut. Es gibt eine zweijährige Ganrantie für bei privater Nutzung, bei gewerblicher Nutzung ein Jahr. In dem Ladengeschäft kann man Laubbläser erwerben, die mit einem Akku betrieben werden. Es gibt Mähroboter, die über den Rasen fahren, so wie die Staubroboter, die man in der Wohnung benutzt. Elektrische Motorsägen, Dünger, elektrische Heckenscheren, große Laubsauger und Laubbläser, Hochdruckreiniger, Nass- und Trockensauger und man kann auch Gebrauchtgeräte erwerben.
„Sehr schön, Cem. Ich wünsche Dir eine tolle Zeit da", sagte er kurz.
Das Leben in Siegburg
In der zweiten Hälfte des Schuljahres rief mein Verwandter, er heißt übrigens Ilker, bei Schwekutsch an und fragte für mich nach einem Praktikumsplatz. Der Geschäftsführer hörte ihm aufmerksam zu und sagte ihm, dass ich mal vorbeikommen solle und ein Bewerbungsschreiben wäre nicht notwendig.
Wir wohnten in Siegburg-Brückberg und hatten vor, in Kürze nach Siegburg-Centrum umzuziehen. Hennef lag nur ein paar Kilometer von uns entfernt. Ich brauchte für die Strecke von der neuen Wohnung bis zum Praktikumsplatz nicht mehr als eine halbe Stunde. Und dies konnte ich durchaus in Kauf nehmen. Die Fachoberschule war in Troisdorf-Sieglar und lag von uns auch nur ein paar Kilometer entfernt. Ich konnte also problemlos mit dem Bus zum Praktikumsplatz und auch zur Schule kommen.
Kurz nachdem Ilker mit seinem ehemaligen Chef gesprochen hatte, sprach ich vor und bekam auch eine Zusage. Der Geschäftsführer erklärte mir, dass er mir für die Arbeit auch Geld geben wolle, dass ich aber dafür fleißig zu sein habe und so wenig wie möglich ausfallen dürfe. Ich sollte von acht Uhr bis sechzehn Uhr arbeiten, müsste alle anfallenden Arbeiten erledigen, d.h. bohren, schleifen, sägen, fräsen, polieren, drehen, stanzen, etwas schweißen usw., würde dafür zwanzig Euro pro Tag bekommen und das theoretische Wissen würde ich in der Schule vermittelt bekommen. Der Meister des Betriebes würde für Fragen jederzeit zur Verfügung stehen und an seine Anweisungen hätte ich mich zu halten. Ich würde in diesem einen Jahr einiges lernen und würde das Ganze später während des Studiums ganz gut gebrauchen können. Das Geld sollte pro Woche, und zwar jeden Donnerstag, ausbezahlt werden und würde im Monat 320,-€ betragen. Er fragte mich wie ich zum Betrieb kommen würde. Ich sagte, mit dem Bus und ab und zu, wenn es passte, würde mein Vater, der in der Nähe bei WIFA arbeitete, mich fahren. Das Gespräch dauerte fast eine ganze Stunde und während dieser Zeit lernten wir uns etwas kennen. Zum Schluss des Gesprächs, bevor wir den Vertrag unterzeichneten, zeigte er mir ganz oberflächlich den Betrieb und die Maschinen; beginnen sollte ich nach den Sommerferien am 18. September. Ich verabschiedete mich von ihm, seinem Assistenten, einem circa 35 Jahre alten und dem Lehrling im Büro.
Als ich die Firma verließ, war ich sehr erleichtert, denn ich hatte mir bis dahin Sorgen darüber gemacht, ob es mir gelingen würde, einen Praktikumsplatz überhaupt zu finden. Vielleicht handelte ich mit etwas Schwermut und Trübseligkeit. Doch die Erleichterung tat mir sehr gut. Nun konnte ich nach den Sommerferien mit der Vorstufe des Studiums beginnen.
Die Firma befand sich in dem neuen Industriegebiet in Hennef Bis jetzt hatten sich nur vereinzelt Finnen angesiedelt und viele waren noch im Bau.
Die Strecke bis zu der Hauptstraße betrug circa 600 Schritte und war frisch geteert. An der Hauptstraße hielt der Bus, mit dem ich bis zum Siegburger Hauptbahnhof fahren konnte. Ich war sehr froh, dass ich in der Klasse nun zu denen gehörte, die das kommende Jahr sinnvoll verbringen würden. Ich ging zu der Hauptstraße und wartete fünfzehn Minuten auf den Bus, stieg ein und fuhr glücklich nach Hause. Meine Mutter war zu Hause und beschäftigte sich gerade mit dem Kochen. Sie wusste, dass ich ein Vorstellungsgespräch hatte und fragte mich daher, wie es verlaufen war. Sie und mein Vater waren stolz darauf, dass ich innerhalb von ein paar Jahren so viel Deutsch gelernt hatte, dass ich Typ B der Hauptschule und anschließend die Fachoberschule und dann die Fachhochschule besuchen konnte. Mein Vater vor allem, der in der Türkei nur fünf Jahre die Schule besucht hatte, legte viel Wert auf eine gute Ausbildung. Auch war er es, der mir durch intensive Gespräche den Maschinenbau nahe legte. Ich selbst schwebte noch in der Luft und hatte mich durch seine Ratschläge für ein Studium entschieden. Erst in der zehnten Klasse, als die Schwierigkeiten und Probleme mit der deutschen Sprache größtenteils behoben waren, gelangte ich zu der Überzeugung, dass ich eine weiterführende Schule besuchen könnte.
Ich erzählte meiner Mutter kurz und bündig den Verlauf des Vorstellungsgesprächs und erfreute sie, in dem ich ihr sagte, dass ich den Praktikumsplatz bekommen hätte.
Sie sagte lächelnd: „Hoffentlich geht das gut. Jetzt musst Du uns einen Kaffee ausgeben, und rührte die Kohlsuppe auf dem Herd. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich eine sehr schwere Last losgeworden. Mein Bruder, meine Schwester und mein Vater waren außer Haus. Ich ging in mein Zimmer, schlug mein Englischbuch auf und lernte für den morgigen Vokabeltest. Es waren circa dreißig Vokabeln, die gelernt werden sollten. Nach einer halben Stunde verließ ich das Zimmer, welches ich mit meinem Bruder teilte, und unterhielt mich mit meiner Mutter. Sie erzählte, wie schwer sie es hatten, als sie neu in Deutschland waren. Nicht einmal ein Kopfkissen hätten sie besessen und mussten dieses von einem Verwandten ausleihen. Sie fragte mich, ob ich einen Teller von der Kohlsuppe essen mochte. Ich bejahte und aß die Suppe. Meine Mutter zündete sich eine Zigarette an und sagte, bevor sie einen Zug davon nahm: „Ich finde es toll, dass Du nicht trinkst und rauchst.
„Wozu trinken und rauchen?"
„Sag das nicht. Nicht alles, was wir tun, hat auch einen Sinn."
„Mag ja sein. Doch als Nichtraucher und Nichttrinker fühle ich mich ganz wohl. Außerdem kann ich Alkoholgeruch nicht ausstehen und rauchen ist schädlich."
Wir unterhielten uns noch etwas über die Schule, meine Zukunft, über meinen Bruder, meine Schwester und über unseren diesjährigen Urlaub, der bald kommen sollte.
Die Teekanne war bei uns immer voll und es gab zu fast jeder Stunde frischen Tee. Ich trank noch ein Glas und ging aus der Wohnung, stieg in den Bus und fuhr in die Stadt. Der Marktplatz war von dem Geschrei und Rufen der Gemüse- und Obstverkäufer so erfüllt, dass ich es beinahe schon unangenehm fand. Ich ging direkt in das „Jump. Unseren Treffpunkt. Der Besitzer, Michael, mit langen, lockigen Haaren, blauen Augen und schlankem Körper, kannte uns alle. Er sagte auch nichts, wenn wir kein Geld hatten und nichtstrinkend nur dasaßen. Ömer und Hamdi saßen schon da und tranken Cola. Ich grüßte sie und gesellte mich zu ihnen und bestellte ein Glas Wasser. Ömer und Hamdi waren in der neunten Klasse und strebten ebenfalls Typ B an. Auch sie waren vor fünf Jahren aus der Türkei, Ömer aus Trabzon und Hamdi aus Kırşehir, nach Deutschland gekommen und wurden in der Schule drei Jahre lang aus pädagogischen Gründen versetzt. Ich erzählte ihnen, dass ich für die elfte Klasse der Fachoberschule einen Praktikumsplatz gefunden hätte und darüber sehr froh war und fühlte, dass beide mich aus diesem Grund beneideten. Ömer und Hamdi waren Klassenkameraden und ich kannte sie seit meiner Ankunft in Deutschland. Wir verbrachten viel Zeit miteinander, vor allem hier im „Jump
.
Ömer klopfte auf meine Schulter und sagte: „Hoffentlich schaffen wir auch Typ B und können später studieren. Ich habe meinen Klassenlehrer darauf angesprochen und ihn gefragt, ob ich Typ B schaffen kann. Er sagte, wenn ich so weiter mache, könnte ich es durchaus schaffen."
Ich spürte wie Hamdi dabei leicht bedrückt und schwermutig wurde. Schließlich bemerkte er, dass er Schwierigkeiten in Deutsch habe und nur Fünfen schreiben würde. Aber er würde nicht traurig werden, wenn er Typ B nicht schaffen sollte. Wenn er nicht studieren konnte, so wolle er eine Lehre, wie sein Cousin in Australien, als Friseur machen.
Michael ließ in seinem Jugendcafe` gute Musik laufen. Ich hatte keine Ahnung von dem, was lief. Aber es gefiel mir sehr. Ich ging gerne ins „Jump". Der Zwang der Umstände trieb uns hierher, und der Zwang der Umstände ließ uns Freundschaften schließen.
Ömer war der Meinung, dass wir uns in einer Leidenszeit befanden, doch, dass dies in ein paar Jahren beendet sein würde. Unsere Leidenszeit würde sich aus der Pubertät, der Jugend und der Integration zusammensetzen. Nach Ömers Auffassung waren wir alle Leidensgenossen und dies würde uns in gewissem Maße hochherzig, aber auch einfältig machen. Später unterhielten wir uns über Gül, eine Klassenkameradin von Ömer und Hamdi, die vor drei Tagen aus dem Elternhaus weggelaufen war und überlegten, warum sie weggelaufen sein und wo sie sich aufhalten könnte. Der Drang der Neugier veranlasste uns, die ganze Zeit nur über Gül und ihre Familie zu sprechen. Ömer, der dünnste und magerste von uns dreien, lächelte plötzlich auf, als er David zur Tür hereinkommen sah. David war schon über zwanzig Jahre alt und war genau so oft im „Jump" wie wir drei. Er grüßte uns alle, indem er jedem von uns nacheinander die Hand gab und setzte sich an unseren Tisch.
„Ich habe mir ein Auto gekauft" ,sagte er, sehr stolz.
„Was für ein Auto?" ,fragte ich.
„Einen Mini von BMW, allerdings einen Viertürer."
„Toll ,sagte Hamdi, und fügte hinzu, „damit müssen wir unbedingt eine Tour machen
.
„Warum nicht ‚sagte David, „ für eine Tour bin ich immer zu haben. Am liebsten nach Berlin, denn da wollte ich schon immer hin.
David stammte aus Ghana und hatte nur noch ein paar Monate bis zu seiner Prüfung als Kfz-Mechaniker. Er war durch und durch ein Afrikaner. Sehr stolz und sehr merkenswert und burschikos den Deutschen gegenüber, bis auf Michael. Michael konnte er gut leiden und Vertrauen schenken. Er war sehr belesen und uns gegenüber immer wohlgesinnt. Er legte viel Wert auf freundliche Gesichter.
Ömer erzählte ihm von Gül. David hörte aufmerksam zu und sagte leise, kaum hörbar: „Kein Wunder. Statt jeden Abend mit dem Vater Koran lesen, lieber mit dem Freund ausgehen."
„Hältst Du den Koran für so schlecht?" , fragte ihn Hamdi gelassen.
„Nicht schlecht, aber auch nicht originell. Wir wollen doch alle nur das Originelle."
Ich versuchte mich, am Gespräch zu beteiligen, blieb jedoch still. Ich gehörte zwar dem islamischen Glauben an, aber kannte mich im Islam nicht gut aus, was ich übrigens sehr bedauerte.
Wir hatten alle unsere Getränke ausgetrunken. Hamdi, Ömer und David redeten noch eine Weile über den Koran und über den Islam. Das Wissen über den Islam und das Wissen über den Koran war meine verwundbare Stelle. Auch mein Allgemeinwissen war aussichtslos. Meine Mutter las jeden Donnerstagabend aus dem Koran in arabischer Sprache und kannte sogar einige Suren auswendig. Mein Vater versuchte so oft wie möglich zu beten, blieb jedoch meistens beim Abendgebet und beim Nachtgebet. Meine Schwester Haie fastete im Ramadan und auch ich hatte schon mal im Ramadan gebetet.
David bestellte einen Kaffee und sagte dem Michael, er möchte doch Reggae-Musik auflegen. „Reggae, diesen Begriff hatte ich schon mal gehört, wusste auch, dass dies eine Musikrichtung war, war mir aber nicht im Geringsten klar, was für eine Richtung. Michael legte eine Platte auf und sagte: „Bob Marley. Gut so?
David lächelte ihm zu und nickte bejahend mit dem Kopf.
Ich beschloss David zu fragen, was Reggae bedeutete, fasste mich ans Herz und stellte meine Frage:
„Hey David, was ist eigentlich Reggae?"
David trank ein Schluck von seinem Kaffee und sah mich erstaunt an.
„Du weißt nicht, was Reggae ist?"
„Schon gehört, könnte es aber nicht beschreiben."
David drehte sich zu Ömer und Hamdi hin und fragte sie:
„Wisst ihr, was Reggae bedeutet?"
Beide schüttelten verneinend die Köpfe.
„Hab ich mir schon gedacht. Meine türkischen Freunde wissen nicht, wie man Reggae-Musik beschreibt."
Er setzte einen sehr kenntnisreichen Blick auf und versuchte, kurz gefasst, uns Reggae zu beschreiben:
„Also, Reggae ist eine aus Jamaika stammende Stilrichtung der Popmusik, deren Rhythmus durch Hervorhebung unbetonter Taktteile gekennzeichnet ist. Verstanden?"
Ich glaubte, nicht verstanden zu haben, was die unbetonten Taktteile sind. Also fragte ich noch einmal, diesmal aber nach den unbetonten Taktteilen. David war kein Musiker, doch Reggae war seine Lieblingsmusik. Er überlegte eine kurze Weile und trank noch ein Schluck von seinem Kaffee und versuchte, vor allem mir, die unbetonten Taktteile zu erklären: „Takt ist der Tonabstand und es gibt fast ein Dutzend Takte. Zweiachteltakt, Zweihalbetakt, Vierachteltakt, Dreivierteltakt usw. Und Tonabstand ist ein Intervall zwischen zwei Tönen. Auch da gibt es ein Dutzend Möglichkeiten."
Mir hatte es gereicht. Nun wusste ich, dass Reggae eine Musikrichtung aus Jamaika war und sie durch die Hervorhebung der unbetonten Taktteile gekennzeichnet war. Ich fühlte mich in Sachen Wissen so wüst und so leer. Gerne hätte ich das geändert, wusste aber nicht wie. Lesen wäre wohl sehr wichtig und auch Unterhaltungen mit Weltmännern. Doch welche Bücher sollte ich lesen und wo finde ich die Weltmänner? Ich hörte auch gern Reggae und war nun froh, den Namen des Sängers zu kennen und auch die Musik beschreiben zu können. Zu Hause hatte ich einen kleinen CD-Player und hörte türkische Musik. Doch, obwohl ich erst vor fünf Jahren aus der Türkei gekommen war, erschien mir die türkische Musik von Tag zu Tag einfach, banal und arm. Wenn ich türkische Musik hören wollte, so hörte ich Volksmusik oder Arabesk. Sie zerriss mir aber nicht das Herz und ich wurde das Gefühl nicht los, als fehlte der türkischen Musik, die ich hörte, die Einsicht in die Zusammenhänge. Meine Musik musste mir die Seele streicheln. Reggae hörte ich im „Jump" zwar gerne, aber sie zerriss mir weder das Herz, noch streichelte sie mir die Seele. Musik müsste ein Zündstoff sein, mit dem man die Mauern um das Herz und um die Seele sprengen kann. Kurz, ich hörte zwar gerne Musik, wusste aber nicht, welche Musik und welche Gruppen meine waren.
Wir hörten Bob Marley und unterhielten uns über die verschiedensten Themen. Vor allem aber über Gül, die Beweggründe ihres Weglaufens und ihren eventuellen momentanen Aufenthaltsort. Inzwischen wurde innerhalb kurzer Zeit das Jugendcafe` proppenvoll. Die Altersgenossen drängten und zwängten sich in das Cafe. Einige setzten sich auf die Hocker, die sich um die Theke befanden und einige setzten sich auf die Stühle um die Tische. Es war jetzt aussichtslos, einen freien Platz zu finden. Auch Martin, mein Klassenkamerad, war gekommen. Er gehörte zu den wenigen, die im Mai schon eine Lehrstelle gefunden hatten.
Ich empfand das „Jump" als sehr gemütlich. Der Sinn unseres Beisammenseins war nicht das Trinken, sondern die Unterhaltung. Bei guter Musik, einer gemütlichen und bescheidenen Atmosphäre konnte man sich nur wohl fühlen.
Plötzlich sah David uns drei an und schlug vor, bald eine Tour nach Berlin zu machen. Wir waren überrascht und schwiegen eine Weile. Nach kurzer Zeit brach Ömer das Schweigen und fragte:
„Wann denn?"
„Wann ihr wollt. Vielleicht in den Sommerferien?"
Ich redete dazwischen und sagte: „Ich habe kein Geld."
David beruhigte mich, in dem er sagte, dass wir fast gar kein Geld brauchen würden. Er würde die Benzinkosten übernehmen, übernachten würden wir im Auto und essen und trinken, müssten wir ja nicht im Hilton oder in einem Luxusrestaurant. Wir würden am Freitag losfahren und wären am Sonntagabend wieder zurück. Hamdi sagte, dass er erst mit seinen Eltern sprechen müsse. Ömer und ich schlossen uns Hamdi an.
„Ihr müsst es wissen. Das wäre mal was anderes, als immer nur im „Jump. „Und wir könnten die Mauer sehen
,sagte David, „ich muss weg. Habe noch einen Termin beim Zahnarzt" , und erhob sich von seinem Stuhl.
Ich sah auf meine Uhr und sagte: „Wir haben fast sechzehn Uhr."
„Macht nichts. Die Praxis hat bis neunzehn Uhr geöffnet."
Er ging auf Michael zu, der hinter der Theke stand, bezahlte die Getränke und winkte uns zu, als er aus der Tür ging. Wir drei schwiegen eine Weile. Die Gespräche der Altersgenossen schwebten im Raum. Ab und zu konnte ich in dem Chaos Martins raue Stimme wahrnehmen.
„Wieso sagte er, der Koran wäre nicht originell?", fragte Ömer arglos und brach das Schweigen.
„Für einen Christen oder Juden ist der Koran eben nicht originell", antwortete ich.
„Für mich schon."
„Du bist ja auch ein Moslem. Hast Du den Koran schon gelesen?"
„Nein, sagte Ömer, „wir haben einen Koran zu Hause, der ist aber in arabische Schrift, daher kann ich ihn nicht lesen.
„Wir auch, fügte Hamdi hinzu, „wenn ich noch einmal in die Türkei fahre, werde ich die türkische Übersetzung kaufen.
„Ich auch , sagte ich, bestätigend. „Weißt Du, wer den ersten türkischen Koran in Auftrag gegeben hat?
„Ja", sagte Hamdi, „das war Atatürk im Jahr 1928, nachdem er die türkische Schrift einführte und die Arabische damit ersetzte. Er war auch der Erste, der ihn vortrug, damals im Dolmabahçe-Palast."
Keiner von uns dreien hatte Zweifel daran, dass der Islam die einzig richtige Religion war. Das wurde uns durch unsere Eltern und die Älteren in der Verwandtschaft beigebracht. Es wäre fatal anzunehmen, dass der Islam nicht die richtige Religion wäre. Aber irgendwo hatte David mit seiner These auch Recht, als er sagte, dass der Koran nicht originell sei. Denn das Buch war immerhin fast fünfzehnhundert Jahre alt. Uns war auch klar, dass wir zwar Moslems waren, aber kompetent waren wir mit Sicherheit nicht. Es war zwingend notwendig, dass wir von unserem Glauben überzeugter sein mussten.
„Wir müssen mehr lesen, sagte Ömer, „denn des Menschen Wille ist sein Himmelreich.
„Ja, sicher. Du hast Recht. Wir müssen mehr lesen", bemerkte Hamdi und lächelte unergründlich, ja sogar rätselhaft.
„Aber was?" , fragte ich etwas oberflächlich.
Dann fiel mir ein, dass mein Vater einige Bücher besaß, die sich gescheit mit dem Islam beschäftigten.
„Ich weiß schon. Mein Vater hat ein Buch von Ghasali. Kennt ihr Ghasali?"
Beide schüttelten verneinend ihre Köpfe.
„Ich kenne ihn auch nicht, aber mein Vater ist der Meinung, dass es ein wertvolles Buch ist. Ich werde es lesen."
Hamdi lächelte anspruchsvoll und sagte: „Mein Bruder hat über zwanzig Playboy-Zeitschriften zu Hause. Ich sehe mir lieber die Bilder dort an."
Ömer und ich lachten aus vollem Halse.
In der Tat, die Bilder in den Playboy-Zeitschriften dienten als gute Wichsvorlage. Wir alle drei waren dem Irdischen verfallen, das war uns klar. Aber ich glaubte, dass wir die einzigen waren. Und da das Irdische von ausnehmender Schönheit war, fiel es uns umso schwerer, davon abzulassen, was wir, so glaube ich heute noch, auch gar nicht wollten. Zugleich wollten wir aber auch nicht in Gottes Ungnade fallen.
Hamdi kratzte mit seinen dünnen Fingern in seinem wirren und krausen Haar und erzählte von den Büchern seines älteren Bruders, der in Bonn Türkologie studierte und sich inzwischen zum Atheismus bekannte. Sein Bruder war der Meinung, dass nicht Gott uns erschaffen, sondern wir ihn erschaffen hätten und mit rituellen Praktiken hätte er nichts am Hut. Wir kannten Hamdis Bruder, wussten aber auch, dass er sich zum Atheismus bekannte. Für mich war der Atheismus die größte Sünde, die ein Moslem je begehen könnte. Auch Hamdi empfand seinen Bruder als ein verlorenes Kind, das in der Welt nur herumirrte und es peinigte ihn sogar, dass sein Bruder verloren war. Für Hamdi musste das irdische Dasein überwunden werden.
Plötzlich bemerkte ich hinter mir Martin. Er hatte sich uns lautlos genährt und beobachtete uns, ohne einen Laut von sich zu geben. Er war sehr lang, sehr dünn und hatte wie ein Südländer braune Haare und braune Augen. Wir nannten ihn daher manchmal den „Hobbytürken". Es bereitete ihm anscheinend einen enormen Spaß, manchmal seine eigene Landsleute mit türkischen Sitten, Gebräuchen und Redensarten anzusprechen, so dass leicht der Eindruck entstand, er wäre ein Türke, der nur nicht Türkisch sprechen konnte.
Er kam an den Tisch, grüßte uns mit einer Heiterkeit, ja, Herzlichkeit und erzählte uns eine Neuigkeit, die ich aber schon kannte, nämlich, dass er nach den Sommerferien als Elektriker bei einem Meisterbetrieb in Siegburg seine Ausbildung beginnen werde.
Martin, der Typ B nicht schaffte, war darüber auch nicht