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Berlin: Über Alle Grenzen
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Berlin: Über Alle Grenzen

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About this ebook

Über junge Leute in Berlin, die aus aller Welt herkommen – von Australien bis Nordafrika. Sie erzählen über ihre Träume und Wünsche, Interessen, Karrieren, Herkunft und sprechen über die wichtigsten Themen unserer Zeit: soziale Medien, Klimawandel, Künstliche Intelligenz. Sie sind engagiert und tüchtig, viele haben bereits die volle Verantwortung für sich übernommen und studieren nicht nur, sondern arbeiten parallel dazu auch für ihren Lebensunterhalt.

Die Geschichten aus dem Studentenleben, mit lustigen, skurrilen und auch mal etwas traurigeren Episoden. Eines ist klar: die Suche nach sich selbst ist ein faszinierender Weg, den jeder auf unterschiedliche Weise durchläuft.

LanguageDeutsch
PublisherOlga Yavnel
Release dateAug 29, 2020
ISBN9781005106034
Berlin: Über Alle Grenzen
Author

Olga Yavnel

Young author from Berlin. Olga started to work on her book when she arrived in Berlin and fell in love with the city and locals, and decided to learn more about the generation she was brought up in. She spoke to 15 young adults about their values, dreams, goals, and fears. Additionally, she brushed up the interviews with little stories about college life, with its funny and sometimes romantic stories.

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    Berlin - Olga Yavnel

    Olga Yavnel

    Berlin – über alle Grenzen

    Junge Leute aus aller Welt sprechen über Themen, die ihnen am Herzen liegen

    Deutsche Fassung und Lektorat von

    Ruth Wyneken

    2020

    Copyright 2020 © — Olga Yavnel

    Alle Rechte vorbehalten

    Umschlagbild und Illustrationen von Anastasia Honcharenko

    Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.

    Ich danke Berlin für die Freiheit, die es mir gestattet hat. Ich werde diese Stadt immer von Herzen lieben.

    Olga Yavnel

    Über dieses Buch

    Eine junge Russin kommt aus Moskau zum Studium nach Berlin und hat die Idee, ihre Altersgenossen aus aller Welt zu befragen – was sie wichtig finden im Leben, wofür ihr Herz brennt, wie sie ihren Weg suchen, was sie für Probleme haben, wie sie hier in Berlin und überhaupt mit dem Leben zurechtkommen in unserer komplizierten Welt. Und die Befragten erzählen bereitwillig und sehr engagiert über ihre spezifischen Interessen, ihre Wünsche und Träume, über ihre Herkunft. Sie möchten unsere Welt nach Kräften ein wenig besser gestalten. Das berührt und gibt Hoffnung: die Jungen übernehmen nicht einfach die ausgefahrenen Radspuren von uns Älteren, sondern wollen Neues in die Welt bringen – und sie tun es auch bereits. Sie sind engagiert und tüchtig, viele haben bereits die volle Verantwortung für sich übernommen und studieren nicht nur, sondern arbeiten parallel dazu auch für ihren Lebensunterhalt. Hut ab!

    Die Geschichten aus dem Studentenleben, die aufzuschreiben ich Olga ermuntert habe, geben einen lebendigen Einblick in diese Generation (für mich sind sie „die älteren Geschwister der Fridays for Future-Bewegung"), mit lustigen, skurrilen und auch mal etwas traurigeren Episoden. Eines ist klar: egal woher sie stammen, ob aus Nordafrika, Australien, Südamerika, Indien, Indonesien, Türkei oder Europa – sie alle fühlen sich selbstverständlich als Teil unserer Menschheitsfamilie und interessieren sich füreinander…

    Die Interviews wurden, abgesehen von offensichtlichen Fehlern, in der Ausdrucksweise nicht geglättet, sondern Charakter und Wortwahl der mündlichen Rede, die jungen Menschen eigen sind, wurden bewusst beibehalten.

    Ruth Wyneken

    Autorin und Übersetzerin 

    August 2020, Berlin

    INHALTSVERZEICHNIS

    Vorwort

    Kapitel 1. Lucie: Mein Heft ist stets dabei

    Kapitel 2. Mihael: Ich vermisse einen Ort, um kreativ zu sein

    Kapitel 3. Max: Kreativität und Logik zusammenbringen

    Kapitel 4. Federica: Nee, keine Pizza oder Pasta am Abend

    Kapitel 5. Ramy: Wie findet man eine Lösung

    Kapitel 6. Jakob: Ich würde wieder Medizin wählen

    Kapitel 7. Emanoil: Über die Grenzen hinausgehen

    Kapitel 8. Paul: Ich brachte nur sowas raus wie „Zum Teufel, ja!"

    Kapitel 9. Dominique: Mich interessiert Perfektion auf einem Foto nicht

    Kapitel 10. Nssra: Oh mein Gott, das ist doch alles Hexenwerk

    Kapitel 11. Alev: Ich habe ziemlich viel Power

    Kapitel 12. Prashant: Unter einer Haube leben

    Kapitel 13. Paz: Menschen brauchen einfach ein Gespräch

    Kapitel 14. Benji: Aber warum ist das Universum so groß

    Kapitel 15. Nindya: Lighting hat eine strahlende Zukunft

    Danksagung

    VORWORT

    Was soll ich bloß werden? – so lautet die Hauptfrage der heutigen jungen Generation, an die sich dieses Buch richtet. Ich war selber lange Zeit unsicher, wie ich diese Frage beantworten sollte. Deswegen habe ich mich entschieden, 15 junge Leute aus aller Welt – von Frankreich oder der Türkei bis von Australien oder Indien, zu diesem Thema zu befragen. Sie haben verschiedene Berufe, sind Studenten, Berufseinsteiger oder freischaffende Künstler, ihre Herzen aber schlagen alle heute unter dem Himmel von Berlin.

    Sie erzählen, warum sie einen bestimmten Lebens- und Karriereweg gewählt haben und was ihre Motivation dafür war. Sie teilen nicht nur ihre Erfahrungen mit, sondern sprechen über die wichtigsten Themen unserer Zeit: soziale Medien, Klimawandel, moderne Werte der Gesellschaft und künstliche Intelligenz. Sie sind zielstrebig und engagiert, haben schon eine Menge verstanden und ihre Talente entdeckt, sind aber noch etwas unsicher, wie es weitergehen soll. Sie haben alle einen ganz verschiedenen kulturellen und sozialen Hintergrund, der auch eine Rolle bei ihren persönlichen und professionellen Entscheidungen spielt. Sie sind noch keine Superstars geworden, verfolgen aber große Ziele.

    Als moderner junger Mensch fühlt man sich oft verloren und überfordert und lebt in einer verzerrten virtuellen Welt, in der einfach alles perfekt zu sein scheint. Man hat Probleme mit der Konzentration, dem Informationsüberfluss und dem Zeitmangel und fordert zu viel von sich. Aber am Ende stellt es sich heraus, dass die Suche nach sich selbst ein faszinierender Weg ist, den jeder auf unterschiedliche Weise durchläuft.

    Anmerkung:

    Die Altersangaben der Interviewten gelten für den Zeitpunkt der Befragungen, sie fanden zwischen Sommer 2018 und Sommer 2019 statt.

    KAPITEL 1

    LUCIE

    (Frankreich, 21 Jahre alt, Studentin der Sozialwissenschaften und Künstlerin)

    Im September 2018 erhielt ich ein Studenten-Visum und war glücklich, wieder nach Berlin zu reisen, denn ich konnte mein Masterstudium an der Humboldt-Universität beginnen. Meine neue Unterkunft, genauer, das Zimmer, das ich bei einer rumänischen Schriftstellerin gemietet hatte, befand sich an der Leipziger Straße, fünf Minuten weg von der U-Bahn-Station Stadtmitte . Mit dem Fahrrad konnte ich in etwa zehn Minuten an meiner Fakultät sein. Parallel dazu verlief die Friedrichstraße, mit ihren teuren Boutiquen, Bankfilialen und großen Firmensitzen, der historische Gendarmenmarkt, auf dem sich die Marmorstatue von Schiller im Kreise seiner Musen erhob, das Café Microsoft, das stets voller Schnösel war, und der berühmte Boulevard Unter den Linden.

    Die Fakultät für Sozialwissenschaften liegt gegenüber der riesigen Bibliothek, des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrums, abgekürzt einfach Grimm. Unter der Woche tummeln sich vor dem Eingang jede Menge Studenten. Sie drehen sich Zigaretten und schlürfen Kaffee aus Pappbechern. Während meiner Abwesenheit hatte sich nichts verändert.

    Ich erkannte die Gesichter von Studenten wieder, die ich im Jahr davor kennengelernt hatte, während meines Austauschsemesters. Wir hatten zusammen Seminare zur Politik und Soziologie besucht. Einige Austauschstudenten, darunter auch ich, beschlossen, dass wir am liebsten in Berlin leben wollten. Entweder schrieben sie sich an der hiesigen Universität ein, oder sie fanden hier einfach Arbeit und blieben da.

    Die Europäer sind überhaupt sehr frei in ihrer Wahl: sie können so lange studieren, wie sie wollen, sie können Pausen einlegen, ihr individuelles Studienprogramm erstellen oder auch zu Auslandspraktika wegfahren. Etliche sind später enttäuscht von ihrer Wahl, sie exmatrikulieren sich, ziehen um in andere Städte oder Länder oder brechen zu einer Reise um die ganze Welt auf. Es kommt vor, dass sie vor lauter Möglichkeiten und einer Überschwemmung an Informationen in Depressionen verfallen und gegen dreißig immer noch ihre Berufung suchen. Im Vergleich zu ihnen ist es für Studenten der Dritten Welt, zu denen ich mich auch zähle, viel schwerer, sich den Weg zu den Sternen zu pflastern. Immerhin geben uns ständige Begrenzungen und Fristen gar nicht die Möglichkeit, in den Strudel einer existentiellen Krise zu geraten. Den Großteil unserer Zeit versuchen wir schlichtweg, uns über Wasser zu halten.

    An meiner Fakultät werden in regelmäßigen Abständen Studentenpartys veranstaltet: Das Institutsgebäude verwandelt sich dann in einen Nachtclub mit Diskokugeln, Schaukeln, Tanzflächen, Bars, dröhnender Musik und studentischen Face Kontrollen. Auf einer dieser Partynächte lernte ich Lucie kennen – eine hochgewachsene Französin mit kurzen dunklen Haaren. Später sah ich sie oft im Lesesaal, doch beschränkte sich unsere Kommunikation auf ein freundliches Nicken und leichtes Lächeln.

    Lucie fiel aufgrund ihrer großen Statur und eines etwas hochmütigen Blicks auf; ständig hielt sie ein kleines Notizbuch in der Hand, in das sie entweder etwas schrieb oder zeichnete. Sie war stets im engen Kreis mit anderen französischen Studenten zu finden. Sie hingen regelmäßig in der Nähe eines Kaffeeautomaten herum oder im Lesesaal und erinnerten mich an die Bohème-Szene von Paris im Jahre 1968, von der ich in Büchern zur Kunstgeschichte gelesen hatte. Damals brodelte die Stadt vor linksradikalen studentischen Veranstaltungen und Demonstrationen, die durch eine soziale Krise in Frankreich hervorgerufen worden waren. Schlussendlich kam es zu einem Generalstreik von ca. 10 Millionen Menschen und zu einem Regierungswechsel, zum Rücktritt von Präsident Charles de Gaulle und insgesamt zu gewaltigen Veränderungen in der französischen Gesellschaft.

    Später, zur Zeit unseres Interviews, bestätigten sich meine Vermutungen. Lucie und ihre Freunde interessierten sich für politische Probleme, für die Folgen des Kapitalismus, die Verschlechterung unserer Umweltverhältnisse und unseres Klimas, und bald nahmen sie auch an großen Demonstrationen teil, die sich gegen die Rodung des Waldes im Hambacher Forst richteten und unter anderem eine Blockade gegen den Elektrokonzern RWE beinhaltete.

    Von Instagram wurde mir Lucie ständig als Freundin angeboten, weil wir gemeinsame Bekannte an der Uni hatten. Ich beschloss, sie zu abonnieren und erfuhr, dass Lucie Künstlerin war. Deshalb also trug sie immer ein kleines Notizbuch in der Hand! Auf Instagram veröffentlichte sie Comics und Illustrationen auf Französisch zu verschiedenen sozial-politischen Themen. Da ich kein Französisch verstehe, blieben ihre Auseinandersetzungen und Dispute für mich ein Rätsel, dafür betrachtete ich lange ihre talentiert gezeichneten Comics. Lucie abonnierte mich ihrerseits nicht. Ich nahm es ihr nicht übel und entfernte sie nicht. Das Interesse an ihrem künstlerischen Schaffen siegte über meinen Stolz. Wer weiß denn schon, was in den Köpfen von Künstlern vor sich geht…

    Ich hatte nicht damit gerechnet, Lucie wiederzusehen. Groß war deshalb mein Erstaunen, als ich sie eines Tages vor dem Eingang zur Fakultät erkannte. Es schien, als sollte diese plötzliche Begegnung auch wieder ein Zufall bleiben. Ich war mir gar nicht sicher, dass sie nach einem Jahr mein Gesicht wiedererkennen würde. Denn mein Versuch, mich über Instagram mit ihr zu verbinden, war von Lucie ja ignoriert worden. Doch meine Neugierde siegte mal wieder über meine Angst.

    „Hi", grüßte ich. Lucie drehte den Kopf in meine Richtung, lächelte und grüßte mich zurück. Wir tauten auf. Lucie erinnerte sich, dass wir uns schon mal im Seminar und später auf einer Party gesehen hatten.

    Um das Interview zu machen, trafen wir uns Anfang Oktober. Lucie sah herbstlich frisch aus. Sie hatte einen gestrickten weißen Pullover an mit grauen und weinroten Ornamenten, graue abgeschnittene Jeans, einen Ledermantel bis zum Knie und lederne Stiefeletten, aus denen weiße Socken mit schwarzen Tupfen herausschauten. Draußen war es kühl, doch nicht zu sehr, so dass wir uns in ein Café in der Markgrafenstraße auf die Straße setzten. Ich mit einem Kaffee, Lucie mit einer großen Tasse dampfenden Kakaos. Unweit von hier befand sich das Zentrum für soziologische Forschungen, wo sie ein Praktikum absolvierte.

    Während Lucie sich eine Zigarette drehte, nahm ich meine vorbereitete Fragenliste heraus und schaltete das Diktiergerät ein. Während des Interviews lief eine kleine Gruppe Franzosen am Café vorüber. Einer von ihnen kannte Lucie wohl. Ohne stehenzubleiben rief er Lucie etwas zu und fragte, wie es ihr gehe. Sie antwortete ihm etwas auf Französisch. Im Vergleich zum Deutschen klang ihr Französisch lauter und lebhafter, und es wurde gleich deutlich, wieviel bequemer und leichter es ihr fiel, in der Muttersprache zu reden.

    „Wer ist dieser junge Mann?" interessierte ich mich.

    „Keine Ahnung, zuckte Lucie mit den Schultern. „Wir haben uns ein paar Mal gesehen, aber nie wirklich miteinander gesprochen.

    „Komisch, dachte ich. „Unsere Bekanntschaft begann ja ganz genauso…

    Einige Monate später lud ich Lucie zu unserer Foto-Session im Volkspark am Weinberg ein, wo wir zufällig einen kleinen Blumengarten fanden. Dieser Ort erinnerte mich an Alice im Wunderland. Jeden Moment erwartete ich, dass das weiße Kaninchen aus den Büschen sprang und auf einem Ast am Baum die Grinsekatze erschien.

    Lucie hatte keine Scheu vor der Kamera, sie posierte mit Vergnügen und mit Know-how – als Kind hatte sie nämlich gemodelt und war über den Laufsteg stolziert.

    Jetzt ist Lucie nach Paris zurückgekehrt. Nach den Fotos auf Instagram zu urteilen, zeichnet sie bis heute Comics.

    ***

    INTERVIEW

    Wie hast du mit dem Zeichnen angefangen?

    Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich angefangen habe. Ich denke, dass ich das seit meiner Kindheit mache. Als ich klein war, habe ich immerzu gezeichnet, vor allem mochte ich Comics. Das war süß… aber es hatte schon was.

    Wer hat dich dazu inspiriert?

    Ich bin in einer coolen Familie geboren. Mein Vater ist Arzt, aber er zeichnet auch. Er hat das immer als Hobby behalten. Er war ein Vorbild für mich. Als ich klein war, hat er immer viel gezeichnet. Jetzt beschäftigt er sich mehr mit Fotografie, als Amateur. Ich würde sagen, dass mein Vater tatsächlich auch Künstler ist, obwohl er einen anderen Beruf hat. Er gab mir auf jeden Fall meine größte Inspiration mit.

    Womit zeichnest du?

    Ich habe verschiedene Techniken ausprobiert. Am Computer hast du natürlich viele Optionen, zum Beispiel alle Farben, die du willst. Ich zeichne aber sehr viel einfach mit Bleistift und mit Tinten. Mit komplizierten Techniken habe ich keine große Erfahrung gemacht, weil ich nie Zeichenkurse genommen, sondern alles selbst gelernt habe.

    Warum studierst du Sozialwissenschaften?

    Als ich so 15-16 war, hatte ich kein Interesse an einem Studium, obwohl ich gute Noten hatte. Damals sagte ich meinen Eltern, dass ich Künstlerin werden und Kunst und Kunsttechniken studieren möchte. Sie wollten aber ein Kunststudium nicht bezahlen, weil es damit keine Arbeitssicherheit gibt. Es ist traurig, aber heutzutage ist es so: viele Künstler sind arm. Also hatten meine Eltern recht. Sie haben mir auch gesagt, dass ich auch so genug Talent hätte und wenn ich mich weiter damit beschäftigen wollte, nicht Kunst studieren müsste. Das war ziemlich nett von ihnen. Ich habe mir gesagt: ja, okay, vielleicht haben meine Eltern Recht. So habe ich einen ganz klassischen Studiengang angefangen – Sozialwissenschaften.

    Waren deine Eltern mit diesem Studium einverstanden?

    Meine Eltern wussten nicht viel über Sozialwissenschaften. Die sind beide Ärzte und verkehren in medizinischen Kreisen, deswegen waren sie nicht so gut über andere Karriereperspektiven informiert. Meine Mutter hat ein paar Bücher über Soziologie gelesen und einfach gesagt: „Ja, das klingt interessant". Zudem ist die École Normale Supérieure an sich schon eine gewisse Sicherheit, weil diese Schule sehr berühmt und angesehen ist. Es ist nicht wirklich eine Universität, sondern die École Normale Supérieure in Paris! Um auf diese Schule zu gehen, habe ich eine sehr schwierige Prüfung gemacht. In Frankreich gibt es eine echte Hierarchie zwischen normalen Unis und solchen Schulen. Meine Lehrer sind zum Beispiel alle stark in der Forschung tätig. Damit sind meine Eltern ganz zufrieden.

    Wollten sie vielleicht, dass du auch die medizinische Richtung einschlägst?

    Nein, weil sie schon ganz gut verstanden haben, dass Naturwissenschaften, Biologie, Physik, Chemie, einfach nicht mein Ding war. Sie wussten auch, dass ich Künstlerin bin und mich in der Medizin deprimiert fühlen würde.

    Wie ist dein Studium aufgebaut?

    Das französisches Bildungssystem ist für Ausländer schwer zu verstehen. Anstatt meines Bachelors habe ich nach dem Abitur in den so genannten Classes préparatoires, also Vorbereitungsklassen, in Bordeaux studiert. Sie dauern zwei Jahre. Dann habe ich eine schwere Prüfung geschafft und noch ein letztes Jahr im Bachelor studiert. Jetzt habe ich einen Doppel-Bachelor in Soziologie und Geschichte und studiere gerade weiter Soziologie im Master. Dazu habe ich ein Erasmus-Jahr in Berlin eingeschoben. Das Studium ist schwer, so hatte ich zum Beispiel während der Vorbereitungsklassen fast keine freie Zeit. Ich hatte Angst, dass ich zu zeichnen aufhöre, das habe ich aber nicht - natürlich weniger intensiv als früher, aber mein Heft, in dem ich immer kleine Zeichnungen mache, ist stets dabei.

    Was hat dir während des Erasmus-Studiums in Berlin so gefallen, dass du hier länger geblieben bist?

    Ich habe in Berlin ein Praktikum gefunden, deswegen mache ich gerade eine Pause mit dem Studium. In Deutschland gibt es viel mehr interdisziplinäre Verflechtungen, deshalb war ich vom Studium total begeistert und habe mich entschieden hier länger zu bleiben und hier auch das Praktikum zu machen. Ich hatte beispielsweise ein sehr interessantes Lektüreseminar zur Architektur und Gesellschaft im 20. Jahrhundert. Der Kurs war multidisziplinär, komplett voll und brachte Disziplinen wie Architektur, Soziologie, Geschichte, Politikwissenschaften und Philosophie zusammen. Die schlechte Sache in Frankreich ist, dass es

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