Die Große Fälschung: Band 1: Tuckstett
By P. M.
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Ein fränkischer Ritter mischt das Mittelalter auf und verändert die Welt. Die große Fälschung spielt rund um das Jahr 1000. Rodulf von Gardau, ein unzufriedener kleiner Ritter in Franken und zugleich Geheimagent eines mächtigen Konzerns, der die Erde beherrscht, rebelliert gegen die Verhältnisse – eine Rebellion, die sich schnell ausbreitet, die Macht des Konzerns schließlich weltweit ins Wanken bringt und Rodulf zu einer Reise rund um die Erde führt. Am Ende könnte aus dem finsteren Mittelalter eine Utopie für das 21. Jahrhundert entstehen, eine Welt ohne Klimakatastrophen, Kriege und Ausbeutung.
Mit dem zehnbändigen Romanwerk Die Große Fälschung, das ab September 2020 in zweimonatigem Abstand erscheint, legt der Schweizer Autor P.M. ein vielseitiges Werk vor: ethnologischer Abenteuerroman ebenso wie gesellschaftliche Utopie. Wie ein Bruder im Geiste Karl Mays erzählt P.M. mit großer Fabulierkunst von Abenteuern in exotischen Welten, die sein Kara Ben Nemsi Rodulf von Gardau erlebt, und entwirft eine faszinierende Parallelwelt aus der Science-Fiction-Tradition der "Was wäre, wenn …", die nicht nur Game of Thrones-Fans begeistern wird.
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Die Große Fälschung - P. M.
Regen! November! Eben habe ich meineFaust gegen den grauen Himmel gereckt, und Gerd hat gebrummt: »Romantiker.« Scheißromantik. Scheißmittelalter. Nicht mal das Jahr wissen die hier genau. Es kann 994 sein, 995, 996. Keiner zählt die Jahre. Ist auch egal. Mein Pelz ist längst durchnässt, mein Lederhut vollgesogen. Alles klamm und feucht. Scheißjob! Ritter Ende des zehnten Jahrhunderts – nie wieder. Gideon, mein braver Fuchs, zuckt mit dem linken Ohr. Wenigstens einer, der mich versteht. Hinter uns stapfen unsere zehn Mann über den sumpfigen Weg. Auch ihre Ledercapes und Stiefel sind längst aufgeweicht, ihre Finger blau, ihre Mienen irgendwo zwischen griesgrämig, beleidigt und rebellisch.
Jederzeit können sie ausrasten oder davonlaufen. Dazu das entnervende Quietschen der vier Fuhrwerke. Wann zerbricht wieder ein Rad oder knickt eine Achse ein? Die Karren sind alt, hundertmal geflickt.
»Wir schaffen’s schon«, meint Gerd, der meine Gedanken erraten hat. »Die Ernte war knapp ausreichend, und mit all den Impulsen, die wir gegeben haben, werden sie sich im nächsten Jahr zusammenreißen.«
»Sie verstecken das meiste und schmuggeln es zu den Märkten in Targau oder Tuckstett.«
»Wir müssten wieder einmal ein paar Schmuggler fassen und aufknüpfen«, schlägt Gerd ohne Begeisterung vor.
»Sie stecken alle unter einer Decke und halten zusammen wie Pech und Schwefel.«
»Wir brauchen mehr Straßenpatrouillen, sag ich immer, mehr Männer.«
»Und wie soll ich die ernähren? Wer begibt sich noch in meine Dienste, wenn jeder Schmuggler zehnmal besser lebt?«
Gerd schüttelt sich.
»Dann halt Terror«, knurrt er, »blinder Terror. Das kommt immer billiger.«
»Unsinn. Wenn die Stimmung allzu mies wird, laufen sie mir davon oder sind so demoralisiert, dass überhaupt nichts mehr geht. – Schau dir diesen Weg an.«
Gerd glotzt ratlos vor sich hin. Solange wir noch durchkommen, sieht er das Problem nicht. Ich aber sehe keinen Weg mehr vor mir, sondern nur einen braunen Sumpf. Gerd versteht nichts vom Wegebau. Er kann ganz gut Gerste abwägen, Schweine zählen oder Hühner an den Füßen zusammenbinden, aber Wege sind für ihn einfach unsichtbar vorhanden.
»Das ist kein Weg«, erkläre ich, »das ist eine Schweinerei. Eigentlich müssten wir zurück nach Obermoos und zwanzig Mann zu sieben Tagen Fron einteilen.«
Dazu hat Gerd nun gar keine Lust.
»Wir könnten Männer in Unterberg aufbieten. Die haben ihr eigenes Wegstück, und das war vergleichsweise passabel. Da kann ich sie nicht bestrafen. Überhaupt hat Unterberg auf meiner Liste eine Drei plus.«
»Drei plus«, das bedeutet in meinem System, dass sie gnädig behandelt werden sollen, damit die anderen Dörfer auf sie neidisch werden. Benchmarking heißt das. New Public Management. Neo-Feudalismus – nennt es, wie ihr wollt. Überdies haben fünf meiner Männer Verwandte in Unterberg. Da sind nicht Auspeitschungen, sondern gute Worte und ein paar Brosamen angebracht. Damit sie weiter die Prügel ertragen, die ihnen die Obermooser bei jeder Gelegenheit aus Missgunst verpassen.
Mein System beruht auf einem prekären Gleichgewicht von Milde und Strafe. Am Ende muss die Rechnung aufgehen: Essen für meine Familie, Futter für meine Pferde, Geld oder Material für die Instandhaltung der Burg, der Waffen, der Geräte, Löhne für die Mannschaft, Steuern für die Pfaffen, Prämien für die Schnüffler, Zölle und Abgaben an den Grafen, die Abtei usw. Da in unserer Gegend kaum Münzen im Umlauf sind, können meine Bauern nur in Naturalien bezahlen. Ob die Rechnung aufgeht, hängt von den Preisen ab, die sie in diesen verfluchten Städten machen. Ich muss dringend mit Thiebald und mit Konrad, mit Gottfried und den anderen reden. Diesen Blutsaugern und Spekulanten in den Städten muss das Handwerk gelegt werden. Sind wir Ritter oder Buchhalter? Aber Leonhard, der Markgraf, protegiert sie. Sie haben ihn gekauft.
»Na ja«, brummt Gerd, »vielleicht kann ich bei gutem Wetter einmal in Obermoos vorbeischauen. Im Winter ist genug Zeit für Straßenarbeiten, und meinen Männern wird ’s ohnehin langweilig.«
»Aber keine Schweinereien«, sage ich.
»Klar. Geschäft ist Geschäft.«
Ich habe wieder dieses Gefühl, mich gegen einen übermächtigen Strom zu stemmen. Meine Bauern fallen bei jeder Gelegenheit in die Subsistenzwirtschaft zurück. Sie wollen es sich in ihren Dörfern gemütlich machen. Schweine fressen und tanzen. Sie lachen mich aus. Verstellen ihre Gesichter, ziehen sich alte Lumpen an, hungern tagelang, bevor ich komme. Sie ziehen ihre Show ,Das Bauernelend im frühen Mittelalter’ ab. Hollywood B-Film. Aber danach geht’s los. Nachts. Sie haben alles. Schnäpse, Braten, Fettsuppen … Und wir hocken frierend und halb verhungert in der engen Burg. Birgit nervt mich mit ihren Romanen und Schwärmereien. Die Kinder möchten am liebsten ins Dorf hinunter und mit den Bauernlümmeln spielen. Die brächten sie glatt um.
»Unterberg«, liest Gerd vor, als zwei Dutzend geduckte Strohdächer hinter einem abgeernteten Kohlacker auftauchen. »Noch drei Schweine, zehn Gänse, zehn Maß Roggen, sechs Maß Hafer, ein Dutzend Hühner. Den Rest haben wir schon.«
»Gut. Du verteilst etwas Zucker an die Leute. Der Schulze kriegt eine Gans und zwei Ellen von dem blauen Stoff. Ich werde eine Lobrede halten. Und dann nichts wie nach Hause.«
»Alles klar. Die weiche Tour.«
Auf dem matschigen Dorfplatz steht schon Albert, der fette Dorfschulze, ein Freier, den man ordentlich behandeln muss. Er trägt Stiefel, einen mottenzerfressenen Hundefellüberwurf und einen speckigen Lederhut. Er streckt uns ein Roggenbrot entgegen. Seine aufgedunsene Tochter steht mit einem Krug und Tassen da. Es wird wieder dieses grässliche Dünnbier sein. Jetzt immer schön huldvoll lächeln.
Ich steige vom Pferd, fasse der Tochter unters Doppelkinn, esse ein Stück Brot, trinke schales Bier. Dann die übliche Routine. Die Dörfler, gut vierzig Seelen, stehen mit nassem Haar knietief im Dreck und schauen mit ausgemergelten Gesichtern (wahrscheinlich haben sie mit Kohle nachgeholfen) zu, wie Schweine weggetrieben werden und Kleinvieh abgeholt wird. Maß um Maß wird das Getreide verladen. Gänse und Hühner beißen, picken und flattern und machen ein entnervendes Theater. Meine Männer stehen herum, trinken lustlos das Schwachbier, kauen am zähen Brot herum. Alles stimmt. Ich lobe den Schulzen, lade ihn zu Martini auf die Burg ein, gebe die Produktionsziele fürs nächste Jahr bekannt, worauf das eingeübte Jammern ertönt. Ein paar strenge Worte. Ich erwähne die Mühle, die ich bauen werde, rede von den besseren Zeiten, die wir dank gemeinsamer Anstrengung erreichen können. Dann verteile ich zusammen mit Gerd die Kandiszuckerbrocken, gebe dem Schulzen sein Geschenk, und weg sind wir.
»Die werden übermütig«, sagt Gerd, als wir in den Waldhohlweg einbiegen. »Zwei magere Schweine, lausiger Hafer.«
»Wir stufen sie runter auf Drei«, schlage ich vor.
»Drei minus – wegen dem faden Bier. Ist doch eine Frechheit. Wenn man bedenkt, was sie heute Nacht saufen werden.«
Wir grinsen uns tapfer an. Wie oft in solchen Momenten tappt meine rechte Hand vergeblich nach einem Päckchen Zigaretten. Immerhin, denke ich, habe ich noch diese gute Flasche Cognac, von der wir uns heute Abend ein Gläschen genehmigen werden. Oder zwei. Dieser Job macht mich zum Alkoholiker.
»Nur Saufen hilft bei diesem Wetter«, meint auch Gerd, der wieder einmal meine Gedanken erraten hat. Nicht einmal die habe ich für mich. Es ist ja auch alles so offensichtlich, so banal und beschissen. Pro Tag schaffen wir drei oder vier Weiler. Insgesamt gehören mir neun, dazu noch ein paar freie Einzelhöfe (Steuern auf Ochsengespanne), einige Pachthöfe und mein eigener Hof. Theoretisch müssten die Bauern mir ihre Abgaben bringen – aber sie tun’s einfach nicht. Zweimal pro Jahr muss ich mindestens vorbeischauen, dazwischen minderes Gericht halten (ist das langweilig, sag ich euch!), bei Prozessionen mitmarschieren, bei Heiraten dabei sein (ius primae noctis!), Streitigkeiten schlichten, neue Schulzen ernennen, Männer für mich und den Grafen rekrutieren. Klingt alles einfach. Aber es gibt laufend Komplikationen. Neuerdings verschwinden immer mehr junge Männer. Die Dörfer überaltern. Ich darf für die Kinder meiner Pächter und Sklaven sorgen – doch kaum sind daraus starke junge Männer geworden, gehen sie weg. In die Städte, hinaus in die Welt. Wer weiß, wohin. Was kann ich ihnen schon bieten? Der islamisch-byzantinisch manipulierte Weltmarkt blutet uns aus. Sie haben die Goldreserven, bestimmen die Terms of Trade.
»Wir kriegen Besuch«, unterbricht Gerd mein Grübeln.
Es ist ein Mann mit einem Esel. Er hat einen kurz gestutzten schwarzen Bart und muntere stahlblaue Augen. Er ist etwa gleich alt wie ich. Und schon beneide ich ihn, weil er ungebunden durch die Gegend ziehen kann. Sein Esel ist mit allerlei Kisten bepackt. Beutel, Dosen, Körbe, eine Mandoline in Wachstuch, Flaschen und Töpfe sind mit Riemen und Bändern aufgeschnallt. Der Mann ist solide, aber mit einer Spur südländischer Eleganz gekleidet.
»Wer bist du?«, fahre ich ihn im eingeübten, barschen Ton an.
»Reinhart, mein Herr.«
»Was tust du in meinem Land? Meine Leute vergiften?«
»Oh nein, mein Herr. Ich bringe nur Gutes.