Fromm und frei: Geistlich leben
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Ausgehend von gegenwärtigen Glaubensbiographien und der darin zum Ausdruck kommenden Sehnsucht nach Gott bietet ein Überblick zu konfessionellen und außerchristlichen Suchbewegungen Orientierung im weiten Feld gegenwärtiger Spiritualität. Biblische Grundlagen und historische Entwicklungen bilden den Nährboden für konkrete Beispiele heutiger evangelischer Glaubensgestaltung. Gewürdigt werden Anregungen für Andacht, Gebet und Meditation, die sich am Kirchenjahr, an der Tagzeit, an den Sakramenten, an der Musik und an Kommunitäten sowie Einkehrhäusern orientieren.
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Book preview
Fromm und frei - Thomas Schönfuß
Theologie für die Gemeinde
Im Auftrag der Ehrenamtsakademie der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens herausgegeben von Heiko Franke und Wolfgang Ratzmann
Band III/3
Thomas Schönfuß
Fromm und frei
Geistlich leben
Thomas Schönfuß, Pfarrer, Jahrgang 1954, studierte in Leipzig Theologie. Nach verschiedenen Gemeindepfarrstellen arbeitete er 20 Jahre in der Aus- und Fortbildung für Pfarrer und Pfarrrinnen und qualifizierte sich in den Bereichen Seelsorge, Gemeindeberatung und Geistliche Begleitung. Derzeit leitet er das Haus der Stille in Grumbach bei Dresden.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2015 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Cover: Kai-Michael Gustmann, Leipzig
Coverfoto: © jd-photodesign – Fotolia.com
Layout und Satz: Steffi Glauche, Leipzig
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
ISBN 978-3-374-04217-3
www.eva-leipzig.de
Vorwort
Als ich einem katholischen Freund von dem Buchprojekt erzählte und ihm auf Nachfrage den Titel nannte, schmunzelte er und sagte: »Sind Katholiken nicht fromm und frei?«
Wenn ein Buch über evangelische Spiritualität unter dem genannten Begriffspaar erscheint, liegen vielleicht ähnliche Rückfragen nahe. Die Attribute »fromm und frei« würde ich meinem katholischen Freund ohne Weiteres auch bescheinigen. Und doch meine ich, dass im Hinblick auf das Wort »frei« eine evangelische Besonderheit mitschwingt. Luthers Schrift zur »Freiheit eines Christenmenschen« (vgl. unter 2.2.1) hat die evangelische Frömmigkeit entscheidend geprägt und den Typus des protestantischen Menschen begründet. Insofern fängt der Titel meines Erachtens schon einen wesentlichen Impuls evangelischer Spiritualität ein. Freilich ohne zu implizieren, dass andere Konfessionen davon ausgenommen sind. Ich hoffe, dass die Leser und Leserinnen diese Absicht bei der Lektüre bestätigt finden.
Mein eigener geistlicher Weg ist keine gerade Linie. In meiner vogtländischen Heimat bin ich in vielfältiger Weise in das Leben der Kirchgemeinde hineingewachsen, und in gewisser Weise folgerichtig studierte ich dann Theologie. Die große Stadt mit ihren (auch geistlichen) Angeboten ließ mich vieles kennenlernen und doch den eigenen Stil nicht finden. In meiner ersten Gemeinde als junger Pfarrer waren es vor allem ältere und alte Frauen, die mir in erstaunlicher Offenheit von ihren geistlichen Erfahrungen erzählten, oft auf dem Hintergrund von Krieg und Flucht. Nicht nur im Hinblick auf meinen Pfarrberuf habe ich viel von ihnen gelernt. Später in meiner zweiten Gemeinde am Rande einer großen Stadt waren es die Kirchenglocken, die mich im täglichen Rhythmus zum Innehalten mitten im Tagwerk und zum Gebet riefen. Aber erst ein Besuch in Taizé half mir in einem längeren Prozess, so etwas wie ein regelmäßiges, nämlich tägliches, geistliches Leben zu entwickeln. Das praktiziere ich nun schon viele Jahre, mitunter verändert sich das eine oder andere Element, aber im Wesentlichen habe ich vor Jahren meine Form gefunden. Im Rückblick denke ich, die unermüdliche Triebkraft war die Sehnsucht. Wenn die Sehnsucht nach einem gestalteten geistlichen Leben da ist und über einen längeren Zeitraum wach bleibt, findet sich auch schrittweise die Form.
Der Inhalt des Buches bedarf zum Verstehen keiner Fachkenntnisse. Jedes Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung. Die Belegstellen für verwendete Zitate finden Sie entweder direkt im Text oder am Ende des Kapitels unter den Hinweisen zum Weiterlesen.
Zum Schluss ein Wunsch: Möge die Lektüre gerade bei Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, eigene Prozesse zur Gestaltung eines geistlichen Lebens anregen oder vertiefen.
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
1Menschen auf der Suche nach Gott
1.1 Zwischen Freiheit und Orientierungslosigkeit
1.2 Beispiele gegenwärtiger Glaubensbiografien
2Evangelischer Glaube – Fromm und Frei
2.1 Orientierung an der Heiligen Schrift
2.1.1 Glauben als Geschenk empfangen
2.1.2 Glauben im Alltag gestalten
2.2 Orientierung an der Wahrheit, die frei macht
2.2.1 Keine Norm erfüllen müssen
2.2.2 Den eigenen Weg finden
2.3 Zusammenfassung
3Evangelische Frömmigkeit im weiten Horizont spiritueller Suchbewegungen
3.1 Zur Klärung der Begriffe
3.1.1 Frömmigkeit
3.1.2 Spiritualität
3.1.3 Frömmigkeit oder Spiritualität
3.2 Christliche Spiritualität im Kontext der Konfessionen
3.2.1 Orthodoxe Spiritualität
3.2.2 Römisch-katholische Spiritualität
3.2.3 Evangelische Spiritualität
3.2.4 Spiritualität außerhalb des Christentums
3.3 Zusammenfassung
4Christliche Spiritualität in der Geschichte
4.1 Spiritualität in der Bibel: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig
4.2 Spiritualität in den Klöstern: Ora et labora
4.3 Spiritualität bei Martin Luther: Begeisterung für das Alltägliche
4.4 Zusammenfassung
5Geistlich leben – Elemente gegenwärtiger evangelischer Spiritualität
5.1 Orientierung am Kirchenjahr
5.1.1 Beispiel Gottesdienst
5.1.2 Beispiel Advents- und Passionszeit
5.2 Orientierung an der Tagzeit
5.2.1 Beispiel Morgengebet
5.2.2 Beispiel Mittagsläuten und Abendgebet
5.3 Orientierung an den Sakramenten
5.3.1 Beispiel Taufe und Abendmahl
5.3.2 Beispiel Seelsorge und Beichte
5.4 Orientierung an der Musik
5.4.1 Beispiel Evangelisches Gesangbuch
5.4.2 Beispiel Geistliche Konzerte von Motette bis Gospel
5.5 Orientierung an Kommunitäten und Einkehrhäusern
5.5.1 Beispiel Stille und Meditation
5.5.2 Beispiel Exerzitien
5.6 Zusammenfassung
Editorial zur Reihe
Weitere Bücher
1 Menschen auf der Suche nach Gott
Menschen sind auf der Suche – so lange sie leben. Aber sind sie auch auf der Suche nach Gott? Ist Gott »der uralte Turm«, den Rainer Maria Rilke »jahrtausendelang umkreist«, heute noch ein Thema? (Rainer Maria Rilke, Das Stunden-Buch, Ausgewählte Werke Band 1, Leipzig 1938, S. 9) Nach der Aufspaltung des christlichen Glaubens in einen bunten Strauß verschiedener Konfessionen und Richtungen, nach Hexenverbrennung und Holocaust, nach kommunistischer Diktatur und kapitalistischen Wohlstandsversprechen? Ja, Gott ist nach wie vor ein Thema, wie ein Blick in die Zeitgeschichte und in beispielhaft ausgewählte Biografien zeigt.
1.2 Zwischen Freiheit und Orientierungslosigkeit
Menschen sind auf der Suche nach Gott. Dieser bemerkenswerte Satz trifft zu – trotz aller Hochschätzung der Vernunft und des Fortschritts vor allem im 19. und 20. Jahrhundert. Und trotz aller damit einhergehenden Verachtung der Religion. Es ist noch nicht so lange her, da schien der Glaube an Gott nicht nur im kommunistischen Osten nahezu erledigt zu sein. Der Optimismus der Vernunft brachte ungeahnte Erkenntnisse und Errungenschaften in Wissenschaft und Technik hervor. Die grandiose Idee vom Menschen als Subjekt seiner Selbst ließ ihn in die Freiheit ausziehen – heraus aus aller selbstverschuldeten Unmündigkeit, heraus aus den Fesseln, die ihm traditionelle Moralvorstellungen auferlegten, heraus aus der Bevormundung von Staat und Kirche. Der Fortschrittsglaube setzte und setzt darauf, dass die Welt erkennbar und veränderbar ist und sich die großen Menschheitsprobleme vernünftig lösen lassen. Eine große Hoffnung im politischen Bereich stellten im Osten die revolutionären Veränderungen der Jahre 1989 und 1990 dar. Es ging um nichts Geringeres als um die Freiheit.
Viele Hoffnungen haben sich erfüllt. Freilich bei Weitem nicht alle. Trotz großer Erwartungen konnten in den letzten 25 Jahren nach dem Ende der real-sozialistischen Regime etliche Kriege, Gewaltausbrüche und Terroranschläge nicht verhindert werden. Aber auch im privaten Bereich sehnen sich Menschen nach Sicherheiten, und die Umsätze der Versicherungen steigen. Die Sorge um den Arbeitsplatz, Angst vor Krankheiten und existenziellen Krisen nehmen