DIE AKTE EUGENIA: Der Krimi-Klassiker!
Von The Gordons
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Die Akte Eugenia Martinek macht dem FBI-Agenten John Ripley Kummer, denn sie wird immer umfangreicher: Zu dem Autodiebstahl kommt ein Juwelenraub hinzu - und schließlich verdächtigt man Eugenia noch des Mordes an ihrem Komplizen...
The Gordons ist das Pseudonym eines Autorenduos, bestehend aus Gordon Gordon (* 2. März 1906 in Anderson, Indiana; † 14. März 2002) und Mildred Gordon (* 24. Juni 1912 in Kansas; † 3. Februar 1979 in Tucson, Arizona). Von ihrem Werk ist vor allem die Trilogie um Kater D.C. hervorzuheben: Diese Romane wurden vom Publikum wie auch von der offiziellen Kritik hoch geschätzt und später auch kongenial verfilmt.
Der Roman Die Akte Eugenia erschien erstmals im Jahr 1950; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1975 (unter dem Titel FBI-Auftrag).
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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DIE AKTE EUGENIA - The Gordons
Kapitel
Das Buch
Eugenia Martinek, Kleinstadt-Schönheit aus Kansas, möchte in Hollywood Karriere machen. Zunächst aber wird sie weniger von Filmproduzenten als vom FBI dringend gesucht - wegen Autodiebstahls.
Die Akte Eugenia Martinek macht dem FBI-Agenten John Ripley Kummer, denn sie wird immer umfangreicher: Zu dem Autodiebstahl kommt ein Juwelenraub hinzu - und schließlich verdächtigt man Eugenia noch des Mordes an ihrem Komplizen...
The Gordons ist das Pseudonym eines Autorenduos, bestehend aus Gordon Gordon (* 2. März 1906 in Anderson, Indiana; † 14. März 2002) und Mildred Gordon (* 24. Juni 1912 in Kansas; † 3. Februar 1979 in Tucson, Arizona). Von ihrem Werk ist vor allem die Trilogie um Kater D.C. hervorzuheben: Diese Romane wurden vom Publikum wie auch von der offiziellen Kritik hoch geschätzt und später auch kongenial verfilmt.
Der Roman Die Akte Eugenia erschien erstmals im Jahr 1950; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1975 (unter dem Titel FBI-Auftrag).
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
DIE AKTE EUGENIA
Erstes Kapitel
Von Rechts wegen hätte eigentlich niemand unterwegs sein dürfen - höchstens der Weihnachtsmann. Es war sieben Uhr früh, und es war der erste Weihnachtsfeiertag. Aber das FBI war schon auf den Beinen, weil das FBI immer auf den Beinen ist und weil es überdies Leute gibt, die selbst am Weihnachtsmorgen keine Lust haben, mit den Spielzeugmaschinenpistolen der lieben Kleinen zu spielen. Manche Leute bevorzugen nämlich die größere Ausführung.
Ecke Clark und Adams Street stieg John Ripley, ein Beamter des FBI, aus der Straßenbahn.
»Arbeitet ihr heute auch?«, erkundigte sich der Schaffner.
Rip nickte. »Man darf schließlich nicht aus der Übung kommen«, meinte er, knöpfte den Mantel zu und stapfte vornübergeneigt in den Schneesturm hinein. Er erreichte das Gebäude der Vereinigung der Bankiers von Chicago, trat ins Vestibül und wurde von Mac begrüßt, der zur Hauswache gehörte.
»Schweinerei«, stellte Mac fest. »Heute werden die Gören kaum dazukommen, die neuen Fahrräder auszuprobieren... Sie haben übrigens Kundschaft, ’ne alte Dame. Vor zehn Minuten ist sie raufgegangen.«
Diese Woche war Rip an der Reihe und musste Anzeigen entgegennehmen. Er hatte bereits den vorhergehenden Tag damit verbracht, geduldig alle möglichen Leute anzuhören: Narren, Klatschbasen und brave Normalamerikaner. Da war ein Mädchen gekommen und hatte gebeten, man möge doch ihren Verlobten mal unter die Lupe nehmen - nicht, dass sie ihn eines scheußlichen Verbrechens verdächtigt hätte, oh, nein; sie hatte sich nur gedacht, wenn FBI bei dem Knaben nichts finde, dann werde er sich in der Ehe wohl einigermaßen benehmen. Eine alte Jungfer hatte von Geräuschen zu berichten gewusst, die sie unter ihrer Erdgeschosswohnung höre; womöglich seien das Russen: Wenn sie nämlich einen Tunnel quer durch den Globus bohrten, nicht wahr - es sei doch immerhin denkbar. Und dann war da die schüchterne Hausfrau, die nur eben Bescheid sagen wollte, dass ihr möblierter Herr verschwunden sei, und beim Aufräumen des Zimmers habe sie einen Geldsack gefunden mit dem Namen einer Bank in Kalifornien darauf.
Nun spielte es aber keine Rolle, ob bei einem Besucher offensichtlich ein Schräubchen locker war oder ob er geradewegs von der Northwestern University kam: alle wurden gleich behandelt. Eine hübsche Empfangsdame begrüßte die Besucher, lächelte freundlich, versuchte, in großen Zügen herauszubekommen, was sie auf dem Herzen hatten, und führte sie dann zu einem Beamten. John Edgar Hoover, Gründer und Leiter des FBI - des Bundeskriminalamtes der Vereinigten Staaten hatte seine eigenen Ansichten, was diese Dinge betraf. Er vertrat den Standpunkt, auch Steuerzahler sollten wie menschliche Wesen behandelt werden.
Der Fahrstuhl trug Rip zum neunzehnten Stock hinauf. Er trat in einen strahlend erleuchteten Korridor hinaus, in dem es so hell war wie in einem Filmatelier. An den Wänden hingen Fotos von den Fingerabdrücken bekannter Verbrecher. Er wandte sich nach rechts und schritt, den Schnee von seinem Hut schlagend, durch die weit offenstehende Doppeltür mit der Aufschrift: Federal Bureau of Investigation.
»Fröhliche Weihnachten«, begrüßte ihn das Mädchen, das Dienst am Empfangstisch hatte. Sie hieß Mary Beall, war rothaarig und hatte so viele Sommersprossen, dass es für eine ganze Schulklasse gereicht hätte. Große braune Augen saßen neben ihrer Stupsnase, und sie sah immer so aus, als sei sie gerade erst aus einer Zellophanhülle ausgewickelt worden.
Er erwiderte den Gruß. »Hübsch, die Ohrringe«, fügte er hinzu. »Sie haben den Herrn wohl total ruiniert, was?«
Sie warf den Kopf in den Nacken, und die Smaragdimitationen glitzerten. Sieben neunzig in dem großen Warenhaus gleich um die Ecke. Er wusste Bescheid. Er hatte auch ein Paar erworben.
Sie blickte zur Besucherbank. Er warf einen raschen Blick hinüber und registrierte flüchtig einen schwarzen Hut, weißes Haar darunter und einen dunklen Tuchmantel. »In ein paar Minuten«, sagte er. »Ich rufe an.«
Er betrat einen langgestreckten Raum, in dem Schreibtische aufgereiht waren wie Dominosteine. Es sah aus wie in einem Geschäft für Büromöbel. Das FBI schätzte leere, gutpolierte Tischplatten und Fußböden, die so jungfräulich wirkten, als habe noch nie ein Zigarettenstummel auf ihnen gelegen. An der Wand hing eine Bronzetafel mit der Inschrift: Zum Gedenken an alle Beamten, die bei der Erfüllung ihrer Pflicht ihr Leben hingegeben haben. Es folgten sechzehn Namen.
Rip holte sein Schreibzeug aus der Schublade und legte Notizblock und Bleistift zurecht. Dann griff er zum Telefon.
»All right, Mary. Schicken Sie sie rein.«
Sie kam zögernd durch die Tür, sie mochte eingeschüchtert sein durch die Stille, die im Raum hing, und durch den Eindruck der Strenge, den er vermittelte. Vielleicht war es auch ein Schauer, der sie angesichts der Legende überlief, die sich um den Namen FBI gewoben hat. Auftreten und Kleidung verrieten Kleinbürgertum und Mittelwesten. Sie war schmächtig und hager und mochte etwa Mitte Sechzig sein; ein hartnäckiger trockener Husten krümmte sie noch mehr zusammen. Er schob einen Stuhl für sie zurecht, und Mary Beall stellte vor: »Mrs. Martinek, dies ist Agent John Ripley. Und das ist Mrs. Martinek«, fuhr sie fort. »Aus Chanute in Kansas.«
Die Frau nickte und setzte sich. Ihre Hände hielten krampfhaft eine abgeschabte schwarze Handtasche.
»Es ist nämlich... Ich muss Ihnen etwas mitteilen«, flüsterte sie. Sie zitterte und war so erregt, dass sie nicht deutlich sprechen konnte. »Meine Tochter Genia... Sie ist weg. Und jetzt hab’ ich Angst...« Sie biss die Zähne zusammen, um die Tränen zurückzuhalten, und rang um Fassung.
Er fragte: »Seit wann?« und sie sah ihn dankbar an, weil er ihr zu Hilfe kam. Er musterte sie, bemerkte die abgearbeiteten Hände mit den stark hervortretenden Adern, die den rascher gehenden Puls verrieten; er sah wieder weg, um sie nicht noch unsicherer zu machen.
»Das ist jetzt schon so einen Monat her. Der Brief kam am Thanksgiving Day. Es war ein Einschreiben, und da hab’ ich gleich gewusst, dass was nicht stimmt. Ich war so durcheinander, dass ich den Truthahn hab’ anbrennen lassen, und Papa hat ihn kaum tranchieren können hinterher... Ich hab’ den Brief dabei.«
Während sie umständlich die vollgestopfte Handtasche durchstöberte, sagte Rip geschäftsmäßig: »Sie können mir natürlich gern eine Beschreibung geben, und wir werden sie nach Washington zu den Akten geben; eine richtige Untersuchung kann FBI in dieser Sache aber nicht anstellen.« Und er setzte ihr die Gründe hierfür auseinander, gab ihr die Erklärung, die er schon so oft hatte geben müssen, dass er sie auswendig wusste.
»Wir beschäftigen uns nur mit solchen Fällen, mit deren Bearbeitung wir vom Kongress beauftragt sind. Solange eine vermisste Person kein Verbrechen begangen hat, darf das FBI nicht eingreifen. Aber wir werden den Erkennungsdienst in Washington verständigen; es kommt hier und da vor, dass eine vermisste Person, die plötzlich erkrankt ist, die womöglich an Gedächtnisschwund leidet...«
Sie reichte ihm den Brief, und als er sie ansah, wusste er, dass sie kein Wort von alldem begriffen hatte. Der Briefbogen war augenscheinlich nicht billig gewesen und stark parfümiert; er trug am Kopf in blauem Druck die Initialen E. M. Ripley las:
Liebe Eltern!
Es hat sich was ereignet, und ich muss für eine Weile verreisen. Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen, Mama. Es geht mir gut. Wenn ich in ein paar Wochen zurück bin, schreib’ ich Euch gleich. Wenn wer nach mir fragt, dann sagt einfach, ich bin in Los Angeles. Ich erklär’ Euch das alles später. Gestern ist der Kuchen eingetroffen, und es ist der beste, den Du je gebacken hast, Mama. Ich nehme ihn mit. Ich bin ziemlich sicher, dass ich Weihnachten heimkommen kann, bloß ich habe Mr. Huss noch nicht gefragt.
Er gab ihr den Brief zurück. Sie sagte: »Jetzt ist Weihnachten; und sie hat sich immer so auf Weihnachten gefreut. Sie kennen sie eben nicht, meine Genia, Mr.... äh...«
»Ripley«, kam er ihr zu Hilfe.
»Mr. Ripley. Und jede Woche hat sie geschrieben. Manchmal zweimal die Woche. Da muss etwas passiert sein, es muss was...« Abermals griff er lenkend ein. »War da vielleicht jemand, der...«
»Nein«. Sie stieß es hervor, als ob er sie überrumpelt habe. Eilig fügte sie hinzu: »Das heißt - ich bin nicht ganz sicher.« Sie ging nicht näher darauf ein, und er drängte sie nicht weiter. Stattdessen erkundigte er sich nach diesem Mr. Huss.
»Das ist der Geschäftsführer von so einer tschechischen Vereinigung«, gab sie bereitwillig Auskunft. »Den Job hat ihr Papa besorgt. Er ist gebürtiger Tscheche, wissen Sie, und Mr. Huss und er, die beiden haben sich als Kinder schon gekannt. Papa hat eine kleine Schusterwerkstatt in Chanute, ja. Und wie Genia gesagt hat, sie will nach Chicago, da hat er an Mr. Huss geschrieben. Das war so vor sechs Monaten.«
»Wo hat ihre Tochter in Chicago gelebt, Mrs. Martinek?«
»In der Morse Avenue Nummer 925. Das ist gleich am See.«
»Wie heißt sie mit Vollem Namen?«
»Wir haben sie Eugenia taufen lassen; Eugenia Martinek. Aber sie war mehr für Genia, und manchmal hat sie sich Genia Martin genannt, weil doch Martinek ein tschechischer Name ist, nicht wahr, und sie hat gesagt, sie kann ausländische Namen nicht leiden, jedenfalls nicht, wenn sie mit feinen Leuten ausgeht.«
Es ging etwas Warmes von dieser sanften, schüchternen Stimme aus und von diesen Augen, die jetzt so aussahen, als seien sie schon immer so müde und traurig gewesen. Er hatte die Frau nie zuvor gesehen, und wahrscheinlich würde er ihr nie wieder begegnen. Das hier war eine reine Routinesache, die nach festgelegten Regeln und Bestimmungen erledigt werden musste; und doch brachte er es nicht über sich, es als Routineangelegenheit zu akzeptieren. Es fiel ihm etwas ein, was Lorrie Ashley einmal behauptet hatte: er habe ein Einfühlungsvermögen in andere Menschen wie ein Romanautor, hatte sie gesagt. Er hatte das damals zur Kenntnis genommen; es war ein hübscher Gedanke, nicht mehr. Seine schriftstellerischen Fähigkeiten hatten bisher gerade zur Abfassung von Examensarbeiten ausgereicht, und er war sicher, dass es damit sein Bewenden haben werde.
Er erhob sich langsam und nachdenklich. »Bitte entschuldigen Sie mich einen Augenblick.«
Er durchquerte den Vorraum und betrat das Zimmer des Bürovorstehers. Hier stand alles voller Akten; Akten, in denen die ganze Skala menschlichen Schicksals enthalten war. Nur Lucille Raeder hatte heute Dienst, eine Vierzigerin mit braunem, von grauen Strähnen durchzogenem Haar und nachdenklichen Augen. Es war nun bald zehn Jahre her, seit sie um drei Uhr früh vom Telefon aus dem Schlaf gerissen worden war, um zu erfahren, dass ihr Mann, ein FBI-Beamter, bei einer Schießerei ums Leben gekommen war. Später hatte man ihr eine Stelle als Sekretärin gegeben.
»Bitte, Mrs. Raeder, würden Sie mal nachsehen, ob wir was über eine Eugenia Martinek in den Akten haben? Vielleicht auch Genia Martinek, Eugenia Martin oder Genia Martin.«
»Sofort, Mr. Ripley«, erwiderte sie mit einem Lächeln. Sie mochte ihn gut leiden. Er war immer ruhig und freundlich, ganz gleich, ob nichts los war oder ob es an sechs Ecken auf einmal brannte. Er war so, wie ihr Mann gewesen war: Er funktionierte wie eine gutgeölte Maschine, aber er war ein Mensch geblieben.
Während Rip wartete, wurde seine Aufmerksamkeit auf die Fernschreiber gelenkt, die nebenan in einem kleinen Raum standen. Da standen sie und klapperten unaufhörlich; manchmal gab ihm das monotone Rasseln ein Gefühl des Eingekreistseins. Das Stakkato der Tasten schien ihm den rastlosen Rhythmus Chicagos zu versinnbildlichen, aber er hatte sich nie recht an die brandenden Menschenmassen gewöhnen können, an all diese winzigen Menschlein, die hin und her rasten, als ob ihr Leben von ein paar Sekunden abhinge, und auch nicht an ihr Lärmen. Manchmal fragte er sich, warum er die Hühnerfarm seiner Mutter je verlassen hatte. Sie lag in Arizona, in der Nähe von Tucson, und er hätte viel darum gegeben, wenn er jetzt hätte zusehen können, wie die Wüstensonne den östlichen Horizont rosa färbte, um dann in das wolkenlose Blau des Himmels hinaufzusteigen wie die goldene Gottheit, die sie für die Inkas gewesen war. Er hätte sich sogar mit dem Anblick einer einsamen mageren Kuh zufriedengegeben, die, das Maul voller Stacheln, an Kaktustrieben herumkaute. Na, vielleicht würde es eines Tages mit der Versetzung nach El Paso klappen, die er beantragt hatte...
Ihre Stimme riss ihn aus seinen Träumen. »Hier hab’ ich einen SMV-Vorgang«, sagte sie und reichte ihm einen Aktendeckel. SMV war die Abkürzung für Stolen Motor Vehicle und bedeutete: Kraftfahrzeugdiebstahl. Ripley blätterte einen Augenblick in den Akten herum, ehe er zu seinem Schreibtisch zurückging. Seine Schritte waren rasch und sicher. Keine Zeit für Arizona.
Mrs. Martinek stopfte gerade ihr Taschentuch in den Ärmel. Er trat zu ihr und sagte: »So, jetzt erzählen Sie mir mal alles, was Sie wissen.«
Mühsam und geduldig pickte er sich aus der weitschweifigen Erzählung die wesentlichen Einzelheiten heraus. Eugenia Martinek war für ihn so etwas Ähnliches wie eine Schaufensterpuppe geworden, die er jetzt mit einzelnen Fakten bekleidete. Sie war 1,65 Meter groß, wog etwa einen Zentner und trug Größe 38, sie hatte dunkelbraune Augen und Haare von der gleichen Farbe, die aber zuletzt aschblond gefärbt gewesen waren. Sie blieb einstweilen eine Puppe, leblos; aber im Lauf der Zeit würde er auch etwas über die geistigen Kräfte und die seelischen Regungen erfahren, die diesen Organismus steuerten, und sie würde lebendig werden.
»Papa und ich, wir wollten sie ja auf die Universität schicken; sie ist immer unter den Besten in der Klasse gewesen.« Sie atmete schnell und ungleichmäßig. »Zehn Jahre lang haben wir dafür gespart. Aber dann wollte sie nicht. Stattdessen ist sie nach Los Angeles gereist. Das war uns nicht recht, Papa und mir. Dass sie dort ganz allein ist.«
»Was hat sie denn getrieben in Los Angeles?«
Der zerbrechliche Körper begann wieder zu zittern. »Ich hab’ Genia schwören müssen, es niemandem zu sagen.« Sie biss sich auf die Lippen und drückte die Handtasche fester an sich. »Als sie nach Hause gekommen ist vor einem halben Jahr, da hab’ ich’s ihr schwören müssen. Schlecht hat sie ausgesehen damals, so blass, und ganz mager... Da hab’ ich ihr versprochen, dass ich niemandem was sage. Aber jetzt sag ich’s doch, der liebe Gott wird mir’s verzeihen, weil ich mein kleines Mädchen wiederhaben will.«
Sie wischte sich die Augen ab und holte tief Atem. »Schon früher, wenn sie in der Schule Theater gespielt haben, da haben die Leute immer gesagt, sie ist eine geborene Schauspielerin. Und es stimmt auch; ich sag’ das, obwohl ich die Mutter bin... Sie ist nach Hollywood, um Filmstar zu werden.
Fünf Jahre lang ist sie dort geblieben. Bis letzten Sommer; da ist sie heimgekommen, um uns zu besuchen; und da hat sie Papa gefragt, ob er in Chicago jemand weiß, der ihr einen Job gibt, egal, was.
Da muss irgendwas los gewesen sein. Ich weiß nicht, was es war, aber... Sie hat so verheulte Augen gehabt. Und ich musste ihr schwören, dass ich nie jemandem erzähle, wo sie gewesen ist und wo sie jetzt hinfährt. Na, sie ist so zwei, drei Tage daheim geblieben, ja, und sie hat sich immer so gesetzt, dass sie aus dem Fenster hat gucken können und sehen, wer kommt, so, als ob sie wen erwartet - einen, der ihr was will.«
»Und? Ist er gekommen?«
»Nein.« Sie war nicht auf die Frage gefasst gewesen und zuckte zusammen. Dann ergänzte sie berichtigend: »Das heißt, nicht, während Genia da war. Aber später, wie sie schon lange weg war, da klopft es auf einmal. Vormittags war das, und ich wollte gerade anfangen mit Erbsenschälen - wir hatten schrecklich viel Erbsen letzten Sommer, wissen Sie... Ja, also da steht dann auf einmal so ein Kerl vor der Tür. Ich hab’ ihn bis damals noch nie gesehen. Ziemlich jung war er; so in Genias Alter ungefähr.
Ich bin ein Freund von Genia, hat er gesagt, und ich hab ihn reingebeten und bin nett zu ihm gewesen, weil ich gedacht hab’, vielleicht ist es ihr Verehrer, obwohl, sie hat uns nie was gesagt von einem Verehrer. Na, er setzt sich also, ja, und ich frag’ ihn, wo er her ist und ob er länger in Chanute bleiben will - was man so fragt, nicht wahr? Aber dann... Ich hab’ so ein ganz komisches Gefühl gekriegt, Mr. Ripley; ich kann’s nicht erklären, aber auf einmal hab’ ich gewusst, der Kerl lügt.
Wo ist Gerda?, hat er mich gefragt. Na, in Los Angeles doch, sag’ ich - ich war jetzt sicher, dass es kein Verehrer war, sonst hätte sie ihm doch gesagt, wohin sie gereist ist, nicht wahr? Nein, da ist sie nicht, sagt er da auf einmal ganz scharf, sie ist hier gewesen. Wo steckt sie jetzt?
Da hab’ ich gesagt: Wieder zurück nach Los Angeles, weil ich gewusst hab’, der hat nichts Gutes vor. Na, dann hat er mir erzählt, er weiß, dass ich Genia beschützen will, und sie ist in großen Schwierigkeiten. Wenn ich ihr helfen will, dann soll ich ihm doch sagen, wo sie steckt. Da hab’ ich ihn gefragt, ob er von der Polizei ist, und da hat er gesagt: Gewissermaßen, aber ich hab’ gewusst, dass es nicht wahr ist. Dann ist er gegangen; er wird sie schon finden, hat er gesagt, und er wird ihr helfen.«
Rip lehnte sich zurück und schlug die langen Beine übereinander. »Was waren denn das für Schwierigkeiten, Mrs. Martinek?«
»Also wirklich, Mr. Ripley, ich hab’ keine Ahnung.« Es lag fast so etwas wie Schuldgefühl in ihrer Stimme: Eine ehrliche Frau, die fürchtet, man werde ihr womöglich nicht glauben.
Er legte sich Block und Bleistift zurecht und forderte sie auf, den Besucher zu beschreiben. Aber wie die meisten Menschen konnte sie sich nur an ziemlich nichtssagende und allgemeine Dinge erinnern. Er war groß, etwa fünfundzwanzig, von bräunlicher Gesichtsfarbe, hatte braune Haare und ebensolche Augen, sah »so ein bisschen wie ein Ausländer« aus, sprach aber ohne Akzent. Er hatte »stechende« Augen, trug einen guten braunen Anzug und sah nicht wie ein armer Teufel aus. Man hätte ihn als hübsch bezeichnen können, wenn da nicht so ein grausamer Zug um die Augen herum gewesen wäre.
Dann notierte Rip die Namen von Verwandten und Freunden der Familie, die in anderen Städten lebten, so dass FBI-Beamte dort nachforschen konnten, ob man etwas von Genia gehört habe; er ließ sich auch die verschiedenen Adressen in Los Angeles geben, unter denen das Mädchen während seines Aufenthaltes dort zu erreichen gewesen war. Er fragte nach ihren Interessen, nach Hobbys und erfuhr, dass sie Ballettstunden genommen, ein wenig Geige gespielt und gelegentlich Gedichte geschrieben habe - zwei davon, Der Tod der Antigone und Asokas Liebe, waren veröffentlicht worden. Sie tanzte gut, rauchte Chesterfield, trank auch gelegentlich ein Gläschen; sie