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ortsbestimmung.hamburg
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ortsbestimmung.hamburg

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About this ebook

aufzeichnungen, notizen, skizzen, bilder, gedanken, gefühle aus der zeit, da ich als betreuer dementer und psychisch kranker menschen zu fuß, mit bus und bahn kreuz und quer in hamburg unterwegs war.
LanguageDeutsch
Release dateNov 11, 2020
ISBN9783752678918
ortsbestimmung.hamburg
Author

Eike M. Falk

Geboren in Jena, aufgewachsen in der Pfalz, wohnt in Lintorf im Angerland. Studierte in Mainz, Köln und Hamburg Literaturwissenschaft, Altamerikanistik, Völkerkunde und Informatik. Arbeitete sich vom Zeitungs-verkäufer zum Tellerwäscher empor und durch zehn andere Berufe hindurch. Ist ein guter Freund den Wölfen, Fröschen und Chinchillas. Hat es sich abgewöhnt sich das Rauchen abgewöhnen zu wollen. Lebt so gut es geht und soweit es der allgemeine Wahnsinn der menschlichen Gesellschaft zulassen mag.

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    ortsbestimmung.hamburg - Eike M. Falk

    Anhang

    1

    ich beginne an diesem ort, der ein ort ist zweifellos und zu jeder zeit.

    vielleicht sollte ich aber besser von einem standort sprechen, von meinem standort nämlich, der sich innerhalb dieses ortes verschieben kann.

    ich könnte sogar, da ich jederzeit ein smartphone bei mir trage, meinen genauen standort angeben, auf die sekunde genau.

    mein gegenwärtiger breiten- und längengrad wäre: 53.596953 nord, 10.050659 ost.

    bramfelder chaussee. hamburg. deutschland.

    es ist 8.19 uhr morgens, und ich sitze in einem bus der linie 8, der mich von poppenbüttel nach wandsbek bringt.

    während ich dies niederschreibe wird sich mein standort bereits wesentlich verschoben haben.

    ich bin in bewegung.

    ich führe ein bewegtes leben.

    weswegen mir diese exakten angaben eigentlich bedeutungslos sind.

    ich werde sie aber, man darf es ein spiel nennen, das ich leichtfertig begonnen habe, beibehalten.

    was mich dazu veranlasst die daten für den hamburger hafen, und zwar diejenigen des eurogate containerterminals, als allgemeinen orientierungspunkt festzulegen.

    diese lauten für den

    breitengrad: 53.527206 nord

    für den

    längengrad: 9.918959 ost

    die gps-koordinaten lauten:

    53° 31' 37.942 nord

    9° 55' 8.252 ost

    ich gedenke sie als richtwert zu nutzen, als den scheibenmittelpunkt, nach dem ich meinen jeweiligen standort verschiebe.

    wenn wir uns die koordinaten vergegenwärtigen, stellen wir fest, dass hamburg auf einer nördlichen breite liegt, die in etwa mit dem südzipfel von alaska übereinstimmt. humboldtstrombegünstigt herrscht in hamburg ein sehr viel gemäßigteres klima.

    so sehr, dass ich mich wohl genug fühle in dieser stadt. ich wohne in dieser stadt. ich arbeite in dieser stadt. ich versuche in dieser stadt zu leben und zu überleben.

    wie jede großstadt ist auch hamburg eine schmutzige stadt, wenn auch lange nicht so schmutzig wie berlin, und längst nicht so schmutzig wie new york.

    den begriff des schmutzes lege ich dabei sehr großzügig aus. der leser mag sich darunter vorstellen was er will, es wird sich schon als richtig erweisen.

    und sollte keinesfalls abwertend zu verstehen sein. eine nicht-schmutzige großstadt wäre ein freak, ein monster, eine abscheulichkeit.

    ich denke etwa an singapur, eine stadt, die ich zwar nicht kenne, von der ich aber schlimme dinge gehört habe. hamburg ist mir schmutzig genug.

    die bleiche schöne, die nicht am meer, und doch an der see liegt.

    der hafen ist der hafen, und die elbe ist der verlängerte arm des meeres. eines teiles des meeres, genauer gesagt, den wir hier die nordsee nennen.

    ich denke mich an die elbe.

    2

    dort stehe ich, nicht weit entfernt von den landungsbrücken.

    ich würde gerne sitzen, doch dafür ist es zu kalt, es ist anfang januar.

    ich sehe möwen aus dem dunst aufsteigen, die silhouetten ein- und ausfahrender schiffe, die schwarze wand der docks von blohm & voss, die verladeanlagen der containerterminals.

    ich füge die feuchte des nebels hinzu, die die lücken zwischen schal und mantel zu erkunden beginnt.

    damit wäre der äußere standort ausreichend skizziert. vorläufig.

    vorläufig will ich mich damit zufrieden geben.

    ich stelle fest: es wäre an der zeit mich einer inneren ortung zu widmen.

    ich zögere noch etwas, denn der versuch die inneren koordinaten bestimmen zu wollen, folgt keinem eindeutigen algorithmus, es ist das gerade gegenteil, es ist

    heurismus. ich sehe mich vor einer ungewissen ausgangslage mit unbestimmbaren folgen.

    mehr noch: von einem ziel oder gar einem zu erwartenden ergebnis reden zu wollen, verbietet sich von vorne herein.

    es ist der sprung ins kalte wasser.

    nein. nicht das der elbe.

    ich brauche mir zusätzlich zu meinem schnupfen nicht auch noch eine lungenentzündung zu holen.

    der nebel, die wabernde feuchte sind mir mehr als genug.

    und doch werde ich mich dem fluss anvertrauen.

    ich werde weitergehen. nach övelgönne.

    unterwegs kann ich mein herz ausschütten, den verstand überfließen lassen.

    oder umgekehrt.

    oder gar nichts davon.

    oder mehr noch.

    ich werde sein wie der fluss

    mit allen seinen erinnerungen

    und dem, was daraus fließt

    über glatte steine und schroffe felsen

    ein kristallklarer fluss am morgen

    unter bäumen, schattig, der das vieh tränkt

    kinder laufen mir zu

    nachts flüstern die liebespaare

    tauchen ihre augen in den trügerischen schein meines wassers

    in dem sich die brückenbögen spiegeln

    manchmal werde ich wild

    schone das leben nicht, bringe den tod

    öffne die türen

    den städten, den menschen, den vielen

    deren blut ich zu fassen bekomme

    deren gedanken sich regen in meinen armen

    ich bin der fluss, der in den menschen fließt

    baum und blatt

    rose, stein

    tisch und anker

    wort und werkstatt

    ich, das alles

    3

    ich gehe. ich folge dem fluss.

    die hafenstraße. der fischmarkt. die fischauktionshalle. der elbspeicher. der holzhafen.

    das cruise center altona. das in die elbe hineinragt wie der bug eines schiffes.

    ich gehe weiter. ohne hast.

    auch wenn nun regen einzusetzen beginnt. der richtige regen.

    als ob an regen etwas richtig oder falsch sein könnte.

    natürlich meinte ich die nebelfeuchte. als den falschen regen. falschen hasen.

    mich meinte ich nicht.

    das sind spielereien.

    ich bin ein spielkind.

    ich suche einen ort, an dem ich mich nach herzenslust meinem spieltrieb hingeben darf.

    ein café. eines mit überdachter terrasse, wo ich mir von zeit zu zeit eine zigarette gönnen kann. vom denken auszuruhen, neue denkmuster zu empfangen.

    denn das ist einer der effekte des rauchens. es wirkt wie ein katalysator. zumindest bilde ich mir das ein. darum rauche ich. noch.

    es gibt kein 'noch'.

    ich spiele schon wieder. mit mir.

    gut so.

    so gerät jedes koordinatensystem durcheinander.

    ich betrachte die entlaubten bäume, das wasser.

    die bäume sehen verwahrlost aus. ein baum ohne blätter ist wie ein vogel in der mauser. unansehlich.

    so muss man ihn ansehlich machen.

    baum

    baum

    schlaf du nur

    träume

    singe deinen traum

    ich höre dich summen

    zwei möwen umkreisen dich

    dann sind sie verschwunden

    und du träumst einen neuen traum

    singst eine neue melodie

    ich höre dich summen

    wie die bienen

    die schlafen

    wie du

    schlafen

    und träumen

    beinahe wären mir die augen zugefallen

    4

    ich weiß nicht mehr zu sagen, ob die anwesenheit oder das fehlen salzhaltiger luft den größeren anreiz ausübten meine sehnsucht zu beflügeln.

    ich sitze wie eingefroren, eisweiß.

    es sind nicht die reisen, die ich selbst unternahm, es sind reisen in eine fernere vergangenheit, die aber auch nicht die vergangenheit der alten spanischen kartographen ist. es ist keine historische vergangenheit, meine gedanken schweifen darüber hinaus, schweifen sich ab in konstrukte der fantasie.

    es ist etwas, das in uns allen wohnt, und von alters her. einen gegenentwurf zum bestehenden zu schaffen.

    wenn ich jetzt nach indien reiste, wäre ich zwar nicht enttäuscht, ich würde mir neue anregungen holen. doch wozu?

    wenn ich jetzt hier sitze, kann ich mir ein eigenes indien erschaffen, ein eigenes mexiko.

    zweifellos hat es etwas mit dem alter zu tun, früher hätte ich anders darüber gedacht, anders gehandelt, auch ohne nachzudenken.

    ich hätte die nächste gelegenheit ergriffen, das nächste schiff bestiegen - und wäre aufgebrochen.

    geblieben ist die sehnsucht der salzigen luft.

    eine andere nun. in gedanken.

    ein anderer reiz. nicht minder verführerisch.

    5

    so geschieht, wie es - nein - nicht

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