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Lost Island: Ich finde dich
Lost Island: Ich finde dich
Lost Island: Ich finde dich
Ebook324 pages4 hours

Lost Island: Ich finde dich

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About this ebook

"Du und ich - das ist für immer."

Als die Medizinstudentin Hazel Zeugin eines Mordes wird, verändert das ihr Leben radikal, von jetzt auf gleich. Sie muss fliehen, alles und jeden hinter sich lassen. Nur wem soll sie vertrauen, wenn selbst die Polizei mit den Tätern unter einer Decke steckt? Nach langer Flucht findet sie auf einer kleinen Insel einen Unterschlupf und will nur eins: Einsamkeit, Ruhe und Abgeschiedenheit - um zu überleben.

Nick genießt sein Dasein in vollen Zügen. Er liebt seinen Job als Polizist auf der kleinen Insel mitten im Meer, wo die Uhren langsamer laufen und ein ganz eigener Rhythmus waltet. Jeder kennt jeden, vor allem weiß jeder über alles Bescheid. Doch wer ist die mysteriöse Frau, die plötzlich das Haus auf den Klippen bezieht? Wie kann es sein, dass sie im Sturm sein Herz erobert, wo sie ihn doch ständig abweist? Wird er es schaffen, Hazels Vertrauen zu gewinnen? Kann sie vor ihrer Vergangenheit davonlaufen oder werden sie die Albträume, die sie jede Nacht quälen, einholen?
LanguageDeutsch
Release dateNov 27, 2020
ISBN9783947115204
Lost Island: Ich finde dich

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    Book preview

    Lost Island - Annika Kastner

    Lost Island

    Ich finde dich

    Roman

    Annika Kastner

    Booklounge Verlag

    Erstausgabe im November 2020

    Alle Rechte liegen beim Verlag

    Copyright © November 2020

    Booklounge Verlag

    Johann-Boye-Str. 5

    23923 Schönberg

    Coverbild: @ Korionov - Can Stock Photo Inc.

    978-3-947115-20-4

    Inhalt

    Widmung

    Kapitel 1 - Hazel

    Kapitel 2 - Hazel

    Kapitel 3 - Nick

    Kapitel 4 - Hazel

    Kapitel 5 - Nick

    Kapitel 6 - Hazel

    Kapitel 7 - Nick

    Kapitel 8 - Hazel

    Kapitel 9 - Nick

    Kapitel 10 - Hazel

    Kapitel 11 - Nick

    Kapitel 12 - Hazel

    Kapitel 13 - Nick

    Kapitel 14 - Hazel

    Kapitel 15 - Nick

    Kapitel 16 - Hazel

    Kapitel 17 - Nick

    Kapitel 18 - Hazel

    Kapitel 19 - Nick

    Kapitel 20 - Hazel

    Kapitel 21 - Nick

    Kapitel 22 - Hazel

    Kapitel 23 - Nick

    Kapitel 24 - Hazel

    Kapitel 25 - Nick

    Kapitel 26 - Hazel

    Kapitel 27 - Nick

    Kapitel 28 - Hazel

    Kapitel 29 - Nick

    Kapitel 30 - Hazel

    Kapitel 31 - Nick

    Kapitel 32 - Hazel

    Kapitel 33 - Nick

    Kapitel 34 - Hazel

    Kapitel 35 - Nick

    Kapitel 36 - Hazel

    Kapitel 37 - Nick

    Kapitel 38 - Hazel

    Kapitel 39 - Nick

    Kapitel 40 - Hazel

    Nachwort

    Hazel und Nick

    Playlist

    Die Autorin

    Weitere Bücher der Autorin

    Widmung

    Die Ge­schich­te von Ha­zel und Nick geis­tert schon lan­ge in mei­nem Kopf he­rum und ich freue mich, dass sie end­lich die Chan­ce ha­ben, euch ih­re Ge­schich­te zu er­zäh­len.

    Wie immer sind die Fi­gu­ren frei er­fun­den. Auch die Or­te und Ge­scheh­nis­se, doch macht es sie nicht we­ni­ger le­ben­dig für mich. Immer wenn ich ein Buch be­en­de, ist es so, als wür­de ich gu­ten Freun­den Le­be­wohl sa­gen. Es macht mich glü­cklich und trau­rig zu­gleich.

    An die­ser Stel­le ein Dan­ke­schön an je­den ein­zel­nen mei­ner Le­ser. Dan­ke, dass du mei­ne Ge­schich­ten liest, den Fi­gu­ren Le­ben ein­hauchst, re­zen­sierst und mich ver­linkst – das be­deu­tet mir sehr viel. Ich wid­me dir die­ses Buch, denn oh­ne dich wür­de es mei­ne Bü­cher nicht ge­ben! Außer­dem mei­nem Mann, Phi­lipp, und mei­nem Sohn, Jos­hua. Ich lie­be euch bei­de sehr, Jungs. Ich glau­be, es ist nicht immer ein­fach mit mir, wenn ich in ei­ner Schreib­pha­se bin, in mei­ner ei­ge­nen Welt he­rum ti­ge­re, oder von un­ter­wegs an­ru­fe, dass du, Phi­lipp, mal eben schnell ein Post-it an mei­nen PC hän­gen sollst – mit Stich­wor­ten, die du eigent­lich über­haupt nicht ver­stehst. Aber du lachst mit mir da­rüber und da­für lie­be ich dich noch mehr.

    Dei­ne An­ni­ka

    Kapitel 1 - Hazel

    1 Jahr vor­her

    Ich la­che herz­haft über Dr. Con­ners Witz. Er ist mit Ab­stand mein Lie­blings­kol­le­ge, denn ich mag sei­ne freund­li­che, humor­vol­le und väter­li­che Art. Wo­bei, Kol­le­ge ist gut, eigent­lich ist er mein di­rek­ter Vor­ge­setz­ter, das ver­ges­se ich nur oft, weil es eher freund­schaft­lich zwi­schen uns zu­geht. Gut ge­launt lau­fe ich ne­ben ihm über den kar­gen Kran­ken­haus­gang, wo­bei un­se­re Schrit­te von den Wän­den wi­de­rhal­len und un­se­re Soh­len quiet­schen­de Ge­räu­sche ver­ur­sa­chen.

    »Ha­ben Sie sich schon über­legt, wo Sie nach Ih­rem Stu­di­um ar­bei­ten möch­ten? Nicht mehr lan­ge und Sie ha­ben es ge­meis­tert – mit Bra­vour, wie ich ver­mu­te.« Er schiebt sei­ne leicht schief hän­gen­de Ni­ckel­bril­le auf dem Na­sen­rü­cken hoch. Ei­ne Ge­ste, die mir ziem­lich ver­traut ist, weil er dies alle paar Mi­nu­ten wie­der­holt. Sei­ne grau­en Augen, die von Lach­fal­ten um­ge­ben sind, schau­en mich eben­so neu­gie­rig wie er­war­tungs­voll an. Er war­tet auf ei­ne Ant­wort. Das ist et­was, was ich wirk­lich an ihm schät­ze – er ist an mir als Mensch in­te­res­siert, hört ge­spannt zu. Et­was, was viele vor lau­ter Stress ver­lernt ha­ben. Bei ihm füh­le ich mich ernst ge­nom­men.

    »Nein, ich ha­be noch kei­ne Idee«, ge­be ich zu, rei­be mir da­bei ver­le­gen über den Na­cken. Das ist nicht die Ant­wort, die er ger­ne ge­habt hät­te, denn er fragt mich schon zum zwei­ten Mal nach mei­nen Plä­nen. Ich weiß, dass ich die Ant­wort nicht ewig hin­aus­schie­ben kann, aber was will ich über­haupt? Wo will ich mich nie­der­las­sen? Hier? Oder möch­te ich noch mehr von der Welt se­hen? Ich ha­be immer viel rei­sen wol­len, die Er­de ent­de­cken, statt­des­sen bin ich seit Jah­ren nicht im Ur­laub ge­we­sen. Das Stu­di­um ist hart und for­dert über­durch­schnitt­li­chen Ein­satz, mit Un­men­gen an Über­stun­den. Ir­gend­wie ist da­durch alles an­de­re auf der Stre­cke ge­blie­ben. Bin ich be­reit, gleich in die Vol­len zu ge­hen, oder neh­me ich mir ei­ne klei­ne Rei­se­aus­zeit?

    »Nun, es ist kein Ge­heim­nis, dass wir hier alle sehr an­ge­tan von Ih­rer Ar­beit sind. Wenn Sie sich vor­stel­len kön­nen, zu un­se­rem Te­am zu ge­hö­ren, wür­de ich ein gu­tes Wort für Sie ein­le­gen. Ha­zel, Sie kön­nen hier viel er­rei­chen. Ich wer­de nicht jün­ger und Sie könn­ten ei­nes Tages mei­ne Nach­folg­erin sein, wenn Sie Ih­re Kar­ten rich­tig aus­spie­len. Die Fä­hig­kei­ten ha­ben Sie, was wir bei­de wis­sen.« Ich spü­re, dass ich er­rö­te. Väter­lich legt Dr. Con­ner mir die Hand auf den Arm, nickt auf­mun­ternd. »Nun, mein Kind, Sie wer­den ja ganz rot. Neh­men Sie das Lob an, Sie ha­ben es sich ver­dient. Sie sind flei­ßig, die Kol­le­gen und Pa­tien­ten schät­zen Sie sehr, auch ich schät­ze Sie, aber das wis­sen Sie.«

    »Dan­ke, Dr. Con­nor«, stamm­le ich deut­lich ver­le­gen. Ich kann ein­fach nicht mit Kom­pli­men­ten um­ge­hen.

    Un­se­re Schu­he ver­ur­sa­chen er­neut ein lau­tes Quietsch­ge­räusch, wäh­rend wir in den näch­sten Kor­ri­dor ein­bie­gen. Nach­denk­lich runz­le ich die Stirn, als ich den lee­ren Gang vor uns er­bli­cke. »Soll­te der Pa­tient nicht von ei­nem Poli­zis­ten rund um die Uhr be­wacht wer­den?« Dr. Con­ner spricht mei­ne Ge­dan­ken aus, ehe ich selbst Ge­le­gen­heit da­zu ha­be.

    Ich blät­te­re in mei­nen Un­ter­lagen, che­cke die vor­hand­enen No­ti­zen. »Ja, Per­so­nen­be­wa­chung. Es hat sich nichts an der Si­tua­tion ge­än­dert, des­we­gen liegt er von den an­de­ren Pa­tien­ten iso­liert. So ist es der Wunsch der Staats­an­walt­schaft ge­we­sen«, le­se ich vor. Merk­wür­dig. Aber es ist auch das er­ste Mal, dass ich ei­ne Pa­tien­ten­be­wa­chung durch die Poli­zei er­le­be. Ir­gend­wie auf­re­gend und be­äng­sti­gend zu­gleich. »Viel­leicht ist er in ei­ner Un­ter­su­chung, die kurz­fri­stig an­geord­net wor­den ist?« Ich zu­cke mit den Schul­tern, es wird schon sei­ne Grün­de ha­ben, hat es immer. Hier wer­den so oft Un­ter­su­chun­gen fest­ge­legt, die erst im An­schluss ver­merkt wer­den. »Immer­hin sind wir ei­ne Stun­de zu früh dran«, wer­fe ich noch hin­ter­her. Es ist al­so nicht un­mög­lich.

    »Oh, das wä­re wirk­lich är­ger­lich. Ma­ry freut sich so auf un­se­ren Hoch­zeit­stag und dass ich et­was eher kom­me. Wir wol­len zum Es­sen ge­hen, so rich­tig schick«, seufzt der Mann ne­ben mir. Ich weiß ge­nau, was er meint. Er macht so viele Dop­pel­schich­ten, dass Ma­ry sich si­cher nach et­was ex­tra Zeit sehnt. Der Ge­dan­ke, dass sie nach all den Jah­ren noch roman­tisch es­sen ge­hen, ein­an­der so wich­tig sind, er­wärmt mein Herz. So­was wün­sche ich mir auch. Je­man­den, der mich liebt – in gu­ten und schlech­ten Zeiten, bis ich alt, grau und fal­tig bin. Lei­der gibt es sol­che Ver­bin­dun­gen heut­zu­ta­ge äu­ßerst sel­ten, und bei der vielen Ar­beit wer­de ich ver­mut­lich nie je­man­den ken­nen­ler­nen. Noch ein Grund mehr, der fürs Rei­sen spricht.

    Ich schie­be die­se Ge­dan­ken bei­sei­te, schaue mich um. Der Flur ist leer und still. Die Pa­tien­ten sind auf an­de­re Eta­gen auf­ge­teilt wor­den, da­mit die Poli­zei Über­sicht über das Kom­men und Ge­hen be­hält, aber jetzt ge­ra­de wirkt es gru­se­lig, wie in ei­nem die­ser Zom­bie-Hor­ror­fil­me, als bricht je­de Se­kun­de das Cha­os aus. Okay, mei­ne Fan­ta­sie geht mit mir durch, hier wird si­cher­lich kei­ne Zom­bie-Ar­mee durch­ren­nen. Auf die­ser Sta­tion liegt ein ehe­ma­li­ges Gang­mit­glied ei­nes gro­ßen Dro­gen­rin­ges. Er ist an­ge­schos­sen und we­gen Be­sitz il­le­ga­ler Sub­stan­zen ver­haf­tet wor­den. Er hat ei­nen De­al mit der Poli­zei aus­ge­han­delt, wird ge­gen sei­ne Leu­te aus­sa­gen, um nicht ins Ge­fäng­nis zu müs­sen, und in den Zeugen­schutz über­führt. Das macht ihn aller­dings zu ei­ner Ziel­schei­be für sei­ne al­ten Kol­le­gen und zu ei­nem wich­ti­gen Zeugen für die Staats­an­walt­schaft, die seit Ewig­kei­ten nach solch ei­nem Glücks­fall ge­sucht hat, um den Ring end­lich zer­schla­gen zu kön­nen – wie im Fern­se­hen, wirk­lich ver­rückt. Ich be­wun­de­re sei­nen Mut, denn so wie ich ge­hört ha­be, ist die­se Ver­ei­ni­gung ge­fähr­lich und skru­pel­los. Wie kann man sich nur auf so et­was ein­las­sen? Es ist letzt­lich sei­ne eige­ne Dumm­heit ge­we­sen, die ihm das hier ein­ge­brockt hat.

    »Nun, dann se­hen wir doch ein­fach nach.« Dr. Con­nor drückt die Tür­klin­ke hin­un­ter und tritt vor mir ins Zim­mer ein. Ich stol­pe­re über mei­ne ei­ge­nen Fü­ße, wo­bei mein Kugel­schrei­ber vom Klemm­brett rutscht, an­schlie­ßend klim­pernd zu Boden fällt. Wäh­rend ich mich bü­cke, hö­re ich den Ober­arzt über­rascht ru­fen: »Was ist hier …«, doch weiter kommt er nicht, ver­stummt plötz­lich. Ich ver­neh­me ein lei­ses Zi­schen, et­was Feuch­tes be­netzt mein Ge­sicht. Ich rich­te mich auto­ma­tisch auf, star­re ins Zim­mer un­se­res Pa­tien­ten. Ein wei­te­res Zi­schen er­klingt, wo­nach mein väter­li­cher Kol­le­ge vor mir zu Boden geht. Sei­ne Augen bli­cken mir leer ent­ge­gen, in sei­ner Stirn prangt ein Loch, aus dem Blut auf den Boden rinnt. Mein Herz bleibt ge­fühlt ste­hen, als ich den Kra­ter in sei­nem Kopf se­he. Ich ver­ste­he nicht, was ich da ge­ra­de er­bli­cke oder was pas­siert ist. Wa­rum …? Was …? Ich wi­sche mir über das Ge­sicht, schaue mei­ne Fin­ger an. Sie sind rot – von sei­nem Blut, wel­ches mir ins Ge­sicht ge­spritzt ist. Käl­te und Angst brei­tet sich in Wel­len in mir aus, als lang­sam durch­si­ckert, dass Dr. Con­nor mit ei­ner Kugel im Kopf vor mir liegt. Er ist tot, ver­su­che ich das Bild, wel­ches sich mir bie­tet, zu ver­ste­hen, wi­sche mir aber­mals über die Wan­gen und rei­be mein Ge­sicht. Blut, sein Blut. Mein Herz schlägt wie­der, häm­mert nun wild ge­gen mei­ne Brust. Es sind erst we­ni­ge Se­kun­den ver­gan­gen, seit er vor mir zu­sam­men­ge­sackt ist, für mich fühlt es sich je­doch wie Stun­den an. Die Zeit scheint lang­sa­mer zu lau­fen. Ich schaue schlep­pend hoch, se­he nun den Poli­zis­ten, der den Zeugen be­wachen soll­te, an des­sen Kop­fen­de ver­har­ren, mit der Waf­fen­mün­dung auf mich ge­rich­tet. Mein Ge­hirn steht un­ter Schock, kann die Si­tua­tion nicht rich­tig er­fas­sen, aber weiß, hier läuft et­was falsch. Un­se­re Bli­cke tref­fen sich für ei­ne Se­kun­de, sei­ne Vi­sa­ge brennt sich in mei­nen Schä­del ein. Das blu­ti­ge Bild des­sen, was er an­ge­rich­tet hat, eben­falls.

    Dunk­les Rot be­su­delt das ehe­mals wei­ße La­ken, der Zeu­ge blickt mich aus eben­so lee­ren Augen an, wie der gut­mü­ti­ge Dr. Con­nor, des­sen La­chen ich nie wie­der hö­ren wer­de und des­sen Frau heu­te ver­geb­lich auf ihn war­ten wird. Ich ver­su­che, all das zu be­grei­fen, doch mein Kopf spielt nicht mit – ich ver­lie­re da­durch wert­vol­le Se­kun­den. Der Po­li­zist vi­siert mich an, lä­chelt leicht, was nicht zu dem Drum­he­rum, wel­ches sich mir of­fen­bart, passt. Ich fol­ge sei­nen Be­we­gun­gen mit den Augen. Dann setzt mein Ver­stand end­lich wie­der ein, Adre­na­lin durch­flu­tet mei­nen Körper. Nein, ich wer­de hier nicht ster­ben. Nie­mals. Über­lebens­wil­le packt mich: Ich schleu­de­re ihm mein Klemm­brett mit Schwung ent­ge­gen, denn es ist das Ein­zi­ge, was ich ge­ra­de ha­be, um mich zu schüt­zen. Er hebt den Arm, will es ab­wen­den, und drückt gleich­zei­tig ab. Die Kugel streift mei­nen lin­ken Ober­arm. Ich schreie hei­ser auf, mer­ke den Schmerz aber kaum, zu sehr bin ich mit Adre­na­lin voll­ge­pumpt. Das Klemm­brett lan­det pol­ternd auf dem Boden, wo­rauf­hin ich die Gunst der Stun­de nut­ze, her­um­wir­be­le und mei­ne Bei­ne in die Hand neh­me, denn ich muss hier raus – und zwar so­fort. Wenn ich le­ben will, was ich de­fi­ni­tiv möch­te, soll­te ich hier weg. So schnell es geht.

    Mei­ne Fü­ße set­zen sich wie von selbst in Be­we­gung, flie­gen förm­lich über den Boden, Schmer­zen spü­re ich noch immer kei­ne. Mein Körper hat die Kon­trol­le über­nom­men, hilft mir, alles zu ge­ben. Ich hö­re Schrit­te hin­ter mir, und ein lei­ses Flu­chen, doch ich bin schnel­ler, nut­ze den Vor­sprung, den ich mir er­ar­bei­tet ha­be. Schon immer bin ich ei­ne gu­te Läu­fe­rin ge­we­sen, ei­ne sehr gu­te so­gar. Auch wenn ich lan­ge nicht mehr beim Trai­ning ge­we­sen bin, mei­ne Mus­keln ha­ben es nicht ver­ges­sen. Ich rei­ße ei­nen Me­di­ka­men­ten­wagen, der ver­las­sen im Gang steht, um. Schep­pernd ver­tei­len sich die klei­nen Do­sen und Fla­schen hin­ter mir auf dem Boden, wo­durch ich ihm für ei­ni­ge Se­kun­den den Weg ver­sper­re und mir mehr Puf­fer ver­schaf­fe.

    Ei­ne weite­re Kugel fliegt an mir vor­bei. Ich schreie auf, als sie die Wand links ne­ben mir trifft und sich dort in den Putz bohrt. Ich schla­ge ei­nen Ha­ken wie ein Ha­se, ver­su­che da­bei, ihm kein gu­tes Ziel zu sein. Der Mann hin­ter mir flucht nun laut und un­ge­hal­ten, tritt oben­drein den Me­di­ka­men­ten­wagen aus dem Weg. Schlit­ternd blie­be ich an ei­ner Tür zu ei­nem der ver­las­se­nen Pa­tien­ten­zim­mer ste­hen, ren­ne hin­ein und wer­fe sie mit ei­nem lau­ten Knall hin­ter mir zu. Erst mal aus dem Schuss­feld sein, das ist gut.

    »Oh Gott«, flüs­te­re ich schluch­zend, sper­re mit zit­tern­den Fin­gern die Tür ab. Je­der von uns hat ei­nen Ge­ne­ral­schlüs­sel, den ich zu­vor nie be­nutzt ha­be, aber es gibt schließ­lich für alles ein er­stes Mal. Kon­zen­trie­re dich, herr­sche ich mich selbst an und end­lich dreht sich der ver­damm­te Schlüs­sel im Schloss. Lang­sam ent­ferne ich mich von der Tür, mein Brust­korb hebt und senkt sich hek­tisch, mein Herz hüpft mir fast aus der Brust.

    Nur we­ni­ge Se­kun­den spä­ter trom­melt es laut ge­gen die Tür, lässt sie in den An­geln er­zit­tern, wo­rauf­hin ich ei­nen wei­te­ren Satz nach hin­ten ma­che. Die Klin­ke wird hoch und run­ter ge­drückt, Trä­nen ver­ne­beln mir die Sicht. Das kann nicht wahr sein. Das ist ein Alb­traum! Bit­te, fle­he ich, lass mich auf­wachen, doch lei­der ist es kein Traum. Es ist bit­te­re Rea­li­tät und ich sit­ze fest. Ich muss ei­nen Aus­weg fin­den. Mei­ne Taschen sind leer, mein Han­dy steckt zum Auf­laden im Schwes­tern­zim­mer an der Steck­do­se. Die Tele­fo­ne im Zim­mer sind ab­ge­stellt. »Bit­te nicht«, flüs­te­re ich er­stickt, tre­te weiter nach hin­ten, bis mein Rü­cken die kal­te Wand trifft. Ich sin­ke da­ran hi­nab, be­ge­be mich in die Ho­cke, fah­re mir mit bei­den Hän­den über das Ge­sicht. Wa­rum kommt denn nie­mand? Je­mand wird mei­ne Schreie ge­hört ha­ben. Es muss mir doch je­mand hel­fen. Dr. Con­ner, er …

    »Mach die­se be­schis­se­ne Tür auf«, flucht mein Ver­fol­ger auf der an­de­ren Sei­te. »Dir wird nie­mand glau­ben, Mists­tück. Nie­mand, hörst du? Wir ma­chen dich fer­tig. Ich bin Po­li­zist. Wir ha­ben über­all Män­ner. Ich wer­de dich tö­ten oder ih­nen weis­ma­chen, dass du mit uns un­ter ei­ner De­cke steckst. Hörst du? Dein Wort ge­gen meins. Du bist so oder so tot«, zischt er. Ich hö­re die Wut in sei­ner Stim­me, glau­be ihm je­des Wort. Sie alle sind ge­fähr­lich, er ge­hört zu der Gang. Sie ha­ben die Poli­zei un­ter­wan­dert und wer weiß, wen noch. Ich wer­de schnel­ler tot sein, als ich aus­sa­gen kann – da hat er recht. Wenn nicht er, wird je­mand an­de­res da­für sor­gen, soll­te ich hier raus­kom­men. Wenn je­mand wie er hilft, wem soll ich dann trauen? Wem kann ich über­haupt trauen? Das er­schüt­tert mich bis in die tief­sten Win­kel mei­nes Ver­standes. Ich will kei­nes­wegs ster­ben.

    Blut rauscht durch mei­ne Oh­ren. Ich ha­be das Ge­fühl, nicht ge­nü­gend Luft zu be­kom­men, zer­re an mei­nem Kra­gen, um mir Platz zu er­zwin­gen. Ei­ne Pa­ni­kat­ta­cke, ich ken­ne je­des Sym­ptom, nur hilft mir die­ses Wis­sen ge­ra­de nicht. Mein Ver­such, ru­hig und gleich­mä­ßig zu at­men, ge­lingt mehr schlecht als recht. Du musst nach­den­ken, er­mah­ne ich mich selbst, wäh­rend ich mich hoch­stem­me und mich, auf der Su­che nach ei­nem Aus­weg, im Kreis dre­he. Mein pan­is­cher Blick bleibt am Fens­ter hän­gen, als er sich aber­mals ge­gen die Tür wirft. Lan­ge wird sie nicht mehr hal­ten, das Holz split­tert be­reits.

    Mit wild klop­fen­dem Her­zen und zit­tri­gen Fin­gern öff­ne ich das Fens­ter, schaue hi­nab zu Boden. Alles läuft wie in ei­nem Film ab – han­deln oder kampf­los auf­ge­ben. Ich muss wäh­len. Er­ste Eta­ge, das kann ich pa­cken. Die Zim­mer auf die­ser Sei­te lie­gen mit den Fens­tern zum Wald. Ich muss es nur bis da­hin schaf­fen. Sprin­gen und lau­fen, da­bei hof­fen, dass mir beim Sturz nichts pas­siert. Das klingt nach ei­nem ak­zep­ta­blen Plan. Was ha­be ich auch für ei­ne Al­ter­na­ti­ve? Hier­blei­ben und re­si­gnie­ren? Lie­ber bre­che ich mir, bei dem Ver­such mein Le­ben zu ret­ten, den Hals, als es ihm so leicht zu ma­chen.

    Wäh­rend die Tür hin­ter mir lang­sam nach­gibt, stei­ge ich aufs Fens­ter­brett, wo­bei mei­ne Bei­ne sich wie Pud­ding an­füh­len. Ich schaf­fe das, ich wer­de es schaf­fen, feu­re ich mich wie in ei­nem Man­tra an. Ich schie­be mei­ne Bei­ne über das Fens­ter­brett, hang­le mich vor­sich­tig hi­nab. Als ich mich hän­gen­las­se, rut­schen mei­ne Hän­de plötz­lich ab. Mei­ne Mus­keln sind nicht stark ge­nug, um mich lan­ge zu hal­ten – ich zit­te­re wie ver­rückt. Mit ei­nem er­stick­ten Schrei fal­le ich in die Tie­fe, ehe ich be­reit ge­we­sen bin. Der Auf­prall dringt schmerz­haft durch mei­nen gan­zen Körper, mei­ne Bei­ne kni­cken un­ter mir weg, so­dass ich kom­plett im Rosen­busch lan­de. Ver­dammt, es tut so un­glau­blich weh. Äs­te so­wie klei­ne Dor­nen ste­chen mir in die Haut, rei­ßen an mir, er­schwe­ren mir zu­sätz­lich die Flucht, doch Adre­na­lin durch­flu­tet mich er­neut, pusht mei­nen Körper. Al­so rap­ple ich mich stöh­nend auf, be­freie mich aus dem Ge­strüpp, ren­ne dann – so schnell ich kann – in den Schutz der Bäu­me. Ich ig­no­rie­re mei­nen po­chen­den Körper, die schmer­zen­den Bei­ne und mei­ne Lun­ge, die höl­lisch brennt. Mein Le­ben wird nie wie­der das glei­che sein. Trä­nen ver­ne­beln mir die Sicht, als ich in die Tie­fen des Blät­ter­werks ein­tau­che und es mich vor Bli­cken ver­birgt.

    Er hat sie er­schos­sen. Sie bei­de. Er wird mich tö­ten, wenn er mich in die Hän­de be­kommt. Er darf mich nicht fin­den, nie­mand darf das, denn kei­ner wird mir glau­ben – ich kann ja selbst kaum be­grei­fen, dass das wirk­lich pas­siert ist. Oh mein Gott. Er soll­te ihn be­schüt­zen. Be­schüt­zen! Er ist Po­li­zist und da­für da, Men­schen vor den Bö­sen zu be­wah­ren. Nun sind sie alle tot, ich wer­de die Näch­ste auf sei­ner Lis­te sein.

    Kapitel 2 - Hazel

    Mü­de schen­ke ich mir ein Glas Weiß­wein ein, tre­te da­mit hin­aus in den Gar­ten, der vom Licht der un­ter­ge­hen­den Son­ne in sanf­tes Rot ge­taucht wor­den ist. Wind spielt mit mei­nen Haaren und ich schaue mich um. Mein Gar­ten, mei­ner. Das Ge­fühl, dass die­ses Fleck­chen mir ge­hört, ist un­be­schreib­lich. Ich las­se mir das Wort auf der Zun­ge zer­ge­hen. Meins! Et­was, das mir ge­hört, nach so lan­ger Zeit – das ge­fällt mir. Es klingt so nor­mal, wo­bei nor­mal et­was ist, was mir seit ei­nem Jahr fremd er­scheint. Al­so ge­nie­ße ich den Augen­blick, blei­be ste­hen, mus­te­re alles ge­nau. Ich schaue, ob ir­gend­was, was zu mei­ner nor­ma­len Rou­ti­ne ge­hört, un­ge­wöhn­lich ist. Ich bin immer auf der Hut. Mir fällt nichts auf. Alles ist ge­nau­so, wie es sein muss, doch das Ge­fühl der Furcht ist all­ge­gen­wär­tig. Wie ei­ne zwei­te Haut ist es ein Teil von mir ge­wor­den, wel­che sich nicht ab­strei­fen lässt, was auch gut ist, denn es macht mich vor­sich­ti­ger. Miss­trauen und Acht­sam­keit be­stim­men mein Le­ben, mein Fort­dau­ern, um ge­nau zu sein. Im Über­le­ben bin ich mitt­ler­wei­le ei­ne Meis­te­rin. Alles ist ru­hig, dem­nach at­me ich er­leich­tert ein, las­se mich auf ei­nem der Holz­stüh­le nie­der, die ich im On­li­ne­han­del un­ter ei­nem fal­schen Na­men be­stellt ha­be, denn mein al­tes Ich ist an je­nem Tag mit Dr. Con­ner ge­stor­ben. Mei­ne Bei­ne le­ge ich auf dem Stuhl ab, der mir ge­gen­über­steht, wo­rauf­hin ein zu­frie­de­nes Seuf­zen mei­nem Mund ent­fährt. Meins! Wann ha­be ich mir zu­letzt sol­chen Luxus ge­gönnt, et­was wirk­lich meins zu nen­nen oder an ei­ne rich­ti­ge Zu­kunft zu den­ken? Ein wag­hal­si­ger Ge­dan­ke.

    Ein Jahr auf der Flucht hat vieles ver­än­dert, aus mir ei­ne an­de­re Per­son ge­macht. Kaum sit­ze ich tie­fen­ent­spannt da, legt Storm ih­ren gro­ßen Kopf auf mei­nen Schoß. Mei­ne Mund­win­kel he­ben sich zu ei­nem Lä­cheln. Sach­te strei­che ich mei­nem Hund über das wei­che Fell, ge­nie­ße die Nä­he, je­nes Wis­sens, dass ich trotz al­lem nicht allei­ne bin. Nicht mehr. Seit ich sie vor elf Mo­na­ten in mein Le­ben ge­las­sen ha­be, gibt Storm mir ein Ge­fühl der Si­cher­heit. Sie ist ei­ne Kämp­fe­rin und ge­nau wie ich ei­ne Über­le­ben­de. Ex­akt ei­nen Monat, nach­dem ich mein al­tes Le­ben hin­ter mir las­sen hab müs­sen, ha­ben wir uns ge­trof­fen.

    Ich pres­se die Lip­pen zu­sam­men. Un­gern den­ke ich da­rüber nach, was ich ver­lo­ren ha­be. Noch viel we­ni­ger an die­sen spe­ziel­len Tag, der Aus­lö­ser für all das ge­we­sen ist. Die furcht­bar­sten Stun­den mei­nes Da­seins. Der Tag, an dem ich mei­ne Freun­de, mei­ne Exis­tenz und mein Le­ben ver­lo­ren ha­be, nur weil ich zur fal­schen Zeit am fal­schen Ort ge­we­sen bin. Was ich hin­ge­gen seit zwölf Mo­na­ten nicht ver­lo­ren ha­be, ist die Angst. Sie sitzt wie ein Schat­ten in mei­nem Na­cken, ver­höhnt und er­mahnt mich zu glei­chen Tei­len. Aber ist es nicht bes­ser, in Angst zu le­ben, als tot zu sein wie Dr. Con­nor? Manch­mal weiß ich die Ant­wort nicht. Je nach­dem, wie der Tag ge­we­sen ist, oder in wel­chem schä­bi­gen Mo­tel ich ge­ra­de auf­ge­wacht bin. Es hat Ta­ge in die­sem Jahr ge­ge­ben, an de­nen ist es de­fi­ni­tiv ver­lo­cken­der ge­we­sen, tot zu sein. Ich bin nie der ängst­li­che Typ ge­we­sen – und jetzt? Der klein­ste Schat­ten jagt mir schre­ckli­che Furcht ein, ich has­se es. Hil­flos … So ken­ne ich mich nicht. Im Ge­gen­teil. Ich bin immer stolz da­rauf ge­we­sen, so eigen­stän­dig zu sein. Ich ha­be alles im Griff ge­habt, bin da­bei ge­we­sen, er­folg­reich durch­zu­star­ten. Wür­den mei­ne Freun­de mich über­haupt wie­der­er­ken­nen? Ich, die einst für je­den Spaß zu ha­ben ge­we­sen ist, ver­steckt sich nun am liebs­ten in ih­rem Haus. Türen und Fens­ter fest ver­schlos­sen. Es wi­ders­trebt mir ja selbst, aber was soll ich tun, wenn die Furcht grö­ßer ist? Ich weiß, dass ich mich in ei­nem Trauma be­fin­de, doch der Schul­di­ge ist auf frei­em Fuß und ich bin nicht be­reit, zu ster­ben. Ich kann kaum zu ei­nem Arzt ge­hen, oh­ne zu viel preis­zu­ge­ben. Wie soll ich das al­so ver­ar­bei­ten? Nein, er wür­de mich fin­den, denn ich weiß nicht, wer noch alles auf der Ge­halts­lis­te die­ser Or­ga­ni­sa­tion steht. Frü­her bin ich auf die Men­schen zu­ge­gan­gen, mit ei­nem brei­ten Lä­cheln im Ge­sicht. Ich bin ge­sel­lig ge­we­sen, kom­mu­ni­ka­tiv, und ha­be Spaß am Le­ben ge­habt, es ge­nos­sen. Heu­te neh­me ich die Bei­ne in die Hand, wenn mir je­mand zu na­he­kommt. Allein, aber si­cher, denn ich kann nie­man­den trauen. Wo­her soll ich letzt­lich wis­sen, wer zu ih­nen ge­hört und dass man mich nicht hin­ter­rücks ver­rät? Ich ha­be mei­ne Kon­ten über Nacht on­li­ne auf­ge­löst, alles, was ins Auto ge­passt hat, mit­ge­nom­men und dann bin ich in­ner­halb kür­zes­ter Zeit ver­schwun­den. Jeg­li­chen Kram, der mir in die Fin­ger ge­kom­men ist, ha­be ich zu Geld ge­macht, um mich über Was­ser zu hal­ten. Das Gu­te an mei­nem vor­he­ri­gen Lebens­stil ist ge­we­sen, dass ich durch das Stu­di­um sehr spar­sam ge­we­sen bin. Da kommt ei­ni­ges zu­sam­men, auch das Er­be mei­ner Eltern. Mit die­sem Geld bin ich vor dem, was ich ge­se­hen ha­be und vor dem Mann, der Dr. Con­nor und eben­so un­se­ren Pa­tien­ten kalt­blü­tig er­mor­det hat, ge­flo­hen. Nie­mand wird mir das je glau­ben. Wem soll ich ver­trauen, wenn so­gar die Poli­zei kor­rupt ist? Ich ha­be immer ge­dacht, so et­was pas­siert nur in Fil­men. Fil­me, die ich frü­her ger­ne ge­se­hen ha­be wohl­ge­merkt, weil ich es für pu­re Fik­tion und nicht für die Rea­li­tät ge­hal­ten ha­be. Jetzt, wo ich selbst

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