Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Millis Erwachen / Milli's Awakening: Schwarze Frauen, Kunst und Widerstand / Black Woman, Art and Resistance
Millis Erwachen / Milli's Awakening: Schwarze Frauen, Kunst und Widerstand / Black Woman, Art and Resistance
Millis Erwachen / Milli's Awakening: Schwarze Frauen, Kunst und Widerstand / Black Woman, Art and Resistance
Ebook339 pages4 hours

Millis Erwachen / Milli's Awakening: Schwarze Frauen, Kunst und Widerstand / Black Woman, Art and Resistance

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

1911 malte der Expressionit Ernst Ludwig Kirchner die "Schlafende Milli" nackt auf einer Couch liegend. Als Inspirationsquelle ließ er nur die eigene Potenz gelten. Während zahlreiche Kunsthistoriker_innen neben der Ästhetik auch die Sexualfantasien von Kirchner in den Fokus ihrer Analysen nehmen, taucht die Autorin in die Gedanken- und Gefühlswelt seiner "Muse" ein und lässt "Milli" sinnbildlich erwachen. In Einzelinterviews kommen acht Schwarze Kunstschaffende verschiedener Generationen zu Wort, die in und durch ihren Arbeiten die gängigen kolonialtradierten Stereotype überwunden und ihre eigene selbstbestimmte Identität als Schwarze Frauen innerhalb der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft gebildet haben.
LanguageDeutsch
Release dateFeb 25, 2019
ISBN9783944666563
Millis Erwachen / Milli's Awakening: Schwarze Frauen, Kunst und Widerstand / Black Woman, Art and Resistance

Related to Millis Erwachen / Milli's Awakening

Related ebooks

Visual Arts For You

View More

Related articles

Related categories

Reviews for Millis Erwachen / Milli's Awakening

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Millis Erwachen / Milli's Awakening - Natasha A. Kelly

    Inhalt

    Einleitung

    Nadu

    Meine erste Maske war eine Kraftmaske

    Zari

    Meine Malerei ist auch Ausdruck meines Aktivismus

    Maseho

    Meine erste Ausstellung war 1994 beim Black History Month in Hamburg

    Diana

    Weil Fotografie ja auch etwas mit Ermächtigung zu tun hat

    Naomi

    Kunst war nur für Weiße reserviert!

    Patricia

    Kunst ist für mich mehr und mehr zum Geschäft geworden

    Sandrine

    Es gibt nicht genug Raum, es gibt nicht genug Sichtbarkeit

    Maciré

    Das ist keine Kunst, sondern das bin ich!

    Content

    Introduction

    Nadu

    My first mask was a power-mask

    Zari

    My painting is also an expression of my activism

    Maseho

    My first exhibition was during the Black History Month in Hamburg in 1994

    Diana

    Because photography also has something to do with empowerment

    Naomi

    Art was reserved only for whites!

    Patricia

    Art has become more and more a business for me

    Sandrine

    There‘s not enough space, there‘s not enough visibility

    Maciré

    That’s not art, that’s me!

    Einleitung

    Wie es zu diesem Projekt kam? Wieso ich ein Buch veröffentliche, das aus Interviews besteht?

    Dies hatte zwei Gründe. Zum einen ist die vorliegende Publikation Teil eines multimedialen Projektes, zu dem auch mein Dokumentarfilm „Millis Erwachen" zählt. Der Film wurde von der 10. Berlin Biennale for Contemporary Art in Auftrag gegeben und war von Juni bis September 2018 täglich in den Kunst-Werken KW Berlin zu sehen. Aber wie es so häufig bei Filmprojekten der Fall ist, konnten nur einzelne Sequenzen der Interviews verwendet werden, die ich zu diesem Anlass geführt hatte. Folglich war nur ein Bruchteil dessen zu sehen, was meine Interviewpartnerinnen mir in Einzelgesprächen erzählten. Die Auswahl habe ich in meiner Rolle als Regisseurin treffen müssen, wohlwissend, dass sich jede andere Filmemacherin je nach Ausrichtung anders entschieden hätte.

    Ausschlaggebend für mich war, dass die einzelnen Bausteine ein großes Ganzes ergeben, d. h. dass sie in afrokultureller Tradition wie ein Quilt aneinander gesteppt werden können. Zum anderen mangelt es in der Schwarz deutschen Community – aus welchen Gründen auch immer – an einer Dokumentation der eigenen Geschichte(n). Zu häufig haben wir es versäumt, die (sozial-) politischen Entwicklungen hierzulande und unsere damit zusammenfallenden individuellen Erfahrungen aus der eigenen, selbstbestimmten Schwarzen Perspektive festzuhalten. Dadurch fehlt es den nachfolgenden Generationen häufig an Identitätsangeboten und an Best-Case- oder Worst-Case-Beispielen. Diese Diskontinuität wollte ich, wie schon viele vor mir, weiterhin aufbrechen. Denn einen Platz in der Gesellschaft können wir nun dann für uns als Community beanspruchen, wenn wir auch unseren Platz dauerhaft einfordern. Deshalb entschied ich mich, neben dem Film die vorliegende Publikation herauszugeben, in der die Interviews ungekürzt und ungefiltert abgedruckt sind.

    „Aber wir waren doch auch noch da!"

    Alles begann nach meiner Vorstellung von „M(a)y Sister im HAU Hebbel am Ufer Theater in Berlin 2017. Eine schüchterne, ältere Schwester kam auf mich zu und machte mich darauf aufmerksam, dass ich sie vergessen hätte – ihre Geschichte nicht erzählte. In einem Zeitungsartikel, in der die Show ankündigt wurde, sprach ich von zwei Wellen der afrodeutschen Bewegung: Die erste Welle verortete ich im deutschen Kolonialismus als Schwarze Menschen sich gegen die herrschende, rassistische Kolonialordnung auflehnten. Die zweite Welle ordnete ich zeitlich Mitte der 1980er Jahre ein, als Audre Lorde sich in Berlin aufhielt. Das Buch „Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte (1986) entstand durch die Anregung von Audre Lorde und wurde zur wegweisenden Publikation der gegenwärtigen Schwarzen Community in Deutschland.

    „Aber wir waren doch auch noch da!, sagte mir diese mir bis dahin unbekannte Frau, die nicht viel jünger ist als meine Mutter. Doch wer war sie? Und wer waren diese Frauen, die noch immer unsichtbar zu sein schienen? Wer waren die Schwestern, die sich vor May Ayim und Katharina Oguntoye, die Mitherausgeberinnen von „Farbe bekennen, auf den Weg gemacht hatten, um eine Community zu bilden? Woran waren ihre Mühen gescheitert? Mein Interesse war geweckt. Im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass Nadu 1955 als Tochter einer weißen Mutter und eines Schwarzen Vaters in Detmold geboren ist. Sie erzählte mir nicht nur viel über ihr Leben, sondern auch viel über die sozialpolitische Situation von Schwarzen Frauen im Westdeutschland der 1970iger Jahre. Schnell stellte sich heraus, dass Nadu und ihre Wegbegleiterinnen allesamt bemüht waren, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, auch wenn dies erstmal noch nicht zum Erfolg geführt hatte. Meine Idee entstand, die Spurensuche (wieder) aufzunehmen.

    Die Suche nach weiteren Frauen dieser Generation gestaltete sich sehr schwer. Viele Namen sind gefallen, nur wenige Personen konnte ich finden. Andere wollten sich nicht finden lassen und wenn, dann wollten sie nicht vor die Kamera. Es machte mich traurig zu erfahren, wie viele inzwischen verstorben waren. Selbstmord war die häufigste Ursache. Einfach, weil sie sich aufgegeben hatten und/oder von der Gesellschaft nicht gesehen wurden. Die Tatsache, dass der Film für die Biennale gedreht wurde, lenkte das Projekt dann in eine andere Richtung. Ich entschied mich, die Biografien von Schwarzen Künstlerinnen in den Mittelpunkt zu stellen. Nadu stellte schließlich Masken her, weshalb das Kunstschaffen eine tragende Rolle in ihrem Leben spielte. Wie war sie zur Kunst gekommen? Was bedeutete überhaupt Kunst für sie? Und welchen Zugang hatte sie zum Kunstbetrieb?

    Für sie sei Kunst wie ihre zweite Leber, ihre dritte Niere oder ihr drittes Auge.

    Dank Mahide Lein, die ihren Fundus an Wissen und Kontakten durchforschte, konnte ich Naomi finden, die 1965 in Südafrika geboren ist und im Apartheidtssystem Namibias großgeworden war. Ihre Leidenschaft fürs Theaterspielen und Schreiben wuchs bereits während ihres Studiums an der University of Namibia. Nach der Wende und Namibias Unabhängigkeit war sie nach Deutschland gekommen, wo ihre Kreativität ihr in Auseinandersetzungen mit den weißen deutschen Behörden zugute kam. Heute verarbeitet sie diese Erfahrungen in ihrer Webserie „The Center", in der sie die Lebensgeschichten von Afrikanerinnen in Deutschland portraitiert.

    Kurz danach lernte ich die junge Schwester Maciré kennen, die 1995 in Bremen geboren ist. Als ich sie auf der Bühne sah, wie sie ein Spoken Word Stück performte, fielen mir die Geschichten all jener Frauen ein, die noch immer stimmlos sind, aber dennoch „als Stahlbolzen für die Emotionen aller Menschen um sie herum herhalten müssen. Macirés Worte stimmten mich nachdenklich. Gleichzeitig machte ihre positive Ausstrahlung mir Mut. Und weil es keine Zufälle gibt, erzählte sie mir von einer Filminstallation, die sie für die Kunsthalle in Bremen entwickelt und umgesetzt hatte. Wer meine nächste Interviewpartnerin werden würde, war also klar. Es ging nach Bremen. Doch als ich in der Ausstellung „Der blinde Fleck vor dem Gemälde „Schlafende Milli" von Ernst Ludwig Kirchner (1880 – 1938) stand, wurde mir ganz anders. Weshalb mich dieses Bild so betroffen machte, und was es mit meiner eigenen Biografie zu tun hat, wurde mit erst später bewusst.

    Mit Zari, die 1955 in Chicago geboren ist und seit 1981 in Deutschland lebt, war ich seit vielen Jahren bei Facebook befreundet. Persönlich hatten wir uns bis dato noch nicht getroffen. Als ich vor knapp 10 Jahren nach Berlin zog, hatte ich mich mit ihr in Verbindung gesetzt, aber kurz zuvor war sie nach Hamburg gezogen. Zari ist bildende Künstlerin. Zu ihren beliebten Motiven gehören Frauen aus unterschiedlichen Kulturen, die sie nicht so abbildet wie weiße Männer sie sehen, sondern so, wie sie sie sieht oder sie sich selbst sehen, was einen wichtigen Perspektivwechsel in der Kunstgeschichte markiert. Als sie einwilligte, an dem Projekt teilzunehmen, fuhr ich mit meinem Team nach Hamburg. Dort sprach ich auch mit Maseho, die ich vor vielen Jahren auf einem Bundestreffen der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) kennengelernt hatte. Sie hatte mir damals ein Bild von afrikanischen Königinnen geschenkt, was noch heute in meiner Küche hängt. Maseho ist 1964 in Hamburg geboren. Nach eigenen Angaben verlief ihre Kindheit „relativ durchschnittlich aus Schwarzer deutscher Perspektive". Für sie sei Kunst wie ihre zweite Leber, ihre dritte Niere oder ihr drittes Auge und nicht wegzudenken aus ihrem Leben. Masheo stellte dann vor Ort den Kontakt zu Diana her, die 1965 in Aschaffenburg geboren ist und seit 1986 in Hamburg lebt. Diana ist Fotografin, die bereits in den 1980er Jahren als Herausgeberin und Fotografin des SM-Magazins „Leather News" agierte. Was dies und ihre Leidenschaft für Blumen mit ihrem eigenen Leben zu tun haben, erzählt sie sehr offen und emotional.

    Inzwischen hatte ich also sechs Gesprächspartnerinnen unterschiedlichen Alters gefunden. Zwischen den ältesten (Nadu und Zari) und der jüngsten (Maciré) liegen exakt 40 Jahre. Um die Erzählung stringent zu machen und die ungebrochene Kontinuität rassistischer und sexistischer Stereotype von Schwarzen Frauen erzählen zu können, war es mir wichtig, zwei weitere Schwestern zu finden, die jeweils in den 70ern und 80ern geboren sind. So konnte ich zumindest aufzeigen, dass Schwarze deutsche Geschichet(n) „gegen den Strich" gelesen werden kann/können. Patricia, die 1970 in der ehemaligen DDR geboren und aufgewachsen ist, hatte das Cover von einem meiner letzten Bücher, „Sisters & Souls" (Orlanda 2015) designed und ist in ihrer Heimatstadt Potsdam inzwischen für ihre Grafikkunst bekannt. Auch sie ist seit vielen Jahren in frauenpolitischen Kontexten aktiv. Und Sandrine, die 1980 in (West-)Berlin geboren und aufgewachsen ist, brachte durch ihre institutionelle Tätigkeit auch eine weitere Perspektive ins Gespräch, auf die nicht verzichtet werden durfte. Obwohl sie eine künstlerische Ausbildung durchlaufen hat, schaffte Sandrine es nicht, als Künstlerin Fuß zu fassen. Zu sehr verstörten die strukturellen Hierarchien innerhalb von Kunstinstitutionen. Derzeit arbeitet sie im Auftrag des Berliner Senats. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass „Diversity" – so vielfältig dieses Wort auch sein mag – im Kunstbetrieb nicht nur (sprich-)wörtlich gilt, sondern auch in die Tat umgesetzt wird.

    Was meine Interviewpartnerinnen also gemeinsam haben, ist, dass sie alle ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, sich als Schwarz positionieren, als Frauen gelesen werden und auf der einen oder anderen Art mit Kunst zu tun haben. Auch wenn ihr Kunstverständnis sich stark voneinander unterscheidet und sie sich nicht alle als „Künstlerinnen" verstehen, so spielt Kunst doch eine tragende Rolle in ihrem Leben und damit einhergehend die Art und Weise, wie sie als Schwarze in der Kunstwelt und darüber hinaus wahrgenommen werden. Aus diesem Grund lag es nahe, allen dieselben zehn Fragen zu stellen:

    – Wann und wo wurdest du geboren?

    – Wie verlief deine Kinderheit?

    – Wann wurde dir zum ersten Mal bewusst, dass du Schwarz bist?

    – Wie ist deine Selbstbezeichnung – Afrodeutsche und/oder Schwarze Deutsche?

    – Welche Rolle spielte die Publikation „Farbe bekennen" in deinem Leben?

    – Welche Rolle spielt das Frausein in deinem Leben?

    – Würdest du dich selbst als Feministin bezeichnen?

    – Welche Rolle spielt Kunst in deinem Leben?

    – Inwieweit wird dein künstlerisches Schaffen durch deine gesellschaftliche Position als Schwarze Frau beeinflusst?

    – Ist deine Kunst politisch?

    Aus diesen Fragen ergaben sich im Laufe der Einzelgespräche weitere Fragen, sodass halbstandardisierte Interviews entstanden sind. Anders als im Film richtet sich die Reihenfolge der abgedruckten Texten aufsteigend nach dem Alter der Schwestern, sodass das Buch sich als einen historischen Abriss des Schwarzen Feminismus in Deutschland versteht. Wichtig war es mir, die Gesprächsform beizubehalten. Denn auch, wenn die Anzahl der Publikationen aus der Schwarzen Community in Deutschland in den letzen Jahrzehnten stetig angestiegen ist, haben wir weder genügend Raum, noch angemessene Ressourcen, um unsere Geschichte(n) mit eigenen Worten zu erzählen und der Öffentlichkeit bekannt zu geben. Darüber hinaus war es mir wichtig, nicht für und/oder über diesen Personen zu sprechen. Denn wir alle haben unsere persönliche(n) Geschichte(n), die sicherlich Teil einer Kollektiverzählung ist/sind. Aber Schwarz ist nicht gleich Schwarz und Frau ist nicht gleich Frau. Als Schwarze heterosexuelle cis-Frau, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland verortet, teile ich mit meinen Interviewpartnerinnen zwar viele ihrer strukturell bedingten Erfahrungen, mache aber aufgrund meiner persönlichen Biografie individuelle Erfahrungen, die mich von ihnen unterscheiden.

    „Ich bin Milli – Milli ist ich!"

    Es war kurz vor meinem Abitur. Ich suchte händeringend einen Job. Ein Schulfreund verwies mich an einen weißen, männlichen Künstler, der dringend Nacktmodelle für seine Kunstschule suchte. Das Geld war mal wieder knapp, also zog ich mich bis auf die Unterhose aus und ließ mich von seinen Schüler_innen zeichnen. Im Vordergrund stand angeblich die Anatomie meines Körpers und nicht meine Hautfarbe, worüber ich mir aber zu diesem Zeitpunkt auch nicht wirklich Gedanken gemacht hatte. Es dauerte nicht lange, bis der Künstler mich fragte, ob ich mich denn auch für ihn nackt auf die Couch legen würde, er wolle mich wie „die großen Meister malen. Ich hatte keine Ahnung, von welchen „großen Meistern er sprach und dass es sein Versuch war, die Pinselstriche Kirchners nachzuahmen. Als ich in Bremen vor Kirchners Bild stand, wurde diese Erinnerung wach. „Ich bin Milli – Milli ist ich!" dachte ich.

    Wir Schwarze Frauen werden seit jeher durch den weißen, männlichen Blick erotisiert und exotisiert. In den als „Klassiker geltenden Werken vieler Expressionisten werden wir lediglich als „Objekte der Begierde abgebildet. Kirchner beispielsweise suchte zur Blütezeit des deutschen Kolonialismus weniger die Anatomie des Frauenkörpers zu erforschen. Vielmehr ging es ihn darum, über die vermeintliche „Naturgebundenheit seiner Motive seine eigene Manneskraft zu spüren. 1911 malte er die „Schlafende Milli nackt auf einer Couch liegend. Als Inspirationsquelle ließ er nur die eigene Potenz gelten. Doch wer war Milli? War das überhaupt ihr richtiger Name? Und wie war sie in Kirchners Atelier gekommen? Plötzlich war die koloniale Vergangenheit wieder ganz nah. Die „Schlafende Milli spiegelte das wieder, was ich selbst erlebt hatte und noch immer zahlreiche Schwarze Frauen auf diese oder andere Art erleben müssen. „Für dich und all deine Bedürfnisse ist sie da, bin ich da. Für dein sexuelles Erlebnis à la exotischer Art heißt es weiter in Macirés Spoken Word Stück, das sie in der Kunsthalle Bremen vor dem Bild performte. Milli war in einer Objektposition verhaftet worden, in der wir uns als Schwarze Frauen in der weißen deutschen Mehrheitsgeselleschaft noch immer befinden. Doch die Einzigen, die uns jemals „aufwecken" und daraus befreien werden, sind wir selbst!

    Danksagungen

    Zuerst möchte ich mich noch einmal bei meinem Filmteam bedanken – Anh, Henning und Philipp, ohne euch wären weder der Film noch dieses Buch das geworden, was sie jetzt sind! Mein besonderer Dank gilt zudem allen Personen, die in welcher Weise auch immer zum Gelingen des Gesamtprojekts beigetragen haben. Unter anderem Yvette Mutumba, Co-Kuratorin der 10. Berlin Biennale, die mich einlud, diese/unsere Geschichte(n) für ein internationales Publikum aufzuarbeiten. Aus diesem Grund erscheint dieses Buch in deutscher Sprache mit englischen Übersetzungen. Darüber hinaus möchte ich mich beim Orlanda Verlag bedanken, der seit vielen Jahrzehnten die Geschichte(n) von Schwarzen Frauen in und aus Deutschland in den Fokus nimmt – trotz allen Hürden, die ein Verlag dieser Größe immer wieder überwinden muss. Und nicht zuletzt möchte ich mich bei meinen Interviewpartnerinnen bedanken, dafür dass sie mir ihre Geschichten anvertraut haben, so dass wir (afro-)deutsche Geschichte (weiter-)schreiben können.

    Natasha A. Kelly

    Berlin im Juli 2018

    Nadu

    1955 in Detmold geboren, verbrachte Nadu ihre ersten Lebensjahre wie viele Schwarze deutsche Kinder ihrer Generation im Kinderheim. Nachdem ihre Mutter neu heiratete, holte sie Nadu zurück zu sich und wanderte mit der Familie nach Island aus. Im kühlen Norden durchlebte das damals sehr temperamentvolle Mädchen ihre ersten Schuljahre. Dauerhaft zurück in Deutschland war ihr Alltag von Rassismus, Sexismus und Homophobie geprägt. Zur Kunst fand Nadu erst später in ihrem Leben. Über das Schmieden kam sie zur Herstellung von Masken, die sie in afrikanischer Tradition selbst als „Medizinmasken" beschreibt, die eine heilende Wirkung auf die Trägerinnen haben.

    Ich fand es ganz schön, wie wir uns kennengelernt haben. Vielleicht magst du das erzählen.

    Ja, das war so. Es gab ein Interview mit dir in der TAZ. Das Bild von May Ayim ist mir sofort ins Auge gestochen. Und mich hat fasziniert, dass das Interview von einer Schwarzen Frau, mit einer Schwarzen Frau gemacht wurde, über eine Schwarze Frau. Da sprichst du davon, dass die zweite Bewegung der Schwarzen Deutschen in den 80er und 90er Jahren war. Und genau an dem Punkt habe ich gedacht, das stimmt irgendwie nicht. Uns gab es ja vorher. Wir waren doch auch noch da! Damals in den 70er Jahren. Wir nannten uns zwar nicht „afrodeutsch, sondern „die Schwarze Frauengruppe. Und da habe ich mich eben gefragt – weißt du davon? Weil es uns nur sehr kurz gab. Man hat uns kaum bemerkt. Wir kamen ja auch nicht richtig zum Zug wie die Gruppe, die Audre Lorde später ins Leben gerufen hat. Deswegen bin ich nach dem Theaterstück zu dir gekommen und hab gedacht, dass ich dir das mal erzähle. Dann sehe ich ja, ob das für dich relevant ist oder nicht. Ich persönlich finde, es ist relevant. Weil selbst wenn nichts daraus geworden ist, sind wir auf unsere Art auch Vorkämpferinnen gewesen.

    Wie war es denn damals?

    Also es war so: Ich kam 1977 nach Berlin und habe mich erstmal in der Frauenszene umgeschaut. Da bin ich auch zum ersten Mal anderen Schwarzen Frauen begegnet. Wir hatten nicht so einen richtigen Kontakt, ich hatte ein Gespräch mit einer Frau, die meinte irgendwas über „wir Schwarze" und so und da ich ja nur unter Weißen aufgewachsen war, war mir das erst mal nicht so richtig bewusst. Aber ja – wir haben uns dann unterhalten und da war ich erst mal wieder weg und hatte dann so losen Kontakt. Also wir kannten uns noch nicht richtig. Aber wir sind uns immer mal irgendwie über den Weg gelaufen.

    Gibt es eine Begegnung oder Person, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

    Ja, Guy. Guy St. Louis war die Frau, die damals unsere Schwarze Frauengruppe initiiert hat. Sie war sich selbst sehr bewusst, also sehr bewusst, dass sie eine Schwarze Frau ist mit allen Hindernissen, die es mit sich bringt. Und sie hat auch immer gekämpft und auch kämpfen müssen als Schwarze Frau anerkannt und gehört zu werden. Sie war für uns als Gruppe so wichtig, weil sie die Fähigkeit hatte, das auszusprechen, und zwar verständlich auszusprechen, was bei uns so schwammig im Bewusstsein war.

    Einmal hatte sie bei einem Seminar mitgemacht. Es ging da um Schwarze Frauen in der weißen Gesellschaft. Aber Guy war die einzige Schwarze Frau, die dabei war. Und sie hat gesagt: „Leute, ich erzähle euch mal wie es ist, Schwarz zu sein in einer weißen Gesellschaft" – und hat ausgepackt. Guy hat ziemlich klar gesagt, wie es ist, woraufhin die weißen Frauen sie rausgeschmissen haben. Die wollten eben über Schwarze Frauen reden, ohne dass welche dabei sind. Also das war so absurd, weil Fakt ist einfach, dass viele Weiße überhaupt gar nicht mitkriegen, was wir Schwarze Frauen durchmachen, weil Rassismus läuft ja oft so unterschwellig ab – eigentlich nur für uns Schwarze eben erfahrbar. Und diese Geschichte hat dann unsere Schwarze Frauengruppe irgendwie ins Leben gerufen. Guy war sozusagen die Initiatorin, hat gesagt: „Ey Leute, wenn die uns nicht wollen, kommt lass uns zusammen kommen und lasst uns eine eigene Gruppe bilden." Wir waren natürlich Feuer und Flamme.

    Und wie ging es dann weiter?

    Ja, dann haben wir uns halt zusammen getan und hatten unheimlich viele Pläne. Wir wollten zum Beispiel auch ein Buch schreiben, in dem jede von uns ihren Lebensweg bis dahin beschreibt: wie es eben ist, als Schwarze Frau in Deutschland zu leben. Wir haben damals einen Aufruf übers Radio gemacht. Und zwar bei der Sendung „Zeitpunkte". Das war, oder ist noch eine Frauensendung – damals lief es beim SFB, heute beim RBB. Wir wollten wissen, ob es noch mehr Schwarze Frauen gibt, die sich mit uns zusammen tun würden. Dieser Aufruf wurde zwar gesendet, aber es kamen keine weiteren Frauen dazu.

    Was hattet ihr denn vor?

    Wir haben uns getroffen, weil wir als Schwarze Frauen vereinzelt waren und auch einander kennenlernen wollten. Wir wollten aber auch tiefer gehen. Aber soweit konnten wir damals noch gar nicht denken. Wir hatten gar nicht die richtigen Worte damals. Was wir eben wollten war, einen eigenen Raum mieten. Wir wollten ein eigenes Konto haben, das auf unseren Namen geht und mit dem Geld wollten wir zum Beispiel auch zusammen nach Afrika fahren und auch andere Dinge machen. Also wir hatten wirklich gute Pläne. Aber wir hatten alle schlechte Erfahrung gemacht, als Schwarze, eine Wohnung zu mieten. Also das ist unheimlich schwer gewesen. Dann haben wir gedacht, ach wir bitten eine weiße Frau, das für uns zu machen. Weil das leichter gewesen wäre.

    Ist es euch gelungen?

    Also wir hatten dann eben eine weiße Frau darum gebeten und wir kamen dann mit ihr zusammen und sie brachte gleich ihre Freundinnen mit. Diese Frauen waren politisch tätig und zwar für „Women for Housework aktiv, was ja auch okay ist. Aber die saßen dann da und haben uns gesagt, dass sie das Geld für uns verwalten könnten und einen Raum anmieten, wobei sie uns dann zu gegebener Zeit erlauben würden, ihn zu benutzen. Eigentlich haben wir uns das ganz anders vorgestellt. Das ist dann unser Geld und das ist dann unser Raum! Wir wollten gar nicht für die „Women for Housework kämpfen. Wir hatten unseren eigenen Kampf! Wir hatten unsere eigenen Interessen! Für uns sah es so aus, als wollten diese Frauen uns benutzen für ihre Kampagne. Wir durften dann irgendwie denen zu Diensten sein.

    Gab es in der damaligen Frauenbewegung denn keinen Raum für Bündnisse?

    Du musst dir das so vorstellen: Die kamen alle von der Uni, waren eloquent, konnten gut reden und auch Streitgespräche führen. Wir konnten eigentlich nur sagen, was wir nicht wollten. Wir konnten aber kaum sagen, was wir wollten. Und dann haben wir gesagt: „Okay, wir treffen uns nochmal und versuchen das denen nochmal genau zu erklären." Wir haben dann ziemlich lange diskutiert und ihnen versucht klar zu machen, dass sie uns nicht so behandeln können, oder dass wir nicht weniger wert sind, bloß weil wir Schwarz sind. Sie haben aber abgestritten, dass sie sich so verhalten hätten. Und ich muss aber im Nachhinein sagen, dass sie nicht wirklich verstanden haben, dass wir etwas wollten, was ohne ihren Einfluss stattfinden sollte. Weil das ist einfach schwierig für die Weißen zu sehen, wo sie uns ignorieren. Denen ging es immer um ihre Sache, ihren Standpunkt und die wollten sie durchfechten und uns ging es eigentlich nicht so sehr darum etwas durchzufechten, sondern einfach unseren Weg zu finden.

    Wie ging es dann weiter?

    Wir haben dann einfach gesagt, dass wir nicht zusammen arbeiten wollen. Wir arbeiten überhaupt nicht mit Weißen zusammen, erst mal. Weil wir dann wieder die Unsichtbaren sind. Also es ging nicht darum zu sagen: „Hier guck mal, hier bin ich!" Aber wir wollten eine Präsenz haben und auch gesehen werden, wahrgenommen werden, darum ging es uns. Und dann haben wir uns alleine getroffen und versucht, einiges durchzusetzen. Und dadurch sind wir als Schwarze Gruppe plötzlich sehr stark gewesen. Haben auch eine innere Stärke entwickelt und waren auch selbstbewusster. Es war der erste Schritt und das war ganz wichtig.

    Wart ihr in irgendeiner Form politisch aktiv?

    Also, ich fand das war politisch, was wir gemacht haben. Nämlich, dass wir selbst zu uns fanden. Weil aus dem Nichts heraus, kannst du nicht agieren. Politisch bist du dann absolut wirkungslos. Und letztendlich haben wir auch kein Bein auf den Grund gekriegt. Wir standen nicht. Deshalb würde ich trotzdem sagen, dass wir politisch waren. Das war ja unsere Absicht. Und ich fand auch politisch, dass wir das Buch schreiben wollten, dass wir eben im Radio waren. Das sind aus meiner Perspektive alles politische Handlungen. Auch wenn das alles relativ kläglich war. Aber es ging auch nicht darum, berühmt zu werden oder so, sondern einfach wirklich zäh unseren Weg zu gehen. Und ich kann auch nicht sagen, dass wir versagt haben.

    Was waren denn eure Themen?

    Ja, also unsere Themen waren einfach zum Beispiel: Aufdröseln, wo wir als Schwarze den Unterschied erfahren, dass wir Schwarz sind. Ist ja nicht nur die Hautfarbe, ist ja auch, wie wir kategorisiert werden. Also zum Beispiel: In der Schule musst du dich ja schon stärker anstrengen, um die gleichen Noten zu haben wie der Rest. Oder manches wird dir verwehrt, weil die Leute von vornherein davon ausgehen, dass du nichts kannst. Oder du musst eben beweisen, dass du kein Dieb bist oder wenn was geklaut wird, wirst du als Erste verdächtigt.

    Wir reden von den späten 70er Jahren. Das ist doch heute noch so?

    Ja natürlich! Da hat sich nichts verändert. Ich glaube aber, was ein bisschen anders ist, ist dass wir alle Heimkinder waren. Alle bis auf eine. Die kam aus Jamaika und das war für uns auch interessant, weil sie eben erzählt hat: In Jamaika sind die Schattierungen sehr wichtig. Also von hell bis dunkel. Und je heller du bist, desto höher dein Status. War uns ein bisschen fremd, aber auch aufschlussreich.

    Glaubst du, dass das strukturell bedingt war, dass ihr alle Heimerfahrung hattet?

    Was meinst du mit „strukturell"?

    Gesellschaftlich bedingt?

    Ja, auf

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1