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Geheimdienste, Agenten, Spione: Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte
Geheimdienste, Agenten, Spione: Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte
Geheimdienste, Agenten, Spione: Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte
Ebook847 pages9 hours

Geheimdienste, Agenten, Spione: Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte

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About this ebook

Selten erhält man einen so tiefen Einblick in die Arbeit von Agenten, Informanten und Spionen: Decknamen und deren Träger, Treffpunkte und Übergabemethoden, Korrespondenzen und Augenzeugenberichte.
Nach 1945 ist Südtirol ein Hotspot der Nachrichtendienste. Die Stadt Bozen wird zum Schauplatz länderübergreifender Operationen US-amerikanischer, italienischer, österreichischer und deutscher Geheimdienste. Aber auch östliche Nachrichtendienste ziehen von hier aus ihre Fäden. In der heißen Phase der Attentate in den 1960er-Jahren spitzt sich diese Situation deutlich zu.
Akribisch hat Christoph Franceschini Akten ausgewertet, zum Großteil Dokumente aus bisher verschlossenen Archiven. Dieses Buch deckt Doppelagenten auf, zeigt die Verflechtung der Dienste und legt viele Namen offen.

" Journalistisch packend erzählt
" Neue Fakten aus internationalen Archiven
LanguageDeutsch
Release dateDec 3, 2020
ISBN9788872837603
Geheimdienste, Agenten, Spione: Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte

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    Geheimdienste, Agenten, Spione - Christoph Franceschini

    Christoph Franceschini

    Geheimdienste, Agenten, Spione

    Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte

    Die Drucklegung erfolgte mit freundlicher Unterstützung der Abteilung Deutsche Kultur der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol

    © Edition Raetia, Bozen 2020

    Umschlaggestaltung: Philipp Putzer, www.farbfabrik.it

    Umschlagbilder: Titelseite Fotoremix unter Verwendung des Bildes Berretta M34 von Askild Antonsen / CC BY 2.0 / Rückseite StB-Archiv Prag

    Druckvorstufe: Typoplus, Frangart

    Druck: Lanarepro, Lana

    ISBN 978-88-7283-735-1

    ISBN Ebook 978-88-7283-760-3

    Unseren Gesamtkatalog finden Sie unter www.raetia.com.

    Bei Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an info@raetia.com.

    Inhalt

    Vorwort

    Hochzeit in Böhmen

    Der Sekretär von Friedl Volgger

    Tote Briefkästen am Wiener Prater

    Deckname „Puzzi"

    Bozner SS-Seilschaft

    Der unfolgsame Maler

    Der Kurier

    Presseagentur als Coverstory

    Der geheime Kodex

    Aktion „Stelio"

    Bozner Schlangengrube

    Abrechnung in Brünn

    Die Abschaltung

    Tragisches Nachspiel

    Der Mann mit den vielen Namen

    Büro für vertrauliche Angelegenheiten

    Informant Franco

    Südtiroler Spitzel der italienischen Dienste

    Das Interesse der CIA

    Bespitzelung der Volkspartei

    Bezahlter Standpunkt

    SVP-Sitz auf Landeskosten

    Operation „Los Angeles"

    Der gesuchte Kriegsverbrecher

    Polizisten, Faschisten und der Vatikan

    Der russische Professor

    Die Südtiroler Kommunistenliste

    Unter gegenseitiger Beobachtung

    Bekannte Bozner Gehilfen

    Desdemona und die Brunnenburg

    Neuer Arbeitgeber

    Großhändler für Geheiminformationen

    Persona non grata

    Unruhestand in Bozen

    Achtung, bewaffneter Aufstand!

    „Wir sehen einer Zukunft aus Blut und Feuer entgegen"

    Freund Joachim

    Das Memorandum des Generals

    Die Reaktionen

    Mehr Geld für Spitzel

    Mazzini in Innsbruck

    Vom Anarchisten zum faschistischen Agenten

    Der Innsbrucker Generalkonsul

    Der faschistische Meisterspion

    Ausspähungsziel Bergisel-Bund

    Unspektakuläre Erkenntnisse

    Die Trennung

    Magnagos Übersetzer

    Agent „Mumelter"

    Verhaftung in Frankfurt

    Der Südtirol-Fachmann

    Der kommunistische Landessekretär

    Eine fragwürdige Figur

    Im Zentrum der Macht

    Verdacht aus München

    Die Ausspähung der SVP

    Der Verbindungsmann

    Jennys Richter

    Pfaundler, Molden & die CIA

    BAS-Finanzier und Hauptagent der CIA

    „Inglourious Basterds" in Tirol

    Pfaundlers Freiheitslegion

    Widerstandskämpfer und Adjutant von Eichmann

    „Stay Behind"-Ausflug ins Sarntal

    Kennedys Morgenlektüre

    Südtirol soll zum „trouble spot" werden

    US-Raketenbasis in Südtirol

    Das Waffenlager der Feuernacht

    Die Karte für die Feuernacht

    Kanonikus Gampers Fluchthelfer

    Amtshilfe der österreichischen Abwehr

    Die Enthüllungen im „Spiegel"

    Die Rosengarten-Treffen

    Der polnische Graf im Dienste des BND

    Seilschaft alter Spione

    Der Henker von Mailand

    Der italienische Kollaborateur der Gestapo

    Der König des Doppelspiels

    Schulung der Südtirol-Terroristen in Prag

    Der falsche Bergisel-Bund

    Geplante Sprengung der Europabrücke

    Der Staatsanwalt: auf einem Auge blind

    Ein rechter Waffennarr

    Archivierte Wahrheit

    „Gladio"-Einsatz in Südtirol

    Die Aktion „Europabrücke"

    Übliche Bozner Interventionen

    Anschläge: BAS, „Ein Tirol oder „Gladio?

    Brüder unter Verdacht

    Der Kerzenvertreter

    Die Brief-Aktion

    Aus „Bernardo wird „Fausto

    Studie im Auftrag Österreichs

    Das Schwein muss weg

    Guerilla-Aktionen gegen Carabinieri

    Ziel Amplatz

    Hans Dietl alias „Hias"

    Die „Aktion Andergassen"

    Der Anzug des Toten

    Mord im Staatsauftrag

    Die Kerbler-Brüder

    Skeptischer Geheimdienst

    Die Terroristenschule

    Die geplante Entführung von Jörg Klotz

    „Lieber in Tirol sterben"

    Angebot: Klotz Entführen

    Das fiktive Militärlager

    Missglückter Zugriff

    „Überraschung zum Schaden von Klotz und Amplatz"

    Beretta, Matrikelnummer 616534

    Überwachtes Kulturwerk

    Kerblers unterstützte Flucht

    Römische Schutzherren

    Archivierung wegen Homosexualität

    Anhang

    Anmerkungen

    Abkürzungen

    Glossar

    Personenregister

    Bildnachweis

    Danksagung

    Biografien

    Vorwort

    Sich bei der Beschäftigung mit geheimen Diensten auf geografische Räume zu konzentrieren, ist ein eher seltenes Unterfangen. Als Hotspots von Spionage gelten gewöhnlich Großstädte. Diese auf klandestine Einrichtungen hin zu untersuchen, kommt jedoch in der akademischen Geheimdienstforschung nicht vor. Allenfalls bot Roger Faligot in den 1990er-Jahren Stadtführungen in Paris an, die mit einem mehrstündigen Fußmarsch von einem nachrichtendienstlich relevanten Gebäude zum anderen verbunden waren. Daher blieb es Journalisten überlassen, auf Spurensuche nach offiziellen und verdeckten Schauplätzen geheimdienstlichen Handelns zu gehen. Kid Möchel tat dies 1997 für die Spionagedrehscheibe Wien in seinem Buch „Der geheime Krieg der Agenten. Der Journalist Sven Felix Kellerhoff und der Historiker Bernd von Kostka nahmen 2010 Berlin zu Recht als eine „Hauptstadt der Spione ins Visier. Zweifellos waren die beiden ehemaligen Viermächte-Städte multinationale Agentenhochburgen. Mit genauen Ortsangaben und Adressen knausern jedoch beide Werke. Sie konzentrierten sich mehr auf die operativen Aspekte des Schattenkriegs.

    Nun hat Christoph Franceschini in einer Pionierarbeit unter Beweis gestellt, dass auch das eher rurale Südtirol ein Tummelplatz für Nachrichtendienste war. Als Grenzgebiet war der Landstrich natürlich nachrichtendienstlicher Transitraum. Die Kurierlinien deutscher, österreichischer, italienischer und anderer Geheimdienste verliefen entlang von Eisack und Etsch. Zwischenstopps für die Schleusung von Agenten und Kriegsverbrechern säumten den Weg von Nord nach Süd, aus dem deutschsprachigen Raum Richtung Rom und zurück. In den späten 1940er-Jahren schon stützte sich auch eine Funklinie der „Organisation Gehlen" (Org.) nach Rom auf eine Station nahe dem Brenner, die ein Pater betrieb. Quer dazu lagen entsprechende Verbindungslinien aus dem norditalienischen Raum über Jugoslawien und Österreich in den sowjetischen Machtbereich.

    Franceschini macht jedoch deutlich, dass sich die Rolle Südtirols bei Weitem nicht darauf beschränkte. Vielmehr war seine Heimat auch in bisher unbekanntem Ausmaß Ausgangspunkt und Zielgebiet von Geheimdienstoperationen oft multinationaler Reichweite. Das zeigt sich bereits im ersten Kapitel, in dem es um den tschechoslowakischen Dienst StB (Státní bezpečnost) geht, der im frühen Kalten Krieg ein Netzwerk von elf Südtirolern und ihren Zuträgern vorwiegend zur Militärspionage vor seinen Karren spannen konnte.

    Die Staaten der jungen NATO folgten strategisch der US-amerikanischen Vorgabe, die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten in einem Ring von Norwegen über Italien und Griechenland bis hin zur Türkei einzudämmen. Eine durchgängige Frontlinie ließ sich wegen der Neutralität Österreichs und der Schweiz sowie wegen der Blockfreiheit Jugoslawiens dabei nicht realisieren. Das Bedrohungsszenario der westlichen Militärallianz ging deshalb davon aus, dass die Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in der ČSSR, verstärkt durch tschechische Divisionen, unter Missachtung der österreichischen, schweizerischen und jugoslawischen Neutralität im Kriegsfall nach Norditalien einfallen könnte, um einen tiefen Keil zwischen die CENTAG (Central Army Group) und die SOUTHAG (Southern Army Group) in Italien zu treiben. Das ist der militärpolitische Hintergrund für die Militärspionage des StB: die strategische Tiefe der SOUTHAG und deren Streitkräfte im noch bis 1955 besetzten Österreich und der Schweiz sowie im Tito-Staat als potenziellen Operationsraum östlicher Armeen aufzuklären.

    Heruntergebrochen auf Beschaffungsaufträge bedeutete dies, die Dislozierung und Infrastruktur von Streitkräften in Erfahrung zu bringen, geheime Aufmarschpläne des italienischen Militärs und selbst ihre Chiffrierverfahren zu beschaffen oder die Weisungen des Pariser Hauptquartiers der alliierten Streitkräfte in Europa zu erbeuten. Als Beifang fielen jedoch auch Informationen über die Südflanke der westlichen Militärallianz in Griechenland und der Türkei sowie auf der iberischen Halbinsel an – ja selbst Rezepturen von italienischen Impfstoffen.

    Fast unbemerkt erhalten Leserinnen und Leser, die den spannungsreichen Verläufen folgen, eine Lektion in nachrichtendienstlicher Methodik. Das Potpourri des geheimdienstlichen Handwerks führt doppelte Identitäten und falsche Pässe, Decknamen und Tarnadressen, Erkennungszeichen und Parolen, Schließfächer und tote Briefkästen, Schleusungen über grüne Grenzen und abgelegene Trefforte wie Jagdhütten vor Augen.

    Rein theoretisch gibt es zahlreiche Motive, die einen Menschen bewegen, als Agent tätig zu werden: politische Ideale, Rachsucht, Erpressbarkeit oder die Lust am Nervenkitzel. Rein praktisch dominiert aber eine andere Antriebsfeder: das finanzielle Interesse. Geld regiert auch die geheimdienstliche Welt. Die horrenden Summen, die der StB in seine Südtiroler Spione investierte, sprechen in den Armutsjahren der Nachkriegszeit als herausragender Grund Bände dafür und Franceschini bringt auch diese Tatsache auf den Punkt. Implizit muss man jedoch auch in Rechnung stellen, dass es vielen Südtirolern an Loyalität gegenüber dem italienischen Zentralstaat mangelte, der durch die Italianisierung der Region mit Schwerpunkt Bozen diese Abwehrhaltung der Deutschsprachigen nachhaltig schürte.

    Spionage ruft nicht nur die allgemeine Spionageabwehr hervor, sondern auch die Krönung nachrichtendienstlichen Handels, die Gegenspionage, d. h. das Eindringen in gegnerische Geheimdienste vornehmlich durch die Gewinnung von Doppelagenten oder „countermen". Das erste Kapitel zeichnet hier ein faszinierendes Hin und Her von Anwerbung und Überwerbung, von Seitenwechseln und Rivalitäten. Vom gewinnbringenden Verkauf von Falsifikaten über die Lieferung bloßen Spielmaterials bis hin zur selbstgefälligen Übertretung dieses Limits durch den Gedoppelten scheinen alle Facetten von List und Hinterlist auf.

    Der Vorwortschreiber muss hier der Versuchung widerstehen, den Leserinnen und Lesern die Spannung zu rauben, indem er den Ausgang dieses Schattenkriegs vorwegnimmt. Nur so viel: Aufklärungserfolge des StB und Abwehrerfolge des italienischen „Servizio Informazioni Forze Armate" (SIFAR) halten sich in den 1950er-Jahren wohl die Waage. Auf beiden Seiten waren sie allerdings verbunden mit der Unsicherheit, wer in Spiel und Gegenspiel zu welchem Zeitpunkt der Wahrheit näher kam und Punktsiege zu verzeichnen hatte.

    Das zweite Kapitel gibt einen ersten Einblick in die Ausspähung separatistischer Bestrebungen, namentlich ihrer Speerspitze, des BAS (Befreiungsausschuss Südtirol). Entgegengesetzt hat der italienische Staatsapparat den Loslösungswilligen verschiedene Akteure, voran das „Ufficio Affari Riservati" (UAR), aber auch die politische Polizei, die sich beide in großem Umfang auf ehemalige Angehörige der faschistischen Geheimdienste stützten und eng mit US-Diensten kooperierten. Der Südtiroler Stützpunkt in der Quästur Bozen führte dabei eine Handvoll Informanten. Nachrichtendienstlichen Seltenheitswert hat dabei die Tatsache, dass Polizisten aus ihren Privatwohnungen heraus als Agentenführer fungieren, selbst über ihren Ruhestand hinaus. Hier wie im Folgenden geht die Darstellung der Entstehungsgeschichte der Dienste und ihrer Struktur fließend in das operative Geschehen über.

    Der Hauptfeind der rechten politischen Klasse und ihres mächtigen Stützpfeilers CIA waren jedoch kommunistische Bestrebungen und die im westeuropäischen Vergleich einmalig starke kommunistische Partei PCI. Der Autor macht die Bekämpfung dieses inneren Gegners im dritten Kapitel zunächst an der Biografie des italienischstämmigen CIA-Agenten Joseph Peter Luongo fest, der 1945 in Bozen landete und die Stadt 1996 fluchtartig verließ.

    Was folgt, ist ein Feuerwerk teilweise miteinander verwobener Lebensläufe von Agenten, die sich bei den verschiedenen italienischen und US-amerikanischen Spionageorganisationen verdingen, oft genug als Diener mehrerer Herren. Ein Stelldichein gaben sich dabei italienische Faschisten, ehemalige SS-Leute – darunter schwer belastete Kriegsverbrecher – und katholische Geistliche, deren Wege sich in vielen Fällen schon vor 1945 gekreuzt hatten.

    Einmal mehr wird in diesem Kapitel deutlich, dass Geheimdienste, die aufgrund gleicher Ziele an demselben Strang ziehen sollten, von Konkurrenzdenken geprägt sind, national zwischen dem US-Militärnachrichtendienst „Counter Intelligence Corps" (CIC) und der CIA, zwischen dem italienischen Innenministerium und dem SIFAR, länderübergreifend zwischen diesen vier und weiteren Akteuren wie den westdeutschen Diensten von Reinhard Gehlen und Friedrich Wilhelm Heinz. Hinzu kommen agenturinterne Rivalitäten zwischen Alpha-Tieren und der Blick auf das Nachbarland Österreich als operative Basis.

    Die nächsten Kapitel knüpfen an das zweite an und werfen die Frage auf, was die italienischen Sicherheitsbehörden über den 1957 gegründeten „Befreiungsausschuss Südtirol" tatsächlich wussten. Die Antwort fällt zugunsten der Aufklärungsqualität aus. Der Umfang von 650 aktiven Kämpfern blieb ebenso wenig geheim wie der Schlachtplan zur Erkämpfung der Unabhängigkeit. Ausführlich stellt der Autor einen Höhepunkt der Gewaltausübung, seine Hintergründe und Abläufe dar, die Feuernacht vom Juni 1961, in der die Stromversorgung nicht nur Südtirols, sondern auch norditalienischer Industriezentren durch die Sprengung zahlreicher Strommasten lahmgelegt werden sollte. Vorausgegangen war dem bereits der missglückte Anschlag vom Februar 1960 auf die Rohbauten von Volkswohnhäusern in Meran. Eine weitere Eskalation brachte ein Brandanschlag auf eine für italienische Zuzügler bestimmte Neubausiedlung am Rand von Bozen mit sich. Ein blindwütiger Terrorakt, muss man ergänzen, war dieses Attentat nicht. Der seinerzeit in Innsbruck ansässige Militärhistoriker Heinz von Lichem kannte die Motive der aus Österreich unterstützten Drahtzieher. Es ging ihnen darum, inhaftierte Aktivisten der sogenannten Bumser freizupressen, die von der italienischen Polizei gefoltert worden waren. Und dieses Ziel wurde, verbunden mit der Drohung, weitere Brandanschläge zu verüben, auch erreicht.

    Die vom militärischen Nachrichtendienst geforderten drastischen Maßnahmen wie Ausbürgerung von Rückoptanten, Ausweisung österreichischer Staatsbürger oder ein Einreiseverbot für österreichische Politiker stießen auf der politischen Ebene nicht auf Resonanz. Weder die Regierung in Rom noch die in Wien waren an einer Verschärfung der Lage interessiert, die Kräfte des Heeresnachrichtenamts in Innsbruck und italienische Geheimdienste im Sinn hatten.

    Mit dem Generalkonsul Luigi Tamburini und einem seiner Agenten versuchte der italienische Dienst am Hotspot der Sympathisantenbewegung für einen Anschluss Südtirols an Österreich in Innsbruck den Bergisel-Bund zu infiltrieren. Die SIFAR-Zentrale in Rom – so der Militärhistoriker Heinz von Lichem – konnte sich aber in der Hauptstadt des Bundeslandes Tirol auch auf zwei andere Verbündete stützen, zum einen vatikanische Kreise im Abschöpfen menschlicher Quellen, zum anderen auf den britischen Partnerdienst MI6, der die Ergebnisse von Abhöroperationen beisteuerte.

    Das sechste Kapitel öffnet den Blick auf die Unterwanderung der Südtiroler Kommunisten durch eine Top-Quelle wie den Leiter ihres Bozner Büros Carlo Bernardo Zanetti, dessen Führungsoffizier Franceschini interviewen konnte. Zanetti stand bis zu seiner Enttarnung im Oktober 1952 für jenen hochrangigen Agententypus, der nicht nur hochkarätiges Insiderwissen liefert, sondern auch destruktive Personalentscheidungen einleiten kann. Dass der falsche Professor seine Spitzeldienste dann bis 1978 in ganz anderen Funktionen mit konträrer Stoßrichtung fortsetzte, hat seinen besonderen Reiz.

    Es ist der reichhaltige Aktenfundus des US-amerikanischen Nationalarchivs, ergänzt durch Akten des Bundesnachrichtendienstes, der den folgenden Kapiteln über die Aktivitäten des SIFAR, der CIA und des BND Fleisch verleiht. Als Akteure werden zunächst der Pressezar und CIA-Agent Fritz Molden und der Journalist Wolfgang Pfaundler, Unterstützer und Waffenlieferant des BAS und zugleich Zuträger Pullachs, eingeführt. Einmal mehr erweist sich hier Innsbruck als Kampfplatz des verdeckten Krieges zwischen zahlreichen Nachrichtendiensten.

    Gefährliche Geheimdienstgranden des Dritten Reichs wie der SS-Obersturmbannführer Otto Skorzeny oder der ehemalige Adjutant von Adolf Eichmann Otto von Bolschwing spielen im Nationalitätenkonflikt ungeachtet ihrer mörderischen Vergangenheit eine wichtige Rolle, die Franceschini minutiös nachzeichnet. Aber auch militärpolitische Themen wie die Stationierung taktischer Atomraketen vom Typ Honest John oder der Aufbau von Flucht- und Versorgungsrouten der „Stay Behind-Netze im äußersten Norden Südtirols blitzen auf. Im zehnten Kapitel macht Franceschini dann deutlich, dass diese als „Gladio-Netzwerk bekannt gewordenen Kriegsvorbereitungen zum verdeckten Kampf hinter den feindlichen Linien auch in Südtirol zum Aufbau geheimer Waffenlager, zu amerikanisch-italienischen Manövern und zu Sabotageplanungen bis hin zur Sprengung der Europabrücke führten. „Gladio"-Angehörige schürten auch die innenpolitische Spannung, indem sie Attentate verübten, die dann dem BAS in die Schuhe geschoben wurden. Provokationen dieser Art stehen selbst hinter der Neuauflage des Bombenterrors in den 1980er-Jahren.

    Vom spionagetechnischen Klein-Klein schafft der Autor immer wieder den Sprung auf die weltpolitische Bühne, dort beispielsweise, wo es um die Berichterstattung über die brisante Lage in Südtirol für US-Präsident John F. Kennedy oder die Diskussionen im österreichischen Staatsapparat geht. Besonderen Geheimdienstmitarbeitern widmet Franceschini informative Kästen, die ein weites Spektrum unterschiedlichster Agententypen und ihrer Schicksale widerspiegeln. Da werden auch posthum zu Lebzeiten unentdeckte Südtiroler Spione entlarvt. Zu den interessantesten Miszellen zählt die Geschichte einer Agentin des israelischen „Mossad", die in Südtirol rechtsextremistischen Organisationen nachspürt.

    Abgerundet wird der erste Band durch die gründlich recherchierte Geschichte eines von den italienischen Diensten in Auftrag gegebenen Mordanschlags vom September 1964, bei dem ein Nordtiroler Journalist einen BAS-Aktivisten tötet, einen zweiten schwer verletzt. Dieser Fall wirkt bis heute fort, da die italienischen Behörden den Mörder noch immer decken.

    Den studierten Historiker erkennt man in der Recherche, im Erschließen einer Vielzahl unterschiedlichster Quellen, in erster Linie eines reichhaltigen Fundus von Primärquellen. Das Spektrum reicht dabei von Sach- und Personalakten der italienischen Dienste, Unterlagen der Justizbehörden bis hin zu Nachlässen, Dokumenten aus dem US-Nationalarchiv und zahlreichen Archivalien aus Prag. Die Auswertung der Literatur und Presse sowie Interviews mit aufgespürten Zeitzeugen oder ihren Nachkommen ergänzen die immense Fleißarbeit.

    Den praktizierenden Journalisten spürt man am klugen Aufbau der Kapitel und der flüssigen Schreibe. Die turbulenten Ereignisse finden ihren Widerhall in der herausfordernden Dynamik des Textes. Franceschini arbeitet dabei mit einer Vielzahl wörtlicher Zitate. Das lässt den Zeitgeist atmen, die damalige Denkungsart und das konspirative Verklauseln in geheimdienstlichen Briefschaften nachempfinden.

    In diesem ersten Band dominieren die nachrichtendienstlichen Hintergründe, Personen und Aktionen, die im Zusammenhang mit dem teils brutal ausgetragenen Nationalitätenkonflikt stehen. Der zweite Band legt seinen Fokus auf die Aktionen des bundesdeutschen Nachrichtendienstes (BND), die Ausspähung der Südtiroler Patriotenszene durch die ostdeutsche Staatssicherheit (STASI) und die Bespitzelung der Südtiroler Linken.

    Den beiden Bänden ist über eine Heimatgeschichte des Klandestinen für die Südtiroler Landsleute hinaus eine breite Leserschaft zu wünschen.

    Weilheim, im November 2020

    Erich Schmidt-Eenboom

    Hochzeit in Böhmen

    Tschechoslowakischer Ausweis für Hans Morandell: Ausgestellt auf den Namen Jan Moravec.

    Die tschechoslowakische Staatssicherheit StB wirbt Anfang der 1950er-Jahre insgesamt elf namentlich bekannte junge Südtiroler an, darunter in einer Schlüsselposition einen SVP-Mitarbeiter sowie einen Neffen von Kanonikus Michael Gamper. Zwischen Bozen, Rom, Innsbruck und Wien entsteht ein Informantennetz, das jahrelang Militärspionage für den Ostblock betreibt. Gleichzeitig geraten die Beteiligten aber auch ins Visier des italienischen Geheimdienstes. Ein junger Bozner landet am Ende gar für acht Jahre in einem Prager Gefängnis.

    Der Brief aus Brno, der in der ehemaligen Tschechoslowakei (ČSR) liegenden Stadt Brünn mit hauptsächlich deutschsprachiger Bevölkerung, trägt das Datum 4. Dezember 1948. Kurz gefasst auf einer Schreibmaschinenseite wird mit diesem Schreiben ein Informant für den tschechoslowakischen Geheimdienst „Státní bezpečnost" (StB) angeworben. Der Briefschreiber kommt in einem etwas ungelenken Deutsch direkt zur Sache:

    Ich erfuhr von einem Freund, mit dem ich in Verbindung stehe, über Ihren Aufenthalt in der ČSR u. über Ihren jetzigen Aufenthalt in Linz.

    Falls Sie nicht voll beschäftig sind, erlaube ich Ihnen eine erträgliche Beschäftigung anzubieten. Es sind mir über Ihre Person gewisse Einzelheiten bekannt, sind jedoch nicht ausreichend, damit ich über unsere Geschäftsverbindung unmittelbar handeln könne.

    Ich bitte mir mitzuteilen, ob Sie Ihre jetzige Beschäftigung voll ausnützt u. ob Sie die Möglichkeit haben, von Zeit zu Zeit eine Reise zu uns zu unternehmen. Legal oder illegal.

    Falls Sie beabsichtigen mein Angebot anzunehmen, ist unseres persönliches Zusammentreffen unbedingt erforderlich.

    Junger Hans Morandell oder Giovanni Sostero: Sekretär der SVP Bozen.

    Eltern Hedwig Morandell und Licurgo Sostero: Vater verschwindet aus Südtirol.

    Es ist selbstverständlich, daß ich alle mit Ihrer Reise nach ČSR zusammenstehenden Auslagen u. Reisekosten ersetzen werde. Wenn Sie sich um mein Angebot ernst interessieren, bitte ich Sie um eine postwendende Antwort, in der Sie mir auch Ihren, kurzen Lebenslauf mitteilen wollen.

    Ich erwarte, daß Sie diese außerordentliche Gelegenheit, die Ihnen angeboten wird, ausnützen. Ich ersuche Sie jedoch um eine rechtzeitige Antwort die ich bis zum 12.12.1948 erwarte.

    Ich bitte Sie dieses geschäftliche Schreiben als vertraulich zu halten.¹

    Für die Rückantwort gibt der Briefschreiber eine Deckidentität in Brünn an: „Karel Vlasaty, Zábrdovice 21, Brno, Arbeiterjournalist". Noch vor Weihnachten 1948 trudelt dort ein Brief auf Tschechisch aus Innsbruck und am 6. Jänner 1949 dann ein weiteres Schreiben aus Bozen ein. Der Absender der beiden Briefe: Hans Morandell, Venedigerstraße 37, Bozen.

    Hans Morandell, der zu diesem Zeitpunkt in Innsbruck studiert und dort unter der Woche bei einem Onkel wohnt, erklärt in dem handschriftlichen Brief, dass er bewusst aus Italien schreibe. Der Grund: In Südtirol gibt es im Gegensatz zum damals noch französisch besetzten Nordtirol keine Briefzensur. Denn der Inhalt des Briefes, den der damals 24-jährige Südtiroler schreibt, ist durchaus brisant. Hans Morandell zeigt sich am Angebot aus Brünn nämlich sehr interessiert.

    Ich schreibe Ihnen, um Ihnen mitzuteilen, dass ich bereit bin zur persönlichen Verhandlung unseres Geschäftes zu Ihnen zu kommen. Ich muss Ihnen aber auch mitteilen, dass ich ohne Ihre Hilfe eine Reise in die ČSR nicht durchführen kann, weil die Beschaffung eines Visums Ihres Landes mit beträchtlichen finanziellen Auslagen verbunden ist, für welche ich im Augenblick leider nicht aufkommen kann. […] Es wäre natürlich angenehm zu erfahren, was für eine Art erträglicher Beschäftigung Sie mir anbieten möchten. Auf jeden Fall interessiert mich ihr Angebot außerordentlich, weil mir die von ihnen vorgeschlagenen Geschäftsreisen Gelegenheit geben würden meine Freunde und Freundinnen in der ČSR aufzusuchen.²

    Rund vier Wochen später ist es dann soweit. Hans Morandell kommt am Abend des 3. Februar mit dem Zug nach Unterretzbach in Niederösterreich und überschreitet dort illegal die grüne Grenze in die Tschechoslowakei. Am Bahnhof von Šatov wird er abgeholt und in das Hotel Drei Kronen (U tri Korun) in Znojmo gebracht. Dort in Zimmer Nr. 17 wird der junge Bozner als Agent der wenige Monate zuvor aus der Taufe gehobenen neuen tschechoslowakischen Staatssicherheit StB angeworben. Drei Tage lange wird Hans Morandell von Männern des tschechoslowakischen Geheimdienstes im Hotel verhört und in seine neuen Aufgaben eingewiesen. Als er in den frühen Morgenstunden des 6. Februar 1949 auf demselben Weg über die grüne Grenze nach Österreich zurückkehrt, hat Morandell nicht nur 1.400 Kronen und 700 Schilling in der Tasche, sondern er hat auch eine handschriftliche Verpflichtungserklärung unterzeichnet.³ Hans Morandell erhält in der StB-Registratur den Decknamen „Korsičan, was soviel wie „der Korse heißt. Geführt wird der junge Bozner Agent von Anfang als „duverník resident", als ein Informant oder Agent, der ein ausländisches Netzwerk leitet. Genau das sollte auch die Aufgabe von Morandell sein. Er beginnt mit dem Aufbau eines Agentennetzes für den StB, an dem in Italien und in Österreich weit über ein Dutzend Agenten, Informanten und Zuträger hängen. Der Großteil von ihnen sind Südtiroler und Südtirolerinnen.

    StB-Agent Hans Morandell alias „Korsičan" (im Uhrzeigersinn): Als Balilla (faschistische Jugendorganisation) mit Mutter; in der Hitlerjugend; in der Uniform der deutschen Reichsbahn (Bologna 1944) und mit seinem ersten Auto.

    Gut sieben Jahre lang arbeitet das Netzwerk für den ČSR-Geheimdienst und liefert vor allem militärische Informationen aus Österreich, Italien, Holland, Skandinavien, Spanien, Griechenland, der Türkei und sogar aus Chile. Schon bald wird das Südtiroler Netz jedoch vom italienischen Militärgeheimdienst „Servizio Informazioni Forze Armate" (SIFAR) unterwandert und einige der StB-Zuträger beginnen für die Nachrichtendienste gleich mehrerer Länder zu arbeiten. Für einen von ihnen endet dieses Doppelspiel in einem Prager Gefängnis, wo er acht Jahre lang einsitzen wird.

    Die Arbeit der StB-Agenten in und um Südtirol ist bisher ein völlig unbekanntes Kapitel der Südtiroler Zeitgeschichte. Es ist eine Geschichte, in der sich auch einige bekannte Namen finden und einige Gestalten, die uns an unterschiedlichen Schauplätzen noch durch dieses Buch begleiten werden.

    Der Sekretär von Friedl Volgger

    Hans Morandell ist eine Figur, die für die Welt der Geheimdienste wie geschaffen scheint. Das beginnt bereits bei seinen Namen. „Als Kind hat mich beeindruckt, dass er im Laufe der Zeit seinen Vornamen gewechselt hat, erinnert sich sein Enkel, der Wiener Journalist und Historiker Marco Sostero im Gespräch mit dem Autor. „Eine Zeitlang mussten wir ihn Hans nennen und dann plötzlich nur mehr Giovanni. In den 1980er-Jahren schreibt er seinem Sohn Marc einen Brief, in dem er offiziell erklärt, endlich den ihm „verhassten Namen Johann" abgelegt zu haben. Er möchte ab sofort nur mehr Hans Georg genannt werden.

    Aus den Akten des StB und des italienischen Innenministeriums, aber vor allem aus den Erinnerungen seiner Familie lässt sich der Lebenslauf des Südtiroler StB-Agenten nachzeichnen. Giovanni (Hans) Morandell wird am 25. Februar 1925 in Bozen als Sohn von Licurgo Sostero und der Schneiderin Hedwig Morandell geboren. Die Mutter stammt aus einer Weinbauernfamilie aus Kaltern, der Vater ist ein Angehöriger des italienischen Heeres. Licurgo Sostero erkennt seinen Sohn aber lange nicht an und vor allem verschwindet er schon bald nach der Geburt aus Südtirol. Die Mutter tut sich später mit Pino Ruffino zusammen, der die Zollwache in Innichen leitet. Hedwig Morandell selbst führt jahrelang das Hutfachgeschäft Elite in der Bozner Silbergasse. Hans Morandell erleidet das Schicksal, das damals den meisten unehelichen Kindern in Südtirol blüht: Die Mutter muss arbeiten und er wächst bei einer Art Pflegfamilie auf, in seinem Fall bei einer Familie auf dem Ritten. Nach der Grundschule besucht er in Bozen das „Istituto Tecnico Governativo Commerciale e per Geometri Cesare Battisti" und macht dort auch sein Abitur.

    Auffällig ist, dass Hans Morandell seit seiner Jugend fast schon natürlich zwei Identitäten lebt. Weil die Eltern nicht verheiratet sind, trägt er zuerst den Namen der Mutter, nimmt dann aber, kaum volljährig, den Namen des Vaters an, zumindest zeitweilig. So etwa wird der Mann in den Akten der Bozner Quästur und des italienischen Innenministeriums noch im Sommer 1968 als Giovanni Sostero geführt.⁵ Damit wird klar, dass der Südtiroler StB-Agent jahrelang in Österreich als Hans Morandell auftrat, während er in Italien als Giovanni Sostero agierte. Dazu kommen im Laufe der Jahre noch weitere Aliasnamen, unter denen er operiert. Vereinfachend soll der Mann hier Hans Morandell genannt werden.

    Morandell spricht und schreibt drei Sprachen perfekt: Deutsch, Italienisch und Englisch. Darüber hinaus spricht er Französisch und im Laufe seines Lebens kommen noch mindestens drei weitere Sprachen hinzu.

    1944 wird Hans Morandell eingezogen und zur Deutschen Reichsbahn in Italien versetzt. Er ist in Bologna stationiert. Laut eigenem Lebenslauf arbeitet er ab April 1945 in Italien als Dolmetscher für die Engländer und Amerikaner. Doch schon bald erhält der junge Mann einen besonders interessanten Job. 1946 befindet sich die Südtiroler Volkspartei (SVP) organisatorisch noch im Aufbau. Über Friedl Volgger kommt Hans Morandell zur SVP. Dort übernimmt er als Verwaltungssekretär den SVP-Bezirk Bozen und arbeitet zwischen 1946 und 1948 für die Volkspartei. In dieser Funktion wird Hans Morandell dann auch indirekt Gegenstand einer öffentlichen Polemik. Im Spätsommer 1947 greift die Bozner Tageszeitung „Alto Adige in einer Artikelserie mehrmals die SVP scharf an. Vor allem Leo Sofisti, der später in den überregionalen Tageszeitungen „Corriere della Sera und „Il Giornale" die rechte Hand des berühmten Journalisten Indro Montanelli werden wird, veröffentlicht in mehreren Artikeln vermeintliche Interna aus der Volkspartei. So schreibt Sofisti am 9. Oktober 1947 u. a. über die verdächtigen Kontakte und Reisen von Friedl Volgger nach Jugoslawien und behauptet in diesem Artikel, „dass Friedl Volgger, seinen Privatsekretär, einen gewissen Morandell, im August 1947 zu einer Weltjugendtagung nach Prag geschickt habe". Die SVP-Landesleitung entgegnet mit einer Stellungnahme, die Friedl Volgger zwei Tage später im „Volksboten" abdruckt, garniert mit einem langen Artikel mit dem Titel „Was soll diese Hetze?" in dem Volgger selbst zu den Enthüllungen Stellung nimmt. „Herr Sofisti lügt mit dieser Behauptung", dementiert Volgger die Entsendung Morandells nach Prag.⁶ Dass die Behauptung Sofistis nicht an den Haaren herbeigezogen war und der Journalist also über gute Informationen verfügte, zeigt sich heute. Denn 70 Jahre später finde ich im Akt des Agenten „Korsičan im StB-Archiv in Prag nicht nur den damaligen „Volksbote-Artikel, sondern auch eine genaue Personenbeschreibung des Journalisten, SVP-Gründers und späteren Parlamentariers Friedl Volgger. Morandell benutzte diesen politischen Kontakt als einen seiner Trümpfe bei der Anwerbung durch den StB.⁷

    Hans Morandell reist im Sommer 1947 tatsächlich erstmals in die ČSR, um an einem Studentenfestival in Prag teilzunehmen. Dabei lernt er eine Reihe von Gleichaltrigen kennen, mit denen er auch danach noch Briefkontakt hält. Morandell ist von der Tschechoslowakei durchaus angetan. Er bleibt danach einige Monate in Karlsbad, wo er als Hilfsarbeiter in den dortigen Kaolinwerken angestellt wird. Kaolin ist ein mineralischer Rohstoff, der in der Keramik-, Papier- und Chemieindustrie verarbeitet wird. Morandell lernt dabei auch relativ gut Tschechisch, sodass er später die Briefe seines StB-Verbindungsoffiziers in dessen Muttersprache beantworten kann. Auch diese Tatsache dürfte bei seiner Anwerbung Ende 1948/Anfang 1949 mit ausschlaggebend gewesen sein. „Der Informant vermittelt den Eindruck einer ehrlichen und wahrheitsliebenden Person. Er ist intelligent und freundlich. Er mag die Tschechoslowakische Republik sehr und er kommentiert die Bedingungen in unserem Land äußerst positiv", beschreibt der StB-Offizier seinen Agenten „Korsičan" im Registrierungsprotokoll.

    Aus dem Geheimdienstakt geht auch der Beweggrund hervor, warum Morandell das Angebot umgehend annimmt. Da er seine Mutter finanziell unterstützen muss, brauche er unbedingt eine Einnahmequelle. Im Prager Personalakt heißt es: „Dem Informanten ist bekannt, dass er für den Geheimdienst arbeitet, er weiß jedoch nicht für welche Abteilung."⁹ Zu diesem Zeitpunkt studiert Morandell an der Universität Innsbruck Philosophie, wohnt bei seinem Onkel Meininger in Innsbruck, fährt aber immer wieder zu seiner Mutter nach Bozen. So schickt der StB anfänglich seine Briefe vor allem an die Anschrift der Mutter nach Bozen. Das Operationsgebiet von „Korsičan" soll vor allem Tirol und Vorarlberg sein, doch schon bald wird sich die Tätigkeit Morandells über halb Europa und darüber hinaus erstrecken.

    Wie bereits erwähnt, kommt es Anfang Februar 1949 im Hotel Drei Kronen in Znojmo zum Anwerbungsgespräch. Dabei erhält „Korsičan" von dem StB-Offizier, der in den nächsten Jahren seine Führung übernimmt, bereits erste Aufträge. So soll er detaillierte schriftliche Berichte über die in Innsbruck stationierten französischen Besatzungstruppen und über das Flüchtlingslager in Wörgl liefern. Das besondere Interesse des StB gilt dabei den „Namen der Führer hauptsächlich aus den Reihen der tschechoslowakischen Auswanderung". Ein weiterer Auftrag ist ein genauer Bericht über den Flughafen Innsbruck/Kranebitten (Abmessungen des Flughafens, Ausmaße und Art der Startfläche, Signalvorrichtungen, Flughafeneinrichtungen, Flughafenbesatzung, Anzahl und Flugzeugtypen und Skizze des Flughafens). Beim Anwerbegespräch wird auch schon das nächste Treffen mit „Korsičan" in einem anderen Hotel in Znojmo für den 10. März 1949 festgelegt. Zudem wird ein einfacher Code vereinbart, den man in den Jahren danach deckungsgleich bei allen anderen Agenten und Informanten aus diesem Netzwerk umsetzen wird. Im StB-Bericht heißt es dazu:

    Für den Fall, dass er aus schwerwiegenden Gründen an diesem Tag nicht in der Lage sein wird zu kommen, wird er das neue Datum per Telegramm mitteilen, das er aus Italien senden wird. Der Inhalt: Antóns Hochzeit am X / x bedeutet Datum der Ankunft.¹⁰

    In den Akten finden sich unzählige solcher Telegramme. So etwa ein Fernschreiben vom Herbst 1950, das „Korsičan" von Bozen nach Brünn schickt. Der Text: „Antons Hochzeit am 8.12. Janos".¹¹ Dass Morandell mit „Janos" unterschreibt, hat einen Grund. Zu diesem Zeitpunkt ist die Zusammenarbeit zwischen dem StB und seinem Bozner Agenten bereits so gefestigt, dass der tschechische Nachrichtendienst Hans Morandell sogar einen falschen, tschechoslowakischen Personalausweis auf den Namen „Jan Moravec" ausstellt.¹²

    Tote Briefkästen am Wiener Prater

    Hans Morandell beginnt in den Monaten und Jahren nach der Anwerbung ein Agentennetz für den StB aufzubauen, das über ganz Europa reicht. Bereits beim zweiten Treffen im März 1949 in Znojmo übergibt er die schriftlichen Berichte zum Innsbrucker Flughafen und dem Wörgler Flüchtlingslager. Ab diesem Zeitpunkt fährt Morandell fast monatlich in die Tschechoslowakei. Allein im Jahr 1949 kommt es zuerst in Znojmo und später in Brno zu elf Treffen mit seinen StB-Führungsoffizieren. Auch in den Jahren danach findet jährlich rund ein Dutzend solcher Zusammenkünfte statt. Agent „Korsičan übergibt dabei Hunderte Dokumente, Fotos und Berichte. Der Südtiroler Student wird vom StB dafür mehr als gut entlohnt. So bekommt Hans Morandell allein im ersten Jahr seiner Tätigkeit 1949 für seine Arbeit 38.216 Kronen, 582.000 Lire, 5.500 Schilling und 180 Dollar vom tschechischen Nachrichtendienst. In den Jahren danach steigt sein Einkommen noch einmal beträchtlich an. 1951 zahlt der StB an Morandell 30.339 Kronen, 3.360.000 Lire, 16.000 Schilling. 1.700 französische Franc und 4.335 Dollar. Bis April 1953 bekommt „Korsičan so insgesamt 1.301.590 Kronen.¹³ Umgerechnet sind das damals 17.354.533 italienische Lire, nach heutigem Wert rund 9.000 Euro. Das klingt nicht nach viel. In Wirklichkeit ist es aber sehr viel Geld. Das Durchschnittsgehalt eines italienischen Arbeiters liegt 1955 bei 43.000 Lire (22,20 Euro) im Monat. Damit wird klar, wie fürstlich die tschechoslowakische Staatssicherheit ihre Zuträger entlohnt.

    Diese finanzielle Ausgestaltung erleichtert es Hans Morandell neue Zuträger anzuwerben. Immer wieder macht „Korsičan" auch Vorschläge von Personen, die der StB anwerben soll. So liefert er genaue Lebensläufe des in Innsbruck wohnhaften Südtirolers Erwin Tomasini, des Nordtirolers Richard Wohlfarter oder des Pragers Gottfried Morawetz, der in Nordtirol im Exil lebt.¹⁴ Morandell versucht lange Zeit auch einen Mann anzuwerben, der in Südtirol eine politische Rolle spielt: Carlo Bernardo Zanetti ist der erste Landessekretär der Südtiroler Ablegers der Kommunistischen Partei, des Partito Comunista Italiano (PCI). Aus den Akten geht hervor, wie „Korsičan" 1949/1950 Zanetti umwirbt und zur Mitarbeit gewinnen will. Am Ende scheitert die Anwerbung aber. Carlo Bernardo Zanetti ist in diesem Buch ein eigenes Kapitel gewidmet und darin wird auch klar, warum der Kommunist nicht auf das Angebot Morandells einsteigt.¹⁵

    Bereits beim ersten Treffen mit dem StB in Znojmo macht „Korsičan den Vorschlag, beim nächsten Treffen einen engen Freund in die ČSR mitzubringen. Es handelt sich um Cesare Premi, am 29. Februar 1924 in Peri bei Verona geboren, in Bozen wohnhaft und von Beruf Geometer. Premi arbeitet vom September 1947 bis August 1948 in Kaolinfabriken in Karlsbad, zuerst als einfacher Arbeiter und später als Hilfsgeometer. „Korsičan erklärt seinem StB-Führungsoffizier, dass Premi sein Studium in Österreich fortsetzen möchte, aber nicht genug Geld dafür habe. Im StB-Dienstbericht über die Unterredung heißt es:

    Nachdem ich den Agenten auf die Gefahren aufmerksam gemacht habe, die sich aus der Beteiligung eines Dritten ergeben, erklärte er, er sei überzeugt, dass dieser Kandidat ihn niemals verraten werde, weil er seit seiner Kindheit sein bester Freund ist.¹⁶

    Der StB willigt ein, dass Cesare Premi mit „Korsičan in die ČSR kommt. Obwohl sich Morandell bemüht und Premi mehrmals zusagt, dauert es bis zum Sommer 1949, bis es dazu kommt. Hans Morandell und Cesare Premi reisen vom 11. bis 15. Juni 1949 nach Brünn. Dabei wirbt der StB auch Cesare Premi als Agenten und Kurier an und gibt ihm den Decknamen „Vandal, auf Deutsch: „Vandale".¹⁷ Obwohl „Korsičan sich in den Monaten danach immer wieder beim StB für „Vandal einsetzt, ist das Verhältnis von Beginn an angespannt. Das ganze Jahr 1949 versucht der StB über Morandell Kontakt zu Premi aufzunehmen. Dieser will aber nichts davon wissen. Er weigert sich auch, nochmals in die ČSR zu kommen. Cesare Premi arbeitet inzwischen als Geometer für die unter dem Faschismus eingerichtete Körperschaft „Ente Nazionale delle Tre Venezie und ist viel in Norditalien unterwegs. Erst im Sommer 1950 wird „Vandal dann wirklich tätig, liefert Berichte und erhält dafür auch Geld.

    Hans Morandell alias „Korsičan hingegen weitet sein Einsatzgebiet sehr schnell auf Italien, die Schweiz und auch Jugoslawien aus. Der StB ist vor allem an Nachrichten aus dem militärischen Bereich interessiert: Truppenstärke, Bewaffnung, Pläne und Beschreibungen der militärischen Anlagen. Man übergibt Morandell einen Fotoapparat der Marke Leica, mit dem er zu den Berichten auch Fotos liefert. Finanziell bestens ausgestattet, beginnt Morandell für den StB in der Welt herumzureisen. So fährt er 1950 für einen Dienstauftrag in die Türkei und nach Griechenland, 1951 nach Norwegen, in den Iran und nach Syrien. 1952 schickt ihn der tschechoslowakische Nachrichtendienst nach Chile. Bei all diesen Reisen liefert „Korsičan Berichte über die Länder ab und wirbt Zuträger an. Bereits Anfang 1950 hat Morandell fixe Zuträger in Istanbul, Teheran, Athen und in Wien. Eine weitere Reise im Frühjahr 1951 führt ihn nach Jugoslawien, dabei lässt „Korsičan" seine politischen Kontakte zu Friedl Volgger spielen. In seinem StB-Akt heißt es:

    Der Agent erhielt am 20. Mai 1951 ein Visum für Jugoslawien. Er nutzte dafür die Gelegenheit der Reise seines Bekannten Volgger, des Mitglieds des italienischen Parlaments und Abgeordneten für die deutsche Minderheit in Tirol, nach Jugoslawien. Der Agent ist mit Volgger aus der Zeit bekannt, als er als Sekretär in der SVP arbeitete.¹⁸

    Morandell besucht auf dieser Reise zusammen mit Friedl Volgger in Laibach Professor Bogdan Novak, der mit Volgger zusammen im KZ Dachau interniert war. Ebenso treffen die beiden das Belgrader Regierungsmitglied Drago Marušič. Die Informationen über die Gespräche landen keine zehn Tage später bei der tschechoslowakischen Staatssicherheit.

    Toter Briefkasten in der Taborstraße (Zeichnung aus dem Korsičan-Akt): Dokumente für den StB in Telefonzelle hinterlegt.

    Hans Morandell ist zu diesem Zeitpunkt längst hauptberuflich in der Schattenwelt der Geheimdienste angekommen. Offiziell studiert er immer noch, ab Herbst 1950 aber nicht mehr in Innsbruck, sondern in Wien. Der Wechsel gründet auch darin, dass der Weg aus der österreichischen Bundeshauptstadt in die Tschechoslowakei nicht so weit ist. Morandell hat sich zudem längst in Österreich eine Deckidentität zugelegt. Er operiert jetzt unter den Namen „Hans Waldner mit Wohnsitzen und Postfächern in Innsbruck, Salzburg und in Wien. Und weil zu häufige Reisen in die ČSR auffallen und der Grenzübertritt nicht ungefährlich ist, baut man ein System von sogenannten „toten Briefkästen auf, das Morandell und eine ganze Gruppe weiterer Agenten aus seinem Netzwerk nutzen. Ein toter Briefkasten ist ein öffentlicher Ort, an dem ein Agent unbemerkt Dokumente oder Nachrichten deponieren kann, die dann von einem Geheimdienstmann dort abgeholt werden. In den Prager Akten finden sich Dutzende ungelenke Zeichnungen solcher toter Briefkästen. Sie stellen Übergabeorte in Santiago de Chile, in Mailand oder in Wien dar. In der damals in vier Besatzungssektoren aufgeteilten österreichischen Hauptstadt operieren Hans Morandell und seine Kollegen vor allem im sowjetischen Sektor. Die toten Briefkästen werden im 2. Bezirk rund um den Praterstern eingerichtet, so etwa in einer öffentlichen Telefonzelle in der Taborstraße, im Augarten oder unter einer Bank an der Ausstellungsstraße im Wiener Prater.¹⁹ Wie man operativ vorgeht, lässt sich einem Schreiben des StB-Führungsoffiziers vom Sommer 1952 entnehmen, in dem er einem der Agenten genaue Vorgaben macht, wie Hans Morandell zum verabredeten Treffen nach Brünn kommen soll:

    Material wird er keines mitnehmen. Das Material legt er in einen Koffer. Diesen Koffer übergibt er am 14. August 1952 in die Gepäckaufbewahrung am Nordwestbahnhof in Wien. Den Gepäckschein verschließt er in ein Kuvert und dieses legt er bis spätestens 21.00 Uhr desselben Tages in die ihm bekannte Telefonzelle. Wenn er bei mir eintrifft, wird das Material bereits hier vorliegen. Es ist ratsamer den Grenzübertritt ohne Material zu vollziehen.²⁰

    Diesen Rat befolgt „Korsičan aber nicht konsequent. Deshalb wird es schon wenig später zu einem gefährlichen Zwischenfall kommen. Als Hans Morandell seinen Lebensmittelpunkt nach Wien verlegt, übernimmt ein enger Verwandter seine Aufgabe in Innsbruck: Edgar Meininger ist ein Cousin Morandells. Meininger, am 12. Juni 1929 in Bozen geboren, lebt und studiert ebenfalls in Innsbruck. Offiziell angeworben wird der damals 22-jährige Student am 9. April 1951. Es ist Morandell, der seinen Vetter dem StB andient. Edgar Meininger erhält den Decknamen „Pedel, was auf Slowakisch „Perle" heißt.²¹ Wie bei fast allen StB-Informanten wird auch für ihn ein Code ausgemacht, der bei persönlichen Treffen gebraucht wird, sollten sich der Agentenführer und der Agent persönlich nicht kennen. Es ist ein kurzer aus Frage und Antwort festgelegter genauer Dialog, der schön bürokratisch in der Personalakte festgehalten wird. Im Fall von „Pedel", ist es die Frage: „Ist ihr Onkel nicht bei der Post beschäftigt?" Die richtige Antwort: „Nein, er ist ein Eisenbahner."²²

    Weil Hans Morandell jahrelang bei den Meiningers in der Innsbrucker Friedhofstraße wohnt, dürfte er schon vorab seinen Vetter instruiert haben, denn Agent „Pedel" wächst innerhalb kürzester Zeit in seine Aufgabe hinein. Der spätere Innsbrucker Diplomvolkswirt liefert in einem seiner ersten Berichte eine detaillierte Beschreibung des amerikanischen Stützpunktes in Reichenau bei Innsbruck sowie über den Ausbau des amerikanischen Lagers für Flüchtlinge (Displaced Persons) in Rum. Dem Bericht sind Skizzen und Fotos beigelegt. Mitte März 1951 fährt „Pedel" nach Triest, wo er einen detaillierten Bericht über den Hafen und die dortigen militärischen und zivilen Einrichtungen anfertigt.²³ Edgar Meininger übernimmt auch das auf den Namen „Hans Waldner laufende Postfach 139 am Innsbrucker Hauptpostamt, auf dem fast wöchentlich Berichte von Zuträgern eintreffen. So enthält Meiningers StB-Akt einen ausgiebigen Schriftverkehr mit Oktay Özgökce, der aus Izmir Nachrichten und Berichte aus der Türkei liefert.²⁴ Im Sommer 1951 versucht Agent „Pedel auch einen Zuträger in Jugoslawien anzuwerben. In einem Bericht an den StB stellt er den Kandidaten vor, der als „militärischer Korrespondent" fungieren soll: Ivica Spehar aus Zagreb. Aus Meiningers Schilderung geht eindeutig hervor, dass es sich bei dem 26-Jährigen um einen Kriminellen handelt.

    Edgar Meininger (alias „Pedel") in der Uniform der NS-Jugendbewegung (Pimpf): Morandells Cousin arbeitet jahrelang für den StB.

    Ivica selbst ist ein mittelgroßer, dunkler, meist finster blickender Mann, der sich bis heute seinen Lebensunterhalt mit allerlei dunklen Geschäften verdient. Verkauf von Schmuggelwaren (Nylon, Munition, Uhren, Medikamente usw.), die aus dem Ausland kommen, und Chef einer Art Bordells zählen nur zu seinen Hauptbetätigungsgebieten. Mit Recht kann man ihn zu einem, wenn nicht den führenden Kopf der Zagreber Unterwelt zählen.²⁵

    Ob es wirklich zu dieser Zusammenarbeit kommt, geht aus den Prager Akten nicht hervor. Sicher ist, dass schon bald danach Informationen aus Jugoslawien in Richtung StB fließen. Doch dafür könnte eine andere Person verantwortlich sein, nämlich ein weiterer junger Mann aus Bozen. Es handelt sich um den Spross einer besonders bekannten und einflussreichen Südtiroler Familie.

    Deckname „Puzzi"

    Im Archiv der tschechoslowakischen Staatssicherheit StB in der Na Struze 3 in Prag findet sich unter Hunderttausenden von Dossiers auch ein schmaler Akt, in dem ein Kapitel Südtiroler Zeitgeschichte gestreift wird, das eigentlich so nicht an die Öffentlichkeit kommen sollte. In dem Akt liegt die Kopie eines Schreibens eines StB-Führungsoffiziers mit dem Decknamen „Venceslao", der um die dringende Kontaktaufnahme eines seiner Agenten ersucht. Die Anschrift auf dem Briefumschlag: „Museumstraße 42, Bozen"²⁶

    An dieser Adresse befinden zu diesem Zeitpunkt die Redaktion und die Druckerei der Tageszeitung „Dolomiten" sowie die Direktion des Athesia-Verlages. Der Adressat, an den der Brief geht, gehört zur Familie von Kanonikus Michael Gamper. Franz Flies wird am 19. Mai 1928 in Bozen geboren und muss 1944 als 16-Jähriger einrücken. Er dient rund zehn Monate in Deutschland als Dolmetscher. Anfang der 1950er-Jahre arbeitet er als Vertriebsmitarbeiter im Athesia-Verlag. Flies ist der Neffe von Michael Gamper und damit der Bruder von Martha Flies, in der Südtiroler Öffentlichkeit besser bekannt unter ihrem verheirateten Namen: Martha Ebner. Im StB-Personalakt von Franz Flies heißt es dazu:

    Der Informant hat 3 Schwestern. Eine studiert als Lehrerin in Bozen, die andere ist mit einem Abgeordneten verheiratet und lebt in der Nähe von Bozen. Die dritte ist in London verheiratet, wo ihr Ehemann ein Geschäft hat.²⁷

    Martha Ebner heiratet 1944 Toni Ebner, der 1948 für die SVP als jüngster Abgeordneter in die italienische Abgeordnetenkammer gewählt wird und dort für drei Legislaturen sitzen wird. Toni Ebner (1918–1981) wird im Jänner 1951 erstmals SVP-Obmann. Zudem übernimmt Toni Ebner ab 1956 die Leitung des Athesia-Verlages und die Chefredaktion der Tageszeitung „Dolomiten. Doch davon ist im Prager Akt von Franz Flies kaum etwas zu lesen, denn der Informant, der in der StB-Registratur mit dem Decknamen „Puzzi läuft, ist für ein anderes Einsatzgebiet vorgesehen. Franz Flies gehört ab 1951 zum Netz von Hans Morandell. Man kann davon ausgehen, dass Morandell den um nur drei Jahre jüngeren Flies während seiner Arbeit für Friedl Volgger und die SVP kennengelernt hat. Morandell und sein Vetter Edgar Meininger werben Flies gemeinsam für den tschechoslowakischen Nachrichtendienst an. Als Morandell Franz Flies das erste Mal nach Brünn bringt, notiert der StB-Offizier ins Protokoll:

    StB-Akt von Franz Flies (alias „Puzzi"): Neffe von Kanonikus Michael Gamper arbeitet für den Ostblock.

    Der Informant spricht mehrere Sprachen, hat eine ausgezeichnete Ausbildung und er verfügt über einen gültigen Reisepass. Man kann davon ausgehen, dass er die ihm gestellten Aufgaben bestens ausführen dürfte.²⁸

    Heute kann man darüber nur spekulieren, warum Franz Flies diese Arbeit für einen östlichen Nachrichtendienst übernommen hat. Abenteuerlust? Oder aus finanziellen Gründen? Tatsache ist, dass sich im StB-Akt mehrere von Flies unterzeichnete Erklärungen finden, mit denen er Zahlungen quittiert, die er über Hans Morandell alias „Korsičan" ausbezahlt bekommt.

    Empfangsbestätigung von Franz Flies: Geld vom StB für Jugoslawienreise.

    „Ich hören diese Geschichte von Ihnen heute zum ersten Mal", sagt Martha Ebner fast 70 Jahre später im Gespräch mit dem Autor. Die heute 98-Jährige wundert sich aber nicht wirklich über diese ihr bis dahin unbekannte Seite ihres Bruders: „Franz wurde als junger Mensch durch den Krieg aus der Schule gerissen, er war ein Freigeist und immer etwas unruhig." Martha Ebner erklärt auch den Decknamen „Puzzi": „Das war seit seiner Kindheit sein Spitzname in der Familie, aber auch unter seinen Freunden."²⁹

    Im Herbst 1951 macht Franz Flies eine Reise mit dem Auto nach Jugoslawien. Seine Aufgabe ist es, Flughäfen, Militäranlagen und Industrieanlagen vor allem im heutigen Slowenien und Kroatien auszukundschaften. Am 11. November 1951 liefert Agent „Puzzi" dem StB einen detaillierten Bericht ab. Er beschreibt darin das große Stahlwerk in Štore, die Industrieanlagen und den Flughafen von Celje, die Flugplätze von Laibach und Zagreb sowie noch eine ganze Reihe weiterer Städte und Flughäfen. Dabei gibt er die Flugzeugtypen genauso wieder wie die Stärke der militärischen Wachmannschaften. Zudem liefert er ein halbes Dutzend Namen und Anschriften, die ihm bei der Informationsbeschaffung behilflich waren und auch in Zukunft zur Verfügung stehen würden.³⁰ Auch hier gibt es einen familiären Hintergrund. Der Vater von Franz und Martha Flies stammt aus einem Dorf in der Nähe von Celje in Slowenien. Er erhielt erst 1937 die italienische Staatsbürgerschaft.³¹

    Am 15. Oktober 1951 bestätigt Franz Flies per Unterschrift in Wien gegenüber Hans Morandell und dem StB den Erhalt von 50.000 Lire, 20.000 Dinar und 700 Schilling. Es dürfte sich um das Geld zur Finanzierung der Jugoslawienreise handeln.³² Eine der Aufgaben, die der StB Franz Flies gibt, ist auch die Beschaffung eines Impfstoffes, der damals in Italien eingeführt wird. Mehrmals hakt der StB-Führungsoffizier bei Agent „Puzzi" nach, bis er Mitte September 1952 über Hans Morandell eine Charge in die ČSR schickt. „Durch die Bereitstellung und den Versand von 300 Kubikzentimetern Impfstoff wurde unsere Anforderung vollständig erfüllt, es muss kein weiterer Impfstoff mehr angeschafft werden", notiert der StB in seinem Dienstbericht.³³

    Anfang 1953 tritt „Puzzi" eine zweite Auslandreise im Auftrag des kommunistischen Nachrichtendienstes an, diesmal nach Griechenland. Franz Flies hält sich einige Zeit in Kavala und Thessaloniki auf, wo er ebenfalls Militäranlagen ausspioniert und Zuträger anzuwerben versucht. In seinem Bericht an den StB-Verbindungsoffizier heißt es:

    Ganz nach den Befehlen habe ich versucht, die Bekanntschaft einiger junger Burschen zu machen. Darunter sind zwei oder drei, die mir in der Zukunft sehr hilfreich sein könnten.³⁴

    Flies gelingt es auch, einen namentlich genannten Mechaniker, der während des Kriegs in Wien war und deshalb Deutsch spricht, als Informanten anzuwerben. Vor dieser Reise war Agent „Puzzi" von seinem Führungsoffizier in die Arbeit des Geheimdienstes eingewiesen worden. Im Akt finden sich ein „Besprechungsplan mit Flies", mit dem die Griechenlandreise genau vorbereitet wird, und auch klare Anweisungen und Sicherheitsmaßnahmen,

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