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Vom Schafott zum Altar: Bestattung und Translatio des Märtyrers Franz Jägerstätter
Vom Schafott zum Altar: Bestattung und Translatio des Märtyrers Franz Jägerstätter
Vom Schafott zum Altar: Bestattung und Translatio des Märtyrers Franz Jägerstätter
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Vom Schafott zum Altar: Bestattung und Translatio des Märtyrers Franz Jägerstätter

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About this ebook

Ewald Volgger OT, Dr. theol., geboren 1961 in Bruneck/Südtirol, ist Professor für Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie an der Katholischen Privat-Universität Linz und der PTH Brixen. Seit der verantwortlichen Einbindung zur Vorbereitung der feierlichen Seligsprechung von Franz Jägerstätter beschäftigt sich der Autor insbesondere mit liturgischen Fragen der Jägerstätter-Verehrung. Er war an der Neugestaltung der Pfarrkirche in St. Radegund zur Einbringung der Reliquien in den neuen Altar beteiligt und betreute die wissenschaftliche Authentifizierung von Urne und Reliquien des Seligen. Er ist Mitglied des Jägerstätter-Beirates der Diözese Linz und betrieb die Gründung des Jägerstätter-Institutes.
LanguageDeutsch
PublisherStudienVerlag
Release dateAug 10, 2020
ISBN9783706560801
Vom Schafott zum Altar: Bestattung und Translatio des Märtyrers Franz Jägerstätter

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    Book preview

    Vom Schafott zum Altar - Ewald Volgger

    Jägerstätter Studien

    Herausgeber: Franz und Franziska Jägerstätter Institut

    Katholische Privat-Universität Linz

    Redaktion: Dr. Andreas Schmoller, Dr.in Verena Lorber

    Band 1

    Impressum

    © 2020 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

    E-Mail: order@studienverlag.at

    Internet: www.studienverlag.at

    Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

    ISBN 978-3-7065-6080-1

    Buchgestaltung nach Entwürfen von himmel. Studio für Design und Kommunikation,

    Innsbruck/Scheffau – www.himmel.co.at

    Satz: Da-TeX Gerd Blumenstein, Leipzig

    Umschlag: Studienverlag/Karin Berner

    Umschlagabbildung: © Georg Riemer

    Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at.

    Inhaltsverzeichnis

    Cover

    Impressum

    Titel

    Einleitung

    1. Religiöse und politische Bedeutungen des Erinnerns

    2. Die Bedeutung von Märtyrer/innen und Reliquien sowie die Reliquienbeisetzung unter der Altarmensa

    Reliquienbeisetzung

    3. Die Pfarrkirche als Identifikationsraum

    Erster Teil: Geschichte der Verehrung Franz Jägerstätters und seiner sterblichen Überreste

    1. Hinrichtung und Kremation

    2. Die erste Urnenbestattung (1943) und Verehrung

    3. Pfarrer Josef Karobath und das Gedenken in St. Radegund

    4. Die zweite Urnenbestattung (1946)

    5. Kirchliche Sorge für das Grab

    6. Erste Bemühungen, den Fall Jägerstätter öffentlich zu machen

    7. Die internationale Entdeckung Jägerstätters

    Die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes" Nr. 79 und die Frage nach der Gewissensentscheidung bei Kriegsdienstverweigerung

    8. Jägerstätter in Film und Fernsehen

    9. Grabpflege und Verehrung des Märtyrers als Kreuzungspunkt zwischen lokaler und internationaler Rezeption

    10. Erna Putz: Biografin und Herausgeberin der Schriften Jägerstätters

    11. Weichenstellungen in der diözesanen und gesamtkirchlichen Würdigung Jägerstätters

    Bischof Maximilian Aichern: Predigt bei der Gedenkmesse zum 40. Todestag von Franz Jägerstätter am 7.8.1983 in St. Radegund

    Zweiter Teil: Die Reliquien von Franz Jägerstätter nach der Seligsprechung

    1. Die Reliquienstele im Linzer Mariendom

    2. Reliquientafel

    3. Predigt am ersten Gedenktag in St. Radegund: Martyrium als Gnade Gottes

    4. Die Hebung der Urne 2008

    5. Sterben und Begräbnis von Franziska Jägerstätter

    Manfred Scheuer: Franziska Jägerstätter 1913−2013. Predigt beim Begräbnisgottesdienst in St. Radegund 23. März 2013

    6. Die liturgische Neugestaltung des Altarraumes in der Pfarrkirche von St. Radegund

    6.1. Wissenschaftliche Bearbeitung der Brandleichenreste

    6.2. Die Aureole mit dem Christus- und Marienmonogramm

    6.3. Erkundungen und Bearbeitungen im NHM

    6.4. Künstlerwettbewerb zur Neugestaltung der Pfarrkirche St. Radegund

    6.5. Juryentscheidung und Ausführung der künstlerischen Gestaltung

    6.6. Einige Aspekte der Taufspiritualität von Franz Jägerstätter

    6.7. Translatio der Reliquien unter dem neuen Altar

    Statio zur Translatio und Depositio der Reliquien des seligen Franz Jägerstätter

    StilleEinsetzung des Reliquiars in den Altar (Depositio)

    Kurze Stille

    6.8. Die Feier der Altarweihe mit der Segnung des Verkündigungsortes und des Taufbeckens

    Manfred Scheuer: Predigt zur Altarweihe mit den Reliquien des seligen Franz Jägerstätter

    Schlussbemerkung

    Quellenverzeichnis

    Literaturverzeichnis

    Abbildungsverzeichnis

    Personenregister

    Ewald Volgger OT

    Vom Schafott zum Altar

    Bestattung und Translatio des Märtyrers Franz Jägerstätter

    „Wenn der Priester den Altar küßt, so drückt er damit seine Ehrerbietung und Liebe, seine Gebets- und Opfergemeinschaft mit Christus und den Heiligen aus, deren Reliquien im Altar eingeschlossen sind."¹

    Franz Jägerstätter (1907–1943)

    20.5.1907: Geburt von Franz Jägerstätter in St. Radegund als uneheliches Kind der Dienstmagd Rosalia Huber und des Knechtes Franz Bachmeier.

    19.2.1917: Hochzeit von Mutter Rosalia mit Heinrich Jägerstätter, der Franz adoptiert und ihm seinen Familiennamen überträgt.

    1927–1930: Franz arbeitet im steirischen Eisenerz. Vom verdienten Geld kauft er sich ein Motorrad.

    1.8.1933: Franz wird Vater einer unehelichen Tochter.

    1933: Tod von Heinrich Jägerstätter, Franz übernimmt als rechtlicher Erbe den Leherbauernhof in St. Radegund.

    9.4.1936: Hochzeit mit Franziska Schwaninger (1913–2013). Aus der Ehe entstammen drei Töchter.

    10.4.1938: Bei der Abstimmung zum „Anschluss" stimmt Franz als Einziger seines Ortes mit Nein.

    17.6.1940: Franz wird zum ersten Mal zum aktiven Wehrdienst eingezogen, kann aber nach wenigen Tagen unabkömmlich gestellt werden.

    Okt. 1940–April 1941: Ausbildung zum Kraftfahrer in der Alpenjägerkaserne in Enns, am 9.12. Verlegung nach Obernberg am Inn, ab Februar 1941 einem Pferdegespann zugeordnet, das zu Übungszwecken Infanteriematerial ins Waldviertel transportiert.

    April 1941: Franz kann mit Unterstützung des Bürgermeisters abrüsten und bleibt fast zwei Jahre von einer Einberufung verschont. Der Entschluss, einer weiteren Einberufung nicht mehr Folge zu leisten, reift.

    1941: Franz übernimmt das Mesneramt in seiner Pfarre St. Radegund.

    1941–1942: Konsultationen mit befreundeten Priestern, Briefverkehr mit Verwandten, Frontsoldaten und seinem Freund Rudolf Mayr, Aufzeichnungen in Heften und auf losen Blättern, Unterredung mit seinem Bischof Joseph C. Fließer in Linz.

    23.2.1943: Erhalt des Einberufungsbefehls.

    1.3.1943: Franz stellt sich der Militärbehörde in Enns und spricht am 2.3.1943 seine Verweigerung aus. Überstellung in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Linz.

    4.5.1943: Überstellung in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel.

    6.7.1943: Verurteilung zum Tod durch das Reichskriegsgericht wegen Zersetzung der Wehrkraft.

    12.7.1943: Letzte Begegnung mit Franziska Jägerstätter in Berlin-Tegel.

    9.8.1943: Franz wird um 16 Uhr in Brandenburg an der Havel enthauptet.

    Einleitung

    1. Religiöse und politische Bedeutungen des Erinnerns

    Orte der Erinnerung haben eine besondere Aufgabe und Wirkung. Der neugeschaffene Altar der Pfarrkirche von St. Radegund ist ein solcher Ort. Unterhalb der Altarplatte, in die Mitte des Altaraufbaus, wurde ein kreuzförmiger Glaskörper eingebettet, der die Reliquien (Brandleichenreste) des seligen Märtyrers Franz Jägerstätter birgt und seinen Märtyrertod gegenwärtig hält.²

    Am 9. August 1943 wurde Franz Jägerstätter am Schafott in Brandenburg an der Havel hingerichtet; am 11. August wurde seine Leiche verbrannt. Das Todesurteil gegen Franz Jägerstätter am 6. Juli 1943 durch das Militärgericht des NS-Regimes brachte „den Verlust der Wehrwürdigkeit und der bürgerlichen Ehrenrechte" mit sich.³ Eine Widerstandspersönlichkeit, die sich wie nicht wenige aus Gewissensgründen und religiöser Überzeugung gegen das menschenverachtende Regime des Nationalsozialismus aussprach, sollte vernichtet und die Erinnerung an sie ausgelöscht werden. Der Totalitarismus der NS-Ideologie duldete keine Infragestellung und Opposition. Selbst über den Tod hinaus sollte die anonyme Bestattung der Hingerichteten die Erinnerung unterbinden. Die Anonymbestattung verunmöglichte auch die Grabkultur als eine mögliche Form der Erinnerung. Die Haltung Jägerstätters, seine Wirkung auf Menschen um ihn herum, nicht zuletzt im Gefängnis, bewirkte aber das Gegenteil.

    Totalitäres Denken, wie es auch vom NS-Regime unter Hitler in unüberbietbarer Weise praktiziert worden war, anerkennt in seiner Radikalität die Individualität und Würde eines Menschen nicht, nicht einmal jene der selbst totalitären Akteur/innen, es negiert die Menschenrechte, es vernichtet die Tatsache der Existenz eines Menschen. Das Leben eines Menschen ist vollkommen überflüssig, weil es jederzeit ersetzt werden kann. Das unterscheidet es vom Mörder.⁴ Die Verfolgungen, Verurteilungen, Hinrichtungen und die Konzentrationslager des NS-Regimes dienten in ihrer Radikalität dazu, „Menschen so zu behandeln, als ob es sie nie gegeben hätte, sie im wörtlichsten Sinne verschwinden zu lassen".⁵ Dieses Ziel verfolgten die Nationalsozialisten konsequent, wenn sich Menschen, aufgrund welcher Überzeugung auch immer, ihrem System und dessen Absichten entgegenstellten oder dessen Grundlagen hinterfragten. Auch die Hinrichtung Jägerstätters entsprach dieser Absicht.

    Hannah Arendt hat umfassend reflektiert, wie totalitäre Regime agieren. Sie erläutert dabei drei Tode, die konsequent aufeinander folgen. Die Vernichtung der juristischen Persönlichkeit durch Hinrichtung oder Konzentrationslagerhaft, in der der Tod sicher folgt, ist ein erstes Ziel der totalitären Verfolgung.⁶ Ein nächster entscheidender Schritt ist die Ermordung der moralischen Person, wodurch Märtyrertum unmöglich gemacht wird und Trauer und Erinnerung unmittelbar verhindert werden. Sterben für etwas sollte seinen Sinn verlieren.⁷ Und schließlich beabsichtigt das totalitäre Regime auch die Tötung der Spontaneität, damit meint Arendt die Fähigkeit des Menschen, von sich aus etwas Neues zu beginnen, eine Facette der Individualität.⁸ Auch die Gewissensentscheidung, „besser als Opfer zu sterben, denn als Beamter des Sterbens zu leben, sollte ihrer Sinnhaftigkeit beraubt werden, indem Anhänger/innen des NS-Regimes „die Entscheidung des Gewissens selbst absolut fragwürdig und zweideutig machten.⁹ „Das einzige, was nach der Tötung der moralischen Person noch übrigbleibt, um zu verhindern, dass Menschen lebende Leichname sind, ist die Tatsache der individuellen Differenziertheit, der eigentümlichen Identität.¹⁰ Noch unmittelbar vor seiner Hinrichtung bemerkt Jägerstätter: „… immer noch besser, als wenn der Wille gefesselt wäre¹¹, und bestätigt damit, dass „dieser Bestandteil der menschlichen Person, gerade weil er so wesentlich von Natur und willensmäßig unkontrollierbaren Mächten abhängt, am schwersten zu zerstören ist".¹² Jägerstätter, der sich mit entschiedener Gewissensüberzeugung und mit von Gott begnadeter Kraft, wie er selbst bestätigt, gegen alle Formen der Lüge wandte, machte deutlich, dass der Glaube eine Instanz ist, die Wert und Würde der Person hochhält und zu verantwortungsvollem Handeln anhält, welche Würde und Individualität des Menschen nicht zu verletzen beabsichtigt.

    Franz Jägerstätter begründete seine Haltung dem NS-Regime gegenüber mit seinem Glauben. „Hätte mir Gott nicht die Gnade und Kraft verliehen …"¹³, merkt er in einem seiner letzten Schreiben an, um deutlich zu machen, dass er diesen Weg des Widerstandes und der Verweigerung nicht einfach von sich aus gesucht hatte. Erst die in der Gottesbeziehung geschenkte Erkenntnis und Kraft ermöglichte ihm den inneren und äußeren Widerstand. Im Todesurteil des Reichskriegsgerichtes wird Jägerstätters Haltung und Aussage damit begründet,

    dass er gegen sein religiöses Gewissen handeln würde, wenn er für den nationalsozialistischen Staat kämpfen würde. […] Er erklärte sich jedoch bereit, als Sanitätssoldat aus christlicher Nächstenliebe Dienst zu tun. In der Hauptverhandlung wiederholte er seine Erklärungen und fügte hinzu: Er sei erst im Laufe des letzten Jahres zu der Überzeugung gelangt, dass er als gläubiger Katholik keinen Wehrdienst leisten dürfe; er könne nicht gleichzeitig Nationalsozialist und Katholik sein; das sei unmöglich. Wenn er den früheren Einberufungsbefehlen Folge geleistet habe, so habe er es getan, weil er es damals für Sünde angesehen habe, den Befehlen des Staates nicht zu gehorchen; jetzt habe Gott ihm den Gedanken gegeben, dass es keine Sünde sei, den Dienst mit der Waffe zu verweigern; es gebe Dinge, wo man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen; auf Grund des Gebotes „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst" dürfe er nicht mit der Waffe kämpfen. Er sei jedoch bereit, als Sanitätssoldat Dienst zu leisten.¹⁴

    Der Wehrpflicht nicht nachzukommen und nicht mit der Waffe kämpfen zu wollen, wurde als Zersetzung der Wehrkraft beurteilt. Demzufolge wurde Franz Jägerstätter am 6. Juli 1943 zum Tode verurteilt.

    Über 50 Jahre später, am 7. Mai 1997 wurde das Feldurteil des Reichskriegsgerichts gegen Franz Jägerstätter auf Antrag seiner Töchter Rosalia Sigl, Maria Dammer und Aloisia Maier aufgehoben. Der Grund lag darin, dass dieses aus religiösen Gründen ergangen ist und lediglich dazu diente, das nationalsozialistische Regime zu unterstützen und aufrechtzuerhalten. Das Landgericht Berlin hält fest, dass „die Entscheidung, aus Gewissensgründen keinen Wehrdienst mit der Waffe zu leisten, zu respektieren ist".¹⁵ Damit sollte das nationalsozialistische Unrecht wiedergutgemacht werden, denn das Todesurteil ist in den Augen der Nachfolgegesellschaft Unrecht und eine rechtswidrige vorsätzliche Tötung, nach österreichischem Recht Mord (vgl. § 75 StGB).¹⁶ Damit wird deutlich und bestätigt, dass die Haltung Jägerstätters richtig und konsequent war. Jägerstätter hatte erkannt, dass die „neue Religion", wie sie von Adolf Hitler bereits in seiner ersten Rede als Reichskanzler 1933 proklamiert worden war, den katholischen Glauben an Gott nicht respektierte. Deutlich gilt es anzumerken, dass alle Soldaten, die in diesem ungerechten Krieg gefallen sind und ihr Leben auf das Spiel gesetzt haben, aber auch alle weiteren zwangsweise zum Soldaten- und Staatsdienst Einberufenen dem menschenverachtenden Machthunger und Größenwahn sowie dem verbrecherischen Krieg und der Vernichtungsmaschinerie zur Verfügung stehen mussten. Franz Jägerstätter, Bauer und Mesner aus St. Radegund, hatte dafür eine klare Sichtweise und entschied sich, gegen den Strom zu schwimmen. Er setzte damit ein prophetisches Zeichen.

    Eine Nachfolgegesellschaft gestaltet für Opfer totalitärer Systeme kulturelle und politische Erinnerungsmomente, die vom Denk- bzw. Mahnmal über künstlerisch-kulturelle oder wissenschaftliche Veranstaltungen bzw. philosophisch-ethische Reflexionen bis hin zu politischen Mahnereignissen reichen. Alle Initiativen insgesamt können unter dem Begriff Erinnerungskultur bzw. -arbeit zusammengefasst werden.

    Abb. 2: „Einsame Entscheidung", Bild 5 aus dem Jägerstätter-Zyklus von Ernst Degasperi

    Der in Meran/Südtirol geborene und in Wien beheimatete Künstler Ernst Degasperi charakterisierte die NS-Ideologie und Vernichtungsmaschinerie als die „Pervertierung der Gewalt zur Moral".¹⁷ Demgegenüber hat Jägerstätter durch seine moralische Haltung deutlich gemacht, dass die menschen- und glaubensfeindliche Gewalt der Nazis nicht zu rechtfertigen ist, und hat sich der Pervertierung entgegengestellt. Degasperi verstand sein künstlerisches Schaffen als Friedensarbeit. Sein Jägerstätter-Zyklus bringt die Haltung Jägerstätters gegen den Strom seiner Zeit in bewegender Weise zum Ausdruck.

    Abb. 3: „Gegen den Strom", Bild 6 aus dem Jägerstätter-Zyklus von Ernst Degasperi

    Der Papst, die höchste Autorität der Kirche, sprach Franz Jägerstätter 2007 selig, womit er einen bleibenden Platz im Martyrologium der katholischen Kirche hat. Seine Lebenshingabe wird mit einer neuen Wertigkeit versehen, die von Menschlichkeit und Gottesbezug geprägt ist. Die Kirche pflegt den Brauch, Märtyrer/innen unter einem Altar zu bestatten, so wie ursprünglich über den Gräbern von Märtyrer/innen Kirchen und Altäre erbaut wurden. Das ist eine besondere Form der Erinnerungskultur. Jägerstätters Bestattung unter dem Altar, die ihm als Märtyrer zukommt, stiftet ein bleibendes Gedenken und verbindet die Lebenshingabe Jesu und ihren Sinn mit der Lebenshingabe des Märtyrers in der Nachfolge Jesu, um der Liebe zu den Menschen den Vorrang zu geben.¹⁸

    Auch die offizielle Politik in Österreich rehabilitierte den, der sich geweigert hatte, mit der Waffe in der Hand für Hitler zu kämpfen. Anlässlich der Seligsprechung schrieb der österreichische Bundespräsident Dr. Heinz Fischer an Frau Franziska Jägerstätter und konstatierte im Namen der Republik Österreich:

    Mit diesem besonderen Schritt wird das Wirken von Franz Jägerstätter weit über die Grenzen unseres Landes hinaus geehrt und dokumentiert. Auch für unser Land war es nach 1945 nicht leicht, die Opfer des Widerstandes anzuerkennen und zu akzeptieren. Die bewusste Gehorsamsverweigerung von Franz Jägerstätter, die aus einem langen Reifungsprozess entstanden ist, verdient unseren höchsten Respekt und Anerkennung. Die Nationalsozialisten konnten Franz Jägerstätter töten, aber genau dadurch haben sie seine moralische Größe sichtbar gemacht. Sie wollten seinen Namen auslöschen und haben ihn eben dadurch ins Buch der Geschichte eingetragen.¹⁹

    Durch die Selig- bzw. Heiligsprechung in der katholischen Kirche wird eine bleibend gültige Entscheidung gegen das Vergessen einer Persönlichkeit, gegen die Negation der Individualität der menschlichen Person und deren Würde gesetzt, das Erinnern zur Anregung, zur Aufgabe, ja Pflicht erhoben sowie unter den Kategorien der kirchlichen Riten und Feiermöglichkeiten und durch die darüber hinaus zu gestaltende Erinnerungskultur verwirklicht. Die Haltung einer Persönlichkeit gegen die Kräfte des Bösen wird anerkannt und in ihrer bleibenden Bedeutung (Heroizität) zur Verwirklichung des Evangeliums gewertet.²⁰

    Nachdem Franz Jägerstätter als Märtyrer anerkannt worden war und dessen Seligsprechung im Jahr 2007 erfolgte, unternahm die Pfarrgemeinde von St. Radegund im Zuge einer Generalsanierung der Pfarrkirche auch die Neugestaltung des Altarraumes ihrer Pfarrkirche und übertrug die Reliquien des seligen Franz Jägerstätter (Brandleichenreste) nach Absprache mit der Diözesanleitung in den neuen Altar. Damit wird dem Ansinnen des totalitär denkenden Nationalsozialismus mit dessen verbrecherischer und menschenverachtender Tötungsmaschinerie und seinem Kriegsfanatismus, die Erinnerung all derer auszulöschen, die sich dagegen aussprechen und dagegen verhalten, eine bleibende Gedächtnisstätte entgegengesetzt. Die Seligsprechung von Franz Jägerstätter bestätigt, dass er mit seinem Gewissen ein klares Urteil gegen das religionsfeindliche und den Wert eines Menschen verachtende System für sich gefunden hatte und dafür in den Tod ging. Die Aufhebung seines Todesurteiles bestätigt, dass er nicht nur im religiösen Sinne richtig lag, sondern auch aus politischer Perspektive Recht bekommen sollte, ist doch der Nationalsozialismus derart zu verurteilen, dass bereits das Aufgreifen dieses Gedankengutes und dessen Verbreitung heute (in Deutschland und Österreich) verboten sind und geahndet werden.²¹

    Wie sehr Jägerstätter inzwischen auch in Kultur, Politik und Gesellschaft angekommen ist, mögen drei weitere Beispiele zeigen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen verweigerte im September 2018 durch Androhung seines Veto-Rechtes dem freiheitlichen Politiker Hubert Keyl die von der Regierung beschlossene Ernennung zum Richter am Bundesverwaltungsgericht, weil er Franz Jägerstätter einen Verräter genannt und dessen Seligsprechung in Frage gestellt hatte. SPÖ-Kultursprecher Thomas Drozda meinte nach der Nominierung von Keyl, „dass das Ansehen eines Nationalhelden unserer Republik, eines Menschen, der zum Inbegriff des Anstands und der aufrechten Haltung unter Inkaufnahme der Vernichtung der eigenen Existenz wurde, zutiefst beleidigt wird".²²

    Zur Eröffnung des Internationalen Brucknerfestivals in Linz am 8. September 2019 brachte der Chor V. I. P. Voices in Progress den von Schriftsteller Franzobel (Franz Stefan Griebl) verfassten Text „Jägerstätter und das von Thomas Mandel komponierte Chorwerk zur Uraufführung. Dazu meinte Bürgermeister Klaus Luger in seiner Festansprache, dass der Aufbruch in neue Welten immer auch Erkenntnisse aus der alten Welt mitnehmen möge, und konkretisierte seine Aussage: „Wir können zum Beispiel mitnehmen – das hat die Inszenierung des Chors mit dem Lied über Franz Jägerstätter bewiesen –, dass wir Jahre wie 1933, 1934, 1938 und ganz besonders 1939 als gesellschaftlichen Auftrag sehen, dass solche Entwicklungen, und zwar von ihren Wurzeln an, nie wieder stattfinden dürfen. Das soll uns gerade in diesem September bewusst sein.²³ Mit

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