Das Lesebühnen-eBook
By Marc-Uwe Kling, Julius Fischer, Ahne and
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Das Lesebühnen-eBook - Marc-Uwe Kling
Marc-Uwe Kling
LOST
»Scheiße, ist das kalt!«, flucht das Känguru.
Es hüpft vor mir durch den Schnee, die roten Boxhandschuhe über den Pfoten und unfassbar rosafarbene Ohrschützer auf dem Kopf.
»Glotz nich so blöd«, schimpft das Känguru. »Ich weiß, dass das scheiße aussieht.«
Es lässt einen Ast los, der mir direkt ins Gesicht klatscht.
»Warum folge ich dir nur immer wieder auf diese ›Abkürzungen‹?«, murre ich, aber die Frage bleibt nur als lauwarmer Nebel in der eiskalten Abenddämmerung hängen.
»Da vorne müsste der Weg sein«, sagt das Känguru. »Vertrau mir. Meine alten Dschungelinstinkte werden wieder wach.«
»Dschungelinstinkte. Tss. Ich kann es gar nicht fassen, dass wir uns im Tiergarten verlaufen haben …«
1 5 M I N U T E N S P Ä T E R
»Ich denke, wir sollten unsere Lage akzeptieren und hier Feuer machen«, sagt das Känguru, als wir zum dritten Mal dieselbe Lichtung betreten. »Wenn der Tag anbricht, finde ich auf jeden Fall hier raus.«
Ich verdrehe die Augen und schimpfe vor mich hin. Das Känguru macht derweil Feuer. Plötzlich blickt es mich seltsam an.
»Sag mal … darf ich dich essen, falls du erfrierst?«
»Was?«, rufe ich verstört. »Nein!«
»Wieso denn nicht?«, fragt das Känguru. »Ich finde das sehr egoistisch von dir. Wenn ich vor dir erfriere, darfst du mich essen.«
»Ich will dich nicht essen. Das ist ja ekelhaft.«
»Na, danke«, sagt das Känguru. »Du bist auch ekelhaft.«
Es wirft einen Ast ins Feuer und reibt sich die Pfoten.
»Du müsstest mich ja nicht roh essen«, sagt es nach einer Weile. »Du könntest mich ja grillen. Ich würde dich grillen.«
Es zieht etwas aus seinem Beutel.
»Du hast Gewürze dabei?«, frage ich.
»Na?! Na?!«, ruft das Känguru herausfordernd und bestreut sich selbst. »Wollen mal sehen, ob ich mich dir nicht doch schmackhaft machen kann! Ein bisschen Curry hier, ein bisschen Koriander da …«
»Bäh. Ich hasse Koriander.«
»Hörense ma«, brummt da plötzlich eine fremde Stimme. »Die Diskussion könnense sich gleich ma spar’n. Grill’n is in dem Teil vom Tierjarten sowieso nich erlaubt. Ick bin vom Ordnungsamt. Dit jibt nen safftijen Strafzettel.«
Das Känguru mustert unseren ungebetenen Gast. »Sagen Sie mal«, sagt es, »würden Sie sich von Ihrem besten Freund aufessen lassen? In einer Notsituation. Wenn Sie sowieso sterben würden, ihn aber retten könnten?«
»Ick arbeite fürs Ordnungsamt«, sagt der Mann. »Ick hab keene Freunde.«
»Aber können Sie uns vielleicht sagen, wie wir hier wieder rauskommen?«, frage ich.
»Sie ham sich verloofen?«
Ich nicke.
»Im Tierjarten?«
Ich seufze.
»Dit is nich meen Zuständigkeitsjebiet.«
»Wenn du erfrierst«, sagt das Känguru zu mir, »esse ich dich einfach trotzdem.«
»Ich verbiete dir ein für alle Mal mich zu essen«, zische ich.
»Also, ick hab zwar keene Freunde«, funkt der Mann vom Ordnungsamt dazwischen, »aber eenet sag ick Ihnen: Wenn ick Freunde hätte, würd ick mir uff da Stelle von selbigen uffessen lassen. Stante pede. Dafür müsst ick nich ma erfroren sein. Einfach so würd ick mir von die uffessen lassen. Nur damit die nich verhungern. Ick meen, wofür hat man denn Freunde? Oda och wenn die keen Jeld für Mittach dabei ham. Würd ick mir uffessen lassen. Oda wenn die einfach Lust uff nen kleenen Snack ham. Würd ick mir uffessen lassen. Oda wenn beim Videoabend alle traurig wären, weil keener Schüps mitjebracht hat, würd ick sag’n: ›Freunde! Hier bin ick! Esst doch mir uff.‹«
»Da hörst du’s!«, ruft das Känguru mir nickend zu. Sein Magen knurrt. Es wendet sich wieder dem Mann vom Ordnungsamt zu.
»Wollen wir Freunde werden?«
Aus:
Die Lesedüne »Über Wachen und Schlafen«
Buch + CD (160 Seiten + 63 min. Spielzeit)
ISBN 978-3-863910-13-6 (Print)
Julius Fischer
DER OUTDOOR-AUTOR
Als Schriftsteller muss man sich Nischen suchen. Sonst geht man in der Masse unter. Die Idee, dass man alleine vom Schreiben leben kann, ist ungefähr so realistisch wie der Wunsch kleiner Mädchen, auf dem Bauernhof zu leben oder Prinzessin zu werden, wenn sie groß sind.
Die meisten landen in der Nagelpflege.
Vom Schreiben leben kann man im Grunde genommen nur, wenn man entweder gleich am Anfang, so mit zwölf, etwas total Krasses veröffentlicht, Herr-der-Ringe-mäßig, und dann ein Leben lang gefeiert wird, oder indem man am Fließband produziert.
Jedes Jahr einen historischen Roman, zack, oder einen Krimi, zack, Themen gibt’s ja viele.
Die dritte Möglichkeit ist die Drittmittelsubventionierung, sprich: Man wird Werbetexter, nur literarisch.
So wie bestimmte Theater Hausschreiber oder Hausphilosophen haben, könnten sich auch Hersteller von Gebrauchs- und Genussmitteln einen Autor an Bord holen, der mit seinem Namen und vor allem seiner gewundenen Sprache für deren Produkte wirbt, zum Beispiel Prostata-Pastillen.
Wenn man David Foster Wallace Glauben schenken darf, wird das in Amerika schon seit Langem gemacht – nichts, was unbedingt überrascht. Hier ein nicht wortwörtliches Gedächtniszitat aus einem von ihm zitierten literarischen Werbeessay über ein Kreuzfahrtschiff:
Unter der lapislazuliblauen Himmelskuppel treibt das