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Rettet den Fußball!: Zwischen Tradition, Kommerz und Randale
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Ebook367 pages4 hours

Rettet den Fußball!: Zwischen Tradition, Kommerz und Randale

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Fußball hat sich in den letzten Jahren rasant verändert. Immer größere Summen kursieren, immer weniger Vereine können mithalten im modernen Kommerzfußball. Oligarchen aus Osteuropa und dem arabischen Raum haben Klubs wie den FC Chelsea, Paris SG oder Manchester City übernommen und bedrohen die Identifikationssehnsüchte vieler Fans. Hinzu kommen Wettskandale, Rassismus und Gewalt auf den Rängen sowie das in vielerlei Hinsicht problematische Agieren von UEFA und FIFA. Dirk Rasch, langjähriger Präsident des VfL Osnabrück, betrachtet diese Entwicklung mit wachsender Sorge. Denn viele Traditionsvereine mit regionaler Ausstrahlung haben kaum noch eine Chance, in dem ausufernden Kommerzzirkus mitspielen zu können. Um den Erwartungen von Fans und Sponsoren gerecht zu werden, verschulden sie sich und landen im Zweifelsfall in der Insolvenz. Raschs Ansätze zielen auf einen Profifußball im Sinne von 'Tradition so weit wie möglich – Kommerz so weit wie nötig'. Hier spricht ein Insider mit hohem Reflexionsvermögen.
LanguageDeutsch
Release dateJan 7, 2015
ISBN9783730701478
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    Rettet den Fußball! - Dirk Rasch

    werden.

    KAPITEL 1

    Die Entwicklung des Profifußballs – vom „Hipp, hipp, hurra" zur globalen Marke

    Der Wertewandel

    „Jeder, woher er kommen mag und wozu er immer neigt, kann hier beim VfL Osnabrück mitmachen und das Glück des glieder- und geisteslösenden Sports erleben. Kommt dazu noch die gute Kameradschaft und die Vereinstreue bei all den Hunderten, die zur Fahne schwören, so ist uns nicht bange um den Bestand des vor 60 Jahren geschlossenen Bundes für die Zukunft."

    So fremd, voller Pathos und auch komisch, noch geprägt von der Denk- und Ausdrucksweise der Nationalsozialisten, hieß es 1959 in der Festschrift des VfL Osnabrück anlässlich seines 60-jährigen Bestehens. Der Autor dieser Eloge war Dr. Friedmann, der damalige Regierungspräsident des Regierungsbezirkes Osnabrück. Die Diktion war keine Osnabrücker Besonderheit, sondern sie war üblich und ist nachlesbar in den meisten damaligen Vereinssatzungen.

    54 Jahre später, im September 2013, erläutern zwei Protagonisten des modernen Profifußballs in Interviews mit dem Manager Magazin, welche Werte sie ihren heutigen Klubs zuordnen und welche Prioritäten für erfolgreiches vereinspolitisches Handeln für sie gelten. Zunächst der ehemalige Geschäftsführer von Bayer Leverkusen, Wolfgang Holzhäuser: „Als Tochter eines DAX-Konzerns wird schon genau drauf geachtet, welchen Wert wir für den Mutterkonzern darstellen. So lassen wir unseren Werbewert parallel Jahr für Jahr von zwei Agenturen errechnen, einmal progressiv, einmal konservativ. Dann setzen wir den Mittelwert an. Das ist betriebswirtschaftlich vernünftig und keine Wettbewerbsverzerrung. Denn bei den Traditionsvereinen berechnen deren Hauptsponsoren oder Anteilseigner den Nutzen, den sie durch ihr Millionen-Engagement erzielen, ebenso in Euro und Cent."

    Und Martin Kind, Präsident von Hannover 96 und entschiedener Gegner der sogenannten 50+1-Regelung, wonach mindestens 51 Prozent der Stimmenmehrheit bei den Vereinen verbleiben muss, vertritt die Ansicht: „Profiklubs sind Wirtschaftsunternehmen, so müssen sie geführt werden und ihre Strukturen daran ausrichten. Die als Sanierungsgesellschaft gegründete Holding Sales & Service gehört zu 84 Prozent der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA. Die S & S übernimmt voraussichtlich noch 2013 vom e.V. die restlichen Anteile an der KGaA. Die Kaufpreisverhandlungen werden aktuell geführt."

    Die moderne Komplexität und die turboartige Entwicklung des Profifußballs wird auch durch eine Pressemitteilung von Christian Seifert, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Deutschen Fußball-Liga (DFL), vom 14. Oktober 2013 verdeutlicht. Nach dem Abschluss eines Vertrages mit dem US-Medienkonzern 21st Century Fox über die Vergabe von TV-Senderechten der beiden Bundesligen ab 2015/16 an alle Länder Nord- und Lateinamerikas und fast alle Länder Asiens sowie nach Italien, Belgien und Holland stellte der DFL-Chef fest: „Die Abschlüsse unterstreichen, dass die Bundesliga mittlerweile als Top-Medienrecht im internationalen Sport-Business anerkannt ist. Die Zusammenarbeit mit einem globalen Partner erlaubt dem deutschen Profifußball neue Chancen für die weltweite Wahrnehmung und künftiges Wachstum." Die Gegner des Fußballkommerzes werden begeistert sein.

    Wolfgang Holzhäusers, Martin Kinds und Christian Seiferts Aussagen dokumentieren, wie sehr sich der durch Wirtschaft und Medien vereinnahmte Profifußball vom 1950/51 gegründeten sogenannten Vertragsfußball entfernt hat. Auch in der Diktion. Anstelle kaum oder gar nicht mehr verwendeter Begriffe und Werte wie Vereinstreue, Schaffenskraft der Mitglieder, Traditionspflege, Kameradschaft oder gar Gesundung von Geist und Körper sind die Sprache der Kommunikationstechnologie und die der Ökonomie getreten. Vokabeln wie Vermarktungspotenziale, Pay-TV, Compliance, Globalisierung, Controlling und Liquiditätsreserve dominieren die Fußballszene. Sie geben den Zeitgeist wieder. Sie sind „mainstreaming".

    Die Geburtsstunde des modernen Profifußballs in Deutschland schlug am 28. Juli 1962. Im Goldsaal der Dortmunder Westfalenhalle fand ein richtungsweisender DFB-Bundestag statt. Noch am Vorabend des Kongresses, so schrieb das Sport-Magazin, „hatten an gleicher Stelle die Bundesliga-Kämpfer beider Fronten einen frohen Kameradschaftsabend verlebt, mit viel Varieté, Musik und Klein Ernas lustigen Zwiegesprächen".

    Am Tag darauf geschah Historisches. Die drei Visionäre Franz Kremer, damaliger Präsident des 1. FC Köln, der Präsident des Saarländischen Fußballverbandes, Hermann Neuberger und Bundestrainer Sepp Herberger feierten nach jahrelangen vergeblichen Anläufen den Durchbruch. Die allmächtigen Regionalfürsten des DFB rangen sich nach endlos langen Redebeiträgen schließlich durch, mit 103:26 Stimmen aus den zuvor fünf Oberligen mit 74 Vereinen eine Bundesliga, bestehend aus 16 Vereinen, zu gründen und diese zur Spielzeit 1963/64 starten zu lassen. Auch die Einführung des Status eines Lizenzspielers – anstelle eines Vertragsspielers – wurde mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit beschlossen. Hingegen wurde die Einführung des Vollprofitums mit 80:49 Stimmen abgelehnt. Mit einem zeitgemäßen „Hipp, hipp, hurra" beendete der neugewählte DFB-Präsident und Osnabrücker Rechtsanwalt Hermann Gösmann den Bundestag.

    Dieser bereits im Kaiserreich, im Dritten Reich und auch von DFB-Funktionären häufig verwendete Schlachtruf hat mich als aktiver Jugendfußballer oft begleitet und stets genervt. Später, bei offiziellen DFB-Veranstaltungen wie dem Pokalfinale in Berlin, fand ich ihn eher amüsant. Heute ist „Hipp, hipp, hurra nicht mehr „hip. Ich kann damit leben.

    Beobachter des Bundestages waren der Ansicht, dass es vor allem Hermann Neuberger war, der mit einer „flammenden Rede", so die Westdeutsche Rundschau, die Gründung der Bundesliga rettete. Die Mehrheit der Delegierten hatte er spätestens auf seine Seite gezogen, als er mit einem sensiblen Gespür für deren Befindlichkeiten ausführte: „Wir wollen, dass unsere Vereinsvorstände endlich einmal wieder ruhig schlafen können. Und wir wollen ihnen die Chance geben, wieder ehrlich zu werden. Dies ist der tiefste Grund für die Einführung der Bundesliga, meine Herren. Die Zustimmung zur Einführung der Bundesliga zu verknüpfen mit einer Art moralischer Generalamnestie für die Verantwortlichen der damals üblichen Schwarzgeldzahlungen – offiziell als „Handgeld deklariert – an begehrte Spieler, war ein cleverer Schachzug des späteren DFB-Präsidenten.

    Die Beschlüsse des Dortmunder DFB-Bundestages und die daraus resultierende Einführung der Bundesliga zur Spielsaison 1963/64 führten zu einem Einschnitt in das bisherige Wertesystem des Vertragsfußballs. Zunächst behutsam und wenig spektakulär nahm sodann die Entwicklung der Kommerzialisierung des Profifußballs Mitte der 1980er Jahre Fahrt auf. Die Eigendynamik marktwirtschaftlicher Prozesse, die Globalisierung, die turboartige Entwicklung der Kommunikationstechnologien mit der sich daraus ergebenden Forderung nach steter Transparenz und auch die Rolle der Medien – vor allem des Fernsehens – haben dazu geführt, dass sich in den letzten 50 Jahren ein gesellschaftlicher Wertewandel vollzogen hat. Diesem konnte sich auch der Profifußball nicht entziehen.

    Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) definiert den gesellschaftlichen Wertewandel in den letzten 50 Jahren als den Übergang von einem Werteensemble zu einem neuen. Insbesondere von den materialistischen zu den postmaterialistischen Werten in den 1960er und 1970er Jahren in der westlichen Welt. Es heißt dort: „In entwickelten liberalen Gesellschaften hat sich ein einschneidender Wertewandel vollzogen. Statt Vermögen und Besitztum stehen Selbstverwirklichung und Kommunikation im Vordergrund. Mit dem Wertewandel lässt sich auch die Individualisierung sowie die Pluralisierung sozialer Milieus und Lebensstile erklären."

    Ich habe die Entwicklung des Profifußballs seit Einführung der Bundesliga 1963 teilweise anders wahrgenommen. Deswegen kann ich die Definition der bpb nicht gänzlich teilen. Vorangetrieben von Wirtschaft und Medien, sind es neben dem Aufkommen sogenannter postmaterialistischer Werte – wie die Individualisierung der Gesellschaft – vor allem die materialistischen Werte, die den Profifußball zunehmend dominieren. Es bedarf keiner wissenschaftlichen Beweisführung, um zu dieser Einschätzung zu gelangen. Kritiker fassen die Entstehung postmaterialistischer Werte auch unter dem Begriff „Spaßgesellschaft zusammen. Der Literaturwissenschaftler Jürgen Wertheimer sieht in ihrer Entstehung die Flucht vor der Verantwortung. „Die einen fliehen in den Rausch der Loveparade, die anderen in die Dauerpartys von MTV und VIVA. Er hat vergessen, hinzuzufügen: wiederum andere in die Fußball-Fanmeilen und Public-Viewing-Veranstaltungen des organisierten Fußballspaßes.

    Der moderne Profifußballer spielt vor allem bei dem Verein, bei dem ihn sein Berater platziert. Das ist in aller Regel der Verein, der ihm neben der sportlichen Herausforderung das beste Gehalt zahlt. Der Wechsel Mario Götzes von Borussia Dortmund zu Bayern München ist ein Beleg dafür, dass Mobilität für die jetzige Generation der Profifußballer in der persönlichen Werteskala einen höheren Stellenwert besitzt als die Treue zum Verein. Das wissen auch die Fans auf der Dortmunder Südtribüne. Und sie wissen auch, dass das ritualisierte Küssen des Vereinslogos auf dem Trikot nach einem erzielten Tor (schlechte) Schauspielerei ist. Zu einer Farce gerät die schauspielerische Einlage, wenn der Torschütze bereits weiß, dass er in der kommenden Saison bei einem anderen Verein spielen wird. Im Übrigen – so mein Eindruck – ist das Verhältnis zwischen Kurvenfans und Profis in den letzten Jahren merklich abgekühlt. Wenn Erwartungshaltungen von Fans nicht erfüllt werden, mutieren zuvor noch angehimmelte Stars zu „Scheiß Millionären".

    Auch heißt es immer schneller: „Wir haben die Schnauze voll. Das folgt in aller Regel dem „Wir wollen euch kämpfen sehen. Den Profis soll signalisiert werden, dass man für das teuer bezahlte Ticket zu wenig Gegenleistung erhält. Die Beschimpfung der Spieler als „Söldner" macht vor keinem Stadion mehr halt.

    Zu Uwe Seelers, Fritz Walters und Hans Schäfers Zeiten stand weniger der Verdienst als die Treue zum Verein auf der Werteskala ganz oben. Acht Spieler aus der Weltmeistermannschaft von 1954 (die „Helden von Bern") spielten in ihrer Karriere für nur einen Verein. Selbst bei den Weltmeistern von 1972 spielten noch die meisten Spieler für nur einen Klub.

    Es wird berichtet, dass Fritz Walter, der „Chef, nach Rücksprache mit seiner Frau Italia („Was mache mer?) ein für damalige Verhältnisse sensationelles Angebot von Real Madrid – 10.000 DM monatlich – ausgeschlagen hat. Er blieb lieber bodenständig in der Pfalz – bei Saumagen und Riesling anstelle von Tapas und Tinto. Wie auch sein Bruder Ottmar. Der lehnte einen Vereinswechsel zu einem französischen Klub ab. Dieser hatte ihm ein Handgeld von 100.000 Schweizer Franken angeboten. Auch er blieb lieber in der Pfalz bei seinem 1. FC Kaiserslautern. Zur Einordnung und zum Verständnis: Das angebotene Monatsgehalt für Fritz Walter verdient Gareth Bale, der im Sommer 2013 für über 100 Mio. € von den Tottenham Hotspurs zu Real Madrid gewechselt ist, in drei Stunden. Das Jahressalär von Gareth Bale beträgt 17 Mio. € netto.

    Die Globalisierung, die atemberaubende Entwicklung der Kommunikationstechnologien und die Migration führen zu einem immer schnelleren Wandel der Gesellschaft. Entsprechend verändern sich auch die Lebensbedingungen der Menschen, deren Wertehierarchien und Verhaltensweisen schneller. So auch im Profifußball. Dies sieht der „Fußballphilosoph und frühere Spieler des VfL Osnabrück, Ansgar Brinkmann, ähnlich. In einer gemeinsamen Diskussionsrunde im Osnabrücker Dom, in der es im Zusammenhang mit dem Wettskandal um eine neue Werteorientierung im Profifußball ging, überraschte uns der „weiße Brasilianer mit der Erkenntnis: „Profifußball ist ein schnelllebiges Geschäft geworden. Werte, die heute moralisch gut und richtig sind, können morgen schon falsch sein. Das war früher anders. Daher sage ich mir jeden Morgen, tu Gutes und denk daran: Der Tacho läuft."

    Die Profikarriere des hochbegabten Fußballers Ansgar Brinkmann, dessen Eskapaden außerhalb des Spielfeldes – auch in Osnabrück – legendär sind, zeigt in besonderer Weise, dass die Mobilität in der Wertehierarchie eines Profifußballers Priorität hat. Auch wenn Ansgars Wanderjahre nicht repräsentativ sind. Der gebürtige Bakumer (wen es interessiert: Bakum liegt in der Nähe von Cloppenburg) spielte in seiner Karriere bei 13 Vereinen. Ein Rekord, der schwerlich zu toppen sein wird.

    Zweifelsohne haben Globalisierung und Migration den Profifußball in Deutschland qualitativ verbessert. Spieler wie Khedira, Boateng, Özil oder Gündogan in der Nationalmannschaft zu sehen, macht Freude. Auch die Bundesliga ohne Ribéry, Alaba, Raffael oder Traore wäre qualitativ um einiges ärmer. Die Hälfte der in der Fußballbundesliga spielenden Profis sind Ausländer oder Deutsche mit Migrationshintergrund. Sie sind offensichtlich ein Grund dafür, dass die Nationalmannschaft, wie in Brasilien eindrucksvoll demonstriert, aktuell den attraktivsten Fußball weltweit spielt. Auch im europäischen Vereinsfußball rangieren die deutschen Klubs aus demselben Grund vor den spanischen, englischen und italienischen. 15 der 26 eingesetzten Spieler im Champions-League-Finale 2013 in London zwischen Bayern München und Borussia Dortmund waren Ausländer oder deutsche Spieler mit Migrationshintergrund.

    Der Wunsch des modernen Fußballprofis (zumeist in Abhängigkeit von seinem Berater) nach Mobilität und die Zunahme von ausländischen Spielern und Spielern mit Migrationshintergrund in der Bundesliga sind unverrückbare Realitäten des Profifußballs geworden. Daher ist es erforderlich, sich undogmatisch auf ein verändertes Werteensemble zu verständigen. Die reale Welt des modernen Profifußballs benötigt eine neue ethische Richtschnur. Die Faszination des Fußballs kann nur erhalten bleiben, wenn über Begrifflichkeiten und Werte wie Respekt, Toleranz, Verantwortung, Fair Play, Solidarität, Identifikation, Gewaltlosigkeit, sauberer Fußball (Manipulationen/Doping), Fankultur, aber auch Mobilität, Wettbewerb und Leistung unter allen Protagonisten des Profifußballs permanent diskutiert wird. Sicherlich ein schwieriges, aber alternativloses Unterfangen.

    Anlässlich eines Kongresses im Audi Institut für Sportkommunikation bezog sich der Referent Prof. Dieter Hackfort auf eine repräsentative Umfrage der Sport Bild, wonach die sportinteressierte Öffentlichkeit sehr sensibel auf die Nichteinhaltung von gemeinsam verabredeten Werten reagiert. Danach erklärten 86,6 Prozent der Befragten, dass Wettmanipulationen und Korruption die Integrität auch des Fußballsportes bedrohen. 84,4 Prozent der Befragten reagierten negativ auf Doping und Drogenmissbrauch und 63 Prozent kritisch darauf, dass es keinen offenen Umgang mit Problemen wie Depressionen, Homosexualität, Spielsucht oder Burnout gibt.

    Dass Wettmanipulationen die Integrität und damit die Faszination des Profifußballs massiv bedrohen, habe ich persönlich erfahren. Der durch die Osnabrücker Spieler Thomas Cichon und Marcel Schuon ins Rollen gebrachte Wettskandal war ein nachhaltiger Einschnitt in die „heile Welt" des Profifußballs. Die teilweise erhaltene Akteneinsicht sowie Gespräche mit der Staatsanwaltschaft in Bochum und mit zwei recherchierenden Spiegel-Journalisten haben mir die Vorgehensweise und das Ausmaß der Wettmanipulationen verdeutlicht. Mir wurde bewusst, dass sauberer Fußball – aktuell und zukünftig – eine illusionäre Sichtweise zu sein scheint.

    Es ist schwierig, wenn nicht aussichtslos, die global agierenden, vor allem asiatischen Wettpaten zu kontrollieren und gegen sie zu ermitteln. Dank Internet und „sozialer" Netzwerke ist die organisierte Kriminalität den ermittelnden Behörden immer einen Schritt voraus. In einem späteren Kapitel werde ich auf den sogenannten Osnabrücker Wettskandal ausführlich eingehen. Ich werde zeigen, welche Auswirkungen die Spielmanipulationen auf die Außendarstellung und, wichtiger noch, auf die sportlichen und finanziellen Belange des VfL Osnabrück hatten. Bei der Würdigung der Geschehnisse wird aber ebenfalls ersichtlich, dass aus dem Wettskandal im Zusammenhang mit einem dritten Osnabrücker Spieler, dem Kapitän Thomas Reichenberger, auch ein Presseskandal wurde.

    Der Sozialwissenschaftler Stephan Holthaus beklagt, dass zu viele Moralvorstellungen unser Leben begleiten. Dafür gebe es immer weniger gemeinsame Regeln – auch im Fußball. Dieter Hackfort fügt richtigerweise hinzu: „Wir brauchen eine Sportethik, ein Regelwerk, das über die Spielregeln hinausgeht. Wir müssen die Regeln des gegenseitigen Umgangs klären. Wie wäre es mit den zehn Geboten, zehn Leitlinien, Idealen oder zehn generellen Wertvorstellungen auch im Fußball?"

    Die Kommerzialisierung des Profifußballs wird mehrheitlich gewollt oder zumindest akzeptiert. Das ist eine Tatsache – ob sie einem sympathisch ist oder nicht. Kritiker und Gegner des kommerzialisierten Profifußballs sind daher gut beraten, ihr „Herzblut" und ihre Energien darauf zu verwenden, die gemeinsam akzeptierten Werte zu erhalten. Wenn erforderlich, müssen neue formuliert werden, um so negative Auswirkungen des Kommerz-Fußballs auf pragmatische Weise zu verhindern oder zumindest zu korrigieren.

    Die Weiterentwicklung zivilisierter Gesellschaften schließt immer eine sich verändernde Wertehierarchie mit ein. Auch im Profifußball. Die intellektuelle Variante dieser Erkenntnis bietet Erich Fried: „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt."

    Allerdings konnte Erich Fried nicht wissen, dass es in der Wertehierarchie des Profifußballs eine unverrückbare Konstante gibt: die Stadion-Bratwurst. Dies sowohl in Deutschland, in Österreich als auch in der Schweiz. „Früher roch der Fußball noch nach Bratwurst", heißt es bisweilen sentimental bei den in die Jahre gekommenen Kritikern des kommerzialisierten Fußballs. Beispielhafter lässt sich die Sehnsucht nach Bodenständigkeit im Profifußball nicht formulieren.

    Bei den Heimspielen von Grasshoppers Zürich im mittlerweile abgerissenen Hardttum-Stadion habe ich in den 40 Jahren meiner „Stadion-Odyssee die leckerste Bratwurst, eine sogenannte Burewurst, gegessen. Auch habe ich im Hardtturm eine der komischsten Tribünenerlebnisse bestaunen können. Gleich bei meinem ersten Stadionbesuch – die Grasshoppers spielten unter dem damaligen Trainer Ottmar Hitzfeld gegen AC Bellinzona – sah ich ein sehr schlechtes Fußballspiel. Obwohl auf Seiten der Zürcher (dies ist die exakte Schreibweise, also ohne i) Topspieler wie Elber, Sforza und Koller spielten. Dies empfanden die nicht sehr zahlreichen Tribünenbesucher offensichtlich ebenso. Denn nicht wenige von ihnen holten Spielkarten aus ihren Taschen und begannen, teilweise mit dem Rücken zum Spielfeld, zu „jassen (die Schweizer Variante des Skatspiels). Diese Protesthaltung habe ich noch öfter beobachten können. Sie hat mich stets amüsiert.

    Die Kommerzialisierung des Profifußballs

    Der Beginn – Die Einführung der Bundesliga 1963/64

    „Das ist kein Sport mehr. Das ist Party und Geschäft. Der Fußball ist zu einem Teil der Unterhaltungsbranche geworden." Die Fußballlegende Uwe Seeler hat sich in einem Interview mit dem Kölner Express Luft verschafft. Wer will ihm ernsthaft widersprechen? Unverdächtig, der Sprecher einer Ultra-Gruppierung zu sein, sieht Uwe Seeler in der überzogenen kommerziellen Ausrichtung des Profifußballs die Gefahr, dass die Faszination des Fußballsports mit all ihren emotionalen Facetten langfristig auf der Strecke bleibt. Kommerzialisierung wird unter anderem definiert als die Ausbreitung einer ökonomischen Handlungslogik in andere gesellschaftliche Bereiche.

    Der Beginn einer nachhaltigen ökonomischen Handlungslogik im Profifußball ist verbunden mit der Einführung der Bundesliga in der Spielzeit 1963/64. Zunächst erfolgte die Anhebung der Spielergehälter auf monatlich maximal 1.200 DM (incl. Punktprämien). Topspieler wie Uwe Seeler oder Hans Schäfer durften bis zu 2.500 DM verdienen. Um einer Idealisierung früherer Fußballgenerationen zuvorzukommen, darf nicht unterschlagen werden, dass schon vor der Einführung der Bundesliga im sogenannten Vertragsfußball Geld verdient wurde. Der maximale Verdienst betrug 400 DM monatlich. Viele Nationalspieler erhielten darüber hinaus als Dank für ihre Vereinstreue von ihren Klubs eine berufliche Perspektive für die Zeit nach dem Vertragsfußball zugesichert.

    Allerdings gab es einen prominenten Spieler, der für sich andere Prioritäten setzte. Er sah die Einführung der Bundesliga und die damit verbundene Anhebung der Spielergehälter nicht nur kritisch, sondern er nahm diese zum Anlass, dem Profifußball den Rücken zu kehren. Der Aussteiger hieß Jürgen Werner und gehörte neben Christian Krug und Uwe Reuter zum „Intellektuellen–Trio des Hamburger SV – so Uwe Seeler. Er war aktueller Nationalspieler und profilierte sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt als Kritiker des kommerzialisierten Profifußballs. Der damals 27-jährige Außenläufer bezog klar Stellung: „Ich kann diesen Weg nicht mitgehen. Und wenn es in den nächsten fünf Jahren 300.000 DM wären – das ist mir die Sache nicht wert.

    Nachdem der DFB die Liste der 16 vorgesehenen Bundesligisten vorgestellt hatte, gab Werner seinen Rücktritt bekannt. 24 Stunden nachdem er bei der 1:2-Länderspielniederlage gegen Brasilien das einzige deutsche Tor geschossen hatte. Fortan polemisierte Jürgen Werner in Zeitungsartikeln und Referaten gegen die fortschreitende Kommerzialisierung des von ihm so geliebten Fußballsports. Er setzte sein Studium fort, wurde Studienrat und unterrichtete in den Fächern Latein und Sport. Auch Bundestrainer Sepp Herberger konnte ihn nicht umstimmen. Jürgen Werner sah im bezahlten Profifußball das Gleichheitsprinzip durchbrochen. Ihm war es zuwider, dass innerhalb einer Mannschaft unterschiedliche Gehälter gezahlt werden sollten. Dies gefährde den Zusammenhalt. „Da Unterschiede gemacht werden, ist jeder des anderen Nebenbuhler, nicht Kamerad." Jürgen Werner verstarb im Alter von nur 66 Jahren.

    Ich kann mich nicht erinnern, dass es in der 50-jährigen Bundesligageschichte weitere Spieler gab, die sich dem Profifußball aus ideellen Gründen prinzipiell verweigert haben. Es gab allenfalls Querdenker. Zum Beispiel Paul Breitner und Ewald Lienen. Oder Thomas Broich, der „kickende Philosoph, der Klavier spielte, während – so Broich – Spielerkollegen in „Waffenmagazinen blätterten. Er kehrte zwar auch der Bundesliga den Rücken, blieb aber anders als Jürgen Werner Fußballprofi. Mit neuem Wohnsitz in Australien.

    Die Bundesliga führte zu einer zunehmenden Bereitschaft der Wirtschaft, den Profifußball als Werbe- und Imageträger zu nutzen. Es begann eine beispiellose Erfolgsgeschichte im Profisport. In der ersten Bundesliga-Spielzeit erzielten die Vereine einen Gesamtumsatz in Höhe von ca. 25 Mio. DM. Dem aktuellen Bundesligareport der DFL ist zu entnehmen, dass 50 Jahre nach Einführung der deutschen Eliteliga in der Saison 2012/13 ein Rekordumsatz erzielt worden ist. Zum zweiten Mal in der Geschichte der Bundesliga haben die Klubs einen Gesamtumsatz von über zwei Milliarden Euro realisieren können.

    In den ersten Spielzeiten der neu gegründeten Bundesliga herrschte das blanke Chaos. Die mit viel Hoffnung verbundene Erwartungshaltung Hermann Neubergers, dass die „Vereinspräsidenten mit der Einführung der Bundesliga wieder ruhig schlafen können", erfüllte sich nicht. Der Grund hierfür waren die unrealistischen Gehaltsobergrenzen. Schwarzgeldzahlungen, Bestechungsgelder, Darlehensgewährungen und, sehr beliebt, die Versorgung namhafter Spieler mit Tankstellen, Zeitungskiosken, Gastwirtschaften oder Sportgeschäften waren an der Tagesordnung.

    Die Gehaltsobergrenzen wurden von Altfunktionären festgesetzt, die der realen Entwicklung des Fußballs nicht mehr folgen wollten oder konnten. Der Spiegel schrieb über sie: „Während sie Idealismus predigten, sahen sich die Vereine geradezu dazu gezwungen, das Zahlungslimit zu durchbrechen. Zu den vorgeschriebenen Höchstpreisen mag sich schon seit Jahren kein namhafter Spieler mehr verpflichten." Bevor jedoch die Kommerzialisierung des Profifußballs in den 1980er Jahren richtig Fahrt aufnahm, mussten zunächst die ersten sogenannten Bundesliga-Skandale in den 1960er und 1970er Jahren aufgearbeitet werden.

    Noch befand sich die Vermarktung des Produkts Profifußball in den Kinderschuhen. Als ich 1963 zum ersten Mal ein Heimspiel des VfL Osnabrück an der traditionsreichen Bremer Brücke sah, hatte sich ein lokaler Reifenhändler eine Werbebotschaft einfallen lassen, von der ich mir nicht vorstellen konnte, dass sie bei den etwa 3.000 Zuschauern Impulskäufe auslösen würde. Aus zehn verrosteten Lautsprechern hieß es schwer verständlich: „Sind die Reifen abgelaufen, müssen Sie sich neue kaufen."

    Das erste schwarze Schaf in der Geschichte der Bundesliga, das erwischt wurde, war 1965/66 Hertha BSC Berlin. Bei einer überraschend angesetzten Kontrolle hatte der DFB-Kassenprüfer Ziegler festgestellt, dass dem Klub 150.000 DM in der Vereinskasse fehlten. Das Geld war für illegale Handgeldzahlungen an eingekaufte Spieler verwendet worden. Der Rausschmiss der Berliner aus der Beletage des Profifußballs war die Folge.

    Es folgte eine Schlammschlacht erster Güte. Kaum war das Urteil rechtskräftig, brachen die Hertha-Verantwortlichen, so der Spiegel, „vor den Fernseh–Mattscheiben in eine Art Amoklauf aus: Ihre Sprecher Holst und Herzog beschuldigten 27 Spieler und sämtliche Bundesliga-Vereine, sie hätten ebenso wie Hertha gegen Bestimmungen gefrevelt. Ein Vorstandsmitglied des Hamburger SV widersprach dem nicht, sondern parierte die Hertha-Attacke hanseatisch kühl: „Jeder Verein hat seine Masche, um das Statut auszuhöhlen, ohne dabei ertappt zu werden. Als DFB-Präsident Hermann Gösmann vom chaotischen Zustand „seiner Liga erfuhr, reichte es nicht einmal mehr zum „Hipp, hipp, hurra. Stattdessen reagierte er weinerlich – ungewöhnlich für einen Funktionär seiner Zeit – und erklärte: „Das ist ja schrecklich. Am liebsten würde ich sofort zurücktreten." Ist er aber nicht.

    Auch in den Jahren danach kam die Bundesliga nicht zur Ruhe. Beim nächsten „offiziellen Bundesliga-Skandal der Saison 1970/71 ging es wieder um Geld, um „schmutziges Geld – wie das Sportgericht des DFB in seinem Urteil 1971 feststellte. Und wiederum stand Hertha BSC Berlin im Mittelpunkt. Doch nicht nur. Auch Schalke 04, Arminia Bielefeld, der 1. FC Köln, Eintracht Braunschweig, Rot-Weiß Oberhausen, der MSV Duisburg, der VfB Stuttgart und die Offenbacher Kickers waren involviert. Letztere in besonderer Art. Der damalige Präsident der Offenbacher Kickers und Südfrüchtehändler Horst-Gregorio Canellas hatte anlässlich seines 50. Geburtstages gezielt Gäste eingeladen, um diese mit dem Abspielen eines Tonbanddokuments zu überraschen. Was die Anwesenden hören konnten, waren Mitschnitte von Telefonaten, aus denen hervorging, dass in der abgelaufenen Saison durch Schmiergeldzahlungen Spiele manipuliert worden waren. Der damalige Bundestrainer Helmut Schön verließ konsterniert die Geburtstagsparty, da auch aktuelle Nationalspieler (z. B. Fischer, Fichtel, Libuda und Rüssmann) in den Skandal verwickelt waren. Südfrüchteprofi Canellas hatte „dem Mann mit der Mütze" die Feier gründlich verdorben.

    Als „Agent Provocateur brachte der Kickers-Präsident eine Lawine ins Rollen, die den Vorsitzenden des DFB-Kontrollausschusses, Hans Kindermann, zu großer Form auflaufen ließ. Nach zwei Jahren intensiver Ermittlungen konnte der „ Großinquisitor – so der neue Beiname – das Ergebnis seiner Aufklärungsarbeit präsentieren: insgesamt wurden 52 Spieler, zwei Trainer und sechs Vereinsverantwortliche verurteilt und bestraft. Darunter auch Horst-Gregorio Canellas, weil er am Telefon zum Schein auf Bestechungsversuche eingegangen war. Arminia Bielefeld und den Offenbacher Kickers wurden die Lizenzen entzogen. So mussten die Ostwestfalen zwangsabsteigen. Insgesamt sind 1,1 Mio. DM an Bestechungsgeldern geflossen. Ein bitterer Beigeschmack blieb dennoch. Auch weil Rot-Weiss Essen, obwohl nicht in den Skandal verwickelt, als Tabellenletzter absteigen musste.

    Begibt man sich auf Spurensuche, so zeigt die Entwicklung des Traditionsvereins Rot-Weiss Essen beispielhaft, dass die Kommerzialisierung des Profifußballs nicht nur Gewinner hervorgebracht hat. Der Deutsche Meister von 1955 ist seit Jahren – auch bedingt durch eine Insolvenz – in der Tristesse der vierten Liga verschwunden. Er versucht mit einer fanatischen Fangemeinde im Rücken, sportlich und finanziell über die Runden zu kommen. So wie die meisten Viertligisten. Allerdings unterscheidet sich der Revierklub von den meisten anderen Traditionsvereinen, die in den Regionalligen oder

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