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Das Lied der Sphinxe
Das Lied der Sphinxe
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Das Lied der Sphinxe

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Der Erste Weltkrieg tobt. Noch sind die USA nicht in den Krieg eingetreten, aber überall im Land herrscht eine deutschenfeindliche Stimmung. Journalist Harry Smith erhält von Marc Ellison, dem Chefredakteur des "Herald", einen besonderen Auftrag: "Die Germans wollen in der Union eine Revolution machen und dann landen, Neuyork erobern und Amerika in eine deutsche Provinz verwandeln! Und nun reisen Sie nach Deutschland, bringen Sie Beweise, daß die Deutschen die Union erobern wollen." Seine abenteuerliche Reise bringt Harry Smith zuerst nach Deutschland und dann über die Schweiz nach Marokko und Ägypten. Aber das sind nur einige der zahlreichen Schauplätze dieses handlungs- und personenreichen Kriegsromans. "Das Lied der Sphinxe" bildet nach "Gesegnete Waffen" und "Der Zug nach dem Morgenlande" die dritte Fortsetzung des Romans "Das flammende Land", und der Leser begegnet zahlreichen Figuren wieder, die ihm aus den vorangegangenen Bänden vertraut sind. Als fünfter Band folgt "Der Fluch der Welt".-
LanguageDeutsch
PublisherSAGA Egmont
Release dateMay 5, 2016
ISBN9788711503577
Das Lied der Sphinxe

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    Das Lied der Sphinxe - Robert Heymann

    www.egmont.com

    Der weissbärtige Marc Ellison rieb sich das tadellos rasierte Kinn, streifte die Hemdärmel hoch und liess sie wieder herab, steckte die Holzpfeife vom rechten in den linken Mundwinkel und schlug endlich mit der flachen Hand derart auf den Korrekturabzug der Zeitung, dass der Sekretär an der klappernden Underwood in die Höhe fuhr.

    „Mr. Ellison?"

    „Klingeln Sie mal. Ich möchte Harry Smith sprechen."

    Der Sekretär klingelte. Das Telephon meldete sich. Der Sekretär rief nach der Redaktion hinauf: „Mr. Harry Smith möchte zu Mr. Ellison kommen. Da es offenbar mehrere Smiths in der Redaktion des „Harald gab und man den Namen Harry oben nicht gleich verstand, setzte der Sekretär, der alle Intimitäten des Betriebes kannte, erläuternd hinzu: „Der schöne Smith ... Well ... der Kanonensmith."

    Mr. Ellison kramte die letzte Ausgabe der World vor und legte den Kopf nachdenklich auf die Seite. Der Lärm des Broadway drang nur sehr gedämpft in das siebente Stockwerk des Wolkenkratzers.

    Harry Smith sauste mit dem Fahrstuhl vom zehnten Stock herunter. Er war ein hübscher Junge mit breiten Schultern, einem sporttrainierten Körper und einem Paar steingrauer Augen.

    Marc Ellison sah den Journalisten schweigend an mit dem Ausdruck eines Menschen, der sich eine Sache schnell noch einmal überlegt.

    „Good Morning, Mr. Ellison."

    „Morning. Waren Sie schon in Europa, Smith?"

    „No, Mr. Ellison."

    „Do you speak german?"

    „Well, Mr. Ellison."

    „Sie können morgen nach Schweden reisen!"

    „Well, Mr. Ellison."

    „Ich schreibe Ihnen einen Scheck auf tausend Dollars. Fürs erste. Sie sollen nach Europa reisen. Ich will einmal in das Gesindel da bei uns reinpfeffern. Entweder sind die Deutschamerikaner Schweinehunde, oder die Engländer bringen die Pest über die Union. Eins muss bewiesen werden. Hier ist das nicht herauszubekommen. Also der Mann, der vor vier Monaten in der Fifthe Avenue eingebrochen und John Clifford angeschossen hatte, hat jetzt aus dem Zuchthause heraus ein Geständnis gemacht: er will ein Mitglied der deutschen Verschwörung sein. Die ‚World‘ schreibt, ein Dr. Ritter, der in seinem Boardinghouse seit vier Monaten die Zeche schuldig ist, habe bekannt, gleichfalls ein deutscher Verschwörer zu sein. Er hat der ‚Oliver‘, die vor drei Wochen mit englischen Kanonen aus Neuyork auslaufen wollte, eins versetzt. Ich glaube, er hat eine Sache in die Dampfröhren gesteckt. Und das Attentat auf den Sekretär vom Präsident Wilson ist auch von einem deutschen Verschwörer verübt worden, der nur zum Schein die Brillantnadel gestohlen hat. Ich lasse übrigens Mr. Gould fragen, warum er die Nachrichten nicht im ‚Herald‘ hat? Die ‚World‘ bringt das in breiten dicken Lettern. Die ‚World‘ macht Geld mit so einer Sensation."

    „Well, sagte Harry Smith und steckte sich die Havanna an, die ihm der Chef gereicht hatte. „Mr. Gould hat gesagt, das sei Bluff. Wenn die Deutschamerikaner eine Verschwörung gegen die Union inszenieren, dann werden sie nicht mit alten Dampfröhren und Busennadeln Diebstähle beginnen. ‚Der Schwindel stinkt auf Meilen‘, hat Gould gesagt und er stinkt doppelt, weil die ‚World‘ die Nachrichten aus dem ‚Providence Journal‘ abdruckt, das wird von Spring-Rice, dem englischen Botschafter in Neuyork, bezahlt und von englischen Agenturen besorgt.

    Marc Ellison nickte.

    „Gould hat eine Deutsche zur Frau. Er ist trotzdem nicht auf den Kopf gefallen. Mrs. Gould sollte aber weniger an dem ‚Herald‘ mitredigieren. Wir müssen business machen, Mr. Smith, und nicht Idealismus verzapfen."

    „Aber auch nicht Blödsinn, Mr. Ellison."

    „No. Das ist nicht smart. Aber mit deutschen Redensarten kann man hierzulande keinen Dollar verdienen. Die Deutschen haben eine Verschwörung angezettelt, und die Deutschamerikaner sind die Werkzeuge. Die Germans wollen in der Union eine Revolution machen und dann landen, Neuyork erobern und Amerika in eine deutsche Provinz verwandeln! Und wenn die bisherigen Beweise nur Bluffs der Engländer sind, dann steht eben fest, dass wir Amerikaner zu dumm sind, bessere Beweise zu finden. Das ist meine Überzeugung, Mr. Smith. Und nun reisen Sie nach Deutschland, bringen Sie Beweise, dass die Deutschen die Union erobern wollen. Schreiben Sie meinetwegen, die Deutschen seien tüchtige Kerle. Sind sie. Schreiben Sie, sie haben die besten Kanonen, die längsten Soldaten und einen genialen Generalstab und einen famosen Kaiser. Well. Haben sie. Aber schreiben Sie, dass die Deutschen die United States erobern wollen. Und bringen Sie Beweise. Dann kann die ‚World‘ nach Texas rutschen, und wir haben eine Million Auflage. Ich zahle gut, das wissen Sie, Mr. Smith. Und noch eins. Sie müssen nicht gleich von Deutschland wieder heimkommen. Sie müssen Beweise bringen. Sie reisen von Deutschland nach Afrika, Marokko. Das ist ein schönes Land. Ich bin dort in meiner Jugend als Kohlenschipper gewesen. Reisen Sie nach Marokko und Algier und Ägypten. Beweisen Sie, dass die Deutschen Marokko erobern wollen. Marokko und Algerien und Tunis und Ägypten. Vielleicht will ein deutscher Prinz König von Nordafrika werden? Beweisen Sie, Mr. Smith. Von Afrika gehen Sie nach Argentinien. Hören Sie, was man dort denkt, nicht was man sagt. Beweisen Sie, dass die Deutschen Argentinien vom Weltmarkt abschliessen wollen. Beweisen Sie, Mr. Smith, hier ist der Scheck."

    Harry Smith nahm den Scheck, klopfte die Zigarre ab und warf, so im Weggehen, noch schnell ein:

    „Wenn aber die Deutschen gar nicht so famose Kerle sind, Mr. Ellison? Wenn sie Amerika gar nicht erobern wollen? Und wenn sie überhaupt nicht smart sind?"

    „Dann beweisen Sie, dass es für Amerika besser ist, Baumwolle zu verkaufen als Schiesszeug. Dann schreien wir sechs Wochen lang: Wilson verkauft uns an die Engländer. Wilson bricht uns das Genick. Wir müssen unsere Baumwolle los werden. Wir sind berufen, den europäischen Frieden zu machen. Interwieven Sie Ford in Kopenhagen, Mr. Smith. Auf alle Fälle beweisen Sie! Entweder sind die Deutschen hier Aufwiegler, dann müssen wir der Justiz die Augen öffnen. Oder sie sind gute Kerle, hier wie überm Teich, dann muss Wilson Frieden machen. Dann wollen wir unsere Baumwolle los sein. Dann brauchen wir uns auch nicht an die Engländer anzuschliessen. Dann brauchen wir auch keine neuen Soldaten, die Wilson haben möchte. Also, Mr. Smith, beweisen Sie. Und fragen Sie mal in Deutschland nach, ob man wirklich siebenundzwanzig Millionen bei uns für Stimmung gegen England ausgegeben hat. Die Millionen sollten uns einen Krieg mit Mexiko einbrocken. Wenn auch das Staatsdepartement sagt, es sei nichts an den Millionen. Es ist doch etwas daran. Woher haben die Deutschen bloss das viele business? Schauen Sie sich mal um, Mr. Smith, wenn Sie in Deutschland sind, woher die Leute so viel Geld haben. Beweisen Sie. Pleasant journey!"

    Ein Händedruck. Mr. Smith ging. Marc Ellison vertiefte sich in den giftsprühenden Artikel eines Baltimorer Blattes. Die Leute in Baltimor wären am liebsten schon morgen gegen Deutschland gezogen. Marc Ellison las: „Auch Emmy Destinn sagt, Deutschland sei ein Land voll bewaffneter Sklaven.."

    Marc Ellison steckte die Pfeife wieder in den anderen Mundwinkel und machte: „Ham — die Destinn. Deutschland war für sie und andere god’s own country — eine Insel der Seligen ... jetzt spucken sie darauf ..." und er las weiter: „Kapitän Ruser hielt einen Vortrag, in dem ...

    Ooouuu ... Ruser, sagte Marc Ellison für sich. „Ruser ... that’s a gentleman.


    Harry Smith fuhr in die Redaktion hinauf, sagte seinen Freunden: „Ich reisen zu die Germans", und ging in sein Boardinghouse, um noch zu lunchen.

    Bei der Table d’hote erzählte er, dass er auf ein paar Monate nach Deutschland und dann nach Afrika gehe. Sein Chef halte die Deutschen für Verschwörer. Sie wollten Amerika erobern. Harry Smith schüttelte sich vor Lachen.

    „Das ist das böse Gewissen, sagte er. „Ich kenne mehr Leute, die so etwas fürchten. Meines Vaters Fabrik liefert monatlich für eine Million Dollars Waffen nach England und Russland. Mit diesen Waffen werden die Deutschen totgeschossen. Das macht auf die Dauer schlimme Nächte. Ein reines Gewissen fabriziert keine Schiesswaffen, wenn es weiss, dass damit Europa in ein Blutmeer verwandelt wird. Darum, und weil ich nicht auch Schiesswaffen machen wollte, habe ich mich mit Harry Smith senior überworfen und bin Journalist geworden. Ich habe keine Angst vor den Deutschen.

    Ein älterer Herr machte eine Pause im Kauen. Er war Einkäufer für ein grosses amerikanisches Schuhgeschäft.

    „Sie sind noch sehr jung, Mr. Smith. Darum sind Sie Idealist. Wenn wir nicht die Waffen liefern würden, machten die Japs das Geschäft. Lieber machen wir es."

    „Und wenn die Japs nicht wären, würden wir dann keine Waffen liefern?" fragte Harry.

    „Oh, dear, lachte der Kaufmann. „Ein Sprichwort sagt: Jeder für sich, und der Teufel hole den letzten. Sollen wir, wenn der Krieg aus ist, die letzten sein?

    „Warum schreien wir dann, dass sich die Germans nicht vom Teufel holen lassen wollen? ereiferte sich Harry, der im Grunde gar kein besonderer Deutschenfreund war, und dem die Leute über dem Teich im Grunde ganz gleichgültig blieben. Aber er war jung und hatte ehrliche Ansichten. Wenn einer beim Boxen unerlaubte Griffe machte, dann war der in Harrys Augen erledigt. Und die Amerikaner machten bei der allgemeinen Boxerei schlechte Griffe. „Die Zeitungen schreien, die Hessen hätten gegen Amerika gefochten. Aber sie schreiben nicht, dass uns im Bürgerkrieg fünfzehn deutsche Regimenter geholfen haben. Und sie sagen kein Wort vom General Steuben und von Karl Schurz und den andern. Die Amerikaner sollten endlich aufhören, die Deutschen zu beschimpfen, denn wenn diese nicht wären, dann könnten wir nicht jeden Tag beten: ‚Lieber Gott, erhalte den Krieg. Denn wir machen die besten Geschäfte!‘

    „Das ist aber doch eine tolle Sache, warf Mr. Bookmaker ein. „Sie reden wie ein Deutscher. Wir verdienen gar nicht so viel.

    „So? lachte Harry. „Mein Vater ist Mitaktionär der Hyatt Rosser Bearing Company in Harrison. Sie wissen ... in Neujersey. Die liefern für die Engländer und Franzosen. Sind Sie orientiert, was die Company Dividende zahlt? 1400 Prozent. Die Aktie ist von 50 auf 850 Dollars gestiegen.

    „Gut, sagte Mr. Bookmaker. „Freuen Sie sich, wenn Sie solche Aktien haben.

    „Und die Aktien der Behlehelm Steel Gesellschaft, die einen Marktwert von vierundeinerhalben Million Dollars hatten, ist auf 52 Millionen Dollars gestiegen. Und so bei allen Gesellschaften, die für den Krieg liefern. Im Zentrum aber sitzt Mr. Morgan und spinnt seine Netze. Er mästet den Krieg. Und dann baut er Kirchen!"

    „Hallo! sagte Bookmaker mit Nachdruck. „Sie reden wie ein Anarchist. Sind Sie Deutschamerikaner?

    „Meine Vorfahren wanderten vor neun Generationen ein, und mein Vater macht Kriegsgeschäfte, Mr. Bookmaker. Seien Sie beruhigt, ich bin an den 27 Millionen, die die Deutschen für ihre Propaganda ausgegeben haben sollen, unbeteiligt. Ich rede auch, ohne dass die Dollars in meine Taschen fliessen, gegen den Unsinn und gegen schlechte Tendenzen!"

    „Die U-Boote und die Zeps sind gute Tendenzen, erwiderte Bookmaker unter allgemeiner Beifallsbezeigung. „No, Mr. Smith! Die Deutschen sind Räuber!

    Darauf Harry Smith:

    „Mr. Bookmaker, das ist ein Unsinn."

    „Doch, Mr. Smith. Die Deutschen sind Mörder."

    „Und die Engländer?"

    „Die Engländer kämpfen für die Gerechtigkeit."

    „Auch in Ägypten?"

    „Ägypten ist ein Land ohne Kultur!"

    „Beweis, Mr. Bookmaker!"

    Aber Mr. Bookmaker wusste nur etwas von Niggern zu erzählen, und die ganze Tischrunde stimmte ihm bei. Denn dass die Ägypter auch nur Niggers seien, das stünde wohl fest, und die Niggers seien unreine Tiere, aber keine Menschen. Es sei lächerlich, für die Niggers zu kämpfen. Aber wenn eine Nation Frauen und Kinder ertränke — — Da wurde Harry Smith die Sache zu bunt. Er erklärte, es sei lächerlich, sich aufzuregen, wie andere Leute ihren Streit schlichteten, wenn man den Feinden dieser Leute das Messer in die Hand drücke. Und wenn Amerika seine Landsleute auf armierten Schiffen fahren lasse ... na, und so weiter, was aber der Tafelrunde nicht einleuchten wollte, besonders dem ehrenwerten Mr. Bookmaker nicht, der den ganzen Tag auf der Strasse umherlümmelte und Gott mochte wissen woher seine Gelder bezog. Vielleicht aus seiner Bummeltätigkeit am Hafen und seinen intimen Bekanntschaften unter den Dockarbeitern. Er wusste immer genau, welche Waren die Schiffe geladen hatten. Das ging Harry Smith durch den Kopf, denn er wurde plötzlich grob und nannte Mr. Bookmaker einen Heuchler. Der sagte, Harry Smith sei ein deutsch gefärbter Greenhorn. Da boxte Harry Smith dem Mr. Bookmaker drei Backenzähne ein, dann fuhr er nach Europa.


    Harry Smith sah sich Deutschland ganz genau an. Er fand, es sei eine besondere Sache um den preussischen Militarismus. Dieser war nicht Harrys Geschmack, aber er bewunderte das System. Die Deutschen sind famose Kerle, dachte er, die denken nicht daran, nach Amerika zu fahren, und Wilson ist blind gegen die Japs, weil die Germans nervös machen.

    Harry schrieb also nach vier Wochen an Marc Ellison: es sei das einzig richtige, Amerika verkaufe seine Baumwolle, denn die Engländer würden nie mit Deutschland fertig, und es sei eine Lüge, dass das Land keine Rohmaterialien habe und die Maschinen stillständen. Das Guggenheimer Syndikat in Chile, das bekanntlich eines der grössten Kupferbergwerke der Welt habe, lasse in Deutschland während des Krieges seine Maschinen bauen. Das sei ein Elfmillionenauftrag. Und die deutsche Ozon G. m. b. H. baue eben jetzt die Madrider Brunnen um, und die Rumänen liessen sich aus Deutschland ein paar Dutzend Lokomotiven kommen. Auf der Germaniawerft in Kiel lägen halbfertige Schiffe für Holland, und deutsche Ingenieure seien nach Rotterdam und Amsterdam gegangen, um dort weiterzubauen. Und wenn erst der Krieg zu Ende sei, dann würde die Produktion Deutschlands aufs neue einsetzen. Marc Ellison solle sich nur einmal vorstellen, was die Türkei für Deutschland dann bedeute. Mesopotamien! Syrien! Feldbahnen! Maschinen! Und die Volkswirtschaft sei auch während des Krieges auf der Höhe. Die Banken hätten das volle Vertrauen des Publikums. Es kämen verhältnismässig weniger Konkurse vor als in Amerika — kurz und gut, die Deutschen ständen famos, und der Michel werde wohl mit dem Daumen auf Ägypten drücken. Wenn erst die dicke Berta am Suezkanal eingegraben sei und auf die Schiffe im Kanal schiesse, dann sei der für die Engländer unpassierbar, und wenn dann in Indien der Tanz losginge, dann müssten die Engländer um Afrika herumfahren. In dem Falle wäre aber time mehr als money — kurz und gut, es sei an der Zeit, dass Amerika seine Baumwolle verkaufe und Wilson den Mund halte, denn die Deutschen wollten mit Amerika Handel treiben, nicht aber Neuyork erobern. Er, Harry, habe davon mit deutschen Offizieren gesprochen, und die seien vor Lachen beinahe gestorben. Er sei sehr beleidigt gewesen, dass man die Amerikaner mit ihren Ideen nicht mehr ernst nähme, aber daran seien nur die Engländer schuld. Amerika solle Baumwolle schicken und Frieden machen, denn es sähe ganz so aus, als ob die Engländer zuletzt kämen und der Teufel sie schon am Kragen hätte ... Er, Harry Smith, bedauere zwar persönlich, dass die Deutschen jetzt so mächtig würden, denn seine Freunde seien sie trotz allem nicht, aber sie seien einfach smart, und er müsse die Kirche seinem Dorf lassen und der Wahrheit die Ehre geben. Und so weiter.

    Marc Ellison würde diesen Brief sicher mit sechs druckschwärzeschwangeren Überschriften versehen und das Signal zu einer wütenden Pressfehde gegeben haben, womit er business gemacht hätte, denn es gab Leute genug, die Frieden haben wollten. Aber der schöne Brief Harrys kam nie nach Neuyork, weil die Engländer, die für die Gerechtigkeit streiten, die deutsche Post auf offener See kaperten und durch ihren Zensor säubern liessen. Harrys Brief befand sich aber nicht unter den gesäuberten Briefen, und Marc Ellison fand, dass die Zinsen seiner tausend Dollars auf sich warten liessen.

    Harry Smith reiste indessen wohlgemut weiter nach Afrika.

    Der Weg führte ihn durch die Schweiz. Von da wollte er weiter über Lyon nach Marseille.

    Er hatte Empfehlungen an zwei Berner Familien. Bei der einen blieb er zu Abend. Man hatte Gäste. Mit dem raschen Auffassungsvermögen, das ihm gegeben war, durchschaute er das System der Kaste, das hier an Stelle der gesellschaftlichen Privilegien getreten war. Die Patrizier sind abgeschlossener als die deutschen Adligen, und an Stelle des persönlichen Regiments ist Ihre Majestät „die Masse" getreten. Wie wenig passen die engen Seelen in den historischen Rahmen der einzigartigen Stadt, die sich versteinert hat in ihrer Vergangenheit: Wie ein trotziger Eindringling steht der Bundespalast, trotzig, in breiter Machtfülle, der Alpenkette des Berner Oberlandes gegenüber.

    Die Rede drehte sich natürlich um den Krieg. Der amerikanische Berichterstatter war bald in eine heftige Auseinandersetzung mit einem Baseler Millionär verwickelt, der dem „heiber Dütschen" den Teufel an den Hals wünschte; und als sich gar ein Lausanner Journalist in die Unterhaltung mischte, da kam der Amerikaner gar nicht mehr zu Wort.

    „Die Deutschen, sagte der Lausanner, dessen Adern an der Stirne schon beim Klang des Wortes schwollen, „die Deutschen sind Barbaren, bêtes! Sie kommen von dort? Sie wollen widersprechen? O mon Dieu! Kommen Sie einmal nach Genf! Überhaupt in die welsche Schweiz! Man wird Ihnen erzählen von den Greueln dieser Deutschen! Je vous demande pardon — Sie sind enttäuscht, mais — wir kennen die Wahrheit —

    Endlich kam Harry Smith zu Worte.

    „Sind Sie Zeuge eines jener Verbrechen gewesen, deren man Deutschland beschuldigt?"

    „O non ... mais non — ich bin Neutraler — aber — on raconte — tout le monde raconte — die Deutschen sind Barbaren — oh, monsieur, in Genf ist eine Anstalt, darinnen befinden sich dreihundert belgische Jungfrauen, die —"

    Das Gespräch wurde unterbrochen. Der Amerikaner erhob sich. Er war nicht überzeugt, aber beeinflusst. Er fand, dass es schwer war, für Deutschland zu sein, da die ganze Welt dagegen war. Er zog sich bald unauffällig zurück. Aus dem Wortschwall des Lausanner tönte ihm noch nach — le Kaiser — oh, le Kaiser — messieurs —"

    Die Stimme des Sprechers überschlug sich. Harry Smith verabschiedete sich. Am nächsten Tage fuhr er weiter.

    Die Reise ging nach Lyon.

    Er fand die Stadt in grosser Aufregung und hatte das Glück, Zeuge des Empfangs zu werden, den König Nikita auf französischem Boden fand. Harry hatte unterwegs gelesen, Montenegro habe Frieden mit Österreich-Ungarn geschlossen. Der schlaue Nikita hatte rechtzeitig das sinkende Schiff des Vierverbandes am Balkan verlassen und die Standarte des italienischen Schwiegersohnes in berufenere Hände abgegeben. Harry machte also grosse Augen, als er die Freundschaft bemerkte, die man dem flüchtigen Könige entgegenbrachte, und mit noch grösseren Augen las er die Erklärungen des montenegrinischen Generalkonsuls, es seien mit Österreich niemals Friedensverhandlungen eingeleitet worden, Nikita dementierte seine Minister, die montenegrinische Regierung dementierte Nikita, die Österreicher dementierten beides zusammen, und hissten ihre Fahnen in Skutari. Harry Smith schrieb an Marc Ellison, es habe den Anschein, als sei Nikita von Frankreich mit offenen Armen aufgenommen worden. Diese Umarmung sei leidenschaftlich und werde wohl sehr, sehr lange dauern. Harry suchte eine Gelegenheit, von König Nikita empfangen zu werden. Der flüchtige Herrscher tat dem Amerikaner um so lieber den Gefallen, als er die Welt von seinen Leiden wissen lassen wollte. Denn er wünschte nicht, dass man immer wieder an seine Rechenkunststücke erinnerte und hinter der Operette von Lyon den abgekarteten Bluff des besten Maklers vom Balkan vermutete. Der König erzählte dem Amerikaner sehr ausführlich von den Fliegerangriffen auf Cetinje. Die königliche Familie hatte manche Stunde bei Kerzenlicht im Keller des Schlosses verbracht, während Prinz Peter den Lowcen verteidigte. Schliesslich musste die Familie fliehen. Der König kam gerade noch bis Skutari. Da dort die Flieger der Österreicher ihm gefährlich wurden, ritt er nach San Giovanni di Medua, begleitet von acht Gardisten — in ähnlicher Verfassung wie vor ihm der Karageorgewitsch von Serbien. In einem Unterseeboot ging die gefahrvolle Reise nach Italien und dann weiter nach Lyon ... „und schreiben Sie, ich habe nie den Frieden gewollt. Montenegro habe sich bis auf das letzte Gewehr verteidigt. Aber wir hatten keine Lebensmittel mehr. Wir wurden von der ganzen Welt im Stich gelassen. Und was soll werden? Wir haben 100 Millionen Schulden und nichts als Papiergeld. Aber die gerechte Sache wird siegen. Montenegro kann und darf nicht untergehen. Die Balkanfrage ist noch lange nicht entschieden ..."

    So und ähnlich sprach König Nikita. Harry Smith dachte, dass diese Reden dasselbe besagten wie alle die offiziösen und amtlichen Kundgebungen, mit denen die Welt überschwemmt wurde. Aber auch diesen Bericht erhielt Marc Ellison nicht, denn die französische Zensur erstreckte sich nach dem Prinzip der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auch auf den König von Montenegro, und die Regierung fand, dass Nikita mehr sagte, als der Sache des Vierverbandes zuträglich war. Und da man augenblicklich mit Washington ganz besonders vorsichtig verkehren musste, so strich die Zensur den schönen Artikel von „Lyon bis „entschieden und fragte bei Harry Smith an, ob er noch Wert darauf lege, ihn abzuschicken. Harry Smith rächte sich durch einen Artikel über die geheimen Verhandlungen zwischen dem montenegrinischen Ministerpräsidenten und der Pariser Regierung, sowie den italienischen Vertretern. Er machte sich über die Reise Briands nach Rom lustig, denn man sprach in Lyon offen von der Missstimmung in Italien. Viktor Emanuel sollte tief entmutigt sein durch den bisherigen Gang der Ereignisse. Die französischen und italienischen Zeitungen schlugen sich in wütenden Pressefehden, die Pariser waren ungehalten über die Engländer, die Engländer tadelten die Russen.

    Diesen Bericht übergab Harry dem amerikanischen Konsul, in der Hoffnung, dass Marc Elliot nun endlich wieder von seinem Korrespondenten höre. Der amerikanische Konsul aber war ein guter Freund des ehemaligen Münchener amerikanischen Generalkonsuls und wusste, dass Präsident Wilson mit Leuten, die gegen den Vierverband stänkerten, kurzen Prozess machte. Er lehnte daher die Übersendung des Berichtes Harry Smiths ab, und dieser sandte nun den Brief kurzerhand mit einem holländischen Dampfer nach Amerika. Aber der Holländer hatte das Missgeschick, von einem englischen Kriegsschiff durchsucht zu werden, und da die Engländer für sich die Freiheit der Meere in Anspruch nahmen, so eigneten sie sich auch die neutrale Post an, und Harrys Bericht kam wieder nicht in Marc Ellisons Hände. Hingegen war in dem Boardinghouse, in dem Harry zuletzt gewohnt, ein Brief aus Deutschland angelangt, und als Marc Ellison anfrug, erhielt er den Bescheid, dass Harry wohl in Deutschland angekommen, dort aber vielleicht verschollen sei.

    Mr. Bookmaker nahm sich sogleich des mysteriösen Falles an und beschloss, ihn zu verfolgen.

    Inzwischen reiste Harry Smith weiter nach Marseille.

    Kurz vor der Abfahrt des Zuges bekam der Amerikaner Gesellschaft. In sein Coupé stiegen ein französischer Kapitän und zwei Zivilisten. Der eine von den letzteren war Franzose ... schmächtige Figur, rasche, temperamentvolle Bewegungen, lebhafte Augen, schwarzer Spitzbart. Der andere, ein Englishman, hatte einen schmalen Kopf. Das Gesicht war von kühler Regelmässigkeit. Keine Linie, keine Falte störte die Symmetrie der Züge. Alles war klar, sicher, zielbewusst. Nur um den Mund störte ein brutaler Einschlag. Die grauen Augen blickten so ruhig, dass sie beinahe starr wirkten. Ihr Blick senkte sich schwer und bezwingend auf den, den sie forschend trafen. Das Haar dieses mit ausgesucht einfacher Eleganz gekleideten Reisenden war an den Schläfen ergraut. Es war schwer, sein Alter zu beurteilen. Es konnte zwischen vierzig und Ende fünfzig geschätzt werden.

    Die Franzosen grüssten freundlich. Der andere lüftete ein wenig die Mütze. Harry verhielt sich schweigsam. Der Engländer verwickelte den Kapitän in ein Gespräch. Der antwortete verbindlich, aber ohne besondere Liebenswürdigkeit. Kapitän de Reynier reiste nach Marokko und Algerien. Er sah übermüdet aus. Trotz der tadellosen Uniform sah man ihm an, dass er mit dem Kriege ernste Bekanntschaft gemacht hatte.

    Und in der Tat war die Lebensgeschichte des Marquis keine gewöhnliche. Von glühendem Patriotismus erfüllt, liess er sich gleich bei Ausbruch des Krieges an die Front senden. Er machte die unglücklichen Septembertage mit. Er lag den Deutschen Monate um Monate in Schützengräben gegenüber.

    Allmählich lernte der Kapitän das ganze Unglück seines Landes kennen. Er begriff, dass die Phrasenhaftigkeit der unfähigen Regierung Frankreich immer mehr einem Abgrund entgegensiss. In den heissen Kämpfen in der Champagne lernte er die Uneinigkeit kennen, die die französischen Generale nutzlos die besten Soldaten opfern liess. Reynier machte die Bluttage von Bagatelle mit, General de Ville wollte die verbrauchte Truppe schonen, Duchesne verlangte, dass man sie opfere. Der Kapitän hatte französischen Landsturm unter sich. Er sah die braven Männer fallen, um die Witwen und Waisen ihr halbes Leben vertrauern würden. Er sah sie nutzlos fallen. Erbitterung und Mutlosigkeit ergriffen allmählich den tapferen Offizier. Er schrieb nach Hause an seine geliebte Gattin Eugenie:

    „Wir sind stets blind, wir Franzosen! Wie wäre es doch viel besser gewesen, unsere äussere Politik zu ändern und ihr eine andere

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