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Die schöne Anna von Hake auf Scheventorf
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Die schöne Anna von Hake auf Scheventorf

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Der Geschichtsroman befasst sich mit der Sage um die Schöne Anna von Hake, die während des Dreißigjährigen Krieges wegen einer nicht standesgemäßen Liaison lebendig in der Burg Scheventorf eingemauert worden sein soll. Anna von Hake soll im 17. Jahrhundert einen Förster oder einen Knecht geliebt haben.-
LanguageDeutsch
PublisherSAGA Egmont
Release dateDec 25, 2015
ISBN9788711464830
Die schöne Anna von Hake auf Scheventorf

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    Die schöne Anna von Hake auf Scheventorf - Bernhard Köster

    Riese

    1.

    Auf Scheventorf war heute mancherlei Besuch. Darum war auch den ganzen Tag die Zugbrücke heruntergelassen, und auf dem Burgfried flatterte die Fahne mit den Scheventorfer Farben. Im Schloßhof war buntes Leben. Das kam von den vielen Kindern, die sich allmählich über die Zugbrücke geschlichen hatten. Sonst durften sie niemals über das Wasser, aber nun heute – o wie fein! – Die Brücke war immer heruntergelassen, und man konnte ganz nach Belieben hin- und herlaufen. Schön war es, die Pferde zu besehen, im Hof und im Stall; einige hatten noch die bunten Schabracken aufliegen. Freilich, den Reitknechten mit ihrem Brustharnisch und den Beinschienen durfte man nicht zu nahe kommen, wenn sie aus dem Teiche Wasser holten. Denn die schrien und fluchten fürchterlich und hauten mit ihren eisernen Fäusten so schrecklich grob zu, daß man meinte, der Kopf flöge einem auseinander.

    „Jetzt, du, guck mal dahin, aus der Burg da, der Ritter mit den wallenden Federn, ist das der Harkotten?"

    „Ist doch nicht der Harkotten, ist doch unser eigener; hast unsern Ritter von Hake noch nie gesehen?"

    „Oh, wie du lügst, hab’ ich nicht neulich erst Ritter Hake vor der Kirche in Glane gesehen? Und da – – –"

    „Und da lügst du jetzt, das war er ja gar nicht, das war ja der Herr von der Krankenburg."

    „Still doch! Was ruft der Kerl da?"

    Der Kerl war wirklich der Ritter Harbort von Hake und bestellte dem Nesselroder Reiter, daß er die Pferde wieder absatteln sollte, weil sein Herr lange noch nicht reiten könne, und die Zugbrücke sollte sofort herauf! – Damit ging er wieder in die Burg zurück.


    Der Nesselroder hatte seine Pferde mit großer Sorgfalt gezäumt und gesattelt. Er schimpfte und brummte also, daß nun die ganze schöne Arbeit für nichts gewesen sein sollte. Was wußte auch dieser grobe, einfältige Tölpel von den wichtigen Dingen, die die großen Herren jetzt in den Kopf zu nehmen hatten. O weh, was glühten die Gesichter da oben im Saal der Scheventorfer Wasserburg. Das kam von den eifrigen Beratungen. – „Ach was, sagten die Reitknechte, „das Glühen kommt bloß von all dem Burgunder und Tokaier, den sie da oben pokulieren.

    Aber die Reitknechte hätten bloß hören sollen, wie sie da oben durcheinander schrien und berieten. Es war gerade der Spanisch-Niederländische Krieg in vollem Gange, und hier im Osnabrükker Lande, so nahe der holländischen Grenze, verging doch kein Tag in den letzten Jahren, wo man sich nicht einen neuen Unfug, Raubzug oder Spuk erzählte. An einem Ort hatten die Spanier geplündert, am andern die Holländer, man nannte sie auch wohl die Statischen, auch wohl die Geusen, und wieder an andern Orten hatten einfach bewaffnete Räuberbanden ganz grausamlich gehaust. Vor Bewaffneten hatten die Bauern solchen Schrecken, daß ihrer zwanzig feldein stürmten, wenn sich ein Harnisch oder eine Kriegslanze sehen ließ.


    „Es ist weit gekommen mit unserer lieben Heimat, sagte Herr Korff-Schmising von Harkotten, „unsere Dörfer sehen entsetzlich aus. Glandorf zum Beispiel ist kürzlich wieder einmal gründlich geplündert, und zwar diesmal von sechzig Engländern, die aber freilich im Solde der Generalstaaten waren; und dabei ist es vor zwei Jahren noch von den Statischen bis auf den letzten Faden ausgeraubt worden. Ähnlich in Laer. Nach Füchtorf kommen sie auch, aber meist nachts und ganz rasch; werden doch wohl Respekt haben vor unseren Reisigen. Die Angst der Menschheit ist so entsetzlich, daß sie fliehen und sich verstecken, sobald sie irgendein fremdes Gesicht sehen. Ja, Ihr mögt es glauben oder nicht: Ich habe heute, als ich mit meinen Knechten über Glandorf hierher ritt, auf dem ganzen weiten Weg auch nicht ein einziges menschliches Wesen zu Gesicht bekommen; Krähen und Kaninchen wohl, auch einen Hasen, aber Menschengesichter? Nicht ein einziges!

    „Kommt alles nur von den aberwitzigen Religionsstreitereien. Die Spanier sind nun einmal so schrecklich katholisch, sagte der dicke Kerstapel von der nahen Schleppenburg und dehnte sich dabei behaglich in einem breiten Polstersessel am Kamin; „wenn die Mynheers bloß von ihrem reformierten Glauben lassen wollten; aber das tun die Dickköpfe auch nicht. Wären sie nur alle so vernünftig wie ich und der Harbort.

    Dabei schlug er dem Ritter von Hake, der neben ihm saß, mit der fleischigen Rechten auf den Oberschenkel.

    „Was haben wir gemacht? Wir haben unsere Federfuchser zum Fürstbischof geschickt, er solle uns in Glane neben dem katholischen Pater auch einen lutherischen Prädikanten verstatten!"

    „Was ist das? fuhr der Nesselroder von Palsterkamp auf, „wollt Ihr zwei lutherisch werden?

    Auch Korff-Schmising sah starr auf den Schleppenburger: „Ich meinte, euer Klosterpater in Glane wäre ein so umgänglicher und feiner Mann? Ist doch der Herr von Kneheim?"

    „Ach was, Kloster hin, Kloster her; wenn die Papen mir nicht einmal in der Ostenfelder Mark meine Gerechtigkeit zukommen lassen wollen, dann mag sie mitsamt dem Prior und dem Abt und dem Kellner der Teufel holen! Ich halte es damit, zwei Eisen im Feuer zu haben! Harbort, ich bring’ dir’s!"

    Harbort von Hake sah ihn freundlich an und tat ihm Bescheid, sagte aber nichts von seiner Zwei-Eisen-Theorie.

    „Wie habt Ihr’s denn, Freund Hake? fragte der Nesselroder, „tragt Ihr auch auf zwei Schultern?

    Ritter von Hake lenkte ab: „Ich meine, das ist jetzt nicht unsere dringendste Sorge; das können wir auf später vertagen. Heute sind wir hier zusammen, um zu beraten, wie wir uns und unsere Leute und unsere Burgen gegen das Raubgesindel schützen. Habt Ihr das Neueste schon gehört? Auf der Burg Wolbeck sind zwölf Landzwinger eingebracht, die hatten bei Ostbevern dreizehn Osnabrücker Pferde geraubt und beim Kloster Rengering zwei Iburger Bürger ausgeplündert und halbtot geschlagen. Jetzt hat sie der münstersche Fürst."

    „Herr Gott im Himmel, schnaufte der Kerstapel dazwischen, „jeden Tag neue Raubstücke, und dann die ‚wilden Geusen‘.

    „Ja, ja, also der Münstersche hat die Frevelanten unserm Fürsten hinführen lassen, und der hat sie in Osnabrück mit goldenen Ketten aufgehängt."

    „Eiserne hätten’s auch getan, sagte der Schleppenburger. – „Also was nun?

    Korff-Schmising riet: „Vor allem muß jeder von uns seine Knechte und alle seine Gewaffen Nacht und Tag parat halten und muß wissen, daß er zu jeder Stunde seine gesamten umwohnenden Leute rufen kann. Ich bringe vierzig Gewaffnete auf die Beine, sie kennen alle genau meinen Hornruf und auch die Burgglocke."

    Herr Nesselrode von Palsterkamp meinte, in jedem Anfall müßten doch die Ritter und Burgherren sich gegenseitig helfen und benachrichtigen, wenn eine von ihren Burgen überfallen würde. Denn auf den Fürsten und auf Iburg könne man sich nicht verlassen.

    Ritter von Hake stimmte ihm lebhaft bei: „Nein, auf Iburg ist wirklich kein Verlaß, da sitzt der Abt mit seinen Benediktinern in dem großmächtigen Gebäu und kann sich selbst nicht mal verteidigen, und dann das Bischofshaus mit dem Bischofsturm dabei – ja, ja, es sind ja schon einige Landsknechte und einige Reuter da, besonders wenn der Fürst hier wohnt. Aber bis sein Drost endlich beredet ist, uns davon etwas zu schicken, sind die Räuberbanden entweder längst auf ihren schnellen Gäulen entflohen, oder wir sind allein mit ihnen fertig geworden, und sie baumeln an unseren Eichen; darum ist Nesselrodes Vorschlag sehr wichtig, Ihr Herren."

    Damit hob er den Pokal und trank dem Palsterkamper kräftig zu. Ritter Harbort von Hake konnte sehr freundlich sein, und heute war er es auch wirklich. – Er war ein stattlicher Mann in den besten Jahren, eigentlich kein geborener Hake, sondern einer von Langen aus der Grafschaft Lingen, ob von Spiek oder von der Kreienburg oder Venhaus oder – nun, man wußte es nicht genau, war ja auch nicht wichtig.


    Jedenfalls war Ritter Harbort auf den Nachbarburgen wohlgelitten; und man bedauerte nur, daß seine meistens kränkliche, blasse Frau so gar nicht zu ihm paßte. – wenigstens schien es so nach ihrer stillen, fast ängstlichen Art.


    Jetzt eben fragte der von Harkotten ihn: „Wie geht’s Frau Heilwigis?"

    Ritter Harbort zog sein Gesicht in bedauernde Falten: „Ach Gott, liebwerter Nachbar, es ist ein Elend. Sie liegt in letzter Zeit oft zu Bette und ist immer am Klagen, wenn man sie besucht."

    „Gesunde Weiber sind eine nützliche Sache auf der Burg, behauptete wichtig der Kerstapel; „aber solche Dinge kommen später. Erst laßt uns über die Räuberhülfe zu Ende sprechen. Ich meine, die Kerle sollten beharrlich verfolgt werden. Sie verjagen, genügt in keinem Fall. Und dann sie ohne Ausnahme und ohne Gnade sofort aufhängen, wie’s unser Fürst ja auch macht.


    Viel weiter kam man aber nicht in der Beratung. Nur daß man sich noch gegenseitige schnellste Benachrichtigung und nachdrücklichste Hülfe versprach. Und das war doch alles eigentlich ohne Beratung schon selbstverständlich.

    Aber so ging das meist auf Scheventorf, besonders wenn der Kerstapel von Schleppenburg dabei war. Da wurde tapfer pokuliert und nicht minder tapfer getafelt. Harbort Hake machte es seinen Gästen sehr behaglich, und meist war es spät in der Nacht, wenn die Herren Gäste nach Palsterkamp oder Helfern, oder Iburg, Osnabrück, oder Bevern und Harkotten strebten. Es war auch heute nicht anders. Die Herren waren so lebhaft und laut in der Unterhaltung, daß noch niemand an das Nachtessen dachte. Nur Kerstapel hatte ein- oder zweimal erwartend nach, der Saaltür geschaut. Da zogen zwei Diener in schmucker Liverei herein, der eine mit Zinntellern und Bestecken, der andere mit einer mächtigen Schüssel Ochsenzunge.

    Kerstapel räusperte sich, schrie „Attention!" und setzte sich in Positur. Er bekam auch die riesige Platte zuerst und sorgte sich gründlich vor. Nur langsam folgte die eine Schüssel der andern. Man hatte Zeit dazwischen; die Pausen waren leicht auszufüllen, indem man die Becher kreisen ließ. Kerstapel stimmte auch schon einmal ein Soldaten- oder Schelmenlied an.

    Ritter Korff fragte besorgt: „Euer Gemahl wird doch nicht durch unser lautes Sprechen gestört?"

    „Behüte Gott, Herr Nachbar, Frau Heilwigis liegt eine Stiege höher, ist ja auch nicht krank auf den Tod und kann von uns hier nicht den mindesten Laut hören."

    „Lippold!" – Das galt dem Mundschenk. – Der stürzte geradezu heran. Man sah, Ritter Harbort hielt auf rasches Folgen.

    „Lippold, Malvasier holen, sämtliche Becher neu füllen!"

    „Auf die Gesundheit der edlen Burgherrin!" sagte Korff-Schmising.

    „Und die der liebreizenden Frau Juttilde auf Harkotten", erwiderte Harbort Hake mit großer Höflichkeit.

    Indes half Nesselrode mit rauher Kehle seinem Schwiegervater singen. Endlich sang auch Ritter Hake. Bis dann der Harkottener aufstand und heimwärts begehrte. Aber, das war leichter gesagt als ausgeführt. Kerstapel ließ ihn einfach nicht an sich vorbei, und auf der anderen Seite hinderte der hohe Kamin. Also Korff setzte sich wohl oder übel wieder hin. Weiter ging das Zechen und Singen. Gelegentlich eine scharfe Bemerkung über die Domherren, besonders Klaus Bar und Beverförde schienen ihnen nicht zu behagen, gelegentlich auch sehr derbe Witze. Korff und Hake hielten sich aber zurück, nur lachte Ritter Hake aus Herzensgrund mit Kerstapel und Nesselrode.

    Endlich kam doch der lange hinausgeschobene Aufbruch. Viel Unruhe und Lärm in der Halle, bis die Ritter mit Brustharnisch und Wehrgehänk versehen waren, Noch mehr Lärm draußen, wo die Landsknechte ihren Herren in die Sättel halfen. Korff sagte noch: „Ich hätte Frau Heilwigis noch aufsuchen wollen, wie mich auch mein Gemahl gebeten hat. Bestellet Ihr doch, Herr Nachbar, unsere guten Wünsche."

    „Das tue ich mit tausend Freuden. Ich hoffe, das nächste Mal begrüßt sie selber Euch im Saal."

    „Walte es Gott!"

    Inzwischen war auch Herr Kerstapel reisefertig; nicht in Panzer oder Koller, sondern in ein dickes, warmes Wams gehüllt, auch nicht oben auf Rossesrücken, sondern in einer niedrigen, äußerst behaglichen Sänfte, deren Gebrauch er jedem, der es hören wollte, mit vollen Backen empfahl. Dann verschwand der ganze Menschentrupp über die große Zugbrücke auf die Heerstraße zu, die Osnabrück mit Münster verband. Nur Kerstapels Sänfte schaukelte langsam nach Schleppenburg fort; die Flüche und Scheltworte des ungeduldigen Herrn im Innern der Sänfte verklangen erst allmählich.

    Ritter Harbort sah noch aufmerksam zu, wie die Zugbrücke aufgezogen und die Kette gehörig festgemacht wurde, fragte mit hartem Klang in der Stimme, wer die erste Wache hätte, und schlug die Saaltür ohne ein weiteres Wort hinter sich zu. Er warf sich in einen Sessel und brütete mit finsterm Gesicht vor sich hin. Dann holte er sich Wein, weißen und roten, trank mehrere große Pokale in langen Zügen aus, aß auch von dem kalten Wildfleisch auf dem Tisch und wanderte zwischendurch im Saal auf und ab. – Was bewegte den einsamen Mann? Freundliche Gedanken waren es, nach dem mürrischen, verdrossenen Blick zu urteilen, nicht. Mehrfach blieb er auch stehen, starrte mit großen, wilden Augen empor und lauschte. Aber da regte sich nichts.

    „Will doch mal nachsehen, ob – nein, Torheit, morgen sehe ich schon alles. Was soll ich nur, damit diese Nacht –"

    Wahrhaftig, jetzt ballt er die Faust aufwärts zur Zimmerdecke, knirscht mit den Zähnen, ingrimmig starren seine Augen nach oben. Sein eben noch rotes Gesicht wird aschgrau. – War das noch der ruhige, gesetzte und immer freundliche Ritter Harbort? Ein ganz fremdes, wahrhaft erschreckendes, verzerrtes Männerantlitz starrte da im Saal herum. – Allgemach verloren die Augen das gräßliche Starren, wurden matter. Er stand still auf einem Fleck und starrte vor sich hin. Da wurde der Blick schon wieder stier:

    „Was sind das für Tropfen auf den Buchendielen? Ist das – allmächtiger Gott! – ist das – Blut? Satan!!"

    Schon kniete er am Fußboden und wischte mit der Handfläche die Tropfen auf, besah sie, lachte laut auf und sah sich ängstlich um. Dann ging er rasch durch eine Seitentür des Saales. Ein paar Augenblicke war alles still, dann sprang er wieder in den Saal, auf die Kerzen zu und löschte sie aus, bis auf eine, die er mitsamt dem wuchtigen kupfernen Leuchter mitnahm, verrammelte die Saaltür mit einem starken Balken und lief wieder durch die Seitentür weg. Der Saal lag finster und totenstill.

    2.

    Totenstill – das qualvolle Schluchzen der zwei jungen Frauen da oben in der Burg hörte man im Saal nicht.

    Was war doch nur auf diesem Scheventorf? – Eng hielten die beiden sich umschlungen, als wollten sie nie voneinander lassen. Aufrecht im Bett saß die eine, und zu ihr beugte sich die zweite, jüngere, und barg ihren Kopf in dem aufgelösten Haargelock der älteren.

    „O Anna, nun laß mich! Anna, mir ist so elend, so furchtbar elend, ich kann nicht mehr sitzen!"

    Anna gab sie frei, und sie sank wie ohnmächtig in die Kissen. – So leichenblaß lag sie da, die Augen geschlossen, daß man sie für tot halten mochte. Aber plötzlich fuhr sie wieder auf, zuckend vor Pein und innerer Qual:

    „O Anna! Anna, hilf mir, gib mir zu trinken! Hat der Pater denn gar kein Mittel?"

    Anna hatte so lange vor dem Bett gekniet; mit unendlicher Zärtlichkeit faßte sie die eiskalten Hände der Schwerleidenden und preßte sie an ihre Lippen.

    „Heilwig, liebe Heilwig, warte nur, ich gebe dir etwas!"

    Sie reichte ihr von der Medizin, die der Pater von der Krankenburg geschickt, etwas Rotwein hatte sie dazu gemischt.


    „O wie schrecklich! seufzte Heilwig. „Riech doch nur, so etwas kann mir doch nicht gut sein. Wie kann der Pater nur so etwas schicken? Ach, möchtest du nicht morgen zu ihm gehen, um eine andere Latwerge, und zeige ihm doch diese, die unmöglich richtig sein kann! O Anna, o Anna! – die junge Frau warf ihre Arme um Annas Hals – „gib mir zu trinken, ich verbrenne vor innerlichen Schmerzen!"

    Anna wendete das Gesicht weg, um der Schwester ihren Gram und ihre Tränen zu verbergen, und hantierte am Tisch mit den Gläsern herum.

    Nun lag die Kranke wieder wie tot in den Kissen. Anna war allein mit ihren verzweifelten Gedanken. – Ach, wenn doch wenigstens die Wendelburg noch hier wäre! Die war doch treu. „Du hast sie uns weggenommen! – drohend ballte sie ihre schmale Hand nach der Zimmerdecke – „du, du! – Heiße Tränen ohnmächtiger, hilfloser Wut strömten über ihr Gesicht. „Du – du Scheusal ohne Mitleid, ohne Herz, du Menschenquäler! Du hast uns auch die Goda weggejagt! Du allein! Warum? Weil sie zu uns hielt und nicht zu dir! Du – du!"

    Hinreißend schön war die Anna in ihrem Schmerz und Zorn! Die „schöne" Anna Hake, sagten die Bekannten, sagten auch die Leute von Scheventorf und Glane bewundernd, und sie hatten wahrhaftig recht. Diese entzückende, ja berückende Schönheit hatte sie als Kind schon vor ihren Altersgenossinnen ausgezeichnet, manchen rohen Jungen zu stummer Begeisterung gezwungen, war ihr unvermindert geblieben ins Jungfrauenalter hinein. Wer sie sah, war entzückt! Unschuldig und kindlich gutmütig war Anna Hake immer durchs Leben gegangen mit ihrem lieben, süßen Madonnengesicht! Aber die schreckliche Krankheit ihrer ach so heiß geliebten Heilwig hatte sie verändert. Sie zwei waren ja immer ohne Vater, ohne Mutter gewesen, immer allein, mit fremden Leuten auf der großen, weiten Burg. Keine Freude, keinen Schmerz, den sie nicht gemeinsam empfunden, gemeinsam getragen. Und jetzt lag Heilwig da in ihren Qualen, und sie konnte ihr nicht helfen. Wenn doch wenigstens dieser Harbort – still, kam er da die Stiege herauf? – Sie lauschte mit wild pochendem Herzen. Nein, Gott Lob, es war nichts! Du, du da unten! Wieder ballte sie die Hand.

    „Mußt nicht schelten, Anna, bitte, nicht! sagte Heilwig ganz leise, matt wie ein Hauch. „Ist doch der Vater unserer Kinder. Anna, schlafen die Kinder alle gut?

    „Will gleich eben schauen!"

    Anna ging leise hinaus. – Ja, da lagen die zwei Schwesterchen und schliefen mit zart geröteten Wangen. Anna beugte sich still und leise über sie und berührte mit ihren Lippen die Kinderstirnen, und da der kleine Kerl in seiner Wiege, der Lukas, wie ein Englein so schön, ganz wie Heilwig, gar nicht wie Harbort. – Zu den zwei größeren Jungen ging sie nicht, sie mußte erst zurück und nach der kranken Schwester schauen.

    „Schlafen alle schön! beruhigte sie die Kranke. „Wie ist dir jetzt?

    „Schlecht, ach, so schlecht, Anna! – Heilwig faßte tastend nach ihrer Hand – „Anna, wenn ich – sterben muß, verlaß – meine Kinder nicht! Oh, es wird dunkel – die Kerze –

    Anna starrte entsetzt auf sie, die Kerze brannte hell wie immer. Da lag Heilwig, weiß wie eine Leiche – atmete nicht.

    „Sie stirbt, sie stirbt! schrie sie auf, „und niemand – niemand – Heilwig schlug matt die Augen auf: „Anna, verlaß meine Kinder nicht – ich sterbe noch nicht! Angsterfüllt hingen die Augen der todkranken jungen Mutter an dem Blick der Schwester. „Anna, verlaß . . .

    „Heilwig, glaub doch nicht, daß ich deine Kinder je verlasse. Eher lasse ich mich in Stücke zerreißen! Sei ganz, ganz ruhig!"

    Es war, als wenn ein Lächeln wie ein Leuchten über das Gesicht der armen Dulderin ging. Anna flüsterte: „Nein, Liebe, nie in meinem Leben, und wenn der Harbort –" Da winkte die Kranke müde mit der Hand ab.

    Anna verstummte. Es war, als ob Heilwig ein wenig schlummern könne. Sie strich sich aufatmend durch das zarte Gesicht, kniete lange da und schaute in das liebe Antlitz der Schwester. Endlich stand sie auf und setzte sich in den Ledersessel, bedeckte das Gesicht mit den Händen und weinte und weinte und hörte gar nicht wieder auf zu weinen.


    Es waren wirklich zwei arme, arme Menschen da in der einsamen, totstillen Nacht. Keine Magd, kein Diener, keine Pflegerin, ganz allein! Wäre die gute Wendelburg noch da, dann ginge ich morgen früh gleich zur Krankenburg, ob dann nicht ein heilkundiger Pater mit mir kommen möchte. Aber ich muß hier bleiben. Oh, lieber Vater im Himmel, erbarme dich über uns zwei verlassene Waisen, habe Mitleid – Barmherzigkeit! – Ihre Lippen bewegten sich im Gebet. – Für kurze Minuten überwältigte sie der Schlaf. Aber dann sah sie wieder verstört um sich. Heilwig schien noch immer sanft zu schlummern. Anna betete leise weiter. Jetzt sieht sie starr herüber zur schlafenden Schwester. Wie war das Gesicht da vor ihr in den Kissen so wächsern und die Nase so

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