Heros Liebesfahrt
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Book preview
Heros Liebesfahrt - Artur Brausewetter
www.egmont.com.
1.
Leo Brabands „Zwielicht-Seelen liegen bereits in vierter Auflage vor. Wir wiederholen, was wir bei dem Erscheinen dieses merkwürdigen Buches sagten: „Das erste Suchen und Pochen eines Talentes, von dem unsere Literatur noch etwas zu erwarten hat. Es ist wunderlich, dass der Verfasser immer noch schweigt. Seit dem Erfolge dieses Romans ist kein Buch von ihm erschienen. Wann wird Leo Braband wieder sprechen?
„Wann wird er wieder sprechen?"
Leo flüsterte es vor sich hin, indem er eine Anzahl von Zeitungsausschnitten von sich schob, die ihm sein Verleger heute morgen zugeschickt hatte. Sie enthielten fast ausnahmslos warme Anerkennung für sein Buch. Nur durch viele unter ihnen klang, nur in anderer Fassung, dieselbe Frage: „Warum schreibt der Verfasser nichts Neues?"
Es war ja auch nicht so ganz leicht zu verstehen. Ein junger Dichter, der das seltsame Glück hatte, mit einem seiner ersten Werke Aufmerksamkeit zu erregen, und der sich nun bereits eine Reihe von Jahren hindurch in Schweigen hüllte!
„Wann wird er wieder sprechen?"
„Wenn er sprechen — muss! Wenn er etwas zu sagen hat, das wert ist, gehört zu werden. Und wenn er alles das, was ihm durch Kopf und Seele braust, innerlich so geklärt und durchdrungen hat, dass sein neues Werk seine Jugendarbeit in den Schatten stellt. Eher nicht. Begreift ihr das nicht, ihr Herren vom Fach? Oder ist der Dichter auch nur Kaufmann, Handwerker, Schächer? Ist die ganze Poesie unserer Tage nichts als ein scheinbar verzückter, innerlich so berechneter Tanz um das goldene Kalb? Meinetwegen! Tanzt, so viel ihr wollt! Ich mache nicht mit, ich nicht!"
Er hatte sich in eine gewisse Erregung hineingeredet und ging mit hastigen Schritten in seinem Zimmer auf und ab. Es bot ihm genügend Raum zur Morgenpromenade, denn es war sehr gross und kahl, fast dürftig ausgestattet. Er konnte nicht viel für seine Wohnung ausgeben, denn seit einigen Jahren bestand seine Einnahme, einige Skizzen und literarische Aufsätze abgerechnet, in dem Ertrage für die regelmässig wiederkehrenden Neuauflagen seines Romans.
Damit waren keine Sprünge zu machen. Er hätte mehr verdienen, hätte es vielleicht zu einer ansehnlichen Ichreseinnahme bringen können. Er hätte sich nur zu einer ständigen Mitarbeit an einer Zeitung oder Zeitschrift verpflichten oder eine Stellung als Schriftleiter annehmen sollen, wie sie ihm noch vor kurzem unter günstigen Bedingungen angeboten war.
Aber er hatte „Nein" gesagt. Weshalb?
Weil er nur in Freiheit schaffen konnte, weil seiner ganzen Anlage der geringste Zwang unerträglich war.
Das allein war der Anlass für ihn gewesen, seine gesicherte Stellung als Gymnasiallehrer aufzugeben, um losgelöst von jedem Muss der Berufspflicht, der Muse leben zu können, die nur den Freien liebt.
Und nun — Ketten gegen Ketten vertauschen. Nimmermehr!
Er trat ans Fenster und öffnete es. Es war ein sonnenheller Junitag. Die Luft, durch einige Regengüsse gewürzt, war frisch und duftig, dabei klar und durchsichtig wie Glas. In der grünenden Linde unmittelbar vor seinem Fenster fielen einige leuchtende Tropfen von Blatt zu Blatt; ihre Blüten regten sich zaghaft dem Leben entgegen.
Das war die Zeit, in der er früher seine Pläne für die Sommerreise machte. Die goldenen Ferien winkten, das Geld lag wohl gespart in der Schatulle, der rote Baedeker kam nicht von seinem Schreibtisch. Und eifriger noch als seine Sekundaner zählte er die Tage und Stunden, bis das Schulportal sich schloss hinter Staub und Dunkel, und die Pforten des Lebens vor ihm aufsprangen mit ihrem Licht und ihrer Freiheit!
Ja, wenn er doch nur ein einziges Mal so hinausziehen könnte in die weite Welt wie jene dort, die in den koffer- und kistenbepackten Droschken an seinem Fenster vorüberfuhren, dem nahen Bahnhof zu. Aber er hatte nicht das Geld dazu, er war froh, wenn es für die Anforderungen seines täglichen Lebens reichte.
Ein Pochen an die Tür entriss ihn seinen wehmütigen Betrachtungen. Seine Wirtin trat ein, ein altes, hageres Fräulein, an dem alles welk und gelb war, das Gesicht, die Bänder der Haube, die Hand, mit der sie ihm einen Brief überreichte.
„Der Bote wartet auf Antwort."
Leo öffnete und las.
Der Herausgeber der „Stunde", stand gedruckt am Kopf des Briefbogens, und dann mit einer schwer leserlichen, sehr kritzeligen Hand geschrieben:
„Mein lieber Herr Braband!
Ich möchte Sie in einer wichtigen Angelegenheit sprechen und deshalb bei Ihnen anfragen, wann ich Sie im Laufe des heutigen Vormittags zu Hause treffe. Vergeblich möchte ich nicht kommen. Sie wissen, wie meine Zeit besetzt ist.
Stets der Ihre.
Arno Ehrenberg."
„Sagen Sie, bitte, ich würde selber den Herrn Doktor auf der Redaktion besuchen."
*
Doktor Ehrenberg, der Herausgeber der „Stunde", stand an seinem Schreibpult über einen Haufen von Zeitungen und Handschriften gebeugt, als Leo bei ihm eintrat.
„Trefflich, dass Sie kommen, lieber Braband ... und sofort ... trefflich!"
Ehrenbergs Sprache war wie seine Handschrift, unsicher und kritzelig.
„Und nun legen Sie ab. Ich habe mit Ihnen zu sprechen."
Er ergriff ihn beim Arme und führte ihn zu dem lederbezogenen Sofa, das vor einem matteichenen Tische an der gegenüberliegenden Wand des behaglichen Zimmers stand. Er nahm sehr kleine, trippelnde Schritte, sein Gang war nachdenklich und nervös, der typische Gang des vielbeschäftigten Journalisten.
„Fürchten Sie nichts, sagte er, indem sie sich setzten, „ich plane kein Attentat gegen Sie. Zwar einen Roman von Ihnen hätte ich für mein Leben gerne. Sie wissen, wie grosse Mühe ich mir gebe, die ‚Stunde‘ in die Höhe zu bringen. Es geht auch ... nur mit den Romanen ist es schwer ... bei allem Angebot. Die Leser legen einen zu grossen Wert auf sie. Ja, wenn wir eines Tages schreiben könnten: Leo Brabands neuester, lang erwarteter Roman wird zum ersten Male in der ‚Stunde‘ veröffentlicht werden, das wäre so etwas!
Er wackelte mit dem Kopfe und fuhr dann fort:
„Doch wie gesagt, keine Attentate. Nein, ich habe heute etwas anderes für Sie, etwas für Sie wie geschaffen. Ich bin sicher, dass ich diesmal keinen Korb bekommen werde."
„Und was wäre dies?"
Ehrenberg lächelte geheimnisvoll und nahm von dem Tisch ein schreiben.
„Sehen Sie hier! Von der Direktion der ‚Atlantica‘, einer unserer grössten Reedereien. Sie hat einen neuen Dampfer gebaut, eine Lustjacht vornehmsten Stiles. Die macht in wenigen Tagen ihre erste Fahrt, eine Nordlandsreise bis Drontheim hinauf, ähnlich der, wie sie unser Kaiser alle Jahre unternimmt. Die Leitung hat dazu Einladungen ergehen lassen. Die grössere Zahl der Plätze sind dem Kaiser zur Verfügung gestellt. Er fährt zwar selber nicht mit, hat aber höhere Beamte und Offiziere befohlen. Dann sind von der Reederei einige der angesehensten Zeitungen geladen ... so auch unsere ‚Stunde‘."
Er liess eine Pause eintreten.
„Ich würde selber die Reise mitmachen, sagte er dann, „wenn mich nicht unumgängliche Pflichten zurückhielten.
„Das ist schade."
„Gewiss. Aber es hilft nichts. Ich muss mich nach einem guten Vertreter unserer Zeitung umsehen. Ich dachte an Sie ..."
„An mich?"
„Ja, an Sie, lieber Braband. Ich glaube uns,