Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Kriegsgericht
Kriegsgericht
Kriegsgericht
Ebook186 pages2 hours

Kriegsgericht

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Der deutsche Kreuzer "Pommern" ist versunken. Als Symbol von Krieg und Zerstörung ist er ruhmvoll im Kampf untergegangen. Drei der 1400 Besatzungsmitglieder treiben nun im brennenden Öl des Atlantiks. Die Männer schaffen es tatsächlich, ihr Leben zu retten, und auf die Überlebenden warten Ruhm und Bewunderung. Doch die Zeit vergeht, und was nun passiert, scheint fast noch schlimmer zu sein als Tod: Die Seeleute haben Fahnenflucht begangen und das sinkende Schiff schon Stunden vor dem Befehl verlassen. Ein Kriegsgericht will sie nun dafür zur Verantwortung ziehen und die ganze grausame Apparatur der Unmenschlichkeit wird in Gang gesetzt. Vernunft und Moral stehen Humanität und Milde gegenüber.-
LanguageDeutsch
PublisherSAGA Egmont
Release dateAug 14, 2017
ISBN9788711726969
Kriegsgericht

Read more from Will Berthold

Related to Kriegsgericht

Related ebooks

Thrillers For You

View More

Related articles

Related categories

Reviews for Kriegsgericht

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Kriegsgericht - Will Berthold

    www.egmont.com

    Die See tobte, grau und grenzenlos. Die Wellen schlugen so hoch, als ob sie den Himmel peitschen wollten. In der Unendlichkeit des Sturms trieb ein Etwas wie eine verlorene Konservenbüchse. Ergeben, ohne Kraft, ohne Widerstand, im Rhythmus des Zufalls: auf und ab, und hoch und tief, und hin und her. An dieses Etwas krallten sich vier Menschen. Sie hingen mit schwindenden Sinnen in den Schlaufen des Floßes.

    Als erster machte Willmers schlapp. Langsam waren seine Hände gestorben. Dann wurden die Gedanken klamm. Er löste sich wie von selbst. Der verfluchte Atlantik bestattete einen lebenden Toten im nächsten Wellental. Die Beerdigung war schnell und formlos. Sie dauerte nur zwei Sekunden.

    Sie waren nur noch zu dritt. Stamann döste. Hinze fluchte. Düren schrie. Dann krallten sie sich wieder in die Lederriemen, spuckten Salzwasser, rangen nach Luft. Das Meer fraß sich in ihre Netzhaut. In ihren Pupillen schillerte es in allen Farben: Grün, Blau, Gelb, Violett. Und dann wieder Rot. Nur Rot. Rot wie das Blut. Die drei waren die letzten. 1400 deutsche Seeleute hatte der Atlantik verschlungen. Vor ein paar Stunden.

    Seitdem trieben sie hilflos dahin. Aus der Hölle in die Hölle. Aus der Angst in den Tod. Nichts war mehr da von der großen Sehnsucht nach der weiten See. Nichts mehr vom Spiel des Wassers und der Wellen, vom blauen Himmel und der frischen Brise, die nach Salz schmeckte wie nach Leben, wie nach Liebe. Nichts mehr von dem überwältigenden Gefühl an der Reling, wenn sich der Mensch streckt, atmet und lacht …

    Der Atlantik war zum Mörder geworden, der in brutalem Sadismus mit den drei Überlebenden spielte. Jede Welle spürten sie wie einen Schlag auf der nackten Haut. Ihr Bewußtsein kreiste nur noch um einen Gedanken: Nicht loslassen! Nicht loslassen …! Ihre Zähne hatten sich in die Unterlippe verbissen, ihre Hände umklammerten die Lederschlaufen.

    »Laß los …«, raunte und lockte die See. Nein! peitschten und prügelten Düren die Gedanken. Nein, nein, nein …

    Er riß die Augen auf und starrte in das Toben. Die silbrige Gischt auf dem Kamm der Wellen war wie ihr Haar. Wie Antjes Haar. Eine Sekunde lang lockerte der Oberleutnant den Griff. Ich darf Antje das Blondhaar nicht ausreißen, dachte er verbissen. Das Floß kreiselte in einem Wirbel.

    »Halt mich fest, Antje …«, stöhnte der Seeoffizier.

    Dann war er bei ihr. Sekunden oder Stunden vor dem Tod. Der zu früh kam oder zu spät. Der ihn nach unten zog, um die eigene Achse schleuderte, auf einer Drehscheibe des Untergangs, auf einem Karussell des Glücks. Mit Antje. Bei ihr. Vor ihr. Auf und ab, hoch und tief, und hin und her …

    Ihre Augen glänzten. Wie damals. In der Nacht. Sie waren groß und blau, glücklich und traurig. Dann die schmale Stirne, die gerade Nase, der helle Flaum am Nackenansatz. Antje … Manchmal klebten an den etwas dunkleren langen Wimpern Tränen wie Perlen. Perlen bringen Unglück. Unsinn, es waren Glückstränen …

    Antje sprach halblaut. Wie immer. Sooft sich ihre Lippen bewegten, sah es aus, als ob sie ihn liebkosen wollte. Und ihre Worte streichelten ihn, ob sie nebensächlich waren oder wichtig. Und bei jeder Berührung kroch ihm die Gänsehaut des Glücks über den Rücken. Antje, stöhnten Dürens Gedanken, ich will zu dir … ich bleib’ bei dir … ich … wir … du darfst mich nicht verlassen …

    Eine Sturzflut brandete über sein Gesicht. Er spürte es nicht. Er sah und hörte nur Antje.

    »Du schaffst es … für uns … wir werden bald zu dritt sein … ja, glaub nur!«

    »Ich tue alles, Antje, wenn ich nicht durchkomme … du weißt, ich wollte … ich hab’ dich noch gesehen … ich hab’ noch an dich gedacht als …«

    Wieder riß ihn ein Wirbel herum.

    »Verfluchte Scheiße!« schrie Hinze. Sein Gesicht war verzerrt. Es sah aus, als ob es lachen würde. Schaurig, fest, tapfer, verzweifelt. Er war der Härteste der drei. Düren der Ruhigste. Stamann der Jüngste. Ein Kleeblatt des Todes. Kameraden des Untergangs. Männer, die erfahren hatten, wie langsam ein Kriegsschiff stirbt. Turm um Turm, Deck um Deck, Schott um Schott. Die ›Pommern‹ war bewegungsunfähig. Ein Treffer in die Ruderanlage hatte sie gelähmt. Aber sie wehrte sich. Bis zur letzten Granate. Auch danach noch, als ihr nichts blieb, als mit ihrer Eisenhaut die britischen Einschläge aufzufangen.

    Den Engländern war es gelungen, eine gewaltige Übermacht gegen das einsame Schiff zusammenzuziehen. Die ›Pommern‹ konnte nicht mehr leben und wollte noch nicht sterben. Über die Deckplatten rann das Blut. Neben den Geschütztürmen lagen die Toten wie Zementsäcke übereinander. So wie sie der Krieg zeichnete. Ohne Kopf oder Beine, mit herausgerissenen Gedärmen, mit verbrannten Augen, mit verkohlten Gesichtern. Der Heldentod roch nach Gas und Blut. Er nahm dem einen den Kopf, zerfetzte dem anderen den Magen. Er machte Geschichte an diesem Tag. Er mißbrauchte 1400 menschliche Schicksale als Stufenleiter zu neuem Frevel.

    16 Uhr. Der Himmel wurde noch dunkler. Gleich kam die Nacht. Die ewige Nacht.

    »Christa …«, heulte Stamann. Sein Gesicht zuckte. Er weinte. Ein Junge von neunzehn, der auf die Universität gehörte, aber nicht in den Krieg.

    »Antje …«, übersetzte Düren den Aufschrei des Kameraden. 1400. Jeder hatte eine Christa. Oder eine Antje. Aber ganz bestimmt hatte jeder eine Mutter, die von morgen an Schwarz tragen mußte …

    Der Atlantik gönnte sich eine Atempause. Die Schläge der See gingen langsamer. Die Wassergräben waren nicht mehr so tief und die Wellenberge nicht mehr so hoch.

    Hinze pumpte die Lungen mit Luft voll. Düren griff am Lederriemen nach. Stamann wurde von dem Floß gezogen wie ein lebloser Fisch an der Angel.

    »Ich … ich … kann nicht mehr«, stöhnte er, »… ich laß los …«

    »Reiß dich zusammen!« schrie ihn Düren an.

    »Es ist … vorbei …«, wimmerte der Oberfähnrich.

    »Du feige Sau!« brüllte Hinze. »Laß doch los! … Verreck doch, du dummes Schwein!«

    Es sah aus, als ob der Maat nach dem Neunzehnjährigen schlagen wollte, um ihn zur Besinnung zu bringen. Er hätte es getan. Er konnte es nicht. Loslassen hieß sterben. Festhalten auch. Wahrscheinlich …

    Langsam verdämmerten alle Empfindungen. Sie wußten nicht mehr, ob das Wasser warm war oder kalt. Sie sahen einander mit drei, vier Köpfen. Und die Frauen, an die sie dachten, waren weg, weit weg. Jenseits des Lebens. Irgendwo in der Ferne. Vorbei. Aus. 1403 Kreuze konnten symbolisch auf der Seekarte eingetragen werden.

    Die Nacht zog auf. Der trübe Himmel fiel endgültig in das Wasser. Himmel ohne Sterne. Atem ohne Hoffnung. Leben ohne Sinn. Die drei wußten, daß es die letzte Nacht sein mußte …


    Der Hafen schläft noch. Es ist ein Sonntag. Und er bringt selbst im dritten Kriegsjahr noch Ruhe und Besinnung. Feierlich schwebt das Geläut der Glocken über Kiel. Die Menschen kommen aus den Kirchen. Sie haben ihre besten Kleider angelegt. Die meisten tragen Marineblau oder Schwarz. Sie gehen ruhig nebeneinander her, sprechen halblaut über den Alltag, von dem sie dieser Sonntag befreit. Nur die Möwen kümmern sich nicht um die Zeit. Sie kreischen, segeln über die Kaimauer, balgen sich um Futter. Der Himmel hat aufgeklart. Die Wintersonne ist hell und kalt. Gestern regnete es noch. Heute glänzt das Licht, als wollte es den Kameras der Wochenschau Beihilfe leisten.

    Ein Mädchen steht an der Mauer. Der Wind spielt mit seinen Haaren, weht den weiten Mantel gegen die zierliche Figur. Das Gesicht ist kindlich, die Lippen sind weich und gewölbt; Lippen, die noch nichts erlebten, die in Träumen schlummern. In den Augen dieses Mädchens glänzt das Glück, schwimmt erfüllte Hoffnung.

    Der Herr neben der Siebzehnjährigen steht ein paar Meter entfernt, obwohl er zu ihr gehört. Er ist ernst, würdig, gefaßt. Und doch ergriffen. Ein Mann, ein Mensch, den das Leben hart machte. Seine Züge halten nach Bangen und Grauen, Grübeln und Verzweiflung fest. Aber plötzliches, unerwartetes Glück hat dieses männliche Gesicht mit einem hellen Glanz überzogen.

    Die beiden, der alte Mann und das junge Mädchen, starren auf den Platz, wo eine Ehrenkompanie der Kriegsmarine angetreten ist. Ein paar Zivilisten stehen herum. Sie kümmern sich kaum um das militärische Schauspiel. Zu oft haben sie es gesehen. Der Admiral spricht in dem getragenen, gehobenen Ton, der markige Kampfszenen in der Wochenschau begleitet. Nur ein paar Schulkinder werden von der Schau gebannt.

    Admiral Zirler faßt sich kurz. Er hat persönlich die Begrüßung des heimgekehrten U 61 übernommen. Bärtige, blutjunge Männer lachen mit steinalten Gesichtern in die gläsernen Augen der Propaganda. Am Turm flattert der Tonnage-Wimpel. Die Zeit addiert Bruttoregistertonnen. Der Wind reißt die Sätze Zirlers in Fetzen von seinen Lippen, verweht sie. Noch bis zu der Bank hin, auf der zwei Verwundete sitzen und mißmutig die Szene anstarren.

    »Nu haben sie ja wieder ein paar Helden …«, sagt der Schmalere.

    Der andere nickt bloß. Sie gehören zur Genesungskompanie und wurden zusammengeflickt. Bald schickt man sie wieder hinaus. Bis zum nächstenmal. Oder in die Ewigkeit …

    »Männer«, ruft der Admiral, »wieder einmal habt ihr eure Pflicht getan, seid ihr siegreich nach Hause gekehrt … seid stolz auf eure Leistung! … auf euren Mut … auf eure Kameradschaft … Aber nicht nur das: Vertraut eurem Glück! Auch wir haben euch und eurer Tapferkeit vertraut.«

    Eine Gruppe von Kriegsberichtern steht hinter dem Admiral und verfolgt die Begrüßung. Die Männer von U 61 sind in verschmiertem Lederzeug angetreten. Neben ihnen, etwas abseits, stehen drei Soldaten in sauberen, blauen Uniformen, die sie erst seit einer Stunde besitzen: ein Oberleutnant, ganz Typ seiner Zeit, ein bulliger Bootsmannsmaat und ein jungenhafter Oberfähnrich.

    Die Augen des Admirals suchen die drei. Er geht ein paar Schritte auf sie zu.

    »Aber nicht nur das …«, fährt er fort und steigert seine Stimme, »nach beispielhafter Pflichterfüllung, nach heldenhaftem Einsatz sind drei Kameraden von unserem tapfer, bis zum bitteren Ende kämpfenden Kreuzer ›Pommern‹ heimgekehrt …«

    Oberleutnant Düren schluckt. Er sieht dem Admiral ins Auge. Die Anstrengung drückt in seinem Nacken. Er möchte seine Augen nach rechts wenden, wo Antje steht, ihn ansieht, auf ihn wartet, schon die Hände ausstreckt, zu einer Umarmung, wie sie sie noch nie erlebt hatten …

    Vor fünf Tagen, als sie sich mit letzter Kraft, mit verzweifelter Anstrengung dagegen wehrten, sich selbst aufzugeben, in der Dämmerung des Abends, war U 61 neben ihnen aufgetaucht, um im Schutz der Dunkelheit Luft zu schnappen. Ein Ausguck sah etwas im Wasser treiben … und der Strahl des Scheinwerfers, der sich nach ihren Gesichtern durchtastete, war der erste Arm der Rettung. Drei von 1403 wurden aufgefischt. Der U-Boot-Kommandant meldete an die Seekriegsleitung. Die Seekriegsleitung verständigte die Angehörigen. Die Kriegsmarine wollte aus diesen drei Überlebenden etwas machen. Nie braucht die Propaganda dringender Helden als nach einer Niederlage. Und das Rezept zieht sich durch die Geschichte, von Cäsars Feldzug in Gallien bis zu diesem Weltkrieg …

    »In der stolzen Trauer …«, sagt der Admiral laut und akzentuiert, »um die auf See gebliebenen Männer der ›Pommern‹ empfinden wir dankbar und in tiefer Ergriffenheit die Rettung dieser drei tapferen Seeleute … Ich begrüße Sie! … Willkommen in der Heimat!« Admiral Zirler geht auf die Überlebenden zu. Die Kamera der Wochenschau schwenkt herum, hält jede Einzelheit fest, für Millionen, die es eine Woche später im weichen Polsterstuhl im Kino sehen sollen.

    Der Admiral reicht als erstem Oberleutnant Düren die Hand, heftet ihm persönlich das EK I an die Brust. Dann Hinze, der nicht ganz so zackig dasteht und fast melancholisch lächelt. Und zuletzt Stamann, dessen jugendheißer Traum sich erfüllt, als längst alle Träume in der Schlacht krepiert waren.

    »Wenn ich Sie jetzt verabschiede«, fährt der Admiral fort, »in einen Urlaub, den Sie sich mehr als verdient haben, so grüßen wir noch einmal …«

    Die Möwen kreischen hartnäckig über ihnen, schwatzen gleichgültig, wie sie vielleicht über der Stelle kurvten, an der ein Wrack versank.

    »Achtung!«

    Die Hacken fahren aneinander. Staub wirbelt auf.

    »So grüßen wir ein letztesmal die ›Pommern‹ und ihren Kommandanten, der mit seinem Schiff untergegangen ist … Unser persönliches Schicksal ist nebensächlich … Wir werden siegen oder sterben … Es lebe Großdeutschland!«

    »Weggetreten!« kommt das nächste Kommando.

    Der Admiral und seine Suite gehen gemessen über den Appellplatz. Der Abgang Zirlers wird zum Zugang der Angehörigen.

    Hundertmal hat sich Oberleutnant Düren ausgemalt, was er zu Antje sagen wird. Nun steht er vor ihr, bringt kein Wort heraus, würgt, kämpft mit dem Kloß im Hals, sieht ihre Augen, wie er sie immer sah: groß, naß, dankbar und gläubig.

    »Nicht weinen …«, sagt er leise und legt den Arm um sie.

    Und weiter kurbelt die Wochenschau.

    Stamann, dem Oberfähnrich, geht es nicht anders. Das Gesicht seines Vaters zuckt. Und daneben Christa, wegen der es zuletzt zu einer Auseinandersetzung gekommen war, weil sie noch so jung, zu jung waren. Zu jung für die Liebe, alt genug für den Heldentod.

    »Christa …«, sagt der Oberfähnrich und würgt, toll vor Freude wie ein junger Hund, der nicht weiß, von welcher Hand er sich zuerst streicheln lassen soll.

    »Komm«, sagt der Vater ruhig.

    »Du hast … du hast Christa mitgebracht?« Der Junge schreit es fast heraus.

    »Ja«, erwidert der Vater. Er wendet das Gesicht ab, sieht in eine Ferne, zu einer Stelle, an der jetzt 1400 Soldaten liegen. Nur 1400 … Einer ist zurückgekehrt.

    »Ja«, wiederholt Dr. Stamann, »und ihr zwei … ihr dürft euch künftig sehen und treffen, sooft ihr wollt … solange

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1