Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Der Einzige u.a.
Der Einzige u.a.
Der Einzige u.a.
Ebook151 pages2 hours

Der Einzige u.a.

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Den Glauben, die Berufung auch als Beruf auszuüben: Diese Entscheidung seinen Mitmenschen und besonders seiner Familie verständlich zu machen ist nicht immer einfach. In seinen christlichen Geschichten erzählt Wilhelm Wiesebach von Existenzängsten, Verpflichtungen und dem familiären Druck, den die Entscheidung, ins Kloster zu gehen, heraufbeschwört: Zwei Söhne der alten Frau Schirmer sind im Kloster. Nur der Jüngste ist ihr geblieben, um sie im Alter zu versorgen. Sein Plan, es den Brüdern gleichzutun, bringt sie zur Verzweiflung. Ein Gespräch mit ihrem Pfarrer lässt sie eine mutige Entscheidung treffen. Ganz anders die Familie von Angelo. Der heißblütige Paterfamilias Carlos setzt seine ganze Autorität gegen seinen Sohn ein, als der frischgebackene Abiturient, der mit seinem Tangospiel die ganze Nachbarschaft mitreißt, seinen Entschluss, zu den Padres zu gehen, mitteilt. Listig schickt er den Jungen zu seinem Bruder nach Rio, um ihm das "echte Leben" schmackhaft zu machen. Als der Sohn, aufgeschwemmt und kalt von den Vergnügungen der Stadt, zurückkommt, ist seine Lebensfreude zerstört. Andere Erzählungen dieser Sammlung, wie z. B. "Vita" oder "Der Einzige" zeigen christliche Nächstenliebe als intuitive Handlung ("Vita") oder als Verwandlung in die persönliche Freiheit ("Der Einzige"). Wilhelm Wiesebachs ungewöhnliche Kurzgeschichten erzählen von existenziellen Konflikten, in die der Glaube den modernen Menschen stürzen kann.-
LanguageDeutsch
PublisherSAGA Egmont
Release dateJul 22, 2019
ISBN9788711592793
Der Einzige u.a.

Read more from Wilhelm Wiesebach

Related to Der Einzige u.a.

Related ebooks

Classics For You

View More

Related articles

Reviews for Der Einzige u.a.

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Der Einzige u.a. - Wilhelm Wiesebach

    www.egmont.com

    Der Einzige.

    Vom Maschinenhause der Tuchfabrik Halm u. Co. heulte die Dampfsirene. Mittag. Die Herren auf dem Bureau klappten ihre Bücher zu und tauchten aus dem Reich der Zahlen in die Wirklichkeit empor.

    « Verdammte Hitze heute,» schnarrte der junge Schaller mit dem schneidigen, blonden Schnurrbart und der frühen Glatze, und hielt seine Pulse unter die Wasserleitung. Latting, der Stift, nestelte an seinem Selbstbinder und schielte durch die offenstehende Tür ins Nebenzimmer, wo eben das Klappern einer Schreibmaschine abbrach und eine weisse Bluse hin und her schwebte.

    Die anderen Herren tupften mit dem Taschentuch die Stirne und streiften die Manschetten, die bis jetzt auf den breiten Pulten gestanden hatten, über die Hände.

    Herr Sassen, der als Prokurist am ersten Pult, dicht vor der Tür des Privatkontors des Fabrikherrn stand, trocknete bedächtig seine Feder am Tintenwischer und schmunzelte vergnügt den kleinen porzellanenen Hemdenmatz an, der mit ausgestreckten Beinchen auf der breiten, runden Fläche des obersten Tintenwischerläppchens sass. Sein Nachbar, ein langgeschossener, magerer Herr mit glattrassiertem, rotem Weingesicht, prüfte seine Fingernägel und den feingebügelten, hellgrauen Anzug.

    « Na, Herr Sassen, Sie können schon lachen. Während unsereins sich in der Julihitze abschinden muss, machen Sie den Nachmittag frei. Das hat man davon, wenn man geplagter Junggeselle ist.»

    « Ei, Donnerwetter ja, Herr Sassen, verzeihen gütigst; habe ganz vergessen zu gratulieren,» kam Schaller kratzfüssig an, « welche Nummer ist’s denn eigentlich?»

    « Nummer acht!» antwortete der ganze fünfstimmige Chor, indem Herr Schaller Herrn Sassen die Hand bot.

    « Besten Dank für die Glückwünsche. Aber wer hat mir denn da den kleinen Kerl aufs Pult gesetzt? Das ist sicher wieder Herr Malten gewesen?»

    « Ich, ich?» pustete ein kleiner, kugelrunder Herr mit speckiger Stimme.

    « Na, nu leugnen Sie man nicht! Das Kerlchen macht mir übrigens grossen Spass.»

    « Na ja, was kann alles Lügen helfen! Ich darf Ihnen doch einen porzellanenen Buben schenken; denn Sie haben ja doch nie genug von der Sorte.»

    « Gott sei Dank, dass es so ist, Herr Malten,» und Herrn Sassens Augen blickten ernst unter den schwarzen Brauen hervor.

    « Na, Sie müssten meine Frau haben,» quakte der Dicke entgegen.

    Herr Sassen tat, als hätte er die Frechheit nicht gehört. « Meine Herren, ich gebe mir die Ehre, Sie für morgen abend zu einem kleinen Trunk in die « Altdeutsche Bierstube» einzuladen. Da wollen wir das Kleine gehörig begiessen.»

    « Angenommen, bravo! Was ist’s denn, ein Junge oder Mädel?»

    « Natürlich ein Bub. Mädel habe ich jetzt genug.»

    Der Stift machte sich noch immer angelegentlich am Wasserkranen mit Händewaschen zu tun. Herr Sassen merkte, dass er neugierig lauschte.

    « Karl, mach, dass du nach Hause kommst. — Meine Herren, Sie entschuldigen, ich muss eben noch zu Herrn Halm hinein.»

    « So, so! Gehaltszulage?»

    « Herr Malten, ich verbitte mir das.»

    Der Prokurist strich seinen schwarzen Spitzbart zurecht und schritt auf die Tür des Chefs zu. Kaum war er drinnen verschwunden, als ein zynisches Kichern unter den Fünfen anhub.

    « Der Sassen ist glatt verrückt. Der kommt noch mal total zur Plebs hinunter.»

    « Wie lange trägt er nun schon den braunen Anzug? Menschenkind, das kann ja einer allein gar nicht mal zusammenrechnen.»

    « Na, und dabei sind ihm schon drei kleine Affen gestorben.»

    « Die ganze Erklärung ist die: der Kerl ist bigott, und seine Alte auch.»

    « Ja, aber die Bischöfe und ihr gemeinsamer Hirtenbrief?»

    « Was geht das uns an? Lass sie sagen und schreiben, was sie wollen . . . ich meine, ein gebildeter Mensch heutzutage . . .»

    « Na, kurz und gut, Sassen ist ein Schaf erster Grösse. Wenn ich jemals heiraten sollte, wovor mich das Geschick bewahre, Kinder — nee — brr. Meine Herren, darauf muss ich meinen Mund mit einem guten Pilsener ausspülen.»

    Die Herren griffen zu ihren Hüten und verliessen das Büro. — —

    Der Prokurist kam aus dem Zimmer des Chefs, rieb sich vergnügt die Hände und summte einen Marsch vor sich hin. Seine Bewegungen, wie er noch einige ordnende Griffe auf seinem Pulte tat und mit Hut und Stock das Zimmer verliess, waren frisch und geschmeidig. Heute sah er vor eitel Freude wenigstens um zehn Jahre jünger aus. Das würde ein schönes Taufessen geben. So ganz in der Familie, nur den Chef mit Gemahlin als fremde Gäste. Jetzt aber im Sturmschritt nach Hause, zu seiner lieben Frau und dem kleinen Heiden! Schon so oft hatte er diese jubelnde Freude erlebt, doch immer wieder war sie ihm neu. Man hätte hinter der sonst so ernsten Miene des pflichttreuen Mannes nie ein so natürliches, frisches Glücksgefühl vermutet.

    Vor einigen grösseren Zigarrengeschäften und Schreibwarenhandlungen drängten sich Arbeiter und Ladenmädchen, Soldaten und Schreiber vor ausgelegten Telegrammen. Doch was kümmerten ihn heute die aufregendsten Neuigkeiten. In der Politik sah es seit dem Mord von Sarajewo gefährlich aus. Aber es wird wohl auch diesmal, wie schon so oft, wieder glücklich vorübergehen. Heute treibt man keine Politik, heute lebt man dem Kinde.

    Herr Sassen steckte den Schlüssel in die Haustüre und stürmte die Treppe zum ersten Stock hinauf ins Zimmer seiner Frau. Da war heute seine ganze Welt, sein ganzes Sinnen und sein Glück.

    « Gertrud, du erlaubst? Frau Halm möchte dich ein Weilchen besuchen. — Bitte, gnädige Frau!»

    Damit liess Herr Sassen die Gemahlin seines Chefs ins Zimmer seiner Frau eintreten und zog sich selbst zurück.

    Ein freudiges Erröten huschte über das nervösbleiche Gesicht der hochgewachsenen, stolzen Frau, als sie die kleine Blondine in den blühweissen Kissen liegen sah. Alles licht und weiss um sie her, und ein schwellender Strauss weisser Rosen auf dem Toilettentisch.

    Frau Sassen streckte der Eintretenden ihre schmale weisse, von Spitzen umrahmte Hand entgegen und erhob sich lächelnd ein wenig. « Herzlichen Dank, gnädige Frau, für ihre Liebenswürdigkeit.»

    « Verzeihen Sie meine Zudringlichkeit! Ich will nicht lange stören. Ich wollte Sie eben nur einmal begrüssen und den kleinen Buben sehen.»

    « Da ist unser Richard,» und sie wies auf ein kleines Himmelbettchen am Fussende ihres Bettes.

    Frau Halm näherte sich auf den Fussspitzen dem spitzenumblühten Nestchen und schob den Vorhang etwas zur Seite. Da lag ein kleines, puppenhaftes Wesen mit rotem Gesichtchen und roten Händchen und schlief unbeweglich wie ein Christkindchen aus Wachs.

    « Ein allerliebstes Kindchen! Die Härchen hat es halb von Ihnen, Frau Sassen, und halb von Ihrem Herrn Gemahl, halb blond, halb schwarz; und wie lang sind sie schon!»

    « Das haben alle unsere Kleinen so gehabt.»

    « Und wieviel sind deren schon?»

    « Das ist das Elfte. Drei sind schon Engel im Himmel, klein gestorben.»

    « Also acht am Leben!»

    « Ja, eine wahre Freude für eine Mutter. — Aber nehmen Sie, bitte, Platz, gnädige Frau.»

    Die Besucherin setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett. Da sah Frau Sassen erst, wie gross sie war; sie musste immer noch zu der Dame aufschauen.

    « Es kommt ganz darauf an, liebe Frau Sassen, wie man das Leben nimmt.»

    « Wie verstehen Sie das? Ich meine, es gibt für eine Frau nichts Schöneres, als Mutter, recht oft Mutter zu sein.»

    « Wenn man keine anderen Verpflichtungen hat.»

    « Mag sein, aber ich war immer glücklich mit den Verpflichtungen, die mir meine Kinder brachten.»

    « Ach, auf mir lasteten schon Verpflichtungen, ehe ich unseren Einzigen, den Robert zur Welt brachte; gesellschaftliche Verpflichtungen dringendster Art.» Die Sprecherin nestelte mit der rechten Hand an der Kante des Federbettes. Hier und da schien sie sich der Ungehörigkeit bewusst zu werden und zog die Hand zurück. Dann vergass sie sich aber wieder und nahm das Spiel wieder auf. « Was will man als junge Frau machen? Man muss doch ins Theater gehen, auch einmal einer Balleinladung zusagen. Und dann sehen Sie: Im Anfang ging unser Geschäft auch noch nicht so glänzend. Da musste ich aus Liebe zu meinem Mann auch gegenüber manchem einflussreichen Kunden Rücksicht nehmen. Wollte ich mich da oft zu preziös machen, so schädigte ich schliesslich unsere Existenzsicherheit selbst! Hatten wir Gewissheit, Brot für viele Kinder zu finden?»

    « Ach, gnädige Frau, was liegt schliesslich am Brot? Wo der liebe Gott ein Häschen schafft, da schafft er auch ein Gräschen.»

    Die Dame musste lächeln ob der verblüffenden Philosophie der einfachen, kindlichen Frau. Aber sie liess sich in ihrem überhastenden Redeschwall nicht stören.

    « Und dann wissen Sie, bei Robert habe ich schon so viel gelitten. Der Arzt sagte mir ernst, wenn es noch einmal so weit käme, könne er für nichts einstehen.»

    « Das hat er mir auch schon einmal gesagt. Aber, wie Sie sehen, lebe ich heute noch und bin gesünder denn je. Glauben Sie mir, gnädige Frau, wenn der liebe Gott mich hätte von meinem Mann und den Kindern wegholen wollen, dann brauchte er mir kein Kindchen zu geben. Eine Lungenentzündung oder eine ähnliche gefährliche Krankheit hätte mir auch den Tod bringen können. Dem lieben Gott kann man doch nicht entwischen, wenn er einen haben will.»

    « O, Sie haben gut reden. Sie finden in Ihrem häuslichen Kreis Ihre Befriedigung. Sie verlangen nach nichts mehr. Aber unsereins! Der gesellschaftliche Verkehr! Sie müssten einmal die spitzen Bemerkungen unserer Damen hören, wenn einmal eine aus unserem Kreis sich zu sehr mit Kindern beschwert und schon in frühen Jahren verblüht.»

    « Nein, gnädige Frau, was Sie da sagen! Schauen Sie mich einmal an; bin ich denn verblüht? Ich bin doch noch leidlich hübsch mit meinen achtunddreissig Jahren.» Sie lachte schelmisch. « Und dann, was Sie von den Stichelreden der Damen der Gesellschaft sagen: Ich weiss von meinem Mann recht gut, wie die Herren reden. Die Nadeln, mit denen die Damen stechen, müssen, soviel ich darüber urteilen kann, allerdings noch viel spitzer sein.»

    « Allerdings, meine Liebe, die sind entsetzlich spitz, und dazu noch vergiftet.»

    « Aber die Liebe zu Mann und Kind nimmt ihnen die Spitze und das Gift. Ich bin dazu noch stolz auf meine Kinder. Ich sasse die Stichelreden, wenn ich einmal etwas davon höre, nur als Ausbruch des blassen Neides auf. Die Damen haben ein schlechtes Gewissen und können deshalb auch andere nicht in Ruhe lassen. Sie müssen sich selbst auf irgend eine Weise ins Recht setzen und deshalb die andern ins Unrecht.»

    Die kleine Mutter hatte sich in Eifer hineingeredet, und die andere fühlte ihre geistige Überlegenheit, die aus dem reinen, echt weiblichen und mütterlichen Herzen heraus mit ungekünstelten Gedanken scharfe Schläge führte.

    « Apropos, Frau Sassen, was will denn Ihr Ältester studieren? Wenn ich nicht irre, ist er mit unserm Robert auf der Oberprima und macht Ostern das Abitür.»

    « Er will, soviel ich weiss, Medizin studieren. Aber das kann sich bei so jungen Leuten ja noch ändern.»

    « Denken Sie, das will unser Robert auch. Vater hätte so gerne, wenn er erst Jura studierte und dann in die Fabrik einträte. Sehen Sie, wer soll denn später das Geschäft übernehmen? Aber der Junge hat es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, Arzt zu werden. Wenn ihm nun da etwas passierte! Die jungen Leute müssen ja an den Leichen herumschneiden. Hu, ich habe schon einen Ekel davor. Aber wenn er sich nun dabei einmal in den Finger schnitte, und es ihm ginge

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1