Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Der Librettist
Der Librettist
Der Librettist
Ebook299 pages4 hours

Der Librettist

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Mozart und Casanova, Venedig, Wien, London und New York – das unglaubliche Leben eines Universalgenies Niklas Rådströms Roman ist die Geschichte des Mozart-Librettisten Lorenzo Da Ponte, dessen abenteuerliches Leben ein Jahrhundert der Musik- und Kulturgeschichte umspannte. Das Buch ist eine Meditation über Musik, Liebe, Kreativität und darüber, was wir aus unserem Leben machen können. Mit 'Der Librettist' wird einer der bedeutendsten Schriftsteller Schwedens in Deutschland vorgestellt.-
LanguageDeutsch
PublisherSAGA Egmont
Release dateJan 22, 2016
ISBN9788711449417
Der Librettist

Related to Der Librettist

Related ebooks

Literary Fiction For You

View More

Related articles

Reviews for Der Librettist

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Der Librettist - Niklas Radström

    Thomas

    I. In der Neuen Welt

    1.

    In letzter Zeit muss ich immer öfter an den Tod des armen Amadeo denken. Wie oft wurde ich über meinen Freund und die Umstände seines Hinscheidens ausgefragt, und nun, da mein eigenes Ende unweigerlich näher rückt, verdichten sich diese Fragen zu einem Funkenregen, der in mir die Lust entfacht, noch einmal meine Lebensgeschichte zu erzählen. Dass ich so oft an Amadeo denke, liegt wohl an der launenhaften Ungerechtigkeit des Schicksals. Manche Menschen lässt es jung sterben wie Pflanzen, die mit der Wurzel ausgerissen werden, bevor sie ihre volle Blüte erreichen oder Frucht tragen. Mein hohes Alter dagegen hat mich mit dem Tod versöhnt; er ist mir nicht mehr unbegreiflich. Vielleicht wird auch der Leser dieser Zeilen besser verstehen, was der Tod von uns will, vielleicht wird er sogar Amadeos trauriges Ende verstehen. Der Tod ist die letzte Konsequenz jener Erniedrigung, der das Alter uns aussetzt, außer er nimmt eine Abkürzung und kommt uns entgegen, wie es bei meinem Freund und vielen anderen, die mir nahestanden, der Fall war. Ich selbst bin nun so alt, dass ich mich daran gewöhnt habe, den Tod auf den Fersen zu haben. Er ruft mir höhnische Worte hinterher über die Krämpfe, die Unbeholfenheit und Verwirrung, mit denen das Alter mich ausstattet wie ein böswilliger Theaterdirektor, der seinen Schauspielern groteske Masken aufsetzt, um Zuschauer in eine hoffnungslos misslungene Aufführung zu locken. Manchmal habe ich das Gefühl, wieder zum Säugling geworden zu sein; mein Mund ist weich und zahnlos, die Lippen eingefallen, meine Hände zittern und meine Beine sind so schwach, dass sie mich kaum noch tragen. So geht die Zeit mit uns um – die Musik behandelt sie liebevoller.

    Manch einer mag sich fragen, warum Amadeo so jung gestorben ist, warum er in der Blüte seines Lebens aus unserer Mitte gerissen wurde. Man hat mich gefragt, ob er bei dem neuen Kaiser in Ungnade gefallen sei und als störende Position willkürlich aus dem Register gestrichen wurde. Der eine oder andere hat den Verdacht geäußert, dass er ums Leben gebracht wurde, weil er mit Zweiflern und Freimaurern, mit Landstreichern und Gaunern Umgang pflegte, was seine Gesellschaft in jenen Kreisen unmöglich machte, die eine feste Ordnung verlangen. Man deutete mir gegenüber sogar an, dass Antonio Salieri, für den meine Feder ebenfalls Verse komponiert hat, ihn aus purem Neid vergiftet oder sonst wie ermordet haben sollte. Zwar war der gute Salieri bisweilen ein neidischer und herrschsüchtiger Intrigant, aber dass er so boshafte und destruktive Impulse in sich trug, mag ich nicht glauben. Er war sich natürlich bewusst, dass Mozarts Talent das seine in den Schatten stellte, das konnte schließlich jeder sehen! Der Salieri, den ich kannte, war vielleicht kein Sinnbild der Bescheidenheit, aber es war immer sein größtes Streben, der Musik nahe zu sein. Na ja, wohl auch der Macht, ein Wunsch, der seine musikalischen Ambitionen bisweilen überschattete. Aber ich habe die Tränen in seinen Augen gesehen, wenn er Amadeos Musik lauschte, seine unverhohlene Freude über gut getroffene Passagen einer Partitur, seine Verzückung, wenn Amadeo eine Improvisation auf dem Klavier spielte. Aber habe ich je gesehen, dass er die Fäuste vor Neid ballte oder das Gesicht zu einer missgünstigen Grimasse verzog? Ich weiß es nicht. Vielleicht war ich dafür blind. Mag sein, dass Amadeo durch die Hand eines Meuchelmörders starb, aber bislang hat niemand laut ausgesprochen, wer sich hinter der bleichen Maske verborgen haben soll. Meine Meinung in dieser Frage werde ich zum angemessenen Zeitpunkt äußern.

    Ich habe bereits Instruktionen erteilt, welche Klänge mich zur letzten Ruhe geleiten sollen. Manche meinen, das könne nur ein Stück »meines Freundes Mozart« sein, aber das habe ich mir verbeten. Bei meiner Beerdigung soll Gregorio Allegris Miserere gesungen werden. Darin glitzern die Töne wie Sonnenstrahlen auf dem Wasser, wenn man an einem Frühlingstag von Venedig aus, wo ich in meiner Jugend viele glückliche Tage verbrachte, zum Lido hinüberschaut. Sie schimmern darin wie das Herbstlaub in den Alleen des Praters, in der Stadt, in der ich einige meiner besten Jahre verlebte. Und sie funkeln wie Raureif auf dem Gras an einem Wintermorgen in den Parks von London, wo ich die ersten Jahre mit der Liebe meines Lebens lebte. Diese Töne sind wie der reinste Kristall, eingefasst in strahlendes Silber. Andere Kristalle verbleichen daneben, anderes Silber wird unweigerlich schwarz, aber diese Töne leuchten für immer klar.

    Vielleicht hätte ich das Stück ohne Amadeo nie kennengelernt. Ich erinnere mich, wie verzückt und ergriffen ich war, wie sich das Herz aus meiner Brust befreite und unter dem Kirchengewölbe zu schweben schien. Der hohe Klang! Die aufsteigenden Stimmen! Ton um Ton um Ton zwischen den Säulen der Kathedrale. Damals waren diese Töne Privateigentum des Papstes und wurden ausschließlich in der Passionswoche von Sängern gesungen, denen es bei Strafe der Exkommunikation verboten war, das Werk außerhalb des päpstlichen Herrschaftsbereiches aufzuführen. Und dann kam Amadeo, der »mein Freund Mozart« werden sollte, auf der italienischen Reise mit seinem Vater nach Rom und schrieb das Werk aus dem Gedächtnis auf, nachdem er es in der Matutine gehört hatte. Er saß unter Michelangelos Fresken zwischen ein paar Kardinälen, die ihn für einen bayerischen Prinzen hielten, und noch am selben Abend brachte er die neun mäandernden Stimmen für Doppelchor im Gästezimmer des päpstlichen Kuriers, bei dem sie logierten, zu Papier. Als sie am Karfreitag erneut die Mette in der Sixtinischen Kapelle besuchten, um Allegris Meisterwerk noch einmal zu hören, hatte Amadeo das Notenblatt im Hut versteckt, um einzelne Fehler zu korrigieren. Das nenne ich Konterbande! Töne, die allein dem Papst vorbehalten waren, in der Phantasie und Schöpferkraft eines vierzehnjährigen Jünglings aus dem Allerheiligsten geschmuggelt und aus reiner Lust und Neugier im Kerzenschein einer Gästeklause auf Notenlinien gemalt! Amadeos Großtat erweckte eine solche Bewunderung bei meinen Landsleuten, dass sie jegliches Gerede über Exkommunikation vergaßen.

    Nun glaube ich nicht, dass der Klang, den man an meiner Bahre hören wird, sich in irgendeiner Weise mit dem messen kann, was ich bei meiner ersten Begegnung mit dem Werk erlebte. Der Chor, den man hier zusammenkratzen wird, ist wohl eher für Trinklieder oder frivole Serenaden in einem verrauchten Saloon geeignet, fürchte ich. Ich habe versucht, meinen neuen Landsleuten den wahren Gesang ans Herz zu legen, der aus dem tiefsten Innern des Menschen aufsteigt wie eine Quelle aus der Erde, klar, erfrischend und perlend. Hat man wie ich hören dürfen, wie sich das erste Instrument unseres Herrn, die menschliche Stimme, aus Liebe zur Schöpfung und zum Gesang kunstvoll und inniglich erhebt, so hat man ein Stück Himmelreich erlebt. Diejenigen, die Allegris Meisterwerk singen werden, wenn ich zur letzten Ruhe gebettet werde, können dies unmöglich erreichen. Aber ich muss ihnen ja nicht zuhören im Dunkel des Sarges. Ich stelle mir vor, ich liege dort wie eine Skalenübung oder eine melodische Figur aus einer Sonate, die im Klangkörper eines nach dem Konzert abgelegten Instrumentes verweilt. Vielleicht eine Violine oder ein Violoncello. So klingt mein Dasein langsam aus und wird eins mit dem Holz des Instrumentes. Wenn sich dann die Sänger des zusammengewürfelten Chores im Tonlabyrinth des Miserere verirren, zehren bereits die Mächte der Verwesung an meinen Körper, und wenn mein Gott mir gnädig ist, worauf ich trotz meines abenteuerlichen Lebens vertraue, höre ich dann schon andere, engelgleiche Stimmen.

    Vor einigen Jahren hat mich meine geliebte Nancy verlassen. Ein Schnupfen wuchs sich zu einem Husten aus, der sich in ihrer Lunge festsetzte, und nach nur sechs Tagen wurde mir die Freude meines Lebens entrissen, mein Engel, meine Geliebte, Heim und Hirtin, Mutter meiner Kinder und Quelle meines Glücks. Ihr schweißnasser, zitternder Körper im Bett, ihre heißen Hände wie die eines kleinen Mädchens in meinen alten, ihr bleiches Antlitz mit geschlossenen Lidern, hinter denen die Augäpfel im Fieberwahn zuckten. Ich sehe sie noch vor mir, die schweißfeuchten Haarsträhnen auf ihrer Stirn und ihre glasigen Augen, die, als sie sie endlich aufschlug, an mir vorbeistarrten, als wartete hinter meinem Rücken bereits ein anderer Gast auf sie. Ihr Atem ging schneller, wie beim Liebesakt oder als wolle sie eine Arie aus einem modernen Oratorium singen, die auf unendlich kleinen Notenwerten aufbaut. Kürzer und kürzer wurden die Atemzüge, wie vor Viertelnoten, Achtelnoten, Sechzehntelnoten, bis die große, dunkle Generalpause einsetzte und nichts als Schweigen den Raum erfüllte.

    Meine Nancy starb in ihrem zweiundsechzigsten Jahr, und die Trauer, die sie hinterließ, trieb ein längeres Poem und achtzehn Sonette zu ihrem Andenken aus mir heraus. Ich ließ sie auf eigene Kosten unter dem Titel Versi composti da Lorenzo Da Ponte per la morte d’Anna Celestina Ernestina drucken, für all jene, die sie gekannt und geschätzt haben, für alle, die Interesse an meiner Dichtung zeigten und die Macht der Poesie anerkannten, und für all diejenigen, auf deren mitmenschliche und finanzielle Hilfe ich angewiesen war. Meine Nancy war eine liebevolle Mutter gewesen, für sie gehörte jeder Mensch in Not zur Familie. Ihr Tod riss nicht nur ein Stück meines Herzens aus meiner Brust, er bedeutete auch erhebliche Schwierigkeiten hinsichtlich meiner Versorgung. Ich gestehe, dass die Gedichte, die ich nach ihrem Tod schrieb, nicht allein von tiefer Trauer inspiriert waren, sondern auch von der Knauserigkeit ihrer Verwandten. Das Erbe ihres Vaters, das einen beträchtlichen Teil unseres materiellen Glücks ausgemacht hatte, ging nun an unsere Kinder über, und ich, der auf die Neunzig zuging, blieb mittellos zurück. Mit einem Unterhalt von zweihundert Dollar im Jahr von meinem Schwiegersohn Henry bezog ich bei meinem Sohn Lorenzo ein Zimmer. Seine Gattin Cornelia übernahm das Pensionat, das ich viele Jahre zusammen mit meiner Frau geführt hatte, unter anderem als Internat für junge Männer und Frauen, die sich in italienischer Sprache und Literatur vervollkommnen wollten. Dort, bei meinem Sohn, strandete ich also mit meinen Träumen und meinen Büchern. Meine Bücher! Neben Nancy galt meine Liebe immer meiner Muttersprache und der Poesie und Musik, die sie beseelt. Meine Sprache duftet nach blühenden Zitronenbäumen und schäumendem Meer. Jedes Wort schmeckt nach Frühling und jede Silbe ist voller Musik. Ich habe nie aufgehört, das Italienische zu lieben, und diese Liebe wollte ich mit anderen teilen.

    Sie hat in mir die Sehnsucht entfacht, noch einmal meine Füße auf italienischen Boden zu setzen, den Meeresduft der Lagune einzuatmen, mein faltiges Gesicht in den Sonnenstrahlen zu wärmen, die meine Kindheit erhellten. Dennoch bereue ich es nicht, meiner Nancy auf diesen fernen Kontinent gefolgt zu sein, wo ich auch nach Jahrzehnten noch ein Fremder bin, obwohl ich seit mehreren Jahren zu seinen naturalisierten Bürgern gehöre. Ich bereue es nicht einen Augenblick, weil hier ein Leben an der Seite meines großen Schatzes, meiner Hirtin, möglich war. Ohne sie war ich niemand, nur durch sie wurde ich zu dem, der ich heute bin. Mein Motto ist immer gewesen: Alles wagen, immer hoffen! Gewagt habe ich viel, nun bleibt nur noch die Hoffnung, dass ich ihr bald ans andere Ufer folgen darf, wie ich ihr damals übers Meer gefolgt bin, und dass sie mich dort erwarten wird.

    Noch immer nähre ich die leise Hoffnung, die Menschen, die ich in der Neuen Welt kennen und lieben gelernt habe, für die Oper begeistern zu können, wie ich sie auf Europas Bühnen erlebt habe. Im Theater hat es Augenblicke gegeben, in denen ich glaubte, Gottes Reich sei uns schon auf Erden vergönnt. Gott weiß, dass ich versucht habe, meine neuen Landsleute zu überzeugen, nicht nur von der Oberhoheit der katholischen Kirche, sondern auch davon, dass die Opernmusik zur Krone der Schöpfung gehört, besonders wenn sie in der Sprache meines Heimatlandes gesungen wird. Seit dem großartigen Erfolg von Garcías Auftritt und den – wie ich gestehen muss – weniger fruchtbaren Versuchen, die Gesangskarriere meiner Nichte Giulietta diesseits des Ozeans zu fördern, habe ich Jahr für Jahr versucht, Italiens beste Kompanien zu überreden, auch hier ihr Glück zu versuchen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die italienische Opernkunst mit dem rechten Willen selbst das raubeinige Gemüt der Amerikaner erweichen könnte. Wer kann schon Zerlinas pochendem Herzen widerstehen? Wer wird nicht von Figaros Aufruhr ergriffen? Wer bleibt von Susannas Schicksal ungerührt?

    Da es mir auch nach über einem Jahr intensiver Bitten, Pläne und Vorbereitungen nicht gelungen war, den großen Impresario Barbaja aus Neapel hierher zu locken, versuchte ich, den ebenso bedeutenden Montresor aus Bologna von den Möglichkeiten und dem Wert einer solchen Reise zu überzeugen. Ich versicherte ihm, wie sehr das Publikum in New York Mozart und Rossini liebte, und schlug ein Repertoire von sechzehn Opern vor, wobei mir meine Bescheidenheit verbot, mehr als sechs Werke zu empfehlen, für die meine Feder die Worte geformt hatte, welche die Handlung vorantrieben und den Sängern den Geschmack der Poesie auf die Zunge legten. Ich schrieb, er solle seinen eigenen Maestro am Cembalo mitbringen sowie einen Soloviolinisten, einen Oboisten, eine Hornistengruppe und einen Souffleur, weil dieses junge Land noch keine hinlänglichen Talente auf diesen Gebieten hervorgebracht habe. Und natürlich so viele Sänger wie möglich, auch Chorsänger. Aus unerfindlichem Grund sind die Stimmen auf diesem Kontinent zu derb und undifferenziert, um die Musik auf ein angemessenes Niveau zu heben. Während ich den Maestro in Bologna bearbeitete, sammelte ich durch den Verkauf von Subskriptionen Mittel für mein Vorhaben, und als Montresors Kompanie endlich an einem schönen Hochsommertag im Hafen von New York von Bord stieg, hatte ich eine erkleckliche Summe vereint. Aber die Kompanie war alles andere als klein! Ich hatte etwa zwanzig Sänger und Musiker erwartet, und musste nun für fast fünfzig Personen sorgen. Fünfzig! Und darunter war nicht einmal eine Primadonna. Ich stand mit einem gigantischen Strauß Lilien am Kai und hoffte, Giuditta Pasta in Empfang zu nehmen, aber die eingetroffenen Sänger taugten nur für kleinere Partien. Zu allem Überdruss hatte gerade ein anderer Gast in der Stadt Einzug gehalten: Die Cholera, der Dämon, der ungebeten von Haus zu Haus geht und seinen üblen Gerüchte verbreitet. Ich musste die Neuankömmlinge sofort aus der Stadt schicken – zu Kosten, von denen ich nicht zu träumen gewagt hätte –, bis der dunkle Engel sein Schwert abgewetzt hatte und unsere Mitbürger wieder ihre Heime beziehen konnten.

    Als die Kompanie im Herbst endlich in die Stadt zurückkehrte, waren sowohl das Park Theatre als auch das Bowery Theatre für, wenn man so sagen will, deutlich banalere Spektakel ausgebucht. Aber wir fanden eine Bühne, das Richmond Hill Theatre, die umgebaute Residenz eines alten Ehrenmannes, und tauften es um. Fortan hieß es »The Italian Opera House«. Am sechsten Oktober 1832 konnten wir die Saison mit Rossinis La Cenerentola eröffnen. Welch ein Licht! Welche Kostüme! Welches Dekor! Hier wurde dem Publikum anderes geboten als die zerschlissenen, schmutzigen Lumpen, in denen die Sänger für gewöhnlich im Park Theatre auftraten. Inzwischen hatten wir Adelaide Pedrotti aus Havanna für uns gewinnen können, eine Sopranistin, wie sie New York kaum je gehört hatte. Und Luciano Fornasari, der zur Kompanie gehörte, galt unter den Damen bald als der schönste Mann, der je auf einer New Yorker Bühne gestanden hatte; dabei sang der Mann nur Bariton, nicht einmal Tenor! Montresor wurde ebenfalls gefeiert, wenn auch nicht wie García, der noch immer einen Ehrenplatz im Gedächtnis der Stadt einnahm. Aber obgleich kein Orchester, das man bisher hier gehört hatte, sich mit der Kraft und dem Schwung unserer Opernkapelle messen konnte, und obgleich die großartige und farbenprächtige Bühnenausstattung, gebaut und bemalt von Handwerkern, die der Maestro selbst aus Bologna mitgebracht hatte, alles übertraf, was man auf dieser Seite des Ozeans je gesehen hatte, ließ uns das Publikum im Stich. Es half nichts, dass wir die Vorstellungen ins Bowery Theatre verlegten, auch die Tournee nach Philadelphia, die ich arrangierte, war ein herber Rückschlag. Die Rechnungen für Kost und Logis, die ich Montresor und seinem Gefolge zugesagt hatte, türmten sich auf. Und sie ließen nichts aus! Sie lebten, als hätten sie keine Geduld, auf das Himmelreich zu warten, und als ich nach einem unglücklichen Sturz in Philadelphia mehrere Wochen das Bett hüten musste, erkundigte sich keiner von ihnen, wie es mir ging. Der Einzige, der mich besuchte, war der Kapellmeister, weil er Geld leihen wollte, um Spielschulden zu begleichen. Gesindel!

    Am Ende holte mein Sohn Lorenzo mich nach New York zurück, aber da war die Sache bereits verloren. Ein weiteres Mal war ich vom Ruin bedroht und sah mich gezwungen, zwei Drittel meiner schönen, dreitausend Bände umfassenden Bibliothek zu verkaufen. Meine geliebten Bücher, in alle Winde zerstreut, in den lüsternen Händen fremder Menschen, der Ledereinband von unbekannten Fingern liebkost, die Seiten vorm Umblättern mit fremdem Speichel befeuchtet. Wie ich hörte, befinden sich die wertvollsten Bände nun in der Library of Congress in Washington, nachdem man die Sammlung in die Hauptstadt verlegt hat. Dort sind aus meiner Bibliothek ein paar wunderschöne Bände mit den Werken unserer alten Meister zu finden: Ariosto und Boccaccio, das erste Exemplar der Rerum Italicarum Scriptores, das diesen Kontinent erreichte, und eine prächtige Ausgabe meiner geliebten Divina Commedia von Dante. Aber auch zeitgenössische Dichter wie Alfieri, Tiraboschi und Ugo Foscolo, den ich persönlich in Ferrara getroffen habe, wo er sich einen Ruf als Dichter schuf. Foscolo, das Genie, das nicht einmal geboren war, als ich meine ersten Gedichte schrieb, und den ich nun überlebt habe. Wenn ich mit meinen fast neunzig Jahren der jung Verstorbenen gedenke, die so intensiv gelebt haben, dass mehrere Lebensläufe in ihren gepasst hätten, erscheint mein eigenes Leben planlos und bescheiden. Dass meine Nachwelt sich an der Dichtung ergötzen kann, die ich geliebt habe, sollte mir eigentlich Freude bereiten, aber welcher normale Mann freut sich schon, wenn seine Frau in fremden Betten liegt? Nicht einmal mein guter alter Freund Casanova, der wahrlich nicht zimperlich mit Schlafzimmersorgen umging, konnte so etwas gleichgültig hinnehmen.

    Hätten wir nur unser eigenes Opernhaus gehabt, wäre diese erste Saison nicht im Sand verlaufen. Das Montresor-Da Ponte Theater, dessen Gründung ich meinem zukünftigen Kompagnon in Briefen vorgeschlagen hatte, hätte mehr als ein Luftschloss sein können. Es hätte eine wahrhaftige Stätte zur Huldigung der Schönheit werden können, die dieser junge Kontinent nie zuvor gesehen hatte. Es fehlte uns nicht an Realismus, auch nicht an Willen und Fleiß. Was uns fehlte, waren stabile Finanzen. Immer verfolgt mich dieser Geldmangel! Dabei war es der Italienischen Operngesellschaft schon nach unserer ersten Vorstellung im Richmond Theatre gelungen, sage und schreibe sechsundneunzig geldkräftige Musikliebhaber zu bewegen, je tausend Dollar in den Bau eines neuen Opernhauses für unsere Stadt zu investieren. Dort hätte ich mich einbringen können, aber auch daraus wurde nichts. Montresor war als Impresario vorgesehen, und meine Rolle in diesem Vorhaben wäre nicht weniger bedeutend gewesen, wenn nicht mein alter Freund Rivafinoli, der in Mexiko für mich Bücher verkauft hatte, meinen Kompagnon herausgefordert hätte. Montresor kämpfte um den Posten, wobei ich ihn treu unterstützte, bis der alte Hasenfuß (der er wahrscheinlich schon immer gewesen war) sich nach Havanna davonstahl. Und damit war auch ich aus dem Spiel. Keiner wollte mir helfen, die viertausendfünfhundert Librettohefte zu verkaufen, die ich hatte drucken lassen, um den Siegeszug der Opernkunst in der Neuen Welt sicherzustellen. Als das Theater dann mit La gazza ladra eröffnete, wollte man mir nicht einmal eine Freikarte geben. Oben, unter der mit Apollo und den Musen bemalten Kuppel, saßen die Gesellschafter auf Samtsofas in ihren vergoldeten Logen, die mit Wilton-Teppichen und Samt und Seide aus Neapel dekoriert waren. Ich dagegen, nach allem, was ich für die Musik und die Verbreitung der Oper getan hatte, sollte zwischen den zahlenden Gästen unten im Parkett sitzen. »Nein, danke«, antwortete ich ihnen. »Tausend Dank, aber nein.«

    Als dann die Saison zu Ende und der Konkurs ein Faktum war, musste sogar Rivafinoli das Feld räumen. Porto und Sacchi versuchten, den Ruin mit Bällen und anderen Spektakeln abzuwenden. Ich schrieb ein hämisches Gedicht über die Angelegenheit, Frottola per far ridere. Es war ein Mahnruf an alle Landsleute, die die schönen Künste lieben, dass die Oper uns bald verloren gehen würde. Mein Leben mit der Musik war vorbei. Als mein Sohn in ein Haus in der Spring Street zog, folgte ich ihm wie ein Teil des Inventars. Doch dem Straßennamen zum Trotz erwartet mich kein Frühling – nur Winter, die kalte Jahreszeit des Todes. Ein einziger Schüler ist mir geblieben, der die Sprache meiner Heimat lernen möchte, und der ist vollkommen untalentiert. Ich kämpfe für die Einheit unserer katholischen Kirche, ich streite für den rechten Glauben. Aber inzwischen habe ich meine letzten Bücher verkaufen müssen. Meine Regale sind so leer wie mein zahnloser Mund. Wenn ich könnte, würde ich nach Italien zurückgehen, um dort zu sterben und in der geweihten Erde meines Heimatlandes zu ruhen, aber nicht einmal das ist mir vergönnt.

    Wie ein tapferer Soldat bin ich in meinem Kampf für die Künste gegen die Kanonenmündungen der Gleichgültigkeit angestürmt, wie ein hingebungsvoller Liebhaber habe ich mich in die Arme einer Frau geworfen, die mich verstoßen hat. Die Hoffnung, dass all diese Mühen meinen Namen post funera unsterblich machen werden, habe ich nun aufgegeben. Die Inspiration, die mir die Theater an der Themse, der Donau und der Moldau einst gegeben haben, habe ich nur zu einem kleinen Teil an meine neuen Landsleute weitergeben können. Sei’s drum. Die Musik überlebt, wenn wir schon längst vermodert sind. Ich träumte von Rosen und Lorbeeren, aber die Rosen hatten Dornen und der Lorbeer schmeckte bitter. So ist unsere Welt! Der Gesang, der mich jetzt erwartet, kommt von Engelschören und himmlischen Harfen. Ich stelle ihn mir so schlicht und schön vor wie die Melodien, die Amadeo für mich pfiff und summte, während wir uns über seine Noten beugten. So schön und natürlich wie die Stille zwischen den Sternen der Nacht.

    2.

    Wie tritt man seinem Tod entgegen? Am besten wie der Abenteurer, den ich mit erschaffen habe, Don Giovanni, der furchtlos die Hand des steinernen Gastes ergreift und sich ins unterirdische Dunkel stürzt – nicht schreckerfüllt, sondern neugierig. So wollen wir am liebsten dem Tod entgegentreten: mit Neugier. Mit demselben Lebensdurst wie am Anfang unseres Lebens. Amadeo sagte einmal, er wäre schrecklich gern in dem Moment dabei, wenn der Tod eines Menschen eintritt. In jenem Augenblick, in dem ein Mensch die Schattenwelt betritt, glaubte er, würde das Leben in klarstem Licht vor ihm stehen, entblößt aller Verlogenheit und aller falschen Masken.

    Wie allgegenwärtig der Tod ist und wie oft er uns brandschatzt, erfuhr Amadeo schließlich im Alter von dreiundzwanzig Jahren, als er sich zum ersten Mal in einem Raum mit der Schattengestalt befand und deren düsteres Handwerk bezeugen konnte. Es war Amadeos Mutter, die der Todesengel in eine seiner kalten Leichen verwandelte. Amadeo war mit ihr nach Paris gereist. Auf der letzten Etappe waren sie Sturm und Regen ausgesetzt gewesen, und sie kamen durchnässt und völlig unterkühlt an ihrem Ziel an. Kein Pianoforte, kein Klavier befand sich in ihrem Zimmer, dessen einziges Fenster auf einen düsteren Hof

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1