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Katharina Keplerin - Mutter des Astronomen
Katharina Keplerin - Mutter des Astronomen
Katharina Keplerin - Mutter des Astronomen
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Katharina Keplerin - Mutter des Astronomen

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About this ebook

Katharina Kepler war die Mutter des bekannten Astronomen Johannes Kepler. Sie lebte zur Zeit der Hexenverfolgung in Württemberg und wurde schließlich auch selbst als Hexe angeklagt und somit in einen Hexenprozess verwickelt. Mit der Hilfe ihres Sohnes kämpft sie gegen die Anklage. Dieser biographische Roman ist eine spannende Erzählung über Katharinas Leben und Erfahrungen in jener Zeit.Utta Keppler (1905-2004) wurde als Tochter eines Pfarrers in Stuttgart geboren und wuchs dort auf. Sie besuchte die Stuttgarter Kunstakademie bis Sie die Meisterreife erreichte. 1929 heiratete sie und hat vier Söhne. Sie arbeitete frei bei Zeitungen und Zeitschriften und schrieb mehrere biographische Romane, meist über weibliche historische Persönlichkeiten, für welche sie ein intensives Quellenstudium betrieb.-
LanguageDeutsch
PublisherSAGA Egmont
Release dateSep 26, 2017
ISBN9788711708521
Katharina Keplerin - Mutter des Astronomen

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    Katharina Keplerin - Mutter des Astronomen - Utta Keppler

    Söhnen.

    1. Kapitel

    Weil der Stadt

    Das Fachwerkhaus am Markt ist schmal, steile Treppchen; muffiger Geruch nach altem Holz schlägt einem entgegen und scharfe Schwaden aus der Latrine daneben, die in der Sommerhitze die dünnen Fliegen anzieht.

    Katharina nimmt wieder den Wischlappen, windet ihn in den Eimer und putzt und scheuert. Sie fegt die Klumpen zusammen, die der Mann mit seinen Stiefeln hereingeschleppt hat, und trägt den Kehricht hinters Haus. Die Nachbarskinder kommen polternd herein, hinter ihnen der Kleine, ihr Johannes. Er bleibt neben ihr stehen und schaut ihr zu, ein schmächtiges Kind mit großen Augen, ein »Zimperling« und ein »Zôchen«, wie sie hier sagen. Sie dreht sich hastig um und sieht, daß er wieder die Pusteln auf der hohen schmalen Stirn hat, wie schon oft, und die roten Augenränder. Katharina wirft den Lappen in die Schmutzbrühe und streckt die Hand nach ihm aus. Er bleibt zögernd stehen, er weiß nicht recht, was sie will, Zartsein oder Schimpfen, man weiß es nie ganz sicher bei ihr, sie ist eine »Rasche«, sagt der Vater.

    Aber dann macht er doch ein paar schwankende Kinderschritte auf sie zu und läßt sich anfassen, umfassen, legt auf einmal seinen dunklen Kopf an ihre Schulter und riecht den mütterlichen Geruch.

    Der Jüngste in der Wiege schreit, man hört’s bis herunter, sie fährt auf, die Muhme hat nicht aufgepaßt, oder sie ist eingeschlafen; sie verzieht das Gesicht: Alles muß ich tun, an alles selber denken. Sie hat die Suppe für den Abend auf dem Herd, Gerstensuppe mit Zwiebeln, und sie läuft hinaus. Johannes trippelt ihr nach. Sie dreht sich um. »Geh hinüber und guck’ nach dem Vater!«

    Das Kind steigt die Staffeln vor dem Haus hinunter und stapft über den Vorplatz. Er tut’s nicht gern, der Kleine, er weiß schon, daß der Vater bei Soldaten und Krämern sitzt und vom Umtrieb in der Welt hört.

    Die Wirtsstube ist fahl vom Dunst, bunt blitzt und funkelt es aus dem Trüben, farbige Wämser, Federbarette, das unterscheidet er allmählich mit den kurzsichtigen Augen. Es ist alles ein fleckiges Gewirr, und mitten im Haufen, wo die Bierkrüge klirren und klappern, entdeckt er den Vater.

    Heinrich Kepler ist ein breiter Mann mit blondem Bart und rolligem dunklerem Haar, er hat die Kappe weggelegt, und sein Gesicht ist rot und glänzt.

    Das Kind steht, den Finger im Mund, vor ihm, gedrängt und gestoßen von den Soldknechten, die mit Gläsern und Zinngeschirr fuchteln. Heinrich Kepler schiebt den Kleinen weg, dreht den Kopf nach den Soldaten, fragt, den Bart wischend, noch einmal, was der Alba seinen Knechten zahle …; die lachen bloß.

    Jetzt steht der Junge zwischen den breit ausgespannten Beinen des Vaters und klopft mit dem Händchen auf sein Knie, weil er sich anders nicht zu helfen weiß. Heinrich faßt ihn unter den Achseln und hebt ihn vor sich, drückt ihn fest gegen sein Wams und schreit: »Bist endlich still, dummer Kerle, ich komm nicht, und wenn’s die Frau verreißt!«

    Der Kleine weint jetzt, er greift mit ernstem Gesicht nach dem Kinn des Vaters: »Aber die Mutter hat es gesagt! Ich muß den Herrn Vater heimbringen!«

    Die Leute lachen. Das Kind erschrickt vor dem Gedröhne und duckt sich an die Brust des Vaters.

    »Geh nur!« sagt der und setzt es auf den Boden. »Sag, ich komm sicher nicht hinüber!«

    Da schiebt sich der Waibel dazwischen. »Recht so, Heinrich, Weiber verstehen nichts von unserem Handwerk, und wenn du heimkommst als Hauptmann, wird sie kuschen.«

    »Vater!« bittet der kleine Johannes. Aber der große Mann steht nicht auf, er stößt ihn weg. Er weint wieder: »Die Mütz, Vater!« Der Mann wirft die Kappe auf den Tisch, in eine Bierlache. »Kappe? Mütz?« Er lacht böse. »Kappler haben sie mich geheißen, Kappenmacher, die Affen, und von meinem Urahn weiß ich doch, daß zwei Brüder Kepler zu goldenen Rittern geschlagen worden sind, bei der Kaiserkrönung Sigismundi zu Rom.«

    Die anderen johlen und reden durcheinander, das sei doch kein erwiesenes Faktum, sondern allenfalls eine Annahme und ein Dekorum, und man kenne sein großes Mundwerk und die Ruhmsucht, die immer höher hinauswolle; bei einem Kriegsmann gelte die Mannhaftigkeit – ein gewaltiger Hieb wiege mehr denn der verschollene Adelsbrief.

    Sie schreien, streiten, raufen schließlich, bis der Wirt sie auseinanderreißt und Heinrich, plötzlich erschlafft, unsicher geworden, den nassen Hut ausschüttelt und zusammenknüllt. So schiebt er sich aus der Tür, das Kind geht ihm nach.

    Draußen steht Katharina, sie schaut dunkel und ohne Hoffnung auf den schwankenden Mann. Wilder Ärger springt sie an, sie zwingt sich zu schweigen, faßt Johannes fest an der Hand und wartet, bis ihr Mann wirklich gegen die Tür zugeht und sie ihm nachsteigen die schmale Treppe hinauf in den düsteren Flur und in die Stube, dann erst redet sie, als wäre es lang bereit gewesen und nicht mehr aufzuschieben: »Heinrich«, sagt sie, »das Essen steht da, iß. Ich geb den Kindern aus und tu sie ins Bett. Dann muß es mit uns ins Reine kommen, so kann die Unruh nicht bleiben …«

    Heinrich setzt sich, ihm ist schwindlig vom Bier, er ärgert sich über die hämischen Reden, die er noch im Abgehen von den Söldnern und Bauern gehört hat, er ärgert sich über die Ruhe der Frau, die er nicht aus ihrer Besonnenheit hat reißen können, so heftig sie manchmal sein kann.

    Als die Kinder endlich schlafen – Johannes schreit auf im Traum, murmelt und plappert vor sich hin, und sie streicht ihm über die naßgeschwitzten Haare –, als sie beide endlich still sind, und leis’ schnarchend tief in die Kissen gesunken, steht sie in der Küche vor ihrem Mann, der sich an den Herd gesetzt hat, die nasse Kappe vor dem Feuerloch drehend, und jetzt zu ihr aufsieht, nur mit den Augen, den Kopf gesenkt wie ein zorniger Stier.

    »Laß mich!« murrt er böse; Katharina kennt die Laune, den Drang, zu glänzen, zu gelten und recht zu haben und weiß, daß das Zureden so wenig dagegen hilft wie früher das wilde Aufbegehren, das Weinen, das Drohen und Mahnen. »Heinrich«, sagt sie müde, »du kannst doch den Handel nicht einfach liegen lassen, die Fuhrmeisterei und das Gütle und uns alle drei, du mußt doch bedenken, was werden soll – Heinrich …« Er greift die Stehende mit beiden Armen um die Knie und zieht sie an sich. »Kätterle, ich muß aber!«

    »Du mußt … und hast doch auch ein Hirn und einen Verstand, du, mit deinen großmächtigen Ahnen, und nicht nur einen eitlen Trieb, und hast mich und den Hänsle und den Heinerle; und uns ließest zurück, wenn sie dich anwürben, hier im Haus bei der Ahne und der Bas’, der Wellingerin und …«, sie dreht sich zur Seite und weint.

    Heinrich läßt sie los. »Das verstehst nicht.«

    Sie lacht bitter. »Das alte Gerede! Und ob ich’s versteh – aber muß es denn immer bloß um deinen Ruf und Ruhm gehen?«

    Er steht auf. »Ach, Ruf und Ruhm …«, sagt Heinrich Kepler auf einmal verächtlich, »es ist auch so nimmer zum Aushalten …«

    Darauf schweigt sie. Sie nickt sogar, denn eben, als er stiller wird und ihr vielleicht zugehört hätte, poltert und trampelt es über ihnen, ein Stuhl fällt um oder ein Schemel; die Alte, seine Mutter, die Keplerin kreischt; die Wellingerin heult auf, ein Fenster klirrt, Katharina wird blaß, sie schiebt ihren Mann weg, der hinauflaufen will, und geht aus der Tür.

    Die beiden Frauen haben sich ineinander verkrallt wie zwei Katzen, der Hund kläfft hinter dem Knäuel herum, die Kanne auf dem Tisch schwankt. Katharina springt mit einem Satz dazwischen. Die Schwieger, braun und dunkeläugig, mit faserigem weißem Haar, läuft auf sie zu. Es geht um das Geld für die Eier, die man verkauft hat, die paar Hühner hinter dem Gitter legen nicht viel jetzt im Winter, die Base hat lässig gehandelt, hätte mehr herausholen sollen, hat sogar ein paar Stück beiseite getan.

    Die weint, das könne die Statthalterin nie beweisen. Sie fährt wieder auf die andere los.

    Katharina hält die alte Frau fest, ihre dürren Arme spürt sie durch den Wollärmel, sie stützt sich auf eine Tischkante und winkt der anderen, sie solle gehen. Die drückt sich aus der Tür.

    Jetzt fährt die alte Keplerin auf: »Du hast grad noch das Recht, mir vorzusagen, was ich tun darf! Du, Schultheißentochter von Eltingen – was das schon ist! Weil dir der Heinrich ein Kind gemacht hat vor der Zeit – wie du’s wollen hast! Du, – nichts ein’bracht, nichts gewußt und nichts können …«

    Katharina Keplerin steht dabei, sie ist starr geworden, steif bewegt sie sich und sinkt dann, wie abknickend, auf den Schemel. »Weißt selber, Frau Mutter, daß es anders gewesen ist.«

    »Seit wann sagst du ›du‹ zu mir?«

    Katharina gibt keine Antwort. Sie horcht nach der Treppe. Bloße Füßchen tappen herauf, dann ist es still. Die alte Frau schaut hin. »Geh nur, da ist eins von deinen Kegelna …«, sagt sie leise und gehässig.

    Katharina macht die Tür auf, und draußen steht im langen grauen Hemd der Johannes. Er rührt sich nicht, steht da und schaut. In seinen dunklen Augen sieht sie beim Kerzenlicht den schweren Ernst, die Verantwortlichkeit, die Angst des Buben, den sein Leben weit überfordert.

    Drunten klappert Heinrich Kepler mit Geschirr und Löffeln, er sucht wahrscheinlich etwas zu trinken oder zu essen – er trappt mit den Stiefeln hin und her im Gang, es ist, als wolle er hinaus auf den Marktplatz, zu den lärmigen Kumpanen.

    Katharina hastet an der alten Frau vorbei, an dem Kind, das ihr mit weitem Blick nachgeht, bis ans Ende der Treppe, – und wird zurückgestoßen.

    Heinrich läuft aus der Haustür. »Geh heim, laß mich in Ruh, bleib drinnen!«

    »Ach«, sagt sie ganz leise, sie macht ein paar Schritte hinter ihm drein und kehrt dann um.

    Anderntags ist er fort; er kann nicht weit weg sein, man hat ihn mit einem Trupp Angeworbener auf der Landstraße gesehen; er ist ohne Abschied gegangen.

    Sie mag nicht nachlaufen, nicht mehr bitten, mahnen, betteln, sie sitzt in der Küche vor dem Tisch und würgt trocken, als wolle sie ersticken am Weinen.

    Das enge hohe Haus ist wie ein Kerkerturm um sie her, die streitenden Frauen, der gewalttätige jähzornige Großvater, Amtsbürgermeister und »Statthalter des Reichs«, und weil er nur über eine ganz kleine Reichsstadt Gewalt hat, hält er sich um so stolzer, will seinen Titel hören und die Schreiber im Rathaus laufen sehen. Daß der Heinrich ein unruhiger Geist ist, unnötig aufmuckt gegen den mächtigen Alten, rechnet er ihr an, der Schwieger, die bloß aus Eltingen gekommen ist und nicht aus der Freien Reichsstadt. Er steht ja unter keinem der kleinen Landesherren, sondern direkt unter der Heiligen Römischen Majestät, er hat sogar das Recht, rot zu siegeln, mit dem Adelssiegel, wenn er will.

    Jetzt, im Winter, geht er in der Pelzschaube, im breiten Fellkragen über dem gefalteten Amtsrock, und kaum die eigene Frau, die er als Kätterle Müller aus Marbach am Neckar geheiratet hat, gilt ihm als ebenbürtig, obwohl ihr Vater der Reichsmüller oder der »reiche Müller« genannt worden ist.

    Der Alte ist wenigstens bei seiner Amtswürde und Eitelkeit zu fassen, ihn versteht Katharina eher zu nehmen, aber die Frau, die Mutter ihres Heinrich, die ihn zuerst und vor allen und vor ihr selber im Arm gehabt, die ihn gesäugt und gewiegt hat und getragen, die will ihn nicht abtreten und hergeben und ist ihr bös und feind, wenn sie sieht, daß sie wieder ein Kind erwartet, und böse auch, wenn sie spürt, daß sie jung und stärker ist als sie, die Abnehmende.

    Und dann – Katharina ist erschrocken, als sie es erkennt: Die Alte spürt, daß sie die »Fernfahrt« hat; so nennt sie es selber, die bohrende unwiderstehliche Eindringlichkeit, die sie überall hinfühlen und -tasten läßt, wo die anderen nicht mehr hinreichen.

    Damit kann sie zwingen, wenn sie sich anspannt, zart rufen, liebevoll führen, als wär’s ein Gebet: So ruft sie den Heinrich jetzt, der so weit weggezogen ist. Und so, fortgerissen aus sich selber, aus Ort und Zeit, erlischt ihr Bewußtsein.

    Die Wellingerin findet sie dann, sie liegt neben dem Tisch in der Küche, mit offenen Augen, die blicklos nach oben verdreht sind; das schmale Gesicht ist entspannt, die Tränenspuren laufen über die mageren Wangen bis an den Mund; jetzt lächelt sie in der Entrückung, als ob sie etwas Schönes gefunden hätte … Fast jedesmal, wenn Katharina solche »Anfälle« hat, läuft die ganze weibliche Verwandtschaft zusammen, die mit im Haus wohnt. Die Wellingerin, die sie gefunden hat, ruft die Schwieger, die Schwestern des Vaters kriechen aus allen Winkeln, wo sie spinnend oder stumpf sinnierend gehockt haben, man scheut sich, die Bewußtlose anzureden, weil man ihrer »Sucht« nicht traut, die vielleicht doch überspringen könnte.

    Die junge Frau kommt zu sich, als der vierjährige Johannes sie weinerlich anruft und unaufhörlich streichelt. Heiner, der Zweijährige, habe wieder die Krämpfe, jammert er, und sie müsse jetzt kommen.

    Sie fährt hoch, beschämt über ihre Anwandlung, mit einem angstvollen Blick auf die Frauen, rafft sich vom Boden auf und läuft zum Spielwinkel des Kleinen, der sich gekrümmt, Schaum vor dem bläulichen Mündchen, auf den Dielen windet.

    Johannes sieht es verstört und geht erst von den beiden weg, als die starken streichenden Finger der Mutter den kleinen Bruder beruhigt haben. Der schläft danach gleich ein.

    Derweil trottet der Vater, Heinrich Kepler, mit der zusammengewürfelten Truppe durchs Land. Er redet den und jenen an, den er kennt, auch Fremde will er für sich interessieren, verkündet großspurig, er sei als Sohn eines Amtsbürgermeisters imstand, ihnen allerhand Vorteile und Ehrungen zu verschaffen, wenn sie sich gut mit ihm stellten.

    Allmählich wird der singende lärmende Haufen stiller, da der Marsch in den Abend geht und es kälter wird. Man weiß nicht recht, wo Quartier gemacht werden soll; es könne noch etliche Wochen dauern, das Marschieren, es gehe scheinbar den Rhein hinab, denn die Niederlande seien weit.

    Gegen Mitternacht wird dann Halt befohlen, man wartet den Troß ab, und als der die Zelte auslädt, fängt man schnell mit dem Aufschlagen an. Erst am nächsten Morgen werde man dann die Fähnlein einteilen, heißt es.

    Aber der Schlafplatz in den Zelten sei rar, und bloß der Waibel und die Offiziere könnten sich in den ihren recht bewegen.

    Etliche gingen auch heimlich in die Dörfer ins Heu und zu den Bauernmägden, aber das sei streng verboten und werde hart gestraft.

    Er liegt lang wach, halb auf einem anderen, der schnarchend vor sich hin döst und einen üblen Geruch hat.

    Heinrich kann nicht einschlafen – er sieht die dunkle Frau, wie sie ihn ruhig und eindringlich und immer bohrender anschaut, wie sie ihren Mund zuhält mit der verarbeiteten Hand, als wollte sie den Schrei und Ausbruch verhalten, der seine Unbeherrschtheit anklagt. Er sieht auch die großen, seltsam verdunkelten Kinderaugen seines Johannes und das rote Köpfchen des Kleinen, der krank ist und Sorgen macht; Johannes, im Winter geboren und nach dem Kalenderheiligen getauft, Johannes ist im Mai gezeugt worden, unter dem gläsern-schimmernden Horizont, am Waldrand, als ein Sternschnuppenfall über den Himmel sprühte und die alten großen Buchen in einem hauchenden Wind dufteten. Er hat einen Sohn gewollt und Katharina auch – und daß das Kind zu früh geboren ist, mag an seiner eigenen Heftigkeit liegen, an den unguten Schlägen auch, die ihre Eltern der jungen Frau gegeben haben, weil ihnen die Ehe zu bald kam, weil sie die Tochter noch zur Arbeit im Haus halten wollten.

    Sie sind dann beide im engen Keplerhaus geblieben, haben von den Alten gelebt, und er hat sich im Handel des Vaters ein bißchen umgetan, nicht viel, ihm war’s zu langweilig und eng da – Tuch und Wachs und Fuhrverleih –, während Katharina wie eine Hausmagd gehalten wurde und auch die Schwiegermutter und die kränklichen Schwestern versorgte und ihnen kochte und wusch.

    Sie wird’s nicht leichter haben, wenn ich jetzt fort bin, sagt er sich, sie werden sie noch mehr ausschinden, und daß ich zu den Papisten will, ist ihnen gleich einer Todsünde – es geht ja durcheinander mit ihrem Glauben – katholisch und lutherisch und mitten in den politischen Händeln keins von beiden ganz – und nirgends eine Klarheit …

    Er sieht sie, Katharina, noch immer vor sich und spürt ihr Ziehen und Drängen; endlich schläft er ein, fällt brunnentief in seine Erschöpfung und wacht erst auf, als die Trompete weckt und alles hochjagt.

    Der Hauptmann hält eine Rede, kaum verständlich – er ist ein Provenzale –, kann wenig Deutsch, schreit, man habe den rebellischen Holländern das Maul zu stopfen, da sie ja der katholischen Majestät und der spanischen Kirche widerstrebten.

    Bei den Landsknechten wird viel geredet: daß man den neuen Glauben nur nutze, um einen Machtvorteil und Landgewinn zu erreichen, daß man auch im alten Glauben selig werden könne, wenn man ihn recht ansehe; daß man den Alba freilich entlassen und abgestellt habe, da er es den Niederländern allzu schwer gemacht, Leute wüst gefoltert, eingegraben bis zum Hals, verbrannt, gekreuzigt – daß er auch hätte die Inquisitoren wüten lassen, wie sie wollten, da sie es doch – wie er meine – zu Gottes höherer Ehre täten, denn die Spanier hielten dafür, daß man den Teufelsdienern, den Lutherischen und Hexerischen, die Satansbuhlschaft anmerke und anrieche, so daß es dem Höchsten wohlgefällig sei, wenn man sie mit Stumpf und Stiel ausrotte. Derlei verwirrte und alberne Redereien gehen im Heer um, und die Manneszucht ist dabei scharf und nicht immer gerecht – man fürchtet den Profoß und den Priester. Denn der macht’s ihnen auch nicht leicht; wer lutherisch scheint, gilt von vornherein als verdächtig, zumal in dem bunten Haufen aus Deutschen und Kroaten und Südländern; die Priester sind oft Katholiken und nehmen sich für Kämpfer Gottes. Da ist es am besten, sich nur auf’s Handwerk zu legen, auf’s Kriegsgeschäft, und nicht einmal groß hinzuschauen, wem’s gilt.

    Man läßt sich kaufen und verschieben auf den Plätzen der Welt und sieht zu, daß die eigene Haut so heil bleibt wie möglich.

    Das ist freilich selten genug, und kaum einer kommt ohne Blessur und zerrissene Glieder heim, wo es noch irgendeine Heimat gibt. Denn hier am Niederrhein und in Holland sind die Dörfer verbrannt, die Leute hocken in den Wäldern, die Hilflosen und Schwachen gehen ein wie Tiere. Wer etwas Eigenes hat, und dazu noch im unbekriegten Land, ist gut dran, solange es ihm gehalten und gepflegt wird.

    In Weil der Stadt, die stolz auf ihr Stadtrecht ist und jedes Schriftstück zeichnet mit: »Gegeben zu Weil, der Stadt«, kramen und wühlen sie weiter wie eh, graben und hacken, werken und treiben um, und viel Ausblick über die Mauern haben sie nicht. Man kennt das Nächste und richtet sich ein, man ist sicherer intra muros, aber man spürt doch die große Gefahr um die Mauer her und die Drohung von überall und traut auch dem Kaiser nicht und dem Papst nicht mehr, und Gott ist verschleiert und verborgen, und man weiß nicht recht, wie man ihm dienen soll, da sich die Kirchen jetzt selber bekämpfen und keine – scheint es – den ganzen Segen Gottes mehr besitzt, da sie angegriffen und angekränkelt sind, denn ihre alte Lehre hält nicht mehr stand –: »Sonne, steh still!« wie man von Aron und Gideon gelernt hat, gilt nicht mehr, nicht die Sonne dreht sich ja um die Welt – die kleine Erde wirbelt um sich selber und spiralig um die große Sonne, und die Planeten wirbeln; und sie rechnen und zirkeln darüber, sagt man.

    Gilt denn noch die Macht und Gewichtigkeit der Symbole, die alles einbegriffen, da man doch das letzte nicht anders sagen kann?

    Und der neue Glaube stellt das Denken und Urteilen in die Mitte aller Werte, und die »überschaubare Wirklichkeit« – aber die – ist nicht zu überschauen!

    Das freilich sagt und schreibt niemand in dem kleinen Gemeinwesen, aber sie spüren es und suchen Zuflucht. Denn wo ist die Welt noch zu erfassen, wenn man auf sich selber gestellt ist, dem unendlichen Gott gegenüber? Und keine Autorität der Kirche, die doch sein Haus ist? Vater unser … aber was will er von ihnen? Da fliehen die einen ins starre unantastbare Recht und verdammen und rotten aus, was ihren Buchstaben zuwider ist; und die anderen, die Dumpfen, Gedankenlosen, klammern sich ans Nächtige, an Wunder und Zeichen, an Geheimnis und Geraune, ans Verdeckte und Verbotene, das um so ziehender lockt und unwiderstehlicher reizt, je verborgener es umherschleicht.

    Vor langen Zeiten hat es ja Macht gehabt, das Zauberwesen; von Kelten, Arabern und germanischen Zauberinnen, den Hagedisen, soll es gehütet worden sein, es hat den Lüsten und Trieben nicht alles Recht versagt, sie in geheime Kulte verkleidet und gepflegt, geheiligt und erhoben. Schwarze Messen habe man da gehalten, schaurige heilwirkende Kulte geübt, und da es das Versagte erlaubte und das Verfemte erreichbar machte, da es ungeheuerliche Lust versprach und neue erdgewachsene Feuerwonnen, ist es jetzt wie ein Magnet. Die Frauen sind Träger des Unterirdischen, der Erdschoß ist ihre Heimat – das Chthonische haben’s die Griechen genannt. Weiber, den Priestern versagt, fühlen sich in der kirchlichen Ordnung verachtet, sie seien denn der Jungfrau Maria geweiht. Und die Ängste vor dem Unsichtbaren, vor kriechender Pest und Lepra und Franzosenseuche, vor den unverständlichen Entschlüssen der Großen – das alles treibt sie, die Kindlichen, die Leichtverführbaren, ins Dunkle.

    »Gefäße der Sünde« – die Weiber glauben’s selber fast, da doch die Urmutter Eva den Mann von der Paradieseswonne weggelockt und sie dafür ganz verloren hat … Und wo sie rein sind und groß und zu verehren, ist es die unfaßliche Ausnahme: Katharina war’s dem Heinrich, das wußten sie beide. Aber er ist fort, der Unruhige, in ihm gärt zuviel, das keinen Ausweg weiß, da ihm Bildung und Weisung fehlt und der klare Blick. Katharina ist ausgeblutet von einer Fehlgeburt und wird mit Geschrei und Gezänke zur schweren Arbeit getrieben, wäscht Fässer aus und bürstet die Holztische, schwenkt die Bierseidel … Sie werfen ihr vor, sie sei nur da, weil sie des Heinrich Weib sei, und der habe sie verlassen und also verworfen.

    Ein heißer Sommer kommt herauf, die Dorfgasse stinkt vom Unrat; man mäht zeitig, denn das dürre Heu könnten die

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