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Die Sprechpuppe
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Die Sprechpuppe

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About this ebook

Flughafen Athen. Die Maschine aus Paris ist gelandet. Auf einmal Schüsse, Aufregung, Schrecken unter den Wartenden – dann eine Stichflamme, Explosion: Palästinensische Terroristen haben das Flugzeug in ihre Gewalt gebracht. Keiner der Passagiere überlebt. John Berger hat am Flughafen auf die Ankunft seiner Frau und seiner Tochter Sandra gewartet. Statt sie freudig in die Arme zu schließen, muss er nun ihre Leichen identifizieren. Bei Sandra hat die Polizei eine Puppe gefunden – eine Sprechpuppe. In John Berger ist nur noch grenzenloser Hass auf die Mörder. Er fasst den Entschluss, die Männer, die für den Tod seiner Frau und seiner Tochter verantwortlich sind, zu suchen, zu finden und zu richten. Mit nachtwandlerischer Sicherheit und großer Präzision verfolgt John seinen furchtbaren Plan. Auf der "offiziellen" Seite des Gesetzes schaltet sich nun die Pariser Polizei in die Fahndung nach den Terroristen ein – unter Leitung des ungewöhnlichen Chefinspektors Marcel Trudeau, der seine ganz persönlichen Schlüsse zieht und zuletzt eine folgenreiche Entscheidung trifft ... "Die Sprechpuppe", der erste Roman des auch der "James Bond von Linz" genannten Staatspolizisten und Kriminalautors Leo Frank, ist ein echter Thriller voller Spannung, Action und Tempo.Leo Frank (auch Leo Frank-Maier, gebürtig eigentlich Leo Maier; 1925–2004) ist ein österreichischer Kriminalautor, der in seinem Werk die eigene jahrzehntelange Berufserfahrung als Kriminalbeamter und Geheimdienstler verarbeitet. In seiner Funktion als Kriminalbeamter bei der Staatspolizei Linz wurde Leo Maier 1967 in eine Informationsaffäre um den Voest-Konzern verwickelt. Man verdächtigte ihn, vertrauliches Material an ausländische Nachrichtendienste geliefert zu haben, und er geriet unter dem Namen "James Bond von Linz" in die Medien. Es folgte eine Strafversetzung nach Wien, wo er nach wenigen Monaten wiederum ein Angebot zur Versetzung nach Zypern annahm. Zwischen 1967 und 1974 war Leo Maier Kripo-Chef der österreichischen UN-Truppe in Nikosia. Auf Zypern begann er seine ersten Kriminalromane zu schreiben und legte sich den Autorennamen Leo Frank zu. Doch dauerte es noch einige Jahre, bis 1976 sein erster Roman "Die Sprechpuppe" publiziert wurde. 1974 kehrte er – in der Voest-Affäre inzwischen voll rehabilitiert – nach Linz zurück. Er leitete verschiedene Referate (Gewaltreferat, Sittenreferat, Mordreferat), bevor er 1980 zum obersten Kriminalisten der Stadt ernannt wurde. Mit 59 Jahren ging er in Pension und zog in seine Wahlheimat Bad Ischl, wo er 2004 verstarb.-
LanguageDeutsch
PublisherSAGA Egmont
Release dateSep 26, 2017
ISBN9788711518649
Die Sprechpuppe

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    Die Sprechpuppe - Leo Frank-Maier

    Verfasser

    Kleine Hügel, zugedeckt mit weißen Tüchern. Viereckige Nummerntafeln auf jedem dieser kleinen Hügel. Der Inspektor führte ihn zur Nummer 34. Er hob eine Handtasche auf, ebenfalls etikettiert mit der Nummer 34. John kannte die Tasche. Er hatte sie ihr gekauft, damals in Paris. Ein sündteures Stück.

    »Ja«, sagte John.

    »Der Reisepaß ist drinnen«, sagte der Inspektor, »deshalb nehmen wir an« … Er zuckte mit den Schultern.

    »Ja«, sagte John.

    »Sorry«, sagte der Inspektor, »tut mir leid, es muß sein.« Er hob das weiße Tuch an einem Zipfel, John sah Blut und Haare, rötliche Haare. Er schloß die Augen.

    »Ja«, sagte er. Merkwürdig, seine Stimme klang ganz ruhig.

    »Nummer 35«, sagte der Inspektor. »Sorry, tut mir leid, wir nehmen an, Ihre Tochter. Sie war …«

    »Bitte nicht«, sagte John.

    »Sie war in den Armen Ihrer Frau«, sagte der Inspektor. »Ich meine, wir fanden die Körper zusammen.«

    »Ja«, sagte John.

    »Die Effekten«, sagte der Beamte. Er deutete auf ein Bündel Zeug. Taschen, Schuhe, Kleidungsstücke.

    »Nach der Identifizierung können Sie die Effekten haben.«

    »Bitte nicht«, sagte John. Er drehte sich um. Dabei stieß er mit dem Fuß gegen einen Gegenstand.

    »Heute geh’n wir in den Zoo«, krächzte etwas.

    John zuckte zusammen. Der Inspektor legte ihm die Hand auf die Schulter. »Da sind alle Kinder froh«, krächzte es weiter.

    »Eine Sprechpuppe«, sagte der Inspektor. »Eigenartig, daß kleinere Gegenstände oft unversehrt bleiben.«

    John sah fassungslos auf eine kleine, blonde Plastikpuppe. Ein Bein fehlte.

    »Von meiner Tochter?« fragte er.

    »Nummer 35, ja«, sagte der Inspektor.

    John Berger hob die Puppe auf, steckte sie in seine Manteltasche.

    Der Inspektor zuckte wieder mit den Schultern.

    »Kann ich jetzt gehen?« fragte John.

    Der Inspektor führte ihn hinaus. John stieg über die kleinen weißen Hügel. Er drehte sich nicht um.

    Der 7. Oktober 1973 war ein Sonntag, und in Athen war das Wetter mild. Die Sonne schien freundlich warm, die Menschen auf den Straßen genossen den Spätsommer.

    John Berger, australischer Staatsbürger, 46 Jahre alt, wußte nicht, daß Sonntag war. Auch das Datum und den Monat wußte er nicht. Seit Tagen hatte er sich nicht gewaschen und rasiert. Er hatte kaum gegessen, aber viel getrunken und ununterbrochen geraucht. Er ging durch die Straßen, und die Kinder hörten auf zu lachen, wenn sie ihn sahen. Er trug einen viel zu warmen, dunklen Mantel, den Kragen hochgestellt. Seine linke Hand in der Manteltasche umklammerte eine Kinderpuppe, der ein Bein fehlte. In seiner rechten Manteltasche hatte er seinen Reisepaß und ein Bündel Geldscheine. Wenn er nachts in den Kneipen saß und trank, wurde er ständig von Polizeistreifen kontrolliert. Das war nicht verwunderlich, wenn man so aussah wie er. Dann zeigte er seinen Paß und sein Geld, und die Polizisten ließen ihn in Ruhe. Er war ein ordentlicher, ein rechtschaffener Mensch, — wenn er einen verwahrlosten Eindruck machte, war das seine Sache. Nichts lag gegen ihn vor.

    An diesem Sonntag kam John Berger zur Erkenntnis, daß er Menschen töten würde. Daß er ein Mörder werden würde.

    Inge war also tot. Seine Frau war tot und auch seine Tochter, sein kleiner Liebling. Zwei Tage war die Maschine auf dem Rollfeld gestanden, ganz weit weg am unteren Ende, Polizei und Militär hatte alles abgesperrt und mit den Terroristen verhandelt. Dann knallten plötzlich ein paar Schüsse, und die Maschine explodierte. Ein Geiseldrama, sagten die Radiosprecher.

    John Berger hatte die Schüsse gehört und den dumpfen Knall der explodierenden Maschine, er sah den roten Feuerschein am Horizont, und ein paar Menschen neben ihm schrien hysterisch. Es waren Menschen, die wie er auf ihre Angehörigen gewartet hatten, auf den Flug CA 344 von Rom nach Athen, planmäßige Ankunft 17.30 Uhr Ortszeit.

    Das Flugzeug war auch gelandet, rollte aber nicht zum Flughafengebäude, sondern blieb am hinteren Ende der Landebahn stehen. Als die Sirenen der Polizeifahrzeuge und der Feuerwehr aufheulten, schrie alles durcheinander, Besatzung und Fluggäste wären Geiseln einer palästinensischen Befreiungsorganisation, der Gruppe »Roter Oktober«. Man würde verhandeln.

    John Berger hatte das Gefühl, das Ganze ginge ihn eigentlich nichts an. Er war von Kuweit nach Athen gekommen, um hier seine Familie zu treffen. Zwei Jahre hatte er in Kuweit gearbeitet, als Chemiker in einer Ölraffinerie. Er hatte gutes Geld verdient, und sein Vertrag war jetzt zu Ende. Nun wollte er einmal Urlaub machen, in einem Badeort an der Straße nach Saloniki; das Hotelzimmer war gebucht und anbezahlt. Was gingen ihn die Palästinenser an und der »Rote Oktober«. Er hatte Inge sechs Monate nicht gesehen, und die Kleine war sicher wieder ein Stück gewachsen.

    Nun waren sie also tot, und in den ersten Tagen fiel es ihm schwer, das alles zu glauben.

    Wieso lebte er überhaupt noch, und was tat er in dieser Stadt, in der er niemanden kannte als ein paar Polizisten, die wissen wollten, was mit den Leichen zu geschehen hätte. John wußte es auch nicht, ihm war alles gleich, er nickte zu allem, füllte eine Menge Formulare aus, die Beerdigung fand in einem Friedhof in der Nähe der Akropolis statt. Die Polizisten zeigten es ihm auf dem Stadtplan, und John nickte wieder, ging aber nicht hin.

    Das schmerzhafte Dröhnen in seinem Kopf wurde leichter und leiser an diesem Sonntag. Der Chemiker John Berger würde keine Analysen mehr machen, kein Reagenzglas mehr anrühren, nicht einmal mehr ein Labor betreten. Diese Erkenntnis kam langsam und befreiend. Er würde die Leute vom »Roten Oktober« suchen und finden, er würde sie umbringen, einen nach dem anderen, das war so klar, es mußte so sein. Er lächelte jetzt, als er durch die Straßen ging, ein seltsames Lächeln, irgendwie fremdartig in diesem grauen, unrasierten Gesicht.

    In »Helens Bar« im Hafen von Piräus dröhnte die Music-Box, American III stand auf diesem dröhnenden Kasten und daneben in kleinerer Schrift: Wurlitzer. Die Silhouette von Manhattan, natürlich mit der Freiheitsstatue im Vordergrund, war innen beleuchtet. Mit Blaustich und sehr eindrucksvoll. Das Barmädchen blickte mißtrauisch und gelangweilt, als John Berger nach Papier und Bleistift fragte. Sie hatte, weiß Gott, andere Sorgen.

    Er mußte seine Gedanken in Ordnung bringen, und das ging nur, wenn er seine Probleme niederschrieb. Bloß in Stichworten. Er war ein hoffnungslos visueller Typ und hatte gerade eine Idee, die er für gut hielt. Aber er mußte die wesentlichen Punkte aufschreiben, sonst war morgen alles wieder weg.

    Die Wurlitzer Orgel dröhnte weiter, sie klang ihm, während er schrieb, leiser und leiser und schließlich gar nicht mehr störend, eher angenehm in den Ohren. Er schrieb nicht viel, war aber ganz konzentriert. Zwischendurch trank er seinen Ouzo und wurde mit jedem Glas nüchterner, das gibt es auch.

    Fernet Branca stand auf dem Papier, das er da bekritzelte. Natürlich war es ein Rechnungsblock mit Firmenreklame, den ihm das Mädchen da gegeben hatte. Das störte ja nicht. Er dachte eine Sekunde daran, daß er niemals Fernet Branca trank, war ihm zu bitter. Seine Schrift konnte ohnehin nur er lesen. Und das auch nur mit Mühe — am nächsten Tag.

    Er schrieb etwa eine halbe Stunde, dann las er den Zettel durch. Er grinste zufrieden. Wozu hatte er schließlich in Chemie Examen gemacht, damals, vor hundert Jahren? Die chemischen Formeln wußte er nur noch zum Teil auswendig. Aber das war jetzt nicht so wichtig.

    Als Student hatte er mit diesen Dingern experimentiert. Er wußte, es würde einen Höllenkrach geben. Und viel Rauch, weißen Rauch. Der in den Augen biß wie wilde Ameisen.

    John hatte vor einer halben Stunde beschlossen, eine Bank auszurauben. Für seine Pläne brauchte er Geld, viel mehr, als er hatte. Er würde eine Bank plündern, auf seine Art. Kein Blutvergießen, kein Risiko für unschuldige Menschen. Er hatte da so seine eigenen Ideen. Für eine kurze Zeit müßte es klappen, für ein bis zwei Monate, vielleicht drei. Dann würde er die Polizei am Hals haben, das wußte er. Aber er lebte schließlich nur für diese kurze, für die letzte Periode seines Daseins. Und in zwei Monaten würde alles erledigt sein. Eigentlich war er ja schon vor zwei Wochen gestorben. Er ging noch einmal die Liste durch, dann schrieb er darunter: Tonbandgerät. Natürlich, das war schließlich ein wesentlicher Bestandteil seines Planes.

    Das Mädchen hinter der Bar gestikulierte. Sie wollte ihren Kugelschreiber wieder zurückhaben. John grinste höflich und gab ihr das Ding. »Evaristo«, sagte er, »danke«.

    »You are welcome«, sagte sie. Müde und gelangweilt.

    Bei einem frischen Glas Ouzo versuchte er, die Sache noch einmal durchzudenken. Abgesehen von seiner selbstgestrickten Rauchbombe war die Tonbandaufnahme das erste, was er zu erledigen hatte.

    Er verlangte eine Zeitung und studierte die Kinoprogramme. Im Athineon wurde »General Patton« gespielt. Ein Film über die Invasion 1944. Gerade das richtige für ihn, viel Knallerei war zu erwarten. Er würde morgen die Geräuschkulisse auf Band aufnehmen, im Kino. Mit voller Lautstärke wiedergegeben, da würden wohl alle auf dem Bauch liegen in der Bank. Wer konnte schon im ersten Schock unterscheiden, daß Maschinengewehrsalven und Explosion nicht »life« waren, wenn der Raum voll von beißendem Rauch war? Wohl niemand. Und das war das Kernstück seines Planes.

    Das Lokal war jetzt fast leer, und das Barmädchen betrachtete den schwierigen Gast eindringlich. »Geh schon endlich«, drückte ihre Haltung aus. John trank aus und ging an die Bar. »How much?« fragte er. Er wartete die Antwort nicht ab, warf einen Geldschein auf die Theke. Die Wurlitzer Orgel hatte aufgehört zu spielen. John bemerkte es erst jetzt.

    Er hatte keine Lust zu gehen. »A final Ouzo, please«, sagte er. Während er das Glas schwenkte und das Klirren der Eiswürfel genoß, fing er die müden Augen des Mädchens. »Du bist ein braver Kerl«, sagte er auf deutsch.

    Der brave Kerl hieß Helene Wannemacher und stammte aus München. Wäre sie nicht so elend blaß gewesen, so grell geschminkt, hätte man sie für ein Bauernmädel aus dem Allgäu oder dem Innviertel halten können. Alles war fest an ihr und rund, und beim Gehen bewegte sie Schultern und Hintern wie ein Mittelgewichtsboxer. Jetzt war sie ehrlich müde, und eine Konversation in ihrer Muttersprache war das letzte, was sie sich wünschte. »It’s closing time, Sir«, sagte sie deshalb.

    John nickte und schlürfte seinen Ouzo.

    Die letzten Gäste, ein junges Paar, verließen das Lokal. John gab die Zeitung zurück, und das Mädchen steckte sie in eine Art Zeitschriftenständer neben der Registrierkasse. John folgte automatisch ihren Bewegungen, sah die bunten Illustrierten und Wochenzeitschriften und plötzlich das Foto seiner Frau. Er nahm das Blatt aus dem Ständer, es war ein Bildbericht über das Geiseldrama. Er sah sich selber, als er die Polizeistation verließ nach der Identifizierung, dann sah er auch das Bild seiner Tochter.

    In seinem Kopf dröhnte es. Er stand auf und murmelte gute Nacht.

    Dieses Dröhnen in seinem Gehirn, dieses Geräusch eines startenden Düsenflugzeuges. Dieses irrsinnige Stakkato höchster Töne, Motorengeräusche, die glatt außerhalb des Irdischen zu sein schienen. Ein Düsenmotor in full speed, ist das noch ein Ding dieser Welt?

    Helene Wannemacher sah den Mann schwanken und dann steif wie ein Brett zu Boden fallen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

    Helene Wannemacher war jetzt siebenundzwanzig und schon fast zehn Jahre von zu Hause weg, mit Unterbrechungen natürlich. Eigentlich hätte sie Köchin werden sollen und ging in eine Fachschule. Ihr Vater war Bierfahrer und zwei Mal die Woche besoffen, dann randalierte er entweder im Wirtshaus oder auch daheim, und manchmal mußte die Polizei kommen. Wenn er friedlich war, erzählte er Geschichten von der Deutschen Wehrmacht und wie er Unteroffizier wurde und das Eiserne Kreuz bekam. Helene kannte die Geschichten von klein auf und jedes Jahr wurden sie wilder. Ihre Mutter stammte aus Österreich; sie war eine resolute Frau und keifte den ganzen Tag oder tratschte mit den Nachbarn. Zwei ältere Brüder waren da, die schon zur Arbeit gingen als Lehrlinge in einer Holzfabrik. Sie trugen Lederjacken und kümmerten sich wenig um zu Hause, manchmal blieben sie tagelang weg. Helene wäre sicherlich eine gute Köchin geworden, aber einen Tages lernte sie Harry kennen, einen Besatzungsami, der fuhr einen Buick und hatte die Arme tätowiert. Als die Mutter von Nachbarn von dem Ami erfuhr, gab es einen Riesenwirbel. Der alte Wannemacher verdrosch seine mißratene Tochter nach bester Bierfahrerart und fluchte auf die Scheißamerikaner, daß man es im ganzen Hause hörte. Abends im Wirtshaus erzählte Wannemacher jedem, daß die Amis ein Scheißvolk wären und schuld daran, daß die Deutschen den Krieg verloren hätten. Und er ging früher als sonst heim, um seine Tochter nochmals zu verdreschen, aber das ging nicht mehr, sie war nicht mehr da. Sie war ausgerissen und schon auf dem Wege nach Frankfurt, es hatte sich so ergeben, daß ihr Harry gerade nach Frankfurt versetzt worden war, und eine Weile war sie unauffindbar. Weil sie noch nicht achtzehn war, gab es dann eine Menge Schwierigkeiten mit den Behörden, und auch der tätowierte Harry hatte ziemlich trouble mit der Militärpolizei.

    Als Helene dann achtzehn war und ihren Reisepaß bekam, gab es wieder Schwierigkeiten wegen des Heiratens. Zuerst mit den amerikanischen Militärbehörden, die damals noch gegen Massenfraternisierung waren und nicht wollten, daß ihre braven Soldaten reihenweise die deutschen Nazimädchen heirateten. Eine Menge Formulare und Bestätigungen waren nötig. Helene, die damals schon Helen hieß, bestand tapfer unzählige Gesundheitstests und Intelligenztests. Sogar die amerikanische Verfassung mußte sie auswendig lernen. Als sie die Präsidenten der USA wie am Schnürchen hersagen konnte und auch wußte, von wann bis wann jeder im Amt war und welche hervorragenden Leistungen er vollbracht hatte, als sie das alles viel besser wußte als ihr Harry, gerade da wurde Harrys Einheit nach Japan verlegt. Helen blieb zurück mit dem Buick, der erst halb bezahlt war und mit Harrys Versprechen, er würde bald auf Urlaub kommen und sie dann heiraten. Helen wartete und verkaufte in einem Besatzungsladen Coca Cola und Eiscreme. Die ersten Monate erhielt sie aus Japan ein paar 20 Dollarschecks und Ansichtskarten, dann nur mehr Ansichtskarten und schließlich gar nichts mehr.

    Dann kam Bill Halley, der war Sergeant bei der Militärpolizei und verschaffte Helen einen Posten am switch-board, in der Telefonzentrale bei den Amis. Helen stöpselte und trennte Leitungen acht Stunden am Tag, und die übrige Zeit verbrachte sie mit Bill, wenn er nicht gerade im Dienst war.

    Helen konnte großartig Rollschuhlaufen, sie war bayrische Jugendmeisterin gewesen. Im Sport Center bei den Amis gab es Gelegenheit genug. Dort traf sie auch Mister Laremy, ein big shot in der Ami-Truppenbetreuung, und der bot ihr einen Job in seinem Team an, einen richtigen Vertrag, und Helen mußte nur mit der Crew herumfahren, überall hin, wo amerikanische Soldaten waren, die betreut werden mußten. In der Truppe gab es girl-singers, eine Musikband, einen Zauberer, eine Tanzgruppe, einen Seiltänzer, und Mr. Laremy war nicht nur der Manager, auch Conferencier. Das war gerade zur Zeit, als Bill Halley immer mehr Bier trank und Helen ärger verdrosch als der alte Wannemacher. So zögerte Helen keine Sekunde und ging mit der Truppe auf Tournee und rollschuhte vor begeisterten GI’s, die wie irrsinnig pfiffen und johlten, wenn sie mit ihrer Nummer fertig war. Damals war Helen schon zwanzig.

    Mit dem Zauberer ging es dann ganz schief. Er hieß Antonakis, war griechischer Abstammung und konnte Feuer schlucken, Messer werfen und weiße Tauben aus seinem Hut erscheinen und auch wieder verschwinden lassen.

    Mit dem Manager Mr. Laremy war er ständig auf Kriegspfad, der Streit ging immer um Geld, um die Gage. Es war in Athen, als die 6. US-Flotte nach einem Nato-Manöver in Piräus vor Anker lag und die Truppenbetreuung auf Hochtouren lief, drei Vorstellungen am Tag, und Helen hatte Blasen an den Fersen vom vielen Rollschuhlaufen. In seiner Heimat fühlte sich Antonakis im Platzvorteil, der Streit war kurz, aber heftig, und die Truppe teilte sich. Mit einer Sängerin, zwei Tänzerinnen, dem Trompeter und Saxophonisten desertierte Antonakis von der Truppe. Er lockte mit einem Privatvertrag in einem Night Club in Beirut, und im letzten Moment desertierte auch Helen, nicht nur wegen der Blasen an den Fersen, nicht nur, weil sie mit Antonakis gelegentlich geschlafen hatte, auch nicht wegen der geringen Bezahlung bei Laremy, sondern einfach, weil sie all die Amis satt hatte, die immer dasselbe redeten, meist tätowiert waren wie ihr Harry und nach dem Ficken jedesmal

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